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In diesem Gruße der Wiener und Wienerinnen liegt die zarteste Bezeichnung ihres Umganges; die fleischliche Berührung schimmert durch alles, was sie tun und sprechen. Ist der Fremde ein Mann von Welt, so wird ihn sein galanter Instinkt sehr bald zum richtigen Gebrauche dieser Sprachfigur bringen.
Der junge Wiener reibt sich die Augen, sobald die Strahlen der Sonne ihn geweckt haben, wirft die leichte Decke von sich, steigt aus dem Bette und hüllt sich in den bunten Schlafrock. Da tritt das niedliche, saubere Dienstmädchen herein und bringt frisches Wasser in der Karaffine. »I küß' die Hand!« sagt sie und erwartet fernere Befehle.
Peppi aber ist hübsch und Eduard schlingt seinen Arm um ihre schlanke Taille. »Na lassen's mi los!« ruft sie, »die gnäd'ge Frau ist in de Kuchel!« Eduard bittet sie, wiederzukommen, wenn die gnädige Frau ausgegangen; Peppi aber lacht ihn aus, macht einen Knicks und hüpft mit einem spöttischen: »I küß' die Hand!« zur Tür hinaus.
Die alte Wäscherin kommt, nimmt ihren großen hölzernen Wäschkasten von den Schultern, legt die weißen Hemden, Kragen und Gilets in die Kommode, brummt ein: »i küß' die Hand!« und wackelt wieder ab.
Zwei muntere Kinder mit frischen Wangen hüpfen herein, ergreifen, ohne ein Wörtchen zu sagen, die Hand des jungen Wieners, küssen sie und bestellen eine Einladung ihrer Eltern, heut Mittag bei ihnen zu speisen. »I laß' die Hand küssen!« sagt Eduard, das heißt, er wird kommen.
»Grüß' di Gott! Grüß' di Gott!« – »Grüß' Euch Gott!« Zwei Fremde sind mit brennenden Zigarren eingetreten, werfen sich auf den Sofa und erzählen ein komisches Abenteuer, das sie gestern mit zwei hübschen Mädchen erlebten.
»Gehst heut abend in's Kärntnertor, Eduard?«
»Was geben's?«
»Den Freischütz!«
»Schon wieder? Na, i küß' die Hand!« antwortet er ironisch, und du kannst ihn heut abend überall treffen, nur nicht im Kärntnertor-Theater.
Sie wandeln nach der Promenade, werfen links und rechts feurige Blicke, spielen im Kaffeehause drei Partien Domino und trennen sich mit dem Versprechen, sich abends im Sperl wieder zu finden. Eduard eilt zu seinem Diner, es ist hohe Zeit. Er tritt in das elegante Zimmer, sieht zehn bekannte Damen und sechs bekannte Herren, verbeugt sich artig und fertigt sie alle mit einem freundlichen: »I küß' die Hand!« ab, nur zur Frau vom Hause geht er, um diesen Gruß zu realisieren. Die Tafel beginnt. »Sie werden an meiner Seite sitzen, Herr von C.!« – »Gnädige Frau!« ruft Eduard, und wirft ihr einen glühenden Blick in die glühenden Augen, »i küß' d'Hand!« – Österreich schreibt seine Geschichte: man ißt, man trinkt, man reißt einige Späße, man urteilt über die neue Oper, schimpft auf Duport, und verdammt den Direktor Carl; man flüstert bei der Zwischenspeise ein Ah! und ein Delikat! man lacht, kokettiert, findet die Mehlspeise unübertrefflich und geht mit innerem Wohlbehagen an die duftenden Fasanen. »Na, i bitt', essen's noch a Bissel Braten, Herr von C.!«
»I küß' die Hand, gnädige Frau! Ich kann nicht mehr.«
Und bei dem Kaffee flüstert die gnädige Frau dem jungen Wiener ins Ohr: »i bin diesen Abend allein im Kärntnertor, kommen's hin!« und der junge Wiener lispelt ein freudiges: »I küß' die Hand!« und du triffst ihn doch um sieben Uhr in der großen Oper, obgleich er's verschworen hatte, den Freischütz wieder zu hören.
Der Superlativ alles Interessanten heißt beim Wiener: »Curios«; ein neuer Beweis, daß die Sprichwörter und Sprachfiguren immer die besten Quellen zur Zeichnung des Volkscharakters sind.
»Finden Sie die Rettich wirklich so vortrefflich?«
»Na i glaub's! das is a curiose Schauspielerin!«
»Haben Sie sich am Sonntag in Mauerbach unterhalten?«
»Na curios!«
»Sie waren ja gestern in der Burg. Das neue Trauerspiel von Grillparzer soll gut sein?«
»Ah, das müssen's sehn! Das is a curioses Trauerspiel!«
Wenn der Wiener eine Geschichte erzählt, eine Beschreibung oder Erklärung gibt, so fragt er nach dem zehnten oder zwölften Worte, ob man ihn verstanden, ob man weiß, wie er dies oder jenes gemeint hat. Freilich erwartet er keine Antwort, denn seine Frage ist nur eine sprichwörtliche Gewohnheit, aber es bleibt doch interessant zu erforschen, ob diese aus Arroganz oder Bescheidenheit entstanden; ob der Wiener ursprünglich gemeint, Fremde – denn die Fremden sind sicher zuerst gefragt worden – könnten sich vielleicht nicht zu seinem Geiste hinaufschwingen, oder ihm selber fehle das Talent, sich deutlich zu machen. Ich bin für die letztere Meinung, denn der Wiener wird nur dann arrogant, wenn ihn die Arroganz eines andern beleidigt.
Die Wiener sagen immer »Halt!« andere Nationen wollen weiter. –
So sprach ich, nachdem ich drei Tage in der Kaiserstadt verlebt, und so gut wie jeder andere Norddeutsche meine Vorurteile mitgebracht hatte. Als ich aber die Wiener näher kennenlernte, suchte ich jenes »Halt!« höher, viel höher, in den Wolken, in den Sternen. – Die Wiener sagen nur darum »halt«, weil sie halt nicht anders können. Es liegt in ihrer Atmosphäre, und nur in der ihrigen; sie wissen selbst nicht anzugeben, was ihr liebes »halt« bezeichnet und wo man es brauchen muß; nicht ihr Verstand, sondern ihre Seele weiß es an die rechte Stelle zu setzen. Durch jedes »halt« das sie hinausklingen lassen, wird ihnen leichter, und ich wette darauf, daß der Wiener eine sehr unruhige Nacht hätte, schickte er nicht mindestens ein paar Dutzend Halts am Tag in die Welt. Ein Fremder kann sich gar nicht besser in Wien blamieren, als wenn er das »halt« gebraucht, oder gar »holt« und »holter«, wie man es in Büchern findet. Es bleibt einmal das Geheimnis einer Wiener Seele; es liegt wahrscheinlich in den Backhendeln. Ich habe geforscht und geforscht; ich habe mir alle verschiedenen Fälle notiert, in denen ich das »halt« gebrauchen hörte; ich fand, daß es zuweilen für »nun«, für »einmal« steht, daß es zur Bekräftigung, zum Aufmerksammachen dient; aber wie ich auch sann und forschte, forschte und sann: »es tat's halt nimmermehr!«
Auch bei diesem Wörtchen, das die Wiener zu einem so großen Worte machen, hätte ich gern ein geistreiches Philosophem angebracht, müßte ich nicht, aufrichtig wie ich bin, gestehen, daß ich mir den Ursprung seines Gebrauchs gar nicht zu erklären weiß. Der Wiener nennt sein schönstes, sein liebenswürdigstes Mädchen: ein sauberes Mädchen, und doch sind alle seine Weiber reinlich und zierlich, also sauber. Woher kommt nun dieses Epitheton? Ich ärgere mich, daß ich durchaus keine Ursache aufzufinden weiß, und ersuche hiermit die Wiener, ihre schönsten und liebenswürdigsten Mädchen ferner nicht »sauber« sondern »delikat« zu nennen, damit ich geistreich sein kann!
Wenn man in Wien »Geh!« sagt, so meint man damit merkwürdigerweise: »Komm'!« zuweilen sagt man sogar: »Na geh, komm' her!« – Ich glaube, daß die Wienerinnen diese Wendung erfunden haben. –
Die liebenswürdige Toleranz des schönen Geschlechtes in der Kaiserstadt spricht sich am deutlichsten durch den Sinn aus, welchen sie diesem Adjektivum beilegen. Einen Mann, den andere Damen als zudringlich, roh, wollüstig, ja sogar als gemein bezeichnen würden, nennen die Wienerinnen nur »schlimm«, und drücken höchstens durch die Betonung dieses Wortes einen größeren oder kleineren Unwillen aus, den sie über eine unzarte Behandlung empfinden. Ein zierliches Mädchen geht über die Bastei und regt die Gefühle eines lockeren Gesellen auf. Er geht, unbekümmert der Vorüberwandelnden, die sich darum nicht kümmern, auf sie zu, klopft ihr den blendenden Nacken, umarmt und küßt sie, und geht wohl in seinen Angriffen gegen die Persönlichkeit noch weiter. Das Mädchen schreit nicht, schimpft nicht, sondern windet sich mit einem »Na nit!« los und fügt, sobald sie befreit ist, hinzu: »Sie sind a schlimmer Herr!«
In einer feinen Gesellschaft werden Anekdoten erzählt. Zuerst handeln diese von der Naivität der Ungarn, später müssen die Berliner herhalten, dann drehen sie sich um das Schauspiel und nehmen nach und nach einen so zweideutigen Charakter an, daß die Herren sich vor Lachen wälzen möchten. Was tun nun die Damen? Sie sehen sich untereinander an, schütteln lächelnd die lieben Köpfchen und sagen: »Die Herren sein heut wieder sehr schlimm!«
Eine fröhliche Gesellschaft hat die lärmende Stadt verlassen, und jubelt im grünen Tale unter blühenden Bäumen. Alle vergnügen sich, nur eine schöne Frau nicht. Sie wird von einem siebenzehnjährigen Jüngling verfolgt, der sie mit seiner unreifen Liebe fast überschüttet, ihr die albernsten Schmeicheleien in die Ohren flüstert, und jeden Mann durch seine naseweise Glut verdrängt, die Wienerin hält diesen Tag beinahe für einen verlorenen, aber der junge Mensch dauert sie dennoch, er wird mit der Zeit älter und verständiger, und sie sagt ihm selbst, wann seine Zudringlichkeit den Kulminationspunkt erreicht, nichts weiter als: »I bitt' Sie, Herr von Pappstoffel (oder wie der Flegeljährige heißen mag) lassen's mich! Sein's nit so schlimm!«
Und wenn ein junger geistreicher Mann ein feuriges Weibchen, dessen phlegmatischer Gemahl nur an der Pfeife Geschmack findet, den Abend über vor allen anderen Damen auszeichnete, und seine Liebe durch verstohlene aber heiße Blicke sprechen ließ, so drückt sie ihm beim Nachhausegehen die Hand und lispelt: »Liebenswürdig sind Sie, sehr liebenswürdig, aber – schlimm!« Und wenn der junge Mann mit zärtlichem Tone frägt, ob er künftig noch liebenswürdiger und noch schlimmer sein darf, so lächelt sie freundlich, läßt sich vor ihrer Türe dreimal die weiche Hand küssen, und träumet die ganze Nacht hindurch von schlimmen Männern.
Der Wiener Jargon ist im Ganzen lebhaft, drollig und gemütlich; er liebt die Diminutiven, überhaupt die Diminution, und läßt mit sich machen, was man will. Er ist ein seelensguter Mensch der Wiener Jargon, und wird immer gutmütiger, je weiter er sich herabläßt. Man wundert sich schon, wie die vornehmen Leute mit ihm umgehen; man wundert sich über alle Kaufleute, Fabrikanten usw., die ihn über ihre Schilder jagen; aber was er sich vom niederen Volke gefallen läßt, das geht ins Weite; das ist ungeheuer! würden die Wiener sagen. Da ist an seine Mutter, die deutsche Sprache, gar nicht mehr zu denken; der Junge hat alle mögliche Naturen angenommen; heut spricht er so, morgen so, für denselben Begriff hat er übermorgen ein ganz anderes Wort als gestern, und aus einem dreisilbigen Worte vier Silben fortzulassen, ist ihm eine Kleinigkeit! Bei dem Harfenisten reimen sich unbedingt alle Wörter mit allen Wörtern; ich möchte nicht das Wort sein, was sich unterstünde, sich mit einem andern nicht reimen zu wollen. Er drehte ihm den Kopf um, risse ihm die Füße aus und steckte sie ihm in den Hals. So etwas passiert sehr oft, wenn die Wörter zur Schlachtbank der Volkspoesie geführt werden, und trotzen wollen. Der Harfenist reimt Stiefelputzer und König, Liebe und Heringssalat, Italiener und Waschfrau, Koch und Müller, Billard und hätte, Barett und setzen, das ist ihm alles leichtes Spiel! Er nimmt die Wörter in den Mund, verzieht ihn ein wenig, als ob er Essig oder Landwein getrunken hätte, und singt dann die Harmonie heraus. Aber merkwürdiger ist es noch, daß man ihn versteht! Die Wiener müssen in kurzer Zeit alle Sprachen lernen, denn sie verstehen alles: der Harfenist mag Sanskrit, hebräisch, griechisch, chaldäisch, fez- und marokkoisch, er mag eine Sprache sprechen; die noch gar nicht erfunden ist! Sein Landsmann versteht ihn, und ob ich ihn verstanden habe, ist ihm äußerst gleichgültig.