Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Der Graben.

1.
                      Von dem Stephansplatz hinunter,
Winden sich zu einem Kranz
Bunte Läden, bunt behangen
Von der Mode Wechselglanz.

Und wie dort die Mode wechselt,
Wechseln die Gestalten hier;
Bunte Leute ziehn vorüber,
In dem bunten Schaurevier.

Von den feingeputzten Herren
Lassen sich die schönen Frau'n,
Wie sie auch die Blicke werfen,
Doch am liebsten selbst beschau'n.

Und es geizen diese Herren,
Wandelnd hin und her, zurück,
Wie sie auch die Zeit verschwenden,
Doch um einen Augen-Blick!


2.
Hier stolziert ein großer Mime,
Neben ihm des Hofes Rat;
Spielt auch jener herrlich, dieser
Übertrifft ihn in der Tat!

Jener täuschet, deklamierend,
Nur ein kleines Publikum;
Dieser täuschet viel Millionen
Menschenseelen, und bleibt stumm!


3.
Diese Majestät des Wuchses!
Diese Kleider reich und fein!
Diese kostbaren Brillanten!
Das muß eine Fürstin sein!

Fehlgeschossen! Jenem reichen
Kaufmann mit dem dicken Bauch,
Dem gewährt sie Unterhaltung,
Und er unterhält sie auch.


4.
Wie sie flüstern, mit den Augen kosen!
Das verliebte Liebespaar!
Zärtlich sind sie noch und kennen sich nun
Schon ein ganzes Vierteljahr!

Flüstre nur und kose mit den Augen,
Du verliebtes Liebespaar!
Weiß ich doch, das Mädchen fehlt hier sicher
Schon nach einem Vierteljahr!


5.
Dieser Mann mit ernster Miene,
Einen Orden auf der Brust,
Trägt die Nase hoch, und rümpft sie
Über die gemeine Lust.

Wie sie plaudern auch und lachen,
Er bleibt immer ernst und stumm;
Er hat zweiundfünfzig Ahnen,
Und ist ungeheuer dumm.

Weiter ist er nichts gewesen;
Doch ist sein Verdienst nicht klein:
Wenn er selig einst verstorben,
Wird er auch ein Ahne sein.


6.
Lorgnettierend, kokettierend,
Heiter, zierlich, elegant,
Hüpft der Kleine durch die Reihen
Und ist überall bekannt;

Spricht mit diesem, spricht mit jenem,
So vertraulich und so frei;
Der gehört, ich möchte wetten,
Zur geheimen Polizei.


7.
Diese Herrn hier sind Beamten.
Haben sie denn nichts zu tun?
Von den gestrigen Strapazen
Müssen sie sich heute ruh'n.

Gestern waren sie in Baden,
Haben sehr sich divertiert;
Morgen seh'n sie nach ob etwas
In Geschäften arriviert.

Übermorgen kommen beide
Um sechs Wochen Urlaub ein,
Und dann werden d' Herrn Kollegen
Wohl a bissel b'schäftigt sein!

So geht das Beamtenwesen
Hier in Östreich seinen Gang;
Und was das für Stiefeln brauchet,
Dieses Wesen, na i dank.


8.
Diese grandiose Dame
Bringt ihr holdes Töchterpaar,
Schlägt vom Turm die zwölfte Stunde,
Allen Männeraugen dar.

Schön sind beide nicht zu nennen,
Doch, wenn sie so reich wie alt,
Zappelte wohl in dem Netze
Einer von den Herren bald.

Kommen's näher! hör' ich hinter
Mir den Vogelhändler schrei'n:
Wer se beide mit a Mal nimmt,
Kriegt die Alte obendrein!


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