Adolf Glaßbrenner
Bilder und Träume aus Wien
Adolf Glaßbrenner

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Die Wienerinnen.

Das Wort »liebenswürdig« scheint eigens für die Wienerinnen erfunden zu sein; es gibt kein Epitheton, das sie treffender bezeichnet. Sie hüpfen heiter und wohlgemut, voll Mutterwitz und reizender Natürlichkeit in die Welt hinein, pflücken hier und da eine Blume, legen sich an die Herzen der Männer, schäkern und kosen, und hüpfen ebenso froh wieder aus der Welt hinaus, denn sie glauben, im Himmel gäbe es lauter schöne, geistreiche und galante Männer. Das erste Wort, das sie buchstabieren lernen, ist: Mann; der letzte Seufzer, der in ihren Seelen zittert: Mann! Sie wären Atheisten, wenn sie sich Gott nicht als ein männliches Wesen dächten; sie leben und weben, atmen und denken, zittern und fühlen nur für die Männer, und das ist recht, das ist liebenswürdig, entzückend! Das Weib soll nur für den Mann leben, der Mann für die Geschichte, so ist die Ewigkeit fertig und das Leben erhaben.

Die Wienerinnen halten jeden Tag für verloren, an welchem sie nicht mindestens mit einem hübschen Manne kokettiert haben; die Berlinerinnen den, an welchem sie nicht zehn Mal ihre Augen niederschlagen mußten. Die Wienerinnen sprechen am liebsten mit Männern, die Berlinerinnen von Männern; die Wienerinnen sind tot, wenn sie unter sich, die Berlinerinnen, wenn sie unter Männern sind; die Wienerinnen freuen sich und prunken damit, wenn ihnen der Hof gemacht wird, die Berlinerinnen freuen sich und suchen es zu verbergen.

Die Wienerinnen sind ganz Weib, die Berlinerinnen bis zum Kopfe.

Die Wienerinnen sind voll Leben, die Berlinerinnen voll Lebensregeln.

Die Wienerin sagt: ich liebe Dich! die Berlinerin: ich will es nicht leugnen, daß ich eine Neigung für Sie empfinde.

Die Wienerin wird durch einen Kuß Mutter, die Berlinerin bedarf des Priesters oder der Leidenschaft dazu.

Das Herz der Wienerinnen liegt in ihren Augen; was sie fühlen und denken, verraten sie mit dem ersten Blicke; sie sind unfähig, ihre Empfindungen zu verbergen. Sei es Haß, Liebe oder Gleichgültigkeit, was sie bewegt, immer wirst Du wissen, woran du bist. Hat dich eine Dame auf der Promenade zwei oder drei Mal mit ihren lebhaften Augen betrachtet, so wird dein freundlicher Gruß im Theater freundlich erwidert, und küßest du ihr beim Nachhausegehen die Hand und begleitest diese Artigkeit mit einer Schmeichelei, so fühlst du deine Hand leise oder stärker gedrückt, je nachdem sie für dich empfindet. Nun schwärme aber nicht gleich von einer Eroberung. Glaube nicht schon im Paradiese zu sein, wenn du einen Apfelbaum siehst! Sie hat dich gern, das übrige wird sich finden. Ob sie dich liebt, ist eine andere Frage, ob du noch um einen einzigen Schritt weiter kommst; ob du künftig statt der Hand die lieblichen, schwellenden Lippen küssen, Glut um Glut mit ihr tauschen darfst, ist noch sehr ungewiß, liegt noch zweifelhaft, wie die Sonne hinter trüben Wolken.

Aber verzage auch nicht, du frommer Christ! Glaube an die Liebe der Wienerinnen, wie an die Unsterblichkeit; vielleicht ist dieser Glaube deine Seligkeit, vielleicht realisiert sich dein Hoffen auch. Nur leise greife die Festung an; denn Sturm wird gewöhnlich mit aller Macht erwidert, und deine Pläne sind auf ewig gescheitert. Hungere ihr Herz aus, dann übergibt es sich dir auf Tod und Leben.

Vor allen Dingen aber sei artig und galant, wenn du eine Wienerin für dich gewinnen willst, denn nach diesen Eigenschaften sucht sie oft lange Zeit vergebens. Sie gibt oft Monde hindurch Feuer aus ihren Herzensspiegeln, bald auf diesen, bald auf jenen Mann, aber immer wird dieses Feuer durch Keckheit, Gleichgültigkeit oder Roheit gelöscht; die zarte Weiblichkeit zieht sich entweder verletzt zurück, und ruft, wenn auch ungern, ihr noli me tangere! oder sie wird selbst roh unter rohen Händen.

Wer hat eine edle Anschauung des Weibes und wäre nicht erschrocken, wenn er die jungen Wiener im Umgange mit Mädchen und Frauen beobachtete; wer wäre nicht erschrocken, wenn er Gespräche hörte, in denen nur die eindeutigsten Zweideutigkeiten Frohsinn und Gelächter verbreiten; wen hätte es nicht tief in die Seele geschnitten, wenn er ein Weib Worte sprechen hörte, die ihre Rosenlippen und ihre geistige Schönheit vergiften?

Ich liebe die Wiener mehr als meine Landsleute, aber eben deshalb drängt es mich, sie von dieser Seite hart anzugreifen, ich bin weder pedantisch noch prüde, aber ich hege die Meinung, daß eine Poesie im Umgange beider Geschlechter bleiben muß, sollen nicht die edelsten Gefühle erstickt, die Weiber zu Hetären, soll nicht der Mensch zum Vieh werden! Liebt und umschlingt euch in Lust und Wonne, aber es sei ein geistiger Genuß, kein tierischer; wenn sich Eure Lippen voneinanderreißen, behandelt Euch mit Zartheit und Delikatesse, sonst stirbt Eure Neigung; Ihr werdet gemein, roh, Euch selbst zuwider!

Das Weib ist weich und warm, und nimmt jede Form an; unter der Liebe eines edlen Mannes öffnen sich ihre heiligsten und schönsten Empfindungen, erschließt sich ihre ganze Göttlichkeit; unter rohen Händen wird es zum gemeinen Geschöpf, das Philosophen und Satiriker mit Recht verachten.

Unsere Welt wird noch viel schöner werden, sobald wir die echte Anschauung, und durch diese die Veredlung des Weibes selbst haben. Die alte Welt übersah seine geistige Schönheit ganz oder machte es zur Sklavin; das Mittelalter mit seiner enthaltsamen Romantik war närrisch und machte das Weib ebenso, und die neuere Zeit, welche überall reformiert, geht offenbar zu weit mit seiner Emanzipation und zertritt die Heiligkeit. Sie will dem Weibe seinen herrlichsten Schmuck rauben, aus jeder Blume einen Fruchtbaum machen; sie verwirft sogar die Ehe und will an jeder Ecke lieben!

Es ist freilich schmerzlich, jede schmachtende Blondine mit der Überzeugung sehen zu müssen, sie nie küssen zu dürfen, weil ich mich für dieses ganze Leben hindurch an meinen lieben schwarzen Engel gefesselt weiß; es ist freilich schmerzlich, fast unnatürlich! Aber diese Welt, man mag sie anfassen, wo man will, ist einmal nicht vollkommen, und Ihr vernichtet mit der Ehe unendlich viel Schönheit und Tugend. Liebt nur einmal wahr und innig, fühlt Euch glücklich und selig durch den Besitz eines Mädchens, in dem jede Fiber nur für Euch zittert: zum Teufel ist eure ganze Philosophie, und ihr seid wieder die Glocken, die mit großem Lärm die Einwohner zur Kirche rufen und selbst draußen bleiben. Ein schönes, erhebendes Gefühl bleibt es immer, zwei Menschen mit allen ihren Wünschen und Hoffnungen, Tugenden und Leidenschaften sich in einen verschmelzen zu sehen.

Die Gegenwart ist noch überall zerrissen; mit der tollsten Frechheit geht die lächerlichste Prüderie Hand in Hand. Dieselben Männer, welche mit lastergierigen Augen Gift in das reine Herz eines Weibes spritzen und überall genießen wollen, wo das Tier in ihnen erweckt ist, dieselben Männer spotten eines heißliebenden Mädchens, das sich von ihresgleichen verführen ließ und rümpfen die Nase, wenn ein Kind neben der jungen Mutter geht, die den Vater desselben nicht Gatte nennen darf. Sie verhöhnen sich selbst mit dieser Prüderie. Seid lieber zartfühlend im Umgange mit dem zarten Geschlechte; seid im süßesten Augenblicke zart und laßt das Fleisch nie allein, sondern den Geist immer über dem Fleische; bringt so viel Poesie in die Welt wie möglich, es ist doch Prosa genug vorhanden!

Auch mich, warum soll ich es nicht gestehen? interessiert eine Jungfrau weniger, aber ich hasse es, die Blumen mit einer Mistgabel zu pflücken. Eine Jungfrau ist ein weißer Bogen Papier, auf dem unendlich viel Schönes Raum hat und schlummert. Erst, wenn ein Weib warm geworden, wenn ihr die Liebe wie ein Frühling ins Herz gezogen, und alle Blumen und Blüten geweckt; wenn sie sich glühend an die Brust des Mannes geworfen und ihre Glut in ihn hineingeküßt; wenn alle Äußerlichkeiten von ihr herabschmelzen, und Wahrheit und Natürlichkeit aus allen ihren Poren herausduften. dann erst wird das Weib geistig schön! Dann ist sie das Wachs aus dem der Mann entweder einen Engel oder einen Teufel formt! Aber verführt und entheiligt sie nicht durch gemeine Reden; reißt ihr nicht durch spottwohlfeilen Witz jeden Schmuck stückweise herunter, und macht sie nicht zur Hetäre, während sie noch eine mediceische Jungfrau ist. Das Wort ist oft scheußlich, wo die Tat nur menschlich war. –

Die Quelle dieses Übels entspringt teils aus der Politik Österreichs, eine Politik, die für viele geistige Genüsse nur Schleichwege offen läßt und jeden Gebildeten auf diese Schleichwege zu führen scheint; teils aus der Religion. Welche menschliche Interessen soll die Volkspoesie berühren, wenn sie die heiligsten Interessen nicht berühren darf; welcher Stoff bleibt der Satire, wenn ihr jedes Tor versperrt ist, das in die Gegenwart führt? Fast einzig: Liebe und Ehe. Kann man nun aber bei einem Volke, das den Spaß über alles liebt, unter solchen Verhältnissen andere, als triviale und ekelhafte Gestalten erwarten? Man sehe die Gebilde der Volkspoesie auf allen Theatern: es sind fast lauter geistige Mißgeburten; Seelenkrüppel; Weiber, denen jeder weibliche Reiz fehlt; Männer, die aller männlichen Würde entbehren; durch und durch gemeine Wesen, die den verderblichsten Einfluß auf Sitten und Bildung des Volkes haben müssen. Die Zensur streicht zwar jede Zweideutigkeit, aber sie kann weder Figuren noch Situationen streichen, und jedes Wort wird gemein, sobald die Verhältnisse gemein sind.

Wohin soll sich Witz und Satire flüchten, wenn ihm die Straße, das öffentliche Leben verboten ist? In die Kloaken. Da lebt er, von dort aus wirkt er, von dort aus beschmutzt er die Seele des Volkes mit Schlamm und Kot. Im Wurstelprater und im Lerchenfeld sitzt Vater und Mutter, Sohn und Tochter, und alle lachen herzlich über die giftigsten Zoten, die mit artigen Melodien überzuckert, aus dem Munde der sogenannten Harfenisten ertönen und von höchst charakteristischen Mienen und Gesten begleitet werden; um ihren Effekt zu erhöhen; in den Volkstheatern aber liegt das Gift versteckter, und hat folglich eine noch größere Wirkung. Dazu kommt nun ein Verbot, das offenbar die Demoralisation befördern muß, und die römisch-katholische Kirche, die es nicht erlaubt, sich von dem Wesen zu trennen, das der Natur und dem Geiste eines andern widerlich geworden; die also auf diese Weise rohe und unnatürliche Verhältnisse bildet, Scham und Zartheit vernichtet! Man kann nicht viel Schritte in Wien machen, ohne auf eine Mätresse, eine soutenierte Dame zu treffen, und diese sind ebenfalls Raupen in dem Garten der Geselligkeit; denn äußerlich fein und reizend, ist ihre innere Gemeinheit doch nicht geeignet, eine edlere Anschauung, und durch diese die Veredlung des Weibes selbst hervorzubringen.

Mir wird ganz warm, wenn ich daran denke, wie liebenswürdig die Wienerinnen werden müßten, würden sie von Jugend auf mit Schonung behandelt, würde die Poesie ihrer Weiblichkeit nicht mit roher Zunge verspottet; fänden sie in den Männern Verehrer statt Verzehrer. Ihre Zutraulichkeit, ihre Herzlichkeit würde noch mehr Reiz, ihre geistige Schönheit mehr Grazie und Form bekommen; ihre Natürlichkeit würde lieblicher, ihre Glut süßer werden; ihre Seelen würden freier aufatmen in der reinen und milden Luft; sie würden die Engel auf Erden sein, nicht so langweilig wie jene im Himmel.

So häuslich sind die Wienerinnen nicht, wie die Engländerinnen, denn sie sind lebenslustig. Sie sind auch nicht so gebildet, wie die Damen in Paris und Berlin, aber auch nicht so verbildet. Sie lieben die Männer, die Natur und ihre Kinder; aber die Wissenschaft ist ihnen zu kalt, zu gefühllos. Apollo ist ihnen schon recht, wenn sie gerade keinen andern Mann haben, aber Minerva ist ein Frauenzimmer, und flößt ihnen kein Interesse ein.

Die superklugen Norddeutschinnen blamieren sich in einer Männergesellschaft ebenso oft, als die Wienerinnen gefallen, und ehe diese von Politik, Philosophie usw. sprächen, ließen sie sich lieber hundert Küsse auf die warmen Lippen drücken. Sie schwärmen auch nicht für die großen Männer der Vorzeit und geraten nicht in gelehrte Zuckungen, wenn sie von Herodot, Homer, Demosthenes, Euripides, Sokrates oder gar von Plato sprechen hören: was sollen sie mit diesen Männern, die längst zu Staub geworden?! Ihnen ist Alexander ebenso gleichgültig, wie Cäsar, Hannibal wie Napoleon, Friedrich der Große wie ein preußischer Leutnant von vierzehn Jahren! Diese Leute sind alle im Kriege groß geworden, und den Krieg hassen die Wienerinnen über alles, weil in demselben so unendlich viel Männer getötet werden.

Die Staël, die Rahel und Bettina Brentano sind kluge Weiber gewesen, die letzte ist es sogar noch, aber wären sie alle so schön wie geistreich und alle in eines verschmolzen, so wäre mir eine hübsche Wienerin mit ihrem Mutterwitz, ihrer Lebenslust und natürlichen Wärme tausendmal lieber, als dieses Amalgama weiblicher Wesen, die sehr viel Gelehrsamkeit, Verstand und alles hatten, nur nichts Weibliches.

Mit diesem Vorzuge der Wienerinnen schließe ich meine Charakteristik, damit ich mir das Leben in Norddeutschland nicht ganz verderbe, und füge noch als captatio benevolentiae hinzu, daß man auch Wienerin sein kann, ohne gerade in Wien zum ersten Mal das Licht der Sonne erblickt zu haben.

Sie aber, meine liebenswürdige Dame von der Kaiserstadt, werden mir vorwerfen, daß ich ein wenig schnell und zuweilen mit keckem Pinsel male, und da haben Sie wieder Recht. Ich bitte tausendmal um Entschuldigung, wenn ich irgendwo gefehlt habe, und ich sehe es deutlich in Ihren wunderschönen Augen, daß Sie mir schon im Vorwurfe verziehen haben. Gnädige Frau: i küß' die Hand!


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