Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Drittes Kapitel

Ecce Tiberius

»Eine königliche Villa mit Dienern und Dienerinnen hat dir Tiberius angeboten, Thusnelda,« hebt Siegmund an, »von sich selbst aber, von dem königlichen Mann, hat er geschwiegen. Und doch ist er dein, wenn du willst. Du bist fürstlichen Geblütes, wenn auch einem Barbarenvolk, wie sie es nennen, entstammt. Aber wenn du auch als die niedrigste Sklavin geboren wärest, was täte es ihm? Vor seinem Wink bestehen keine Unterschiede: was er erhöht, ist hoch, was er erniedrigt, niedrig. Er ist, wie du sagtest, der Herr der Welt. Zur Herrin der Welt, nicht zur Sklavin seiner Gelüste – wie diese glauben – will er dich machen, wenn du seine Gefährtin wirst. Wohl weiß ich, daß solche Herrlichkeit dich nicht lockt, und selbst die Macht nicht. Auch er weiß es, darum wirbt er nicht damit. Gerade weil er das weiß, will er es dir geben. Denn von herrschsüchtigen Frauen hat er genug gehabt. Drei solche, seine Mutter und zwei Schwiegertöchter, haben ihm das Leben vergällt. Dir aber wird durch ihn eine edle Herrschaft zufallen, weil du sie nicht begehrst.«

Tiberius lacht, aber es ist ein gezwungenes Lachen:

»Man muß gestehen,« wendet er sich an Rufus, »daß dieser Germane sich unsere Bildung gründlich angeeignet hat. Offenbar hat er seinen Platon gelesen und spielt auf dessen Ausspruch an, daß es mit dem Staate nicht gut werde, bevor nicht die zur Herrschaft kommen, die nicht herrschen mögen.«

»Wahrlich,« fährt Siegmund, unbeirrt durch die Unterbrechung, zu Thusnelda gewendet fort, »wahrlich, ›zu keinem Sklavenschicksal würde dich dein Freund zurücklassen‹ – wohl durfte er das sagen, der gesonnen ist, dich so hoch zu erheben. Und doch mag dies dir von geringerem Werte scheinen als der Besitz seines Herzens, wenn du es sähest, so wie ich es sehe.«

Dies Herz, – bebt es nicht in der Brust des Herrschers, als ob eine Sonde es unsanft berührte? Siegmund fühlt es gar wohl, und sein Blick, der unverwandt in dem Thusneldas geruht hat, richtet sich stetig und fest auf die bestürzten Züge des Tiberius, mit der Festigkeit des Arztes, der den Kranken einer schmerzhaften Behandlung unterziehen muß. Nur zögernd verläßt der bannende Blick dieser hellen Augen das in stummem Leid erstarrte Antlitz, als Siegmund nach kurzem, von Totenstille eingehegtem Schweigen, mit bewegter Stimme fortfährt: –

»Ein vereinsamtes Herz, seitdem er, noch in jugendlichen Jahren, auf das Gebot des Augustus, sich von seiner geliebten Frau trennte. Ein alter Mann hat mir geschildert, wie er damals auf der Straße Tiberius von ungefähr seiner Frau begegnen sah. Wie Tiberius sie mit brennenden Augen anstarrte, einen langen sehnsuchtsvollen Blick ihr nachsandte und dann sein Haupt verhüllte. Von da an war sein Herz freud- und liebelos. Statt der geliebten Frau erhielt er die leichtfertige Tochter des Augustus zur Lebensgefährtin, die kein Hehl aus ihrer Gleichgültigkeit machte, sich offen an die Spitze seiner Gegner stellte und dabei ein so schamloses Leben führte, daß Augustus selber sie vor dem Senat verklagen und in die Verbannung schicken mußte. Zu diesem Augustus, dem Stiefvater, Schwiegervater und Herrscher, sah er mit Verehrung auf. Das taten alle; er aber, die geborene Herrschernatur, mit größerem Verständnis als alle anderen. Aber Gegenliebe fand er nicht. Immer wurden andere ihm vorgezogen, und als es zuletzt auch dem Blindesten, geschweige denn einem Augustus, klar sein mußte, daß er allein imstande sei, den Staat zu retten, wurde er nach langjähriger Ungnade nur widerwillig und mit Bedauern herangezogen, auf eine Weise, die sein empfindliches Herz aufs Tiefste verwunden mußte.«

Wiederum richtet Siegmund seinen Blick auf den Herrscher, wie um sich zu versichern, daß dieser ihn nicht unterbrechen und die ihm erteilte Gewährung des freien Wortes zurücknehmen werde. Aber eine Statue scheint ihn eher unterbrechen zu können als Tiberius. Während des Schweigens ist die Stille ringsum womöglich noch lebloser als das erste Mal. Es ist als ob ein furchtbarer versteinernder Zauber von dieser Gestalt in den ganzen Kreis ausstrahlte, nur die beiden Germanen unberührt lassend.

Nur zwischen diesen beiden findet noch Verkehr durch Worte und Mienen statt – Mienen, in denen sich ihre wachsende Ergriffenheit beständig unverhohlener widerspiegelt; Worte, die ihm immer dringlicher von den Lippen fließen: –

»Die Herrschaft fiel ihm zu, aber er wußte, daß er alle gegen sich hatte, und dagegen gab es kein Heilmittel, weil es gerade seine herben Tugenden waren, die ihn verhaßt machten. Die Vornehmen grollten ihm, weil er die alte Zucht herstellen wollte, die Rom groß gemacht hatte, während sie selber verweichlicht und bis ins Mark verdorben waren; das gemeine Volk war ihm gram, weil er seinen rohen Trieben nicht schmeichelte. Mochte er auch, wenn eine Feuersbrunst die ärmlichen Häuser massenhaft vernichtete, aus eigenen Mitteln großmütig aushelfen – er blieb dem Pöbel doch ein Knauser, weil er ihm keine eitlen Schauspiele und blutigen Gladiatorenkämpfe gab. Bis er dann endlich, verbittert und angewidert, Rom sich selber und der harten Faust des Sejanus überließ und sich nach Capreä zurückzog, um in der wonnigen Natur Gemütsheilung zu suchen und von dort aus der weiten Welt der Provinzen den Segen einer gerechten Regierung angedeihen zu lassen ...«

Fühlen jetzt auch andere als Rufus eine von Tiberius ausstrahlende Kälte?

Der Kreis um ihn erweitert sich. Selbst Sejanus und Caligula rücken von ihm ab. Vollends die Priester – mit Ausnahme von Rufus – stehen scheu zur Seite. Es dünkt jeden gefährlich, seine Anwesenheit in Erinnerung zu bringen. Keiner mag Zeuge der Demütigung des Allmächtigen sein.

Demütigung? Aber ist denn alles, was der Germane sagt, nicht ausgesuchtes Lob?

Gerade das ist's ja! Keiner von ihnen, auch der Stumpfsinnigste, der nicht eine unbewußte Empfindung davon hätte, wie gerade ein solches Lob den stolzen Claudier Zoll für Zoll auf die Folter spannt. Gerade ein solches – denn gegen Lobhudeleien wie gegen Schmähungen ist er gepanzert; an beides ist er gewöhnt – nur nicht an die Wahrheit. Hände, die mit Fingern höhnisch auf ihn zeigen – Hände, die mit Dolchen mörderisch nach ihm zielen, die fechten ihn nicht an. Diese Hand jedoch, die behutsam aber mit sicherem Griffe den Schleier seines Lebens lüftet, seine heimlich blutenden Wunden, seine zerrissene Seele vor fremden Blicken entblößt – o wie schwer ist diese Hand zu ertragen!

Gleichsam der Unleidlichkeit des stetigen Schmerzes nachgebend, macht Tiberius eine kleine Wendung. Dabei bemerkt er den leeren Raum, der sich um ihn gebildet hat. Nur Rufus ist bei ihm geblieben, und zwar so nahe, daß Tiberius bei dieser Drehung mit seiner linken Schulter die rechte des alten Freundes berührt.

»Es ermüdet dich, Herr,« flüstert dieser. »Stütze dich fest auf meinen Arm – auf den alten Rufus!«

Tiberius nickt.

Und es ist ihm in diesem Augenblick ein Bedürfnis, sich leise zurückzulehnen und den stützenden Freundesarm an seiner Schulter zu fühlen. Er gibt sich um so unbedenklicher dem Wohlgefühl dieser vertraulichen Stellung hin, als er weiß, daß niemand sich erdreistet, ihn anzublicken.

»In dieser Einsamkeit, auf der Zinne der Welt, ladet er dich ein, seine Gefährtin zu sein, Thusnelda,« fährt Siegmund fort. »Glanz und Herrlichkeit, Reichtum und Machtfülle locken dich nicht. Aber in einem Herzen wie deinem könnte der Schicksalsruf wohl Widerhall finden, einem wie dem seinen etwas von der Dankesschuld abzutragen, die ihm die Welt versagt hat; ihm endlich Licht und Wärme zu geben, die seinem ganzen Lebensweg fehlten. Du kannst es, du allein! Keine Frau, die dem verfaulten Römervolke entstammt, könnte die steinerne Rinde seines vereisten Gemütes sprengen und dessen befruchtende Quellen vom starren Banne befreien. Nur der Tochter Germaniens ist solche Zaubermacht verliehen. Nun aber bedenke, welche Glücksspende diese Quellen über die Weltwüste ergießen könnten! Von den Entschlüssen dieses einzigen Mannes hängt die Wohlfahrt von Millionen ab. Er will Gerechtigkeit – ich weiß es; aber wie so verschieden nimmt sich die Gerechtigkeit aus, wenn sie von einem mißtrauischen und verbitterten Gemüt gesucht wird – oder aber von einem versöhnten und erheiterten! Bist du dazu erwählt, wärmenden Sonnenschein über die letzten Jahre des größten Herrschers zu verbreiten – wer könnte dann wohl absehen, welcher Segen von dir über die Menschheit ausstrahlen wird? Späte Geschlechter werden dann noch deinen Namen preisen! Die zweite Thusnelda wird noch heller in der Welt leuchten als selbst die Thusnelda des großen Arminius!«

Ein tiefer, nur dem Freundesohr vernehmbarer Seufzer entringt sich der Brust des Tiberius.

Sein Antlitz ist noch blässer geworden. Erschien es vorher marmorn, so leuchtet es jetzt in dem fahlen Abendlichte geisterhaft durchsichtig wie eine Alabasterbüste.

›Wozu denn dies? Was will der Germane? Geht er wirklich ernstlich darauf aus, das Leben der Geliebten zu retten, sie davon abzuhalten, ihm zu folgen? Oder redet er nur so, weil er zu stolz ist, einen Vorteil zu benutzen, sie vielleicht unter einer falschen Voraussetzung mit in den Tod zu entführen? Will er sich selber und den anderen nur zeigen, daß, wenn er auch alles tut, um das Spiel zu verlieren, er es dennoch gewinnt? Muß er es nicht gewinnen? ... Ist bei ihr eine Spur des Schwankens, des Zweifels zu bemerken?‹

Abgewandt, gesenkten Kopfes, steht Thusnelda da.

Siegmund tritt noch näher an sie heran, als ob er nicht eindringlich genug auf sie einreden könne.

»Thusnelda! Ich gebiete über keine Redekunst, wie diese Römer, die eine Rhetorenschule durchgemacht haben. Ich bin Soldat, meine Worte sind schlicht und gerade; vielleicht gehen sie dir deshalb umsomehr zu Herzen. Frage dieses allein, lausche seiner innersten Stimme: ob es recht ist, wenn dir dein Schicksal solches anbietet, dein Leben wegzuwerfen, um deinem Freund in das frühzeitige Grab zu folgen, das Wahn und Jähzorn – wie dieser gute Priester sagt – ihm gruben. Ergreife dein Schicksalslos, überlasse mich dem meinigen! Auch so bin ich ja reich begnadet. Wie wahr spricht Tiberius, daß er mit diesem Angebot auch mir ein köstliches Geschenk reiche. Sterbend weiß ich, zu welch hohem Geschick ich dich zurücklasse – einem weit höheren, als er selber es zeigt. Und wenn es mich auch Seligkeit dünkt, in deinen Armen zu sterben – das leugne ich nicht, denn auch dies zu gestehen, gebeut die Gerechtigkeit –: wer mag entscheiden, ob es nicht besser für mich ist, im Todesaugenblick zu wissen, daß ich dich nicht mit in den Strudel ziehe? Mit dem letzten Gedanken mich dessen zu erinnern, daß ich dich zurückhielt, daß ich dich für einen so hohen Zweck, eine so edle Lebensführung gewonnen habe, ja, sogar daß meine Freveltat und der Tod, mit dem ich sie büße, unabsichtlich zum Mittel wurde, um solch eine erhabene Wendung deines Geschickes herbeizuführen. Reich' mir die Hand zum Abschied! Bleib' du im Leben, vom Sterbenden gesegnet, den Lebenden zum Heil!«

Der Germanenjüngling schweigt.

Totenstille ringsumher.

Man hört, fern und nah, nur das leise, stetige Plätschern des Egeria-Baches, dessen Staubfall sich in den See ergießt.

Vom Verdeck der goldenen Galeere aus hat Thusnelda heute vormittag an der Seite Siegmunds mit Entzücken das liebliche Naturschauspiel betrachtet, wie unfern des Tempels, mitten im Grün der Berghalde, der silberne Nymphenschleier in flammenhaft wechselnden Falten zum Spiegel der Diana herniederwallte, und zarte Regenbogenfarben sich spielend hineinwoben.

Tagsüber ist hier das leise Geräusch wenig vernehmbar. Jetzt bei eintretender Nachtstille, drängt es sich auf.

Ist es die Stimme der weisen Nymphe Egeria, die ihr unablässig ins Ohr flüstert?

›Du hast ihn gehört, nun horche auf mich, o Tochter Germaniens! Auch ich brauche keine Redekunst; meine Naturstimme rät dir gut. Diesen ›Opfersprung‹, vor dem dein Fleisch zurückbebt, – ich mache ihn tausend und abertausend Mal in jeder Sekunde seit tausend und abertausend Jahren. Ich sage dir: gar wonnig ist es zwischen Blumen und Gebüsch dahinzufließen, über blanke Steine zu rieseln, um moosige Felsstücke zu strudeln und zu schäumen: nicht weniger herrlich jedoch ist der Sprung ins Leere, die Erde zu verlassen, stäubend zu vergehen und jählings tief, tief hinabzustürzen in den funkelnden Spiegel der Göttin. Dich schaudert's? – Wahn – Wahn der Sterblichen – Sterbewahn! Streif' ihn ab! Folge ihm, folge mir! In den See hinab, in den See!‹

Noch immer Totenstille ringsum. Nur das leise Plätschern des Wasserfalles.

Lauscht Thusnelda noch immer der Flüsterstimme Egerias?

Sie hebt ihren Kopf.

Ein Alabasterantlitz wie das, worauf ihr Blick sich richtet.

Ein langer, trauriger Blick, voll milden, unsagbaren Mitleidens ...

Dann wendet sie sich – langsam, nicht zögernd – dem Geliebten zu.

Stumm verbirgt sich ihr goldenes Haupt in den schwarzen Brustfalten des Totenmantels.


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