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»Du besinnst dich gewiß noch, Marcus, auf den Pappelweg, der unseren Garten der Länge nach durchschnitt und unten an der Mauer bei der Bank endete, wo man die Aussicht über den Tiber nach den Weinbergen genoß.
Auf diesem schönen Ruheplatz hatte ich eines Tages Fulvia zurückgelassen, würdig beschäftigt, wie ich wußte. Denn ich hatte ihr aus meiner Bücherei das vierte Buch der Oden des Horatius gebracht, mit dem Säcularfeier-Hymnus und den Lobgesängen auf Tiberius und Drusus.
Ganz Rom bereitete sich gerade auf den Triumphzug des Germanicus vor, und Fulvia hatte zu meiner Freude den Wunsch geäußert, diese Oden zu lesen, die sie nur einmal bei einer Gelegenheit gehört hatte, an die sie mich zwar nicht zu erinnern brauchte; was sie jedoch auf die lieblichste Weise tat.
Noch vor unserer Verlobung hatte ich nämlich einmal diese Oden zu mir gesteckt, als ich mich in das Haus ihrer Mutter begab, wo an diesem Tage gerade eine größere Gesellschaft versammelt war, um die jungen Tagespoeten ihre Machwerke vortragen zu hören. Als nun diese Küchlein der Literatur, unter denen sich Varro besonders hervortat, ihre fade und schlüpfrige Wonne und Liebessehnsucht ausgekräht hatten – zur größten Erbauung der Anwesenden –, zog ich meine Rolle aus den Brustfalten der Toga und bat um Gehör für Dichtungen einer anderen Art. Daraus trug ich denn diese ernsten patriotischen Gedichte vor, die ja keineswegs neu, aber in diesem Kreise, wo sie auch bei ihrer Entstehung wenig Beifall gefunden hatten, längst vergessen waren. Dies tat ich, wie sie mir jetzt sagte, keineswegs kunstgemäß, sondern recht schwerfällig den heroischen Rhythmus der Alcäischen Strophen meinen Zuhörern ins Ohr hineinhämmernd; dennoch tat ich es ihr zu Gefallen – worauf es allerdings ja auch allein abgesehen war –; und sie hatte mich von dem Tage an noch viel lieber. Dabei erhob sie sich auf die Fußspitzen, faßte mich an beiden Ohren und küßte mich, indem sie mich ihren lieben Brummbären aus den germanischen Wäldern nannte.
Ganz erwärmt von ihrem Bilde, das mir noch lebendig vor Augen war: wie sie über die Rolle gebeugt auf der Bank saß, trat ich auf einen durch Lorbeer- und Myrtengebüsch sich schlängelnden Pfad in den Pappelgang, als Phöbe vorübersprang, offenbar in großer Eile, vom Hause aus geradeswegs nach jenem Sitzplatz zu gelangen. Ich rief sie zurück, denn ich mochte nicht, daß Fulvia jetzt durch eine nichtige Haushaltungsfrage gestört werden solle.
Das mehr als befangene Wesen des Mädchens fiel mir auf, und es entging mir nicht, daß sie etwas im Kleide zu verstecken suchte. Ich zwang sie, es herauszugeben. Es war eine kleine Pergamentrolle, mit Schnur und Siegel zierlich verschlossen. Streng befragt, gestand sie nach vielen Umschweifen, Varro habe sie überredet, die Briefschaft meiner Frau zu übergeben. Ich sagte, daß ich's selber besorgen werde, und drohte ihr mit einer harten Strafe, wenn sie wieder auf solchen Wegen betroffen würde. Dann schickte ich sie ins Haus.
Allein geblieben, brach ich das Siegel. Es war nicht, wie ich zuerst befürchtet, ein Liebesbrief, wohl aber ein offenbar an meine Frau gerichtetes Liebesgedicht.
In welch anderer Stimmung ging ich jetzt zwischen den Pappelbäumen der Aussichtsbank zu.
»Dies Gedicht,« sagte ich, indem ich Fulvia die Rolle reichte, »wird zwar zu deinem jetzigen Lesestoff nur wenig stimmen. Es ist aber notwendig, daß du dich sofort damit bekannt machst.«
Und ich erzählte ihr, wie ich dazu gekommen war.
Sie las das Gedicht, wurde blutrot und beschwor mich unter Tränen ihr's zu glauben, daß sie ihm auf keine Weise Veranlassung zu einer solchen Ungebührlichkeit gegeben habe.
Ach, ich glaubte es ihr nur zu gern!
Ich beruhigte sie. Ich kenne ja die Frechheit dieser jungen Männer, denen nichts heilig sei. Die Sache nehme ich selber in die Hand und würde sie in aller Ruhe ordnen – sie solle nie mehr etwas davon hören.
Die warme Freude meines Herzens war freilich dahin, und ein Stachel blieb in meinem Gemüte zurück.
Das Gedicht schickte ich dem Verfasser mit ein paar Zeilen zurück, die ihm mein Haus verboten.
Zwei Tage danach setzten äthiopische Sklaven eine Sänfte mit meiner Schwiegermutter im Atrium nieder.
Deine Mutter überfiel mich sofort mit lauten Vorwürfen wegen meines barbarischen Betragens ihrer Tochter, meines lächerlichen dem Varro gegenüber. Viele Ehemänner in den höchsten Kreisen Roms würden auf solch ein Gedicht, das ihre Frau zu einer Berühmtheit mache, stolz sein! Ich bedauerte, für solchen Ehrgeiz keinen Sinn zu haben und bestand darauf, daß ihm die Tür meines Hauses verschlossen bliebe. Ein Wort gab das andere. »Nächstens willst du wohl auch mir dein Haus verbieten!« rief sie. »Das wäre vielleicht das richtigste, was ich tun könnte,« versetzte ich. »O«, meinte sie spöttisch, »möglich, daß das meine Lebensrettung wäre! Denn in deinem bekannten Jähzorn drehst du mir sonst doch einmal das Genick um, wie es wohl gebräuchlich war bei den gepriesenen Altvordern, deinen Cincinatussen und Curtiussen und Mucius Scävolas und wie die vermoderten Gebeine alle heißen. Aber auch mit Lebensgefahr werde ich auf meinem Posten ausharren. Ich stehe zwischen dir und meiner Tochter. Es soll dir nicht gelingen, sie zu einer Sklavin veralteter Matronenpflichten zu erniedrigen – noch hat sie ja, der großen Mutter sei Dank! kein Kind geboren, auch dies Unglück kann noch kommen. Um so mehr soll sie aber jetzt ihr Leben genießen und nicht verbauern, weil Familienverhältnisse sie nötigten, einen groben, alten Geizhals, gleich deinem Freunde Tiberius, zu heiraten. So, nun geh' zu ihm und klage mich wegen Majestätsbeleidigung an. Er möge mich nach dem öden Gestade des Pontus Euxinus verbannen, wo der arme Ovidius noch seufzt, dann bist du mich ja los. Aber solange ich in Rom bin, werde ich schützend zwischen dir und meiner Tochter stehen.«
Obwohl es in mir kochte, ließ ich in leidlicher Ruhe ihren Wortschwall über mich ergehen. Denn sie hatte nur zu sehr recht, daß sie zwischen mir und meiner Fulvia stünde.
Dann erklärte ich ihr, ich ginge allerdings stehenden Fußes zum Princeps, aber nicht um sie zu verklagen. Wohl aber müsse ich so unhöflich sein, ihr wenigstens jetzt die Tür zu weisen. Denn ich könne nicht erlauben, daß Fulvia jetzt mit dieser Sache behelligt würde, die sie schon sehr angegriffen habe; und andererseits könne ich ihr auch nicht mehr Gesellschaft leisten, da Tiberius mich erwarte.
Dies war kein leerer Vorwand. Sobald sich die Äthiopier mit ihrer Last entfernt hatten, ließ ich vorspannen und fuhr nach Rom zu Tiberius, der mich wegen der Festvorbereitungen hatte rufen lassen.
Seit jenem Gespräche hatte sich zwischen mir und ihm nichts verändert. Die alte Herzlichkeit unserer Beziehungen war unwiderruflich dahin, wie es schien. Auf meine Beamtenlaufbahn konnte dies, seiner ganzen Gesinnung nach, nicht den geringsten Einfluß ausüben. Beim Besetzen der Posten hatte er lediglich das Staatswohl vor Augen. Nur einmal, als er einen neuen Censor morum ernannt hatte, sagte er mir, er habe für diese Vertrauensstellung zwar mich als den zweifelsohne Geeignetsten im Auge gehabt, habe jedoch davon abgesehen, da er befürchtete, ich könne bei meiner Amtsausübung gar leicht mit meinem neuen Kreise in Widerspruch geraten, ja es könnten sogar Familienstreitigkeiten für mich daraus entstehen. Er sagte dies vollkommen sachlich und ohne den geringsten spöttischen Ton. Auch sah ich ein, daß er nur zu sehr recht habe; und obwohl der Verlust dieser Ehrenstellung mich schmerzte, war ich gerührt über die zarte Bedachtsamkeit des Herrschers, worin sich noch die alte Freundschaft zeigte. Aber wie um alles Außeramtliche und Menschliche auszuschalten, fing er sofort an, mir auseinanderzusetzen, wie wichtig es für das Gemeinwohl wäre, daß gerade der Censor völlig freie Hände habe, ja daß sich nicht einmal der Verdacht regen könne, er liehe sich durch irgendwelche Rücksichten binden.
Diesmal wollte er mir die Führerschaft einer Senatsabordnung an Germanicus übertragen – ohne Zweifel eine hohe Ehrenbezeugung. Damit sie jedoch nicht als persönliche Gunst erschiene, begann er sofort mir zu zeigen, daß ich der einzige sei, von dem die Rede sein könne, weil ich nicht nur alle anderen erforderlichen und erwünschten Eigenschaften besäße, sondern auch die unerläßliche, mit Germanien vertraut zu sein. Hierbei geriet er nun freilich aus der Scylla in die Charybdis. Denn als er von Germanien sprach und nicht wohl umhin konnte, unser Zusammensein dort zu berühren, kam ein verräterischer weicher Klang in seine Stimme, und ein Blick, der mir tief ins Herz drang, verirrte sich in sein großes, klares Auge. Sofort aber sprang er auf das Staatliche über und tadelte die Kriegslust des Germanicus, der nur darauf bedacht wäre, sich Feldherrnlorbeeren zu sammeln, ohne Rücksicht auf den wirklichen Nutzen des Staates. Deshalb habe er den Germanicus des Oberbefehls über die Rheinarmee enthoben und ihn nach Syrien geschickt, wo er keinen Schaden anrichten könne. Die Germanen solle man ihrem eigenen innern Hader überlassen, der umso sicherer ausbrechen würde, wenn sie kein Feind von außen bedrängte – wie es ja auch gekommen ist. In diesem Sinne müsse auch ich reden, wenn Germanicus etwa grollend von seiner Versetzung nach dem Osten zu sprechen anfinge.
Von sehr verschiedenen Gemütsregungen tief bewegt, verließ ich Tiberius. Deutlich hatte ich ja gemerkt, wie ein altes Gefühl für mich noch im Grunde seiner Seele lebte, ja wie es sich bisweilen hervordrängte und zurückgebannt wurde. Und so würde es bei der Starrheit seines Charakters immer bleiben. Ja, wie hätte es auch anders sein können? Gerade weil er mir nicht gänzlich verloren gegangen war, wurde mir der Verlust so qualvoll deutlich. Die Freundschaft des Herrschers, des Weltherrschers – das war nicht wenig. Die Freundschaft des einzig seltenen Mannes, mit dem mich gemeinschaftliche Lebensanschauung und jugendliche Erinnerungen verbanden – das war mehr! Mehr noch als dies jedoch bedeutete die Freundschaft des Unfreundlichen, die Offenherzigkeit des Verschlossenen, dem nur in diesem Verhältnis noch ein Gefühlsquell jugendlicher Wärme sprang. Bitter fragte ich mich selber, ob mein Eheglück denn solcher Art sei, daß es jenes aufwöge. Ich kam mir selbst wie ein Fahnenflüchtiger vor. Ich klagte mich der Untreue an, weil ich diesen auf dem Gipfel der Welt stehenden Einsamsten der Einsamen verlassen hatte.
In solcher Stimmung traf mich denn auch der Maitag, der Rom in einen Fieberrausch der Begeisterung versetzte. Meine Obliegenheiten machten mir es natürlich unmöglich, an der Seite Fulvias zu sein, und so war es nicht zu verhindern, daß sie das großartige Gepränge des Triumphzuges in der Gesellschaft ihrer Mutter genoß. Am Aufgange zum Kapitolium sah ich die Beiden in der ersten Reihe einer Tribüne sitzen – der ganze Hofstaat war da. Ein junger Mann beugte sich über Fulvia und sprach lebhaft zu ihr. An seinem Lockenkopf und an dem blauen Saum seiner Toga erkannte ich den Ritter Varro. Mit niedergeschlagenen Augen lauschte sie lächelnd seinen Worten. Mir schnürte sich bei diesem Anblick das Herz zusammen. Als sie den Kopf hob und zu mir herüber sah – denn die Abordnung des Senats, an deren Spitze ich ging, war jetzt bemerkt worden –, wandte ich mich an einen der Senatoren, als ob ich ihm etwas Wichtiges mitzuteilen hätte; denn ich konnte es nicht ertragen, jetzt mit ihr Blicke zu wechseln.
Wenige Minuten später bot sich mir das unvergeßliche, erschütternde Schauspiel dar, wie Thusnelda vor dem Wagen des Triumphators einherschritt. Es ergriff mich sonderbar, und mir kam dabei der wunderliche Gedanke, daß eine Frauengestalt wie diese, mit ihrem Vater verfeindete Gattin des germanischen Heldenbefreiers ganz anders zu mir gepaßt hätte als die liebliche aber verzärtelte Fulvia, die noch am Gängelband ihrer Mutter ging.
Diese Vorstellung, die ich nicht mehr los wurde, zeigte mir so recht anschaulich, wie sehr ich mich in meiner Wahl vergriffen hatte. Aber diese unfreiwillige Gegenüberstellung steigerte nur meine Sehnsucht nach Fulvia. Mochte ich mich immerhin vergriffen haben, so wollte ich es doch nicht vergebens getan haben! Hatte ich auch durch den Fehlgriff die Freundschaft und die Vertraulichkeit des einzigen Herrschers eingebüßt, um so weniger wollte ich um den Preis kommen! Ja, mochte auch im geheimen ihr Herz für einen jüngeren, glänzenderen, bald vielleicht mit Dichterlorbeeren bekränzten Mann pochen, noch war sie die Meine!
Es kostete mich das größte Aufgebot an Selbstbeherrschung, um nicht das Zutrauen des Tiberius zuschanden zu machen. Denn während ich dem Germanicus die Glückwünsche und Huldigungen des Senats überbrachte, dachte ich nur daran, wann ich wohl würde hinauseilen können und Fulvia in meine Arme schließen, wann meine Hände wieder – – «
Ein unartikulierter Schmerzenslaut, halb Schrei halb Stöhnen, unterbricht die Worte, und vornüber zusammensinkend, sitzt Rufus noch lange stumm da, bis er endlich Sammlung und Kraft findet, seine Beichte fortzusetzen.