Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Volkstheater und Volkspoesie.

Ich gehe zuerst zum Kärntnertor hinaus. Die Wien mit ihrem stinkenden Atem verpestet die physische, ihr Theater die geistige Luft. Wenn Gemeinheit und die elendeste Possenreißerei ein Volkstheater machen, so erfüllt diese Bühne ihren Zweck vollkommen. Sie sollte das Schöne populär machen, aber sie macht das Gemeine, das Unschöne, die Nichtswürdigkeit populär. Der Direktor Karl sitzt auf dem Throne, streicht die Einnahmen ein, baut sich Häuser und verpestet die Seele des Volkes.

Raimund, Österreichs genialster Dichter, hat sich zurückgezogen von diesem eleganten und großartigen Stalle. Ich bezeichne mit diesem Worte nur die geistige Richtung dieser Bühne und will ihre Mitglieder nicht beleidigen; aber für die geistige Richtung finde ich eben kein besseres Wort und darum brauche ich's.

Nachdem Hunde, Affen, Bären, Pferde, Seiltänzer und andere Tiere kein Publikum mehr hineinziehen wollten, suchte Herr Karl alte Ritterstücke aus dem Staube der Bibliothek hervor; ließ sie noch mehr verhunzen, als sie an und für sich verhunzt waren, gab ihnen einen neuen Titel und ließ sie über die Bühne laufen. Er weiß, daß ihre Albernheit in jetziger Zeit nicht mehr ansprechen kann, er weiß, daß jedes einzelne ausgepfiffen wird, aber jedes einzelne macht zum mindesten ein volles Haus, und das ist ihm genug.

Nestroy bringt zwar zuweilen eine dramatische Arbeit, die ein besseres Ansehen hat; aber sein Talent ist auch nichts mehr, als eine kleine Blume auf einem großen Misthaufen. Man muß Wüsten voll Trivialitäten durchwandern, bis man zu einer kleinen Oase gelangt, und auch auf dieser sind Witz und Poesie schon ziemlich verdorrt. Nestroy ist kein Volksdichter, sondern ein Pöbeldichter. Es gibt Leute, die man für witzig hält, weil sie viel mit reisenden Handwerksburschen umgegangen sind; zu diesen gehört jener Held des stinkenden Theaters an der stinkenden Wien. Sein Witz ist keine geistige Erfindung, keine angeborne Eigenschaft seines Geistes, sondern spekulativ, gemacht; alle seine Scherze haben eine stereotype Form, und sie müßten auch ohne die Gemeinheit dieser Form anekeln. Suchen wir nun aber gar nach dem Gemüt, nach dieser Conditio sine qua non eines Volksdichters, so finden wir eine Leere, vor der uns Schauder überfällt, ein Grauen, daß dieser Mensch Einfluß auf die Bildung des Volkes hat.

Wie anders dagegen ist Raimund, jener trübsinnige Mann, der langsam den Prater hinunterwandelt! Seine dramatischen Gemälde sind zwar skizzenhaft, ohne künstlerische Form, aber jeder Strich ist Poesie, jede Farbe ist die frische, wohltuende eines weltumfassenden Gemüts, eines schönen Herzens. Man hat ihm vielfach vorgeworfen, daß er die Allegorie in die Volksspiele gebracht, aber nicht ihm, nur seinen faden Nachahmern gehört dieser Vorwurf. Je kindlicher ein Volk ist, je mehr müssen seine Dichter durch das Sinnbildliche Verstand und Herz anregen; sobald seine Atmosphäre philosophisch geworden, verliert sich der Reiz dafür von selbst. Das österreichische Volk ist aber noch ein kindliches, und Raimund ist sein einziger Dichter.

Da treten die Geister Bäuerle, Meisl, Gleich usw. auf, und fordern Rechenschaft über diesen harten Ausspruch. Kommt her; setzt euch zu mir! »I bin euch herzlich gut, aber i kann halt nit anders.« Ich habe manchmal über euch gelacht und gestehe, daß ihr's trefflich verstanden, Spaß zu machen, und daß ein Spaß viel wert ist in trüber Zeit. Aber gesteht mir nun auch, daß es euch niemals um etwas anderes zu tun gewesen, als guten Spaß zu machen. Einer geistigen Richtung seid ihr niemals gefolgt, als derjenigen, auf welche euch die Zeit führte, und dieser unwillkürlich. Ihr verstandet, wie Raimund, komische Gestalten aus dem Volksleben herauszunehmen und sie über die Bühne laufen zu lassen; aber eines Witzes wegen, den ihr gestern gehört oder gelesen und heute anbringen mußtet, verderbt ihr die Wahrheit jener Charaktere. Ihr seid alle keine Dichter, denn der Dichter ist die Offenbarung Gottes; tief in der Seele treibt und schwellt der poetische Keim, und läßt sich nicht zurückhalten, soviel giftigen Mehltau auch die Welt niederlegt; bringt keine Mißgestalten hervor, soviel Dämonen und Kobolde der Zeit und der Laune des Publikums ihn auch umspielen. Raimund ist ein Dichter, auch seine phantastischen Gestalten hat die Wahrheit geküßt und ihnen Fleisch und Blut gegeben, und wie weit auch seine Phantasie in den Himmel und in das Endlose hinausgreift, niemals schrecken uns Hoffmannsche Spukgebilde oder die bleichen Schatten Ossians. Wahr ist es, daß wir sowohl bei seinen Darstellungen, wie bei seinen Dichtungen oft nicht wissen, ob wir komisch oder tragisch berührt werden, ob es Tränen der Freude sind, die wir vergießen, oder Tränen des Schmerzes; aber das ist sein gottvoller Humor, der gerade den Punkt getroffen, in welchem sich die Extreme berühren; die Wahrheit, sein genialer Blick ist es, der die kleinsten Atome des innern Menschen erfaßt, und sein schönes Talent, das rein und klar, ohne allen nutzlosen Schmuck darstellt. Dem echten Dichter, dem das Blut Gottes durch die Adern rollt, lebt alles; nicht die Blume allein spricht ihn an, der Stern, das Gewitter, die Geschichte, Liebe und Freundschaft, ihm ist alles lebendig. In das träumende Grab blickt er hinunter, und lockt aus den Staubresten der Leiche seine Unsterblichkeit; tief hinunter in das schaurige Meer steigt er und holt seine Perlen; ebenso, wie er das Materielle durch Bild und Gedanken vergeistert, ebenso belebt er das Gestaltlose und gibt ihm Worte. Raimunds Allegorien amalgamieren sich auf reizende Weise mit dem Volksleben und sind ganz geeignet, den Sinn der Zuschauer für das Schöne empfänglich zu machen, sie zu erheben, herauszureißen aus dem Jammer der Alltäglichkeit, um so mehr aber, als selbst durch seine skizzenhaftesten Bilder ein geistiger Faden geht, der die einzelnen Teile zu einem schönen Ganzen verbindet.

Das einzige Theater Wiens, das Raimund noch für würdig hält, seine Dichtungen ins Leben treten zu lassen, ist das in der Leopoldstraße, und diese Bühne ist auch überhaupt die einzige, auf welcher sich ein Volksleben zeigt. Arlequin und Colombine girren hier zärtlich, und der zauberische Maschinenmeister führt sie endlich ans Ziel, soviel auch der dumme langärmige Pierrot und der trippelnde Pantalon dagegen haben. Ich habe mich oft sattgelacht über diesen Pierrot, dem so tausendfältige Schikanen gespielt werden; wenn er so dastand und sich mit großen Augen und noch größerem Munde über eine schallende Maulschelle wunderte, die ihm von unsichtbarer Hand wurde, oder wenn er mit der Nase gegen eine Mauer rannte, daß man glaubte, er müsse sich den Kopf zersprengen. Mit diesen Pantomimen wechseln nun die Volksdichtungen mit ihren gemütlichen Liedern und trefflichen Späßen, bunte neckische Gestalten tauchen auf, und nicht selten würzt tiefe Lebensweisheit das heitere Mahl. [...]


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