Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Naderer.

So viel falsche Ansichten und Urteile man auch in Deutschland über das geheimnisvolle Österreich laut werden läßt, keine sind so grundfalsch als diejenigen über seine geheime Polizei! Man sollte glauben, hinter jeder Türe stecke solch ein Regierungs-Vogel, der alles aufschnabelte, was man spräche, und es schnell zum großen Neste trage; man sollte glauben, es wäre in Österreich gefährlich zu denken und zu fühlen, weil im Gehirne oder im Herzen ein Naderer lauschen könne; man sollte glauben, das Gefängnis sei der Lohn für alle laute, poetische Meinungen, die den Prinzipien der schwarz-gelben Regierung zuwiderlaufen.

Ich glaube, daß die Regierung selbst diesen Wahn nicht zerstören will; es ist mehr ihr Grundsatz, die Äußerungen des Zeitgeistes zu vermeiden, als sie zu bestrafen. In gewissen andern Ländern dagegen kokettiert man immerfort mit geistiger Toleranz, täuscht die eigenen Untertanen und raubt ihnen Freiheit und alle Güter des Lebens, sobald sie in die Falle gehen. Man hält den Glauben aufrecht, als hätte man selbst den Weg zur Aufklärung eingeschlagen, und wagen es einzelne aus dem Volke, ermutigt durch diese liberalen Grundsätze, denselben Weg zu betreten, so wirft man sie ins Gefängnis, oder weiß sie auf andere Weise zu ruinieren! – Österreich ist viel humaner als... manche andere Regierung, die keine so schwierige Stellung, keine germanischen, magyarischen, slawischen und italienischen Völker unter einem Zepter hat. Österreich hat seine weitverbreitete geheime Polizei; ich will zugeben, daß diese stets wachsam ist und die geringfügigsten Gegenstände zu Papier bringt, daß sie aber den Leuten Meinungen entlockt, und diese zu ihrem Verderben gebraucht, ist eine Unwahrheit. Nur wirkliche Verbrecher werden bestraft, das, was andere Regierungen zu Verbrechen stempeln, verhütet man, oder ist es einmal geschehen, seine Folgen.

Hat man in Norddeutschland Wien genannt, so ist das zweite Wort: Naderer. Man glaubt, die Polizei lege jedem Fremden einen unsichtbaren Strick um den Hals, und sie brauche nur zu ziehen, so wäre man aus der Welt. Und nun kommt man nach Wien, wird auf die freundlichste und artigste Weise von allen höheren Beamten behandelt, findet selbst unter den niederen nur wenige Klötze; hört überall freimütig politisieren, alle Tage neue Bonmots, die Krone und Purpur berühren; findet in allen Familien verbotene Bücher, abonniert sich für den Zirkel verbotener Journale; sieht alle Leute verbotenen Tabak rauchen, wo das Tabakrauchen verboten ist; kauft überall Waren, die viel teurer sein müßten, wären sie nicht auf verbotenem Wege nach Wien gekommen; trinkt überall verbotenen Wein, und findet überall verbotene Mädchen! Wo ist da geheime Polizei; was tut sie? Selten hört man, daß jemand eine Geldstrafe erduldet hat; die Wiener selbst zeigen dir hier und dort einen Naderer, aber fragt man, ob seit Jahren ein Wiener durch diese Naderer inkommodiert ist, so erhält man ein entschiedenes Nein zur Antwort. Wahrhaftig! das Herz der österreichischen Regierung ist viel besser, als ihr Gesicht; und wahrhaftig, das ist bei den meisten Regierungen nicht der Fall!

Ich kenne ein anderes Land, sagte mir jemand, in welchem auch geheime Polizei ist, zwar nicht organisiert, aber desto schlimmer, desto mehr Unfug. Schufte, – denn Straßenräuber wird jeder rechtlich denkende Mensch für ehrenvoll gegen einen geheimen Polizisten halten – Schufte drängen sich in öffentlichen Örtern an diese oder jene Gesellschaft, leiten selbst das Gespräch auf Politik, spötteln selber über dumme oder harte Verordnungen und Einrichtungen; sind fünf, sechs Wochen lang die teilnehmendsten, offensten Freunde, schleichen sich in alle Familiengeheimnisse, und ehe man sich's versieht, sitzt einer aus jener Gesellschaft mitten unter den abscheulichsten Verbrechern! Kommt es nicht so weit, so sind wenigstens alle Leute notiert, welche nicht gleich die Hände über die Brust kreuzen und niedersinken, sobald sie den Namen des Fürsten, seiner Kinder oder seiner Minister hören. Und wessen Name bei der Polizei auf der schwarzen Tafel steht, dem wird es niemals gutgehen, der mag anfangen was er will, tausend unsichtbare Hände zerreißen, was er spinnt, vernichten, was er schafft. Und was haben die unglücklichen Leute verbrochen? Sie haben nicht alles vortrefflich gefunden, was die Regierung getan.

Gott, der allmächtige Gott hat nichts dagegen, wenn ein Unglücklicher sich beklagt, seinen Schmerz und die Frage ausspricht: warum hast du mir das getan? Aber viele Fürsten sind heiliger als Gott, viel heiliger; wer nicht alles lobpreist, was sie tun, ist der Feme verfallen! Christus selbst bat seinen Vater im Himmel: ist es möglich, so nimm diesen Kelch von mir! Wer sich aber in manchen Ländern erfrechte zu bitten: Fürst, nimm diesen oder jenen Kelch, diesen Minister, jene Abgabe von uns, wurde ins Gefängnis geworfen. – Doch wie unlogisch rede ich hier: darum ist ja eben Gott unser gütiger, liebevoller, großer Gott, weil er nicht die entfernteste Ähnlichkeit mit gewissen Fürsten hat!

In Österreich lockt man nicht, reibt sich nicht die Hände, wenn man aus einem schuldlosen Menschen ein neues Verbrecherchen fabriziert hat; zu solchen Missetaten lieben die Kaiser ihre Völker zu sehr, und die Machthaber haben nur falsche Ansichten, falsche Grundsätze; ihre Herzen sind gut, sie lieben die Menschen und warnen sie freundlich. Es ist keine feindliche Stellung zwischen dem Volke und der Regierung in Österreich, keine feindliche Stellung zwischen dem Militär und den Bürgern, alle, alle mischen sich friedlich untereinander! Freilich – von den Pfaffen zieht sich das Volk zurück, und die Pfaffen vom Volke – da sitze ich fest. Ich will nichts hartnäckig durchführen, was ich aufgestellt habe; ich will nur richtig schildern.

Aber wozu sind denn nun die Naderer in Wien? Still, tretet näher zu mir, legt eure Ohren an meinen Mund, daß die Ohren der Wände keinen Laut vernehmen:

»Ich weiß es nicht!«

Eine Regierung – mitten unter hochgebildeten Nationen, mitten in dem Jahrhundert der Emanzipation der Völker, der Aufklärung und sie allein ohne Willen fortzuschreiten, das historische Recht in der einen, das Kreuz in der andern Hand – eine solche Regierung braucht bei vielen Gelegenheiten etwas Enthusiasmus, etwas Patriotismus, einige tausend Hurras und Vivats und dergleichen mehr. –


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