Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Die Fiaker.

Denke dir einen Menschen mit fröhlichem, gesunden Gesicht; äußerst schlicht angezogen, einen abgeschabten Filz auf dem Kopfe, sorglosen Herzens, voll Mutterwitz und eine Peitsche in der Hand – da hast du einen Wiener Fiaker.

Sorglos sind sie, denn sie bekümmern sich um alle Politik und alle Dummheiten der Welt nicht! Sie haben einen ziemlich eleganten Wagen, zwei willige Pferde und eine Peitsche; das ist hinreichend, um Mehlspeis und Braten zu essen, ein paar Seidel Bier oder Wein zu trinken! Und was will man mehr vom Leben, wenn man Fiaker ist?

Der Fiaker versteht die Kunst, auf einem zinnernen Teller umzulenken, und ist er nicht unverschämt und grob, so bekommt er keine Prügel von der Polizei. Er nennt nur diejenigen ungefiederten und mit Vernunft begabten Wesen: Menschen, die keine Fiaker sind, und daß ihn die Menschen grob behandeln, fühlt er nicht oder befremdet ihn nicht. Denn die Menschen sind halt grob! Man muß von den Hyänen nicht verlangen, daß sie einem aus der Hand fressen.

Der erste Mensch, dem man in Wien gut wird, ist ein Fiaker. »Fahr'n mer Euer Gnaden!« ruft er; und er weiß augenblicklich, daß du eine Aufenthaltskarte in der Tasche hast und fordert zweimal mehr von dir, als von einem Wiener Menschen. Sobald er aber merkt, daß du das elfte Gebot kennst, läßt er schnell herunter, hilft dir in den Wagen und fragt, wohin deine Gnaden befehlen.

Für wenige Zwanzigkreuzer-Stücke ist er nun auch ganz der Deine. Er holt dir Wein aus dem Gasthofe, packt ihn ein, stopft dir drei Mal die Pfeife, schlägt sechs Mal Feuer und raucht, sobald du ihm die Erlaubnis gegeben, auch sein Pfeifchen, während er über die grünen Felder galoppiert.

Wenn der Fremde nicht symbolisch auf den Kopf gefallen ist, und der Fiaker will ihn überteuern, so antwortet jener nicht: »Ach, erlauben Sie, das ist wohl zuviel?« sondern: »Aber, Kerl, bist Du wahnsinnig? Von der Kärntner-Straße bis zur Jägerzeile willst Du drei Zwanziger? Drei Zehner, und willst Du dafür nicht fahren, so laß es bleiben! Verstehst?«

»Aber, Euer Gnaden, das Wetter! Geben Euer Gnaden zwei Zwanziger!«

Halt's Maul! Laß' mich in Ruhe! Und damit dreht man sich um.

Nun springt dir der Fiaker nach und bittet dich einzusteigen. Er hat gehört, daß du ein Mensch bist, mit dem sich umgehen läßt, der zu leben versteht. Im sausenden Galopp wirst du durch die Stadt, durch die engsten Gassen gefahren, und du schwebst anfänglich in ewiger Angst, daß der Wagen krachen und niederstürzen, daß drei oder vier Fußgänger unter die rasch rollenden Räder geraten möchten. Aber lege dich ruhig an die weichen Kissen und überlasse dich getrost dem halben Helios. Ehe er einen Menschen überfährt, jagt er durch dessen Beine hindurch, oder rädert ihm die Stiefeln schief, damit er künftig vorsichtiger sei.

Fast nie setzt ein Fiaker, selbst bei der gröbsten Behandlung, die Achtung aus den Augen, welche er einem Menschen schuldig zu sein glaubt. Ich hörte einmal des Nachts einen Streit, der mich anfangs amüsierte, zuletzt aber in Wut brachte. Ein Herr, um den sich die Welt in verschiedenen Kreisen drehte, hatte sich bis zum Stephansplatze fahren lassen, stieg hier aus und fragte, was er schuldig sei. Der Fiaker forderte vielleicht einen Zwanziger mehr als Recht war. »Du bist unverschämt!« rief der Herr und neigte seinen Kopf zur Brust, »Du bekommst die Hälfte, keinen Kreuzer mehr!«

»Das kann i nit, Euer Gnaden. Berechnen's den weiten Weg!«

»Du bist ein Esel!«

»I bin ka Esel, Euer Gnaden!«

Der Herr lächelte und fuhr fort: »Du bist ein Esel, sag' ich Dir! Was hast Du für eine Nummer? Ich werde Dich bei der Polizei belangen.«

»Das können's tun, gnädiger Herr; i kann nit anders!«

»Ist das Dein Wagen, Du Lump? Bist Du Knecht oder Herr!«

»I bin der Herr; i bin a Bürger. I bitt', treiben's nit länger Ihren Spaß mit mir!«

»Was bist Du?« rief der vornehme Lump, taumelte ein wenig und lachte hell auf. »Ein Bürger bist Du? Ha, ha, ha! Ein Hundsfott bist Du! Du willst mich betrügen!«

»Euer Gnaden, i bin ka Hundsfott; i will ka'n Menschen b'trügen! So müssen's nit sprechen!«

»Halt's Maul, Du Schuft, verantworte Dich nicht!«

So ging das Gespräch fort, und währte bereits über zehn Minuten. Der Herr trieb seinen gemeinen Scherz immer weiter, schimpfte, fluchte und marterte den armen Fiaker bis aufs Blut. Ich verlor die Objektivität. Meine Hände hatten sich zu Fäusten geballt; ich konnte länger meine Wut nicht bezähmen. Dazu kam noch, daß mir immer bei solchen kleinen Begebenheiten viel größere einfallen; ich faßte also den Vornehmen beim Kragen, schüttelte ihn ein wenig und bedeutete ihn mit keinen schmeichelhaften Worten, daß er nun bezahlen möge, sonst würde ich ihn mit gewissen Liebkosungen bezahlen, die man in der Kunstsprache Maulschellen nenne.

Diese kühne Wendung verfehlte ihre Wirkung; der Halbtrunkene wollte gegen mich Krieg führen. Ich aber wußte es geschickt zu machen, daß er sich niedersetzte; ließ ihm dasjenige zukommen, was ich versprochen hatte, bezahlte den Fiaker und empfahl mich.

Ein anderes Mal hörte ich, wie ein Fashionable einen Fiaker zu sich heranrief und ihn fragte, ob er Zeit zum Fahren habe. »Ja, Euer Gnaden!« antwortete dieser. »So suche Dir jemand, der fahren will!« sagte der Fashionable und ging lachend weiter.

»Daas hätt mir a Narr a sagen können!« schrie ihm der Fiaker nach; seine Kollegen lachten und somit war's gut. In einer andern Stadt hätte der modische Jüngling sehr viel Prügel genossen, und die Fiaker wären gewiß viel schlagender als sein Witz gewesen; in Wien aber sind die dienenden Menschen sanftmütig und ertragen alles mit himmlischer Geduld. Sie wissen auch, wie wenig Rechte sie haben.

Und darum solltet ihr wahrlich etwas freundlicher gegen eure dienenden Mitmenschen sein, ihr sonst so guten und lieben Wiener. Laßt Witz und Grobheit gegen andere aus, und verfolgt sie mit denselben solange, bis sie einsehen, daß sie keinen Pfifferling mehr Wert haben, als wir. Aber stumpft nicht das Ehrgefühl derjenigen Menschen ab, bei denen sich Gott rechtfertigen muß, ist er wirklich der gerechte Gott, den wir glauben.

»Fahr'n mer, Euer Gnaden?«

Ja, mein lieber Bruder Fiaker, mein fideles Kerlchen mit dem Gesicht wie lachendes Morgenrot. Fahr'n mer zusammen nach Nußdorf oder nach Meidling, oder wohin du willst, und essen mer und trinken mer zusammen. Ich bezahle heute alles; ich habe ebenso viel an dir verdient, daß mer beide recht vergnügt sein können, so vergnügt, wie dein Kaiser und dein Metternich im Leben nicht sind! Fahr'n mer!


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