Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Die Wiener.

Die Wiener haben einen großen Vorzug vor den Norddeutschen, sie sind keine Philister. Mit Lust und Liebe sehen sie dem neuen Geiste zu, der überall, in allen Köpfen und Herzen seine Knospen treibt. Keiner neuen Anschauung sind sie abhold, sondern prägen dieselbe in ihr Innerstes, sobald sie sich bewährt; sie rümpfen auch nicht die Nase über das geistige Streben der deutschen Jugend, sondern freuen sich darüber wie über den Frühling.

Da die Zensur kein Buch erlaubt, dessen Funken dem Obskurantismus schädlich sind, so greifen die Wiener nur nach verbotenen Schriften und der heilige Geist hat hier bei weitem mehr Seelen entflammt, als in dem gelehrten ***. Ich habe während meines Aufenthaltes in Wien nicht einen einzigen gebildeten Mann kennengelernt, der nicht für die Freiheit glühte, und traurig den Kopf schüttelte, wenn seines Vaterlands in mancher Beziehung erwähnt wurde; in Norddeutschland dagegen stemmen sich noch viele Tausende von Philistern und gelehrten Pedanten dem Liberalismus entgegen, und verspotten die Apostel der Freiheit mit hochtrabenden und verblüffenden Worten; hinter denen freilich das Auge des bessern Menschen nur Heuchelei oder Leerheit sieht.

Es ist ganz richtig, daß Börne in keinem Lande so stark als in Österreich gelesen wird, und die Wiener lesen ihn nicht nur, um ihn gelesen zu haben; er ist ihnen zum Bedürfnis geworden, weil er mit geistreicher und eisenfester Sprache ihre geheimsten Empfindungen offenbart; weil sie ihn für einen Gottgesandten halten, dessen mächtiger Einfluß auf unsere Zeit unverkennbar ist; Heine ist weniger geliebt und verehrt; man nennt ihn den spielenden Knaben neben dem ernsten Manne, und Wolfgang Menzel steht viel höher bei ihnen. Zschokke ist ein Lieblingsschriftsteller der Wiener, auch für alle neuere Helden interessiert man sich, und als die singende Nachtigall aus den Gebirgen herüberflatterte, als ihnen Auersperg seine »Spaziergänge« mitteilte, war eine allgemeine Bewegung in Wien und die Buchhändler konnten nicht so viel Exemplare des herrlichen Buches herbeischaffen, als ihre enthusiastischen Mitbürger verlangten.

Ich spreche hier natürlich weder vom hohen Adel, noch von der untersten Volksklasse. Der Wiener Adel ist höchst unschädlich; er genießt die Vorteile, welche ihm der Thron gibt, zählt zu Hause seine Ahnen, – mancher kann oft nicht bis 5 zählen – fährt in seiner Equipage durchs Leben; bezahlt seine Loge in den Hoftheatern; läßt fünf gerade sein und bekümmert sich weniger um Politik, Kunst und Wissenschaft, als um seine Mätresse. Sein Nimbus ist längst erloschen, denn in Wien ist jeder »gnädig« und »Herr von«; wer viel Geld hat, ist Kavalier, und wer weniger hat, amüsiert sich auch. In die unterste Volksklasse dagegen ist schon ein Sarkasmus gegen die bestehende Regierung gedrungen, der sich in unzähligen Scherzen ausspricht, die einen immerwährenden Stoff zur Unterhaltung bieten.

Gemütlichkeit ist ein Grundzug des Wieners, doch muß sich der Norddeutsche erst an diese Gemütlichkeit gewöhnen, denn sie hat zuweilen einen etwas unzarten Anstrich und will verstanden sein. Kurz nach einer Umarmung oder nach einem herzlichen Handschlage wirft sie dir eine Grobheit an den Kopf, die dich entweder verlegen macht, oder zum Gelächter reizt, sobald du näher mit dieser Gemütlichkeit vertraut bist. Der Wiener zirkelt nicht lange mit seinen Ausdrücken; er läßt Herz und Kopf gehen und ist überhaupt mehr Mensch als wir Norddeutsche, die wir entweder Justizrat oder Strumpfwirker oder Graf sind und immer genau berechnen und messen, ob wir unserer Ehre auch nichts vergeben, oder der andern zu wenig getan.

Wohin wir uns auch wenden, wir finden keinen Menschen: immer nur zwei Füße, die einen Titel umhertragen. Hochmut und Dünkel des vornehmen Pöbels und die Roheit des hinternehmen drücken unser soziales Wesen nieder; in Wien dagegen findet man weder eine Spur solches Kasten- noch des Schnaps-Geistes. In demselben Wirtshause, wo Lakaien, Holzträgerinnen, Fiaker und Packknechte ihre Seidel Bier oder Wein trinken, siehst Du berühmte Künstler, Kaufleute, Beamte und reiche Kavaliere mit ihren geputzten Frauen, Töchtern und Geliebten, die es gleichfalls nicht geniert, wenn neben ihnen eine Hetäre ihre lockenden Blicke schießt.

Vergnügen sucht der Wiener, und er kümmert sich wenig darum, ob alle Nachbarn sein lebhaftes Gespräch und seinen lauten Jubel hören, denn er weiß, daß man nicht die Nase darüber rümpft. Wird es ihm zu heiß, so zieht er den Rock aus; zwickt es ihn in den Beinen, so tanzt er; gefällt ihm ein Mädchen, so macht er ihr den Hof; will er spielen, so spielt er; will er trinken, so trinkt er; kurz: er ist immer Mensch, immer ungeniert!

O dieses verfluchte Genieren der Deutschen!

Auch der Pietismus, diese geistige Seuche, welche im Norden unzählige Opfer hinrafft und den Gang der Aufklärung hemmt, findet in Wien keine Anhänger. Man sollte freilich Wunder glauben, wie dunkel es noch in allen Köpfen sei, wenn man an einer Kirchtür mit großen Buchstaben die Worte liest: »Hier ist vollkommener Ablaß zu haben!« oder wenn man unter den Affichen an einer Straßenecke eine Menge Gebetbücher anpreisen, auf jedem freien Platze Betende knien, die Stellwagen nach dem Gnadenorte Mariazell, oder die pomphafte Prozession am Fronleichnamstage sieht; allein das alles sind Dinge, die dem gemeinen Haufen angehören, Dinge, durch welche man den Schein aufrecht halten will. Den gebildeten Wiener erbauen diese frommen Witze nicht; er fragt wenig nach Zeremonien und findet überall seinen Gott, wo er Genuß und Schönheit findet. Die Welt schmeckt mir noch, ruft er, warum soll ich verhungern?

In einem solchen pantheistischen Lande steht natürlicherweise die christliche Religion mit ihren Entbehrungen und ihrem Vertrösten auf eine jenseitige Belohnung nicht auf starken Füßen, und setzt der Himmel wieder einen so aufgeklärten Fürsten wie Joseph II. auf den Thron Österreichs, so wird es sich zeigen, welch ein großer Fonds zur geistigen Freiheit in diesem Volke vorhanden, wie unendlich gerade dieses Volk von der Natur begünstigt ist.

Am liebenswürdigsten ist der Wiener als Gastfreund. Er will deine Bekanntschaft machen, ladet dich ein, mit ihm über Land zu fahren, oder bittet dich, ihn auf seinem eigenen Gütchen zu besuchen. Mit offenen Armen kommt dir ein fremder Mann entgegen, öffnet sein ganzes Herz und sein ganzes Haus, führt dich zu seinem freundlichen Weibe, ruft die blühenden Kinder herbei, und ehe eine halbe Stunde vergeht, bist du Mitglied einer glücklichen Familie. Alles steife, zeremonielle Wesen ist verbannt; je ungenierter du bist, je fröhlicher, je mehr gefällst du. Man hat dich weder eingeladen, der Konvenienz ein Opfer zu bringen, noch silbernes Tee- und Kaffee-Geschirr, prächtige Möbeln usw. glänzen zu lassen; man will nur ein paar Stunden fröhlich mit dir sein, um öfter fröhlich mit dir sein zu können, und dennoch wird es dir an nichts fehlen, selbst an Glanz nicht.

Die Tafel ist serviert, und die Regsamkeit deines Gastgebers wird reger. Er ist bereits dreimal in der Küche gewesen, hat selbst im Keller den Wein ausgesucht, damit der Bediente keinen schlechteren Jahrgang greife; er hat selbst den Draht vom Champagner gelöst, und diesen in ein Kühlfäßchen mit Eis gestellt; hat überall nachgesehen, ob alles in Ordnung; er hat seine Frau, die älteste Tochter und die Domestiken zweimal erinnert, ja recht genau auf das Wohl des Gastes achtzuhaben; nun endlich ergreift er deinen Arm, führt dich zwischen zwei hübsche Weiber und setzt sich selbst dir gegenüber, um die Mahlzeit zu regulieren, und sich an deinem Wohlgefallen über die verschiedenen, fein zubereiteten Speisen und trefflichen Getränke zu ergötzen. Ich rate dir, hin und wieder mit Delikatesse etwas delikat zu nennen; es ist eine kleine Schwachheit des Wieners, nicht vergebens für dich gesorgt zu haben: mit deiner Zufriedenheit und einem kleinen Enthusiasmus über seine Küche machst du ihn auf zwei Stunden zum Gotte. Und du darfst dreist loben, ohne gegen deine Überzeugung zu sprechen; man behandelt hier die Küche niemals als eine Nebensache; die Kochkunst ist hier eine wirkliche, heilige Kunst, unter jedem Rauchfange findest du ihre Muse. Man treibt keinen Dilettantismus mit dem Kochen, wie es leider noch im Norden geschieht. Ich habe hier Braten und Mehlspeisen gefunden, die meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen; ich kann nicht leugnen, daß ich manchmal sehr stark in Wien gegessen habe, und doch ist es mein Grundsatz, mich niemals ganz satt zu essen, weil jeder Mensch uninteressant wird, sobald sein Magen keinen Wunsch mehr hat.

Ist nun einmal die Laune des Wieners rosenrot geworden, so wälzt er sich aus einem Spaß in den andern, und gehst du ohne alle Rücksichten darauf ein, so wird er fast überlustig und überherzlich, drückt dir zehnmal die Hand, umarmt dich, küßt dich, und wird so durch und durch der natürliche Mensch, daß eine hannoversche Ehefrau den Schwindel in seiner Gesellschaft bekäme.

Nun geht es zum Spiele, zu einer der wichtigsten Beschäftigungen des Wieners. Seine Augen, die bisher lebhaft glühten und wie ein Diamant alle Farben strahlten, bekommen jetzt einen ernsten Charakter. Er nimmt die Karten zur Hand, wie der Professor das Kompendium; er setzt sich auf seinen Katheder und geht an seine größte Wissenschaft. Schon im nächsten Augenblicke gilt es, theoretische Kenntnisse und Erfahrungen in Anwendung zu bringen; seine Ehre scheint im buchstäblichen Sinne des Wortes auf dem Spiele zu stehen, und es ist jetzt wahrlich nicht so wichtig, ob O'Connel das Oberhaus stürzt, oder daß der Wiener seinen Robber gewinnt.

Sollte dir, lieber Nordländer, das Unglück passieren, daß du einen Fehler machst, so nimm es dem lieben Wiener nicht übel, wenn er dich, den er noch vor dreißig Minuten herzte und küßte, mit aller Strenge anfährt, und dich mit zornglühenden Augen auf deinen Fehler aufmerksam macht. Die Sache ist für den Moment viel bedenklicher, als du glaubst; in zwei Minuten lacht und scherzt dein Gastfreund wieder.

Denselben Eifer zeigt der Wiener auch im Theater. Der Liebling in der Burg, bei dessen Erscheinen schon Kinder und Greise enthusiastischen Beifall spenden, wird ausgezischt, wenn er sich verspricht; der Sänger im Kärntnertor-Theater, bei dessen Tönen man den Kopf hin und her bewegt, und sich in seinen Melodien zu baden scheint, erhält unzweideutige Beweise des Mißfallens, sobald seine Kehle einen Bock schießt, und der angebetete Komiker an der Wien oder in der Leopoldstadt fällt in momentane Ungnade, überschreitet er mit seinem Spaße die Grenzen, die freilich weit genug ausgedehnt sind.

Des Wieners Eifer, Lebendigkeit und Genußsucht wachsen von Tag zu Tag. Nur bei jungen Leuten findet man zuweilen eine gewisse Trägheit und Gleichgültigkeit, wo aber der Lebenswinter schon äußerlich seine Flocken zeigt, ist innerlich noch immer treibender Frühling, und ich bin fest überzeugt, daß der Norddeutsche viel früher als der Österreicher in den Himmel kommt, denn jener schläft drei Vierteile seines Lebens, dieser aber bedarf gewiß einer langen Ruhe, bevor er wieder zu neuem Leben, zu neuen Genüssen erwacht.


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