Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Viertes Kapitel

Cäsar hat gesprochen

Immer noch Totenstille.

Leises Plätschern des Wasserfalles.

Und endlich – endlich öffnen sich die schmalen geschlängelten Lippen des goldig bekränzten Alabasterkopfes.

Auch die Stimme ist wie Alabaster, farblos klar, nicht als ob sie von Fleisch und Blut herrühre.

Es ist wie wenn jemand im Zustande des Tempelschlafes spräche, im Banne einer Schicksalsgottheit.

»Der Centurio, den Pilatus mir geschickt hat!«

Marcus tritt hervor.

»Zu Befehl, Imperator!«

»Du nimmst sechs Prätorianer mit dir und führst die beiden nach der goldenen Galeere zurück.«

Eine wortlose aber hörbare Bewegung unter den Priestern, ein Flattern und Rascheln der leinenen Gewänder.

Offenkundige Bestürzung: – Wie? Den Germanen nach der Galeere – vom Tempelgrunde entfernen?

Unbeeinflußt von dieser ersten Wirkung ihrer Worte fährt die traumhafte Alabasterstimme fort:

»Du läßt die Galeere von unten bis oben hell erleuchten, wie wenn ich ein großes Festmahl gebe. Du wirst alles dazu schon vorbereitet finden, denn ich beabsichtigte, dies der nächtigen Tempelfeier zu Ehren zu tun. Dann läßt du die Galeere anbohren – der Baumeister wird dir kundige Werkleute geben – so daß sie im Verlauf einer halben Stunde versinken muß. Das Germanenpaar bleibt auf dem obersten Verdeck; alle anderen verlassen das Schiff. Du stattest mir sofort Bericht ab.«

Der Tempeltraum ist zu Ende geträumt.

Die Alabasterstimme schweigt.

Totenstille – toter noch als vorher – und immer toter noch durch das leise Geräusch des in den See stetig versinkenden silbernen Nymphenkörpers: in die Tiefe hinab, in die Tiefe!

Das Phantastisch-Furchtbare hat alle in der ganzen Runde gelähmt.

Den Cajus freilich nur für einen Augenblick.

Nicht nur das Grausige, noch viel mehr das ungeheuerlich Verschwenderische: die Versenkung dieses Weltwunders der Schiffsbaukunst mit den unermeßlichen Schätzen, den unzähligen Kunstwerken – diese Verwandlung der goldenen Galeere in ein Hinrichtungswerkzeug, um ein einziges Menschenpaar umzubringen: – diese Vorstellung facht einen glimmenden Wahnsinnsfunken in seinem Gehirn zu feurigem Ausbruch an.

Er klatscht in die Hände.

Selbst die Berghalden ringsum scheinen ob dieses unziemlichen Lautes entsetzt, da sie ihn eilends zurückschicken, als ob sie ihn nicht aufnehmen wollten.

»Herrlich! wunderbar! ... Ein allervortrefflichstes Urteil, des größten Herrschers würdig! .. Was wäre denn der Tod, der plötzlich käme – vom Fels in den See hinabgestürzt? ... Nichts! ... Nein, langsam steigend – Stockwerk um Stockwerk – immer näher, immer drohender, verschlingender – bis an die Brust – bis in den vor Entsetzen offenen Mund ... und die Schwere des schätzebeladenen Schiffes, das sie unwiderstehlich hinunterzieht ... und der ungeheure Wirbel – prachtvoll! ... Aber festbinden muß man sie, mit starken Stricken an den Thron – –«

»Gut, daß du mich daran erinnerst, Cajus. Sie werden nicht gebunden. Das Mädchen kann nicht schwimmen. Und wenn auch, sie würden nicht entfliehen. – Alles verstanden, Centurio?«

»Zu Befehl, Imperator.«

Doch die Unruhe der Priester hat sich zu flüsternder Bestürzung gesteigert: –

Nicht vom ›Opfersprung‹ in den See gestürzt? – ist denn das ein Opfer? Wird die Göttin das annehmen? Wird sie nicht den verletzten heiligen Brauch rächen – an uns rächen?

Fast von seinen Priestern vorgeschoben steht der König des Haines vor Tiberius.

»Du weißt, Augustus, daß unser uralter heiliger Brauch, unsere hochheiligen Satzungen –«

Ein Blick der großen schwarzen Augen trifft ihn.

Sie sähen wie zwei tief in den Alabasterkopf gehöhlte Löcher aus, entzündete nicht der letzte Abendschein plötzlich funkelnde Glanzlichter in ihnen.

Und die Stimme hat nichts Alabasterhaftes mehr. Sie ist stählern. Scharf wie ein Beilhieb schneidet sie jeden Widerspruch ab: –

»Cäsar hat gesprochen.«


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