Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Fünftes Kapitel

Beichte des Verres

»Ja, ganz so steht Tiberius in meiner Erinnerung, allerdings in Feldherrnrüstung, denn anders hab' ich ihn nie gesehen. Freilich wirst du es kaum glauben, Neuling – denn die Jugend hat in diesem Punkte wenig Einbildungskraft – aber ich, der ich jetzt zu dir spreche, war damals ein rüstiger und wagehalsiger Soldat. Was man nun auch sonst gegen Tiberius einwenden mag, wenige werden bestreiten, daß er – die Verdienste des Agrippa unbeschadet – der größte Feldherr seit dem göttlichen Julius und daß er sich in militärischen Dingen auskennt.

Kein Wunder also, daß Tiberius damals – ich sage es ohne falsche Bescheidenheit geradeaus wie es ist – für meine glänzende Tapferkeit, meinen Pflichteifer und meine Fähigkeit, ohne Zögern den richtigen Entschluß zu fassen, ein offenes Auge besaß. Mehr als einmal hat er den jungen Centurio – denn als solcher diente ich unter ihm – vor der versammelten Legion durch ehrende Ansprache ausgezeichnet, ja, als ein Muster zur Nachahmung hingestellt. So sehr galt ich als der ausgesprochene Liebling des Feldherrn, daß der Neid, der sich überall dem Verdienste anheftet, sich auch an das meinige heranwagte, dadurch jedoch nur zeigte, wie hoch ich in der Gunst des Tiberius stand.

Ich überspringe den Rest meiner militärischen Laufbahn, die nicht ohne ihre Enttäuschungen wie auch nicht ohne ihre Triumphe war. Kurz, ich kann alles in allem mit Horatius sagen »et militavi non sine gloria«, und ich bin nicht wie er bei Philippi ohne meinen Schild davongelaufen, vielmehr – – doch lassen wir das!

Mit den Jahren trat ich in den Verwaltungsdienst über, wo Augustus mich in der Toga nicht weniger schätzen lernte als ich dem Tiberius im Waffenkleid wert geworden war. In vorgerücktem Alter wurde ich dann vom Senat als Statthalter nach dem Osten geschickt. Hier habe ich denn, wie du dir wohl denken kannst, mir meinen Namen Verres verdient. Denn da sich für meinen Fall in den Epen oder sonst in der klassischen Dichtung kein Beispiel fand, wollten meine priesterlichen Amtsgenossen mich wenigstens durch einen geschichtlich berühmten Namen auszeichnen. Doch muß ich ausdrücklich bemerken, daß ich nie einen römischen Bürger habe kreuzigen lassen. In dieser Beziehung weise ich den Vergleich weit von mir.

Im übrigen verhielt es sich damit auf folgende Weise.

Die mir zugeteilte Provinz war reich, ja üppig, gleichmäßig von Natur und Kultur gesegnet. Sie war wie ein gedeckter Tisch, und du kannst mir glauben, ich war entschlossen, nicht hungrig aufzustehen. Kurz, ich genoß und gedieh in allen Richtungen. Selbst meine Körperlichkeit wurde behäbig und rundlich, nicht wie du jetzt mich siehst.

Dies ist das einzige, was ich gegen diesen sonst so vorzüglichen Aufenthalt habe. Nicht daß unsere Tafel gerade ärmlich bestellt wäre, du wirst dich bald vom Entgegengesetzten überzeugen. Nur schade, daß man sich deren Genüssen nicht so ganz vorbehaltlos hingeben kann. Dem lieben Leben zuliebe muß man wohl oder übel darauf bedacht sein, sich kampffähig und einigermaßen in athletischem Zustande zu erhalten. Daß ich solche Rücksichten noch nehmen müsse, daran dachte ich freilich in meiner Statthalterschaft nicht. Vielmehr meinte ich damals auf immer meine Waffen im Tempel der Üppigkeit an die Wand gehängt zu haben.

So standen also meine Sachen, als die nicht unerwartete Nachricht von der Verewigung des Augustus und dem Regierungsantritt des Tiberius kam. Sofort ließ ich eine große Kiste mit Weinen der ausgesuchtesten Örtlichkeiten und Jahrgänge sorgfältig verpacken und an den neuen Princeps abgehen, von einem Schreiben begleitet, in welchem ich meinen Gefühlen bei dieser außerordentlichen Gelegenheit Ausdruck gab – schlicht und einfach, wie's einem alten Soldaten ums Herz ist. Ich redete ihn nicht gerade mit seinem alten Spitznamen ›Biberius‹ an, denn so nannten wir Legionäre ihn, weil es uns wohl bekannt war, daß er gern einen Becher guten Weines leerte – nicht unehrerbietig, da seien die Götter vor! sondern wie's der Soldatenhumor halt so mit sich bringt; wovon man ja bei den Triumphzügen noch ganz andere Sachen zu hören bekommt. Wie gesagt, ich nannte ihn nicht so, aber ich erlaubte mir doch eine feine Anspielung auf diesen Legionär-Scherz.

Nun, auf diese Sendung erfolgte keine Antwort.

Ich will nicht leugnen, daß dies Schweigen allerhöchsterseits eine kleine Enttäuschung war. Na, schließlich sagte ich mir, je länger der Ruhm, um so kürzer das Gedächtnis; bisweilen dachte ich auch: schließlich hat er mir meinen verdeckten ›Biberius‹ doch etwas übel genommen.

So gingen ein paar Jahre dahin. Ich trug mich schon mit dem Gedanken, den herannahenden Geburtstag des Tiberius zur Veranlassung einer neuen Sendung zu machen, – versteht sich ohne Anspielung und diesmal in der unverfänglichen Gestalt köstlicher Früchte, wie man sie in Rom nicht bekommt: als eines schönen Tages eine große Briefschaft mit dem cäsarischen Siegel einlief.

Wie schlug mein Herz so hoch, als ich dies Schreiben in den Händen hielt!

›Ha!‹ rief ich – ›der brave Biberius! Er vergißt einen alten Kameraden nicht! Vielleicht gar eine Einladung zu Hofe! Wer weiß, er ruft mich gar, um mir in Rom ein hohes Amt anzuvertrauen; als Präfekt der Prätorianer zu enden, wäre ganz mein Fall. Er kennt ja meine hohen militärischen Fähigkeiten. Schließlich versauert man doch in der Provinz.‹

In solcher Stimmung öffnete ich den Brief.

Sein Wortlaut war dieser: –

›Ich hörte einst Folgendes. Ein Verwundeter lag am Wege und wurde von einem Fliegenschwarm gequält. Ein Vorübergehender wollte die Fliegen vertreiben. Jener indes wehrte ihm ab und sagte: ›Wenn diese Fliegen sich am Blute gesättigt haben, belästigen sie mich nicht mehr viel, kommen aber neue, die noch nach Blut dursten, so geht die Qual von neuem an. Also laß diese ruhig sitzen.‹ Demgemäß war meine Regel die, die Statthalter möglichst lange in ihren Provinzen zu belassen. Es gibt jedoch auch Mückenschwärme, die sich nimmer satt saugen. Solchen gegenüber wäre diese Regel unangebracht. Leider scheinst du mir zu diesen zu gehören. Du bist aber zum Hirten bestellt, um die Schafe zu scheren, nicht um sie zu schinden. Da du von je mehr als schwerfällig von Begriff warst, möchte ich dir diesen Unterschied mündlich erklären. Weshalb ich dir Urlaub auf unbestimmte Zeit bewillige und dich deinen Amtspflichten enthebe, dich in Rom erwartend.‹

Da hatte ich nun meine Einladung nach dem Hofe!

Schweren Herzens ging ich an Bord und ließ Kurs nach Italien setzen. Unterwegs hatten wir das Unglück, daß in einem Sturm das Ruder zerbrach und das Schiff auch anderweitig beschädigt wurde, so daß wir fast ein paar Wochen lang in einem griechischen Hafen liegen mußten, um das Fahrzeug wieder seetüchtig zu machen.

Als wir nun endlich in den Hafen von Brundisium einliefen, bemerkten wir dort eine kleine Galeere, die der Schiffer an ihren Abzeichen sofort als ein Fahrzeug aus dem Seehafen in meiner Provinz, den wir selber verlassen hatten, erkannte.

Dabei stieg mir ein gewisser unheimlicher Verdacht auf. Ich zog Erkundigungen ein und erfuhr, daß dies Schiff eine volle Woche hier läge und daß die Reisenden – acht Männer waren es – ohne auch nur eine Stunde zu verlieren ihre Reise fortgesetzt hatten.

Schon den ersten, den man mir beschrieb, erkannte ich leicht an seinem roten Haar und an seiner gebrochenen Nase, die deutlich von einem vor Jahren erlittenen Unfall sprach. Es war dies ein Gutsbesitzer aus der Nähe meiner Hauptstadt. Er hatte eine sehr bedeutende Summe von einem Geldmanne geliehen, mit dem auch ich des öfteren Geschäfte machte. Viele nannten ihn einen Wucherer; er nahm aber jedenfalls keine höheren Zinsen, als der ehrenhafte Brutus, nämlich nicht ganz fünfzig vom Hundert – das heißt nicht von mir, sondern gerade von jenem Gutsbesitzer. Dieser gab nun aber vor, auch solche mäßige Abgabe nicht bezahlen zu können, und sein verzweifelter Gläubiger wandte sich an mich. Da die Gerechtigkeit seiner Forderung mir nicht zweifelhaft war, und er außerdem in seiner Freigebigkeit mir die Hälfte der einzutreibenden Summe versprach, stellte ich ihm einen Centurio mit ein paar Dutzend Soldaten zur Verfügung. Der Centurio quartierte sich mit seiner Mannschaft bei dem Gutsbesitzer ein, und es dauerte kaum einen Monat, bis dieser seine Schuld auf den letzten Sesterz bezahlt hatte. Von diesem Monat soll seine gebrochene Nase herstammen; man sprach auch von zu großen Liebenswürdigkeiten seiner Frau und seinen Töchtern gegenüber. Das sind indessen Privaterlebnisse, mit denen ich keinen Grund hatte, mich abzugeben. Die Hauptsache war, daß der Gläubiger sein Guthaben erhielt.

So hatte ich wenigstens drüben in meiner Provinz gedacht. Hier in Brundisium stiegen allerdings andere Erwägungen bei mir auf. Es stellte sich immer dringlicher ein Zweifel ein, ob der Imperator mit dieser Verwendung seiner Soldaten ganz einverstanden sein würde. Denn Tiberius ist, wie schon bemerkt, ein großer Feldherr und hat sein Heer fest in der Hand; aber er ist auch in militärischen Dingen skrupelhaft genau, ja ich nehme keinen Anstand zu sagen: geradezu kleinlich. Dort, im Hafen von Brundisium, auf und ab gehend, kam ich bei dieser Vorstellung bald so weit, daß ich gern die ganze Schuld des Gutsbesitzers und außerdem noch eine Buße für die gebrochene Nase bezahlt hätte – nebst einer solchen für etwaige soldatisch bedingte Familien-Unzuträglichkeiten – wenn damit diese ganze unregelmäßige Militärsache aus der Welt zu bringen wäre.

Auf solche Weise beunruhigt rastete ich nicht, bis ich festgestellt hatte, wer die übrigen sieben wohl sein könnten. Sie waren mir nur zu wohlbekannt, und ich ihnen. Es waren in der Tat Leute, die von ihrem einseitigen und beschränkten Untertanstandpunkte aus wohl meinen mochten, Grund zur Klage über mich zu haben – kurz: geschundene Schafe. Einige darunter waren mit Männern verwandt oder befreundet, die sich allerdings nicht über mich beklagen konnten, weil es für meine eigenen Zwecke nötig gewesen war, sie in einem Gefängnis umkommen zu lassen. Durch unseren Unfall hatte nun diese gefährliche Gesellschaft einen entschiedenen Vorsprung erhalten und sicherlich beim Tiberius schon ihre Beschwerden vorgebracht.

Diese Entdeckung lag mir beim Weiterreisen schwer im Magen. Manches Beispiel scharfer Bestrafung solcher Statthalter-Hirten, über welche ihre geschundenen Schafe Klage geführt, fiel mir ein, zumal aus neuester Zeit, unter Tiberius selber. Vorher hatte mich das wenig angefochten. Als ein alter Kriegskamerad des Princeps hatte ich mich mehr als sicher gefühlt. Nun fing die Sache an, ein anderes Aussehen zu bekommen, und dies Aussehen wurde bedenklicher mit jeder Meile, um die ich mich der Höhle des Löwen näherte. Würden meine Spuren nur einwärts führen? oder müßte ich auf irgendeiner öden Insel, an irgendeinem ungastlichen Gestade meine Tage in Verbannung beenden?

Diese Gedanken setzten mir so zu, daß ich in einem förmlichen Fieberzustand hier in der Gegend der Wälder von Aricia ankam. War doch kaum noch eine Tagereise übrig! Denn etwas anderes ist es, in eine Schlacht zu gehen oder eine Sturmleiter zu beschreiten; etwas ganz anderes einem erzürnten Tiberius gegenüberzutreten.

Ich überlegte mir eben, daß es in dieser Lage wohlgetan wäre, irgendeiner mächtigen Gottheit eine hübsche Opfergabe darzubieten. Siehe, da schimmerten die Säulen eines Tempels über den See mir entgegen – eben dieselben, zwischen denen ich jetzt stehe. Sofort gab ich meinen Entschluß kund, diesem Heiligtum einen Besuch abzustatten. Der Führer erzählte mir, was für eine eigentümliche Bewandtnis es mit demselben habe; wobei ich mich denn auch erinnerte, schon längst davon gehört zu haben.

Nun, war das nicht wie gerade für mich geschaffen? Mit einem Priester auf Leben und Tod zu kämpfen – pah – was war das für einen alten Soldaten?

Kurz: »ich kam, sah, siegte,« wie der göttliche Julius schrieb oder: –

›Freudigen Mutes das Äußerste wagend,
Leben und Priesterschaft, beides gewinnend,
Greift er mit Siegerhand goldenen Zweig‹ –

wie unser Pindaros singt in der herrlichen Ode, die alsbald bei deiner Einweihung ertönen wird.«


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