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Es war im vergangenen Sommer sehr heiß in Wien. Sooft mich mein Weg über den Stephansplatz führte, ging ich durch die erhabene Kirche, durch das Ecce homo! der Wiener, um mich auf einige Minuten abzukühlen. Aus dem muntern Leben, aus dem tollen Wirrwarr trat ich in die stille Welt des Glaubens, in die Zufluchtsstätte frommer Gemüter, in die schwarzen Schatten der Priesterhallen. Das Innere dieser uralten Kathedrale ist ernst und feierlich, so ernst und feierlich, als hätte sich die graue Vorwelt verkörpert, als lauschten in allen Ecken bleiche Geister und klagten über den Hohn des jetzigen Jahrhunderts. Die Wände sind dunkel und schauerlich, nur in der Gegend des Hochaltars belebt von bunten Farben, welche das Sonnenlicht durch die Glasmalerei wirft. Überall blutende Heilige und Gemälde des Schmerzes und der Verzweiflung. Das Schiff der Kirche wird von riesigen Säulen getragen, deren Knäufe sich wie in endlose Höhe verlieren und den Blick betäuben. Ein wunderbares, erschütterndes Gefühl gewährt es, in diese Höhe hinaufzuschauen, während die Orgel ihre majestätischen Töne durch die seufzenden Hallen brausen läßt. Man sieht und starrt und wird von heiliger Scheu ergriffen, denn die Töne scheinen sich oben zu versteinern, und die steinernen Bilder scheinen Form und Ausdruck zu gewinnen, die Heiligen und die grauen, kalten Helden singen.
Männer und Weiber verrichten ihr Gebet vor der Jungfrau Maria, die den Stifter unserer Religion geboren hat; einige liegen auf den Knien, andere stehen andächtig mit gefaltenen Händen, die anhaltend Frommen sitzen auf den Bänken. Eines Tages mußte auch ich beten, wollte ich mich hier aufhalten, und ich wollte mich hier aufhalten, denn drüben in jener Ecke saß ein junges, schönes Mädchen, dessen seelenvolle Augen bald auf mir, bald auf dem gekreuzigten Christus ruhten. Ich faltete also meine Hände und betete: –
»Heiliger Geist des Weltalls, der uns aus jedem Sterne anlächelt, aus jeder Blume anweht, aus jedem Gedanken anspricht, ich lasse dir deinen Namen: Gott.
Über uns alle komme dein Reich. Überstrahle mit deinem Lichte auch die betörten Brüder, damit sie ferner nicht auf das Wort deiner Feinde hören, die dich und deine Güte lästern. Auf daß sie sich alle in Liebe umfassen und nicht vor deinem Zorne fürchten, wenn sie die Freuden dieser Welt genießen.
Überstrahle sie mit deinem Lichte, damit sie unsere heiligen Dichter anbeten, die dich verstehen lehren, Geist des Weltalls, und deine Größe offenbaren.
Dein Wille geschehe, denn es ist der unsere; du lebst in uns, im Himmel und auf der Erde.
Unser Brot und unsere Freuden laß uns verdienen; mache uns geistig stark, uns selbst zu beherrschen, damit wir der Herrscher entbehren können.
Schenke uns Freiheit! Erlöse uns von dem Übel der Knechtschaft, die dich selber unterdrückt, denn dein und unser ist das Reich, die Kraft, die Herrlichkeit in Ewigkeit!«
Das schöne Mädchen stand soeben auf, warf mir und dem gekreuzigten Christus noch einen Blick zu, und verließ die Kirche. Ich folgte ihr und ergriff draußen ihre Hand. »Jungfrau!« sagte ich und schnitt ein heiliges Gesicht, »ich habe mich sehr an deiner Frömmigkeit ergötzt. Dein Herz ist rein wie die Sonne.«
»Wer sind Sie?« fragte das erschreckte Kind.
– Ein Knecht des Herrn, ein Priester.
Sie lachte. »Und woher wissen Sie, daß ich wirklich fromm, daß ich keine Scheinheilige bin?«
– Der Himmel spricht aus deinen Augen.
»Viel zu galant für einen Priester. Ich bitte Sie übrigens, diese Rolle aufzugeben, wenn wir Freunde bleiben wollen. Ich halte nit viel von den Priestern.«
»Wie?« fragte ich erstaunt; »Sie halten nicht viel von den Priestern, Fräulein, und gehen in die Kirche?«
»Aus Gewohnheit, weil ich muß, weil's halt so ist, weil meine Mutter es haben will.«
Darf ich Sie begleiten, schönes Fräulein?
»Nicht doch! Ich wohne hier ganz in der Nähe. Meine Mutter tritt eben ans Fenster. Grüß' Sie Gott!«
Mit diesen Worten hüpfte sie fort, drüben in das große Haus hinein. Ich verfolgte die reizende Gestalt mit den Augen, bis die letzte Falte des flatternden Kleides in der Haustür verschwand; ich hätte dem lieben, lockigen Köpfchen zürnen können, daß es sich nicht noch einmal nach mir umdrehte, ich verzieh ihr aber der schönen Füße wegen, die ich in der Kirche nicht bemerken konnte. Das schwarzseidene, enganschließende Stiefelchen und der leicht gewebte, zärtliche Strumpf – o Gott, das kann einen gefühlvollen Menschen außer Fassung bringen. Heiliger Stephan! Morgen bete ich wieder in deinen Hallen.
Und der andere Morgen kam mit seiner glühenden Liebe und küßte die Welt munter. Ich war sehr poetisch gestimmt und schaute hinüber nach den grünen Gebirgen, nach dieser genialsten Dichtung der Natur. Die Natur hat manches Dumme gemacht, z. B. Zahnschmerzen, aber das Gebirge ist ein gottvoller, ewiger Gedanke, ein tausend Gedanken erweckender Gedanke, ein versteinertes Lied von der Unsterblichkeit. Ich hätte gewiß noch viele Vergleiche gefunden, wenn mich der Bediente nicht in diesem Augenblicke gefragt, ob meine Gnaden noch etwas zu befehlen hätten.
Ich fuhr schnell aus meiner Poesie heraus in die Beinkleider hinein, legte den feinsten Wiener Frack an, das einfachste Gilet, die geschmackvollste Krawatte; ich putzte mich so lange, bis ich schön war. Und ich ward schön und ging – in St. Stephan.
Die liebenswürdige Scheinheilige saß drüben in der Ecke; ich grüßte sie nicht, sondern setzte mich neben sie, faltete meine Hände und schaute wie sie nach dem gekreuzigten Christus. »Guten Morgen, schönes Fräulein!« flüsterte ich, ohne sie anzuschauen, leise wie im Gebet. »Guten Morgen, schöner Herr!« flüsterte sie, ohne mich anzuschauen, leise wie im Gebet. »Sind Sie auch Katholik?«
– Zuweilen! –
»Sie sind ein Spötter und werden nicht in den Himmel kommen!«
Das beabsichtige ich auch nicht. Da muß es sehr langweilig sein. Lauter gute Menschen, alle ohne Leidenschaften! Ach, und die Engel!
»Ich glaube, Sie sind der Teufel und wollen mich in Versuchung führen!«
Sie schmeicheln mir, Fräulein. Der Teufel ist interessant.
»Aber gefährlich!«
»Sie hören nicht auf zu schmeicheln«, flüsterte ich wie im Gebet weiter, ohne sie anzuschauen. »Ich bitte, nennen Sie mir Ihren Vornamen; das Fräulein paßt nicht zu unserer Unterhaltung.«
»Ich heiße Marie.«
Ich bete Sie an, Jungfrau Maria!
»Und wie ist Ihr Name?«
Heiliger Geist!
Sie kicherte und drückte das Gesicht tief in ihr Gebetbuch.
»Um Gottes Willen!« flüsterte sie nach einer Weile, den gekreuzigten Christus betrachtend, »machen Sie mich nicht lachen.«
Ich liebe Sie, Marie!
»Aus Unterhaltung?«
Ich werde Sie ewig lieben!
»Sie sollen mich nicht zum Lachen bringen! Ewig – das ist sehr lange!«
»Freilich«, antwortete ich, und warf einen verstohlenen Blick nach ihr, »etwas lange ist es!«
Es entstand eine kleine Pause, in der wir das Lachen unterdrückten. »Aber«, fuhr ich fort, »sein Sie ein Mal fromm, schöne Marie. In der Bibel steht: Du sollst deinen Nächsten wie dich selber lieben.«
»Die Bibel hat nicht alle vorkommenden Fälle berechnen können«, antwortete sie. Jetzt konnte ich mich nicht mehr halten – ich lachte. Marie wurde glühend rot, stand augenblicklich auf und verließ die Kirche. Ich durfte ihr nicht folgen, hustete ein wenig, um die Frommen in meiner Nähe des Geräusches wegen zu täuschen, betete noch eine Weile mit dem andächtigsten Gesichte und ging dann ebenfalls hinaus auf die Straße, um drüben nach dem großen Hause zu schauen, ob die Liebenswürdige etwa am Fenster stehe.
Und sie stand nicht nur am Fenster, sie winkte mir sogar hinaufzukommen. O Wienerinnen, Wienerinnen! dachte ich auf der Treppe, war in drei Sätzen oben, und schlüpfte in eine halbgeöffnete Tür.
»Meine Mutter ist nicht zu Hause; wir können noch ein wenig plaudern«, sagte die reizende Marie und führte mich zum Sofa. »Im Stephan dürfen wir uns nicht wieder sehen; Sie haben es heute zu arg gemacht.«
»In welcher Kirche befehlen Sie morgen?« fragte ich und legte, während sie lachte, meinen Arm auf ihren blendend weißen Nacken. »Oho!« rief sie und rückte ein wenig fort von mir, »Sie werden sehr zärtlich!«
»Ja, das bin ich immer.«
»Daran zweifle ich gar nicht, daß Sie immer zärtlich sind.«
»Wenn ich liebe«, fügte ich hinzu.
»Wie oft haben Sie schon geliebt?«
So ein paar Mal: Höchstens zehn bis zwölf Mädchen.
»Gott, das ist erstaunlich wenig! Wie haben Sie das aushalten können? Und allen waren Sie treu, natürlicherweise!«
»Treu?« fragte ich. »Ja, Fräulein, wie man das nehmen will. Treue ist eine eigene Sache. Ich war zuweilen mehreren Damen zugleich treu.«
»Ist es möglich!« lachte Marie und wehrte meinen Arm ab, der sich durchaus um den weißen Nacken schlingen wollte. »Sagen Sie mir doch, mein menschenfreundlicher Herr, wieviel Damen lieben Sie denn jetzt?«
»Nur Sie allein!« rief ich, ergriff ihre Hand und brannte zwei glühende Küsse in den weichen Marmor. »Ich schwöre Ihnen, Marie, daß ich noch nie so heftig geliebt habe. Seitdem ich Sie gesehen, ist meine Ruhe dahin! Was ist das Leben ohne Dich? Unsere Herzen haben sich gefunden; kein Gott vermag sie zu trennen! Ewigkeit, Treue, auch in der kleinsten Hütte, Wonne, Sonne!«
Marie lachte so herzlich und allerliebst, daß ich sie vor Entzücken küssen wollte; sie aber drehte das Köpfchen um, der Kuß verfehlte die Richtung, verunglückte und fiel auf den süßen Hals. Den Augenblick benutzend, umschlang ich die zarte Taille mit den Armen und schwur dem sträubenden Mariechen, sie nicht eher zu befreien, als bis sie mir einen Kuß gegeben. »Ich schrei um Hilfe!« rief sie und drückte den Kopf so tief in die Kissen des Sofas, daß die schönen Formen ihres Nackens kußrecht vor meinem Munde lagen. »Lassen Sie mich!« rief sie, als ich eben diese Stellung benutzen wollte, »lassen Sie mich, oder ich werde böse!«
»Geben Sie mir einen Kuß, Marie!« flehte ich.
»Nein!« antwortete die Spröde. »Durchaus nicht! Sie sind unartig! Mein Gott, auf der Treppe! Meine Mutter kommt! Geschwind, treten Sie dort in jenen Schrank und sobald meine Mutter in die Kammer geht, Hut und Schal abzulegen, so entfliehen Sie schnell!« Mit diesen Worten hatte sie mich bereits nach dem Orte meiner Bestimmung expediert, warf sich in die Ecke des Sofas und tat, als ob sie schliefe.
Die Tür wurde geöffnet, ich vernahm leise Tritte, es war richtig die Mutter. »Aber, Marie!« rief sie, »du schläfst am hellen Tage und ließest ruhig die Stube ausräumen, wenn ein Dieb käme.«
»Ach Gott!« seufzte mein liebes Mariechen, »die Hitze hatte mich so müde gemacht; ich lehnte mich hier in die Ecke und bin wider Willen eingeschlafen. Gib nur her den Florschal, liebe Mutter, ich will ihn in den Kleiderschrank hängen!« Kurz nach diesen Worten öffnete sich mein Gefängnis. Ich steckte hinter einem rotseidenen Kleide, als ich aber das Köpfchen meiner Angebeteten sah, streckte ich den Arm heraus und kniff ihr in die glühenden Wangen.
»Der Vetter wird uns morgen nachmittag mit einem Fiaker abholen«, sagte die Mutter, die weder alt noch häßlich war, soviel ich durch die schmale Ritze meiner Residenz bemerken konnte. »Wir wollen einmal zum Kahlenberg hinauf, oben schlafen und am andern Morgen die Sonne aufgehen sehen.«
»Aber«, klang die Stimme meiner Marie, »Vetter Peppi ist sehr langweilig. Wenn wir keine andere Gesellschaft oben finden, so werden wir viel zu gähnen haben.«
»Aha!« dachte ich hinter dem rotseidenen Kleide im Schranke.
»An Gesellschaft wird's nicht fehlen, wenn schönes Wetter bleibt«, sagte die Mutter, und ich hörte die Türe der Kammer öffnen. Leise Tritte näherten sich mir, die Zeit meiner Befreiung war da; ich machte nicht mehr Geräusch als ein lustiger Zeisig, der von Sprosse zu Sprosse hüpft und huschte durch das Zimmer hinaus aus der Tür, welche Marie geöffnet hielt. »Geben Sie mir noch geschwind einen Kuß!« bat ich und hielt den Mund hin, um die Sache zu beeilen.
In diesem Augenblicke kam die Mutter. Marie sagte mit lauter Stimme: »Es wird nichts gegeben!« und warf die Tür zu. Lachend flog ich hinunter, schlüpfte dicht an den Häusern entlang bis zur nächsten Ecke, und warf mich in einen Fiaker, denn es war hoher Mittag und die höchste Zeit, wollte ich meine Freunde noch im Gasthofe treffen.
Ende des ersten Bandes.