Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Strauss und Lanner.

Vieles ist schon über diese beiden Männer geschrieben worden, und ich darf sie trotzdem nicht übergeben. Bilder aus Wien, und in diesen nicht Strauß und Lanner – das hieße ihre Walzer und Galoppaden hören, ohne an den Tanz zu denken, ohne den Kopf nach ihren wollüstigen Melodien zu wiegen.

Ich will keine Floskeln machen, um ihre Kompositionen zu bezeichnen. Fast ganz Europa tanzt nach ihren Noten; sie sind die musikalischen Rothschildes. Sie erhalten viele Staaten im Schwindel, und ehe diese Schwindeleien aufhören, werden Jahre vergehen.

Ich leugne nicht, daß sie die größten Komponisten für Tanzmusik sind; ich leugne nicht, daß ihre hüpfenden Noten alle Sinne aufregen, daß sie bald keck und lustig das Ohr kitzeln, bald elegisch an das Herz schlagen, aber jeder Ton in der Musik ist Dur und Moll zugleich, und jedes Ding in dieser Welt hat seine heitere und seine ernste Seite.

Nach welcher Reunion man in Wien geht, in welchem öffentlichen Garten man sich niedersetzt, Strauß und Lanner sind immer da! Führen sie nicht selbst das Zepter, so spielen wenigstens andere Musikanten ihre Walzer und Galoppaden.

Lebhafte Gespräche stärken das Herz und bilden den Geist, aber zu einem solchen bringt man es selten in Wien; eben wenn die Meinungen sich kreuzen wollen, klopft Meister Strauß mit dem Bogen auf und gebietet Ruhe. Nun geht das Geklingel und Gezappel los! Die Wienerin dreht sich unruhig auf dem Stuhle herum, der Wiener wiegt den Kopf, die Füße arbeiten unter dem Tische und die Gedanken über dem Tische gehen schlafen. Gute Nacht, Gespräch! La, la, la, la, la, la! Ladi dumm, dumm, dumm, dumm da! das ist der ganze Geist, der sich über die Gesellschaft verbreitet, die wichtigsten Dinge bleiben mitten in der Unterhaltung liegen; jetzt muß man sich drehen, wiegen, jetzt muß man Takt treten und vor Wonne zerschmelzen! Ob nach dem Tode noch ein Leben zu erwarten? das ist sehr gleichgültig, denn wir haben ja la, la, la, la! Ob Österreich so glücklich bleiben, oder später eine repräsentative Verfassung bekommen wird; was geht das uns an? Haben wir doch dumm, dumm, dumm, dumm! Ob Eisenbahnen und Dampfwagen die Völker inniger vereinen werden? Was kümmert das einen Fuß, in welchem lustige Noten kribbeln und krabbeln! Ob zehn Minuten von der Stunde ungenutzt vorüberfliehen, in welcher ich meine Geliebte alle Monate sprechen kann? Das ist gleichgültig, ungeheuer gleichgültig! Meine Geliebte hört jetzt nach dem Ladi dumm, dumm, dumm, dumm da! und frägt den Teufel nach dem Sir klug, klug, klug, klug, hier!

O wäre ich ein Despot! Tonnen Goldes spendete ich den Straußen und Lannern, daß sie mir die Köpfe meiner Untertanen wiegten, und alle öffentlichen Gespräche stocken machten!

Und wie viele Schwindsuchten bringen diese General-Feldmarschälle der Terpsichore zustande, wie viele Prozente mögen ihnen die Doktoren und Totengräber Wiens jährlich geben müssen? Jünglinge und Jungfrauen, Weiber und Männer straußen und lannern Winter und Sommer, das heißt: sie drehen sich wie ein Kreisel, reißen sich herum und keuchen sich die Brust hohl und schnappen nach Luft, wie ein Fisch auf dem Lande!

»Wieviel bekommen die Leute dafür?« fragte jener Wilde, den man sehen ließ, wie zivilisierte Menschen tanzen, und ich möchte ebenso fragen.

Ich lasse mir die Tänze gefallen, wo es auf Grazie ankommt: diese zarte, harmonische Ecossaise, dieser liebliche, kokettierende Kontretanz usw., aber immer ist es mir unerklärlich gewesen, wie so viele kluge Leute an diesem wilden, wahnsinnigen Herumschleifen, an diesem galoppierenden Totentanz Geschmack finden konnten, wo der herabtröpfelnde Schweiß jede Poesie vernichtet.

Wie bejammernswert ist ein deutscher Liebhaber, der wenig oder gar nicht tanzt! Er möchte gern seiner Geliebten in die Augen sehen und sie mit den seinigen küssen, – da kommt das Schicksal, roh und kalt faßt es des Mädchens zärtliche Gestalt und wirft sie unter den Hufschlag wilder Pferde! Seine Geliebte wird bald von diesem, bald von jenem Manne bei dem Arme gepackt, wütend herumgerissen, und erst dann, wenn sie kaum mehr Atem holen kann, folglich sich im kranken Zustande befindet, darf sich der Verlassene wieder nähern. Nun tritt er schüchtern heran, will sich wenigstens einen freundlichen Blick holen, vielleicht mit ihr sprechen. Törichter Wunsch! Eitles Hoffen! Seine Angebetete liegt auf dem Stuhle und fächelt sich, glüht und schwitzt wie ein Braten am Spieße, und statt zu antworten, keucht und pustet sie wie ein Blasebalg!

In Wien aber ist diese Wut ausgeartet. Da sieht man wenig Tänzerinnen mehr, sondern lauter Bacchantinnen. Sie zucken schon fieberhaft, sobald der Arm des Mannes sie berührt, dann pressen sie ihre Brust dicht an die seinige, den Kopf an seine Schulter, und nun lassen sie sich herumschleifen, saugen in dieser wollüstigen Lage jede Bewegung des Mannes, jene lüsterne Musik ein; die Unschuld flieht erschreckt aus dem Saale, die Weiblichkeit zerrt sich flehend zu ihren Füßen, und der Tod steht in der Ecke und lacht sich ins Fäustchen.

Und Strauß, der kleine, gedrungene Mann mit keck blitzenden Augen, arbeitet fort und immer fort. Er streicht die Geige so gewaltig mit seinem Bogen, daß die Töne seufzen und zittern, als sollten sie noch ein Mal gestrichen werden. Kann er nicht mit dem Bogen dirigieren, so dirigiert er mit Kopf und Fuß; aus dem Takt kommt er niemals, niemals, und deshalb protegiert ihn der Fürst Metternich.

Und Lanner tanzt selbst während er zum Tanze aufspielt, und seine Töne zittern dir in das Herz hinein.

Und beide spielen bald con vivezza, bald con dulco, bald con gracia, bald con tenerezza. bald con fuoco. Aber! Aber!


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