Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Drittes Kapitel.

Beichte des Demosthenes.

Wenn auch dein Bericht, o Telemachos, uns alle tief ergriffen und höchlichst erbaut hat, so doch gewißlich niemand so sehr wie mich. Habe ich doch dadurch ganz unerwartet von meinem Freunde Longinus das Neueste erfahren und ersehe daraus, daß er grünt und blüht. Denn ohne Zweifel ist er jetzt schon im Besitze des ihm wegen seiner Bemühungen zukommenden Teiles deines Vermögens, welches, wie ich mit Freude vernahm, bedeutend war.

Ja, obwohl von verschiedenem Alter – denn Longinus war reichlich zehn Jahre jünger als ich – und von sehr verschiedener Begabung – verbanden uns gleiche Charaktereigenschaften und Neigungen, besonders aber auch die Begeisterung für unseren gemeinsamen Beruf. Dieser war, wie dein Scharfsinn dir zweifelsohne sagt, das Angebertum. Denn da wir beide unbegütert waren und auch keiner von uns Lust verspürte, auf die Genüsse des Lebens zu verzichten, die eine wohlgefüllte Börse fordern, wurde unsere natürliche Zuflucht jenes Erbrecht des Quiriten, das Palladium der römischen Freiheit: das Recht, gegen jedweden Mitbürger Klage anzustrengen und je nach dem Falle einen Teil der über ihn verhängten Geldbuße oder seines eingezogenen Vermögens einzustecken.

Eine Lobrede auf dies ehrwürdige Gewerbe zu halten, scheint mir überflüssig, da es männiglich bekannt ist, daß es sogar für den unsterblichen Julius die erste Sprosse der goldenen Leiter wurde, die ihn nicht nur auf den höchsten Gipfel der Welt sondern ins Reich der Götter führte. Denn jeder weiß, daß Cäsar zuerst durch seine Anklagen gegen Dolabella und Antonius die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich lenkte, obwohl er beide Gerichtssachen verlor. Ich wurde zwar durch meine erste Anklage nicht so bekannt, aber ich gewann die Sache, was immerhin das wichtigste ist. Es war bei dieser Gelegenheit, daß ich Longinus kennen und schätzen lernte; denn ich hatte ihn als einen wichtigen Zeugen in einem Sabinernest ausfindig gemacht und ihn auf eigene Kosten nach Rom kommen lassen wo es ihm so sehr gefiel, daß er sich entschloß, dort zu bleiben, zumal ich, der ich seine seltenen Fähigkeiten bald entdeckte, ihm eifrig zuredete. Er wurde in der Tat zuerst mein Schüler, dann mein Genosse.

Innerhalb unseres gemeinsamen Feldes verfolgten wir ein jeder seinen eigenen, ihm besonders angemessenen Weg. Wie es nämlich beim edlen Waidwerk, in dem du dich ja auskennst, der Fall ist, daß der eine Hund mit der Nase in der Luft der Fährte nachgeht der andere aber dem Wild auf dem Schweiß folgt so jagten wir beide auf ganz verschiedene Weisen, die sich aber gegenseitig wundervoll in die Hände spielten. Meine Naturgabe war eine außerordentliche Beredsamkeit, die bei der oratorischen Erziehung der Quiriten bald Gelegenheit bekam Aufmerksamkeit zu wecken und schließlich, schulmäßig ausgebildet, zur höchsten Vollendung gedieh; weshalb ich denn auch in diesem erlauchten Kreise unter dem Namen Demosthenes gehe. Ich darf in der Tat wohl sagen, daß der Angeklagte, gegen den ich meine Redegabe ins Feld führte, schon so gut wie verloren war. Ich befand mich dann so recht in meinem Elemente. Ging es mir doch umgekehrt wie dem Tiberius. Denn von ihm ist es ja bekannt, daß er im allgemeinen nur beschwerlich spricht, ja gleichsam mit den Worten zu ringen hat; daß hingegen sein Vortrag frei, ja fließend wird, sobald es gilt, jemandem zu Hilfe zu kommen. Mein Redefluß schwoll aber nie mächtiger und unwiderstehlicher, als wenn es sich darum handelte, jemand in Unglück zu stürzen, ihn ums Leben oder um die Freiheit zu bringen – jedenfalls um sein Vermögen, was für mich, der ich daran Teil bekam, der einzige wirkliche Zweck war.

Longinus kennst du ja selber und weißt also, daß er das Wort sehr wenig in seiner Gewalt hat. Die Aufgabe, die er sich ausersehen hatte und für die er wunderbar ausgerüstet war, bestand nun darin, Leute ausfindig zu machen, die er durch allerlei Schliche, indem er ihr Vertrauen gewann, auf Wege der Schuld locken konnte oder wenigstens auf so schlüpferige Pfade, daß man sie von dort aus auf die Anklagebank bringen konnte. Hatte er die Sache so weit gefördert, zog er sich bescheidentlich zurück, den Rest Anderen überlassend, und zwar gewöhnlich mir. Höchstens erschien er noch als Zeuge, sehr widerwillig, so daß man Alles aus ihm herausziehen und -zwacken, ja manchmal durch Drohungen herausquetschen mußte; wodurch aber sein Zeugnis nur um so belastender für den armen Freund wirkte, den er so gern schonen möchte.

Er war gleichsam der Hund, der das Wild aufspürte, ich aber derjenige, welcher die schon von Diana Nemesensis angeschossene Beute stellte und zur Strecke brachte. So gewannen wir zusammen manche schwierige und dreiste Jagd und teilten mehr als einen fetten Braten.

Wir würden dies höchst wahrscheinlich noch heute tun, wo er also einen ganzen Rudel aufgestöbert hat; denn ich hege keinen Zweifel, daß deine Freunde jetzt größtenteils in Verwahrung sitzen, und was er aus deinem Vermögen erbeutet, wird nicht das einzige bleiben, das ihm dieser glänzend geglückte Streich einbringt. Ja, gewiß würde auch ich dabei meinen schönen Teil einstreichen; denn, wie gesagt, noch heute würden wir zusammen die Kunst treiben, wenn nicht schon vor mehreren Jahren sich das ne quid nimis an mir bewährt hätte.

Mein Weizen blühte nämlich in unserer für das Angebertum günstigen Zeit so üppig, daß ich selber in jene Schicht einrückte, deren glücklicher Vermögenszustand die Augen der Angeber in gefährlicher Weise auf sich ziehen. Dabei war ich leicht verwundbar. Denn es ist bekannt, daß Tiberius gegen die Erheber falscher Anklagen sehr streng vorgeht. Auch wird man verstehen, daß nicht Alle, die ich zu Fall gebracht, so schuldig waren, wie ich sie hatte erscheinen lassen. Denn das eben ist ja der Triumph der Beredsamkeit, während es auch dem geringeren Talente gelingt, den Schuldigen zu überführen. Meinen Berufsgenossen war dies kein Geheimnis, aber gerade von ihrer Seite war ich keines Angriffes gewärtig.

Als nun aber ein paar Bösewichter – wie es solche in jedem Berufe gibt – übereinkamen, mich zu verderben, war es kaum zu verwundern, daß sie versuchten, Longinus für diesen Plan zu gewinnen. Denn niemand war so vertraut wie er mit den Wegen, die mich zu meinen Reichtümern geführt hatten. Auch mochten sie wohl in Erfahrung gebracht haben, daß er wegen einer etwas kostspieligen Liebschaft gerade zur Zeit sich in Geldverlegenheit befände.

In der Tat ließ Longinus willig genug sich mit ihnen ein. Dieser außerordentliche Geist begriff jedoch sofort, daß er, wenn er allein vorginge, mir nicht weniger als sich selber dienen könne. Zuerst bearbeitete er mich mit anonymen Erpressungsbriefen, und als er mich dadurch hinlänglich heiß gemacht hatte, fand er sich persönlich ein. Als er mir die Sachlage ganz klar darlegte, sah ich sofort, daß ich ein verlorener Mann sei. So wurden wir denn bald handelseinig. Ich überließ ihm einen größeren Teil meines Vermögens, als er bestenfalls im Verein mit den Anderen hätte gewinnen können. Dafür hielt er seine Genossen hin und setzte in unauffälliger Weise den Rest meines Vermögens in Edelsteine um, die ich in einen Gürtel genäht auf meinem Körper verbergen konnte. Und so kam ich denn, alles Meinige bei mir tragend, unverfolgt hier an.

Du meinst nun vielleicht, o Telemachos, daß mein Schatz mir an diesem Orte nicht viel nützen könnte. Aber darin irrst du dich gewaltig. Denn über meine oratorische Ausbildung hatte ich von jeher meine athletische schmählich vernachlässigt. Wäre ich nun mit leeren Händen nach dem Heiligtume gekommen, so hätte ich nicht die geringste Aussicht gehabt, mir hier eine Freistätte zu erobern. Denn wer auch immer aus der damaligen Priesterschaft mein Gegner geworden wäre, er hätte mich sicherlich besiegt, und ich wäre von jenem Felsen aus in den See hinuntergestürzt worden. Nunmehr aber hat der unerhört reiche Opferschatz, den ich aus dem Jagdgebiete der Diana Nemesensis der Diana Nemorensis überbrachte, unterstützt durch meine überwältigende Beredsamkeit, das strenge Tempelrecht gebogen. Dabei kam mir allerdings noch der Glücksfall zustatten, daß der Oberpriester, Rex Nemorensis, soeben an Fieber erkrankt war. Ohne diesen nun der Unannehmlichkeit eines Ringkampfes auszusetzen, in dem er wohl Sieger geblieben, der jedoch seiner Gesundheit unzuträglich gewesen wäre, wurde ihm ein kaltes Bad im See bereitet, wodurch ihn gewiß das Fieber verließ. Steht doch, seit Musa den Augustus heilte, die Kaltwasserkur im höchsten Ansehen und ist durchaus hoffähig. Wonach jener Hainkönig nicht mehr gesehen ward, und ich an seine Stelle trat.

In dieser Eigenschaft habe ich als Erster gesprochen und fordere nunmehr Rhadamanthus auf, den Reigen weiter zu führen.«


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