Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Sechstes Kapitel

Beichte des Pindaros

Ja, jenen göttlichen Thebaner habe ich mir zum Vorbild genommen,« ruft, den solchermaßen hingeworfenen Ball aufnehmend, sein Nachbar, ein Mann in seinen kräftigsten Jahren, dessen Gesichtszüge – zumal die Nase – syrisches Blut verraten. »Auch habe ich in der Tat den Sieger in unserem altehrwürdigen Ringkampfe besungen, ob mit oder ohne Gunst der Muse wirst du selber bald hören. Sonst jedoch übertrug ich den hohen Stil und den feurigen Schwung des Pindaros vom Gebiete des Siegeshymnus auf das der Totenklage. Denn mein Gemüt lockte nicht so sehr der schimmernde Glanz des Lorbeerhaines als vielmehr der tiefe Schatten der Zypressen es an sich zog.

Auch darf ich sagen, daß diese sonst fruchtlosen Bäume meinem Poetengang manche Frucht gespendet haben und daß ich nicht umsonst gesungen. Wo Zähren fließen, werden Sesterzen flüssig, wenn auch selten zehntausend für die Zeile, wie bekanntlich die zur Ohnmacht gerührte Octavia dem Sänger der Änëis für die schon deshalb mit Recht berühmte Marcellus-Stelle im sechsten Gesang bezahlte.

In dieser Beziehung kann ich mich freilich mit dem Mantuaner nicht messen, wiewohl wir das Gemeinsame haben, daß auch meine am besten bezahlten Verse einem Trauerfall im Cäsarenhause zuzuschreiben sind. Als nämlich Rom, ja die ganze Welt an der verfrühten Bahre des Germanicus weinte, gaben mir die Kamönen ein Trauercarmen ein, das sich bald einiger Beliebtheit erfreute, so daß Tiberius sich veranlaßt sah, mir eine Summe zu überreichen, die im Verhältnis zu der, womit jene zwanzig Zeilen belohnt wurden, zwar recht mäßig zu nennen, im Vergleich mit allen andern, die meine florumhüllte Leier mir herbeigesungen hatte, aber sehr bedeutend war.

›Nicht für deine Verse, die schlecht sind, sondern für deinen Willen, der gut war,‹ sagte er dabei wie es ja seine leidige Gewohnheit ist, durch sein unliebsames Wesen selbst Wohltaten zu versauern.

So kam ich dadurch zeitweilig auf einen grünen Zweig. Wenig ahnte es mir damals, daß die nächste verwandte Veranlassung zur Trauerdichtung größten Stils mich zum goldenen bringen und mich lebenslänglich versorgen sollte.

Hiermit hatte es folgende Bewandtnis.

Meine einzige Schwester war verheiratet mit einem Landsmann von mir, den du, o Telemachos, schon genannt hast: nämlich Eudemus, dem Leibarzte des Drusus. Wahrlich eine hohe Stellung! war doch der zukünftige Herrscher dieses ungeheuren Weltreiches seiner Fürsorge anvertraut. Freilich war Drusus ein kräftiger Mann von starker Konstitution, und wenn er sich auch einigen Ausschweifungen hingab und besonders auf jenen von Verres erwähnten Beinamen seines Vaters ein volles Erbrecht hatte, so konnte es doch für einen tüchtigen Arzt, und ein solcher war mein Schwager, keine gar zu schwierige Sache sein das teure Leben gegen etwaige Rückschläge solcher übermütigen Lebensäußerungen zu schützen. Bedenkt man nun, wie wichtig für die Bürger die Sicherheit der Regierungsfolge ist, wie jedes Infragestellen derselben das blutige Gespenst der Bürgerkriege heraufbeschwor, so konnte Eudemus der Dankbarkeit der Welt versichert sein; ja wie jenem Antonius Musa, der Augustus heilte, würde man ihm wohl gar ein Standbild neben dem Äskulaps errichten und ihm Opfer darbringen. An solchen stolzen Zukunftsträumen berauschte sich meine Schwester, die eine gute Seele war, aber nicht ohne ihre weiblichen Schwächen.

Nun wirst du dich sicherlich der Zeit besinnen, da ein Gerücht von einer Krankheit des Drusus zuerst die Bevölkerung Roms etwas beunruhigte. Nur ein wenig allerdings; schien es sich doch lediglich um ein Erkältungsfieber zu handeln. Immerhin war dadurch meinem Schwager eine treffliche Gelegenheit geboten, sein Geschick in das beste Licht zu setzen. Natürlich machte ich alsbald meiner Schwester einen Besuch und brachte die Krankheit des Drusus auf die Bahn. Eine sonderbare Befangenheit, die mir sofort beim Eintreten in ihrem ganzen Wesen aufgefallen war, wuchs bei diesem Gespräche zusehends. Schließlich brach sie in Tränen aus und nannte sich die unglücklichste Frau in Rom. Betroffen drang ich auf sie ein, und nachdem ich ihr bei der großen Mutter und bei Adonis zugeschworen hatte, niemandem auch nur eine Silbe von dem, was sie mir anvertrauen wollte, zu sagen, gab sie ihrem von Angst und Sorge zusammengepreßten Herzen Luft.

Es geschah zuweilen, daß Eudemus in der Nacht, durch lebhafte Träume beunruhigt, gleich einem Fieberkranken Namen, Worte, ja ganze Sätze vor sich hin murmelte. So war es in den letzten Wochen des öfteren gewesen. Aus diesen wilden Reden und Ausrufen hatte meine Schwester erfahren, daß er im Begriffe sei, mittels eines schleichenden Giftes, das er allein kannte, den Drusus umzubringen; dazu angestiftet von der Gattin des Drusus und von Sejanus, ihrem Buhlen. Du siehst also, o Telemachos, daß du mit dem Verdacht, den du bei deinem letzten Gastmahl aussprachst, vollkommen im Rechte warst.

In höchst erregtem Gemütszustand erreichte ich meine Behausung, die von dem Esquilin-Viertel, in welchem meine Schwester wohnte, weit entfernt und recht ärmlicher Beschaffenheit war. Denn der Wohlstand, der mit dem Germanicus-Gedicht sich eingestellt hatte, war längst dahin. Seit vielen Jahren nährte ich mein Herdfeuer nur noch mit Reisig und Gezweig der Cypressen, kaum daß ab und zu ein tüchtiger Ast abfiel, vom Kernholz gänzlich zu schweigen.

Nun – hier bot sich ein voller Stamm dar, dick genug, um eine ganze Stieropferflamme zu unterhalten! In dieser Beleuchtung sah ich das Geständnis, das meine tödlich erschrockene Schwester mir abgelegt hatte. Setzte mich dies Geheimnis denn nicht in den stand, jenen ersten Glücksfall noch weit zu überbieten? Würden mir aus der Schatzkammer des Tiberius nicht jetzt Denaren für Sesterzen zufließen? Damals galt das Trauerlied dem Neffen und Adoptivsohn, hier dem wirklichen Sohn. Und nur ich wußte darum – zumal gerade jetzt ein großer Fortschritt im Befinden des Drusus gemeldet wurde, wodurch andere etwaige Trauerpoeten, die sich auf dieser Spur befinden mochten, von der Fährte abgeführt wurden; während ich zu gut unterrichtet war, um mich durch solche Schwankungen, ja anscheinende Genesungsperioden, die Eudemus vorsichtshalber gebrauchte, irreführen zu lassen. So daß ich vor allen Mitbewerbern einen nicht mehr einzuholenden Vorsprung bekommen hatte.

Ein solcher Vorsprung ist aber schon fast Gewinn. Es ist nämlich, o Telemachos, eine schwierige Sache, ein echtes und rechtes Trauercarmen zu verfassen. Dazu muß sehr vieles erfunden und gar manches erforscht werden, allerlei mythologische und historische Beziehungen, wozu eben Zeit gehört. Nun ist aber gerade Eile in höchstem Grade geboten, von wegen der Mitbewerber. Denn hat erst einer den Verstorbenen einigermaßen besungen und die Hinterbliebenen zu Tränen gerührt – und wenn es auch unechte wären – ach, da ist schon alle Mühe dahin, und wenn Einem auch alle neun Musen beistünden, man wird nur kargen Lohn davontragen.

Ich konnte mich nun aber mit Ruhe und Fleiß an die Arbeit machen, das Lieblingswort des göttlichen Augustus »Eile mit Weile« zur Losung nehmend. So brachte ich denn auch, schon während Drusus noch immer nur an einer hartnäckigen aber keineswegs lebensgefährlichen Krankheit darniederzuliegen schien, ein wirklich sehr großartiges Kunstpoem zustande.

Die ganze Ahnenreihe der stolzen Claudier, von ihrer Wiege im Sabinerneste bis hinab zur Bahre des germanischen Drusus am Rhenus stand da trauernd um das Totenlager. Da sah man den blinden Appius, wie er sich in den Senat tragen ließ, um gegen den schändlichen Frieden mit Pyrrhus zu stimmen; hier besiegte Claudius Nero den furchtbaren Hasdrubal; dort warf – als erheiternde Episode – der stolze, selbst die Orakel verachtende Claudius Pulcher unter der Sicilianischen Küste, vom hohen Schiffsbord aus die heiligen Hühner ins Meer, damit sie »saufen könnten, wenn sie nicht fressen wollten«. Auch war jene Claudia nicht vergessen, die mit ihrem Gürtel das Schifflein, welches das Bild der großen Mutter trug, von der Sandbank in der Tibermündung los zog, laut die Götter bittend, sie möchten ihr, als Zeichen ihres keuschen Wandels, die Kraft zu diesem frommen Werk verleihen. Du kannst dir denken, daß ich, der Sohn Syriens, diese Gelegenheit zum Preis der Kybele nicht unbenutzt vorübergehen ließ. Diese keusche Claudia hatte ich sehr wirkungsvoll am Fußende des Sterbelagers angebracht, wo sie niedergesunken war, laut schluchzend über den vorzeitigen Untergang so vieler Tugenden.

Alsdann erschienen, auf diesen Ruf herbeieilend, in wunderbaren allegorischen Figuren, durch sinnfällige Attribute gekennzeichnet, die ganze Reihe der sogenannten altrömischen Tugenden: Tapferkeit, Fleiß, Sparsamkeit, Keuschheit, Maßhalten beim Erfolg, Unerschütterlichkeit im Unglück, Frömmigkeit den Göttern, Pietät den Eltern gegenüber und dergleichen mehr. Dies war so recht auf den Geschmack des Altertumschwärmers Tiberius gemünzt, dem zuliebe denn auch die Sparsamkeit ganz besonders herausgestrichen war. Nur versäumte ich nicht, sie sagen zu lassen, ihr Gebot möge überall befolgt werden, nur nicht wo es sich darum handelte, einen lieben Verstorbenen zu ehren oder gar den hehren Sänger, der seine Tugenden würdig besungen, zu belohnen; denn hier räume sie gern der Freigebigkeit, ja sogar der Verschwendung den Platz.

Daß nicht nur alle olympischen Götter und Göttinnen von ihren goldenen Stühlen hinunterblickten, sondern auch die meisten ausländischen Gottheiten – Kybele vor allen – an der Trauer teilnahmen, brauche ich kaum ausdrücklich zu erwähnen.

Kurz, es war an nichts gespart, und das Ganze war in der Tat höchst prachtvoll geraten. Auch feilte ich mit unablässigem Fleiß an meinen Versen, ja konnte mir darin gar nicht genug tun. Nicht zum zweiten Male durfte es ja geschehen, daß Tiberius meine Verse schlecht schalt. Um nun hier ganz sicher zu gehen, entschloß ich mich zu einem etwas gewagten Schritt.

Ich hatte nämlich einen Freund, der zwar selber keine Verse dichtete, aber ein so gewiegter Kenner war, daß sein Ohr wie ein Goldgewicht kundgab, ob eine Silbe um eine Feder leichter oder schwerer wöge, und wie ein Meßstab dir sagte, ob ein Vokal ein Viertel länger oder kürzer sei, als erlaubt war; nie hatte er einen Hiatus überhört, noch war die versteckteste Kakaphonie je unbemerkt an ihm vorbeigeschlüpft. Kurz, eher mochte es wohl einer sündhaften oder nur gemeinen Seele gelingen, am Richterstuhl des unterweltlichen Rhadamanthus vorüber in die Gefilde der Seligen zu gelangen, als einem auch nur im geringsten fehlerhaften Verse seinem Tadel zu entgehen. Zu diesem seltenen Manne trug ich also mein Gedicht. Er fand es überaus lobenswert, zeigte mir jedoch nicht wenige Verse, die verbesserungsbedürftig wären. Nun machten wir uns gemeinsam daran, diese mit äußerster Sorgfalt abzufeilen, und so ist wohl in der lateinischen Sprache nie etwas Vollkommeneres entstanden, als dies Gedicht war, als wir die Arbeit zu seiner Zufriedenheit vollendet hatten.

Aber ach, wohl habe ich Grund mit unserem Demosthenes die Wahrheit jenes warnenden Spruches »Ne quid nimis!« anzuerkennen. Mein Gedicht war nunmehr zu gut geraten. Denn mein Freund war jetzt darüber so entzückt, daß er nicht umhin konnte, diesem und jenem von dem wundervollen Totencarmen auf den immer noch nicht verstorbenen Drusus zu reden. So erfuhr sogar auch der Senat von diesem Wunderwerk.

Nun ist es dir ja bekannt genug, mit welch sklavischer Kriecherei diese erlauchte Körperschaft keine Gelegenheit unbenutzt läßt, dem Tiberius, der sie so herzlich verachtet, daß er selten die Curie verläßt, ohne »o diese Sklavenseelen« zu murmeln, ihre allerunterwürfigste Ergebenheit zu versichern. Wie sollte also der Senat hier nicht den allervortrefflichsten Vorwand erblicken, um seiner Gesinnungstüchtigkeit den beredesten und überzeugendsten Ausdruck zu geben? Welches Thema für die Ciceros von heute, diese patriotische und Cäsar-anbetende Entrüstung, weil ein armer Poet Vorschußlorbeeren auf einen Trauerfall im Herrscherhause nähme!

Übel wäre es mir ergangen, hätte ich nicht von einem Gönner im Senate unter der Hand die Mitteilung erhalten, daß ein Prozeß wegen eines Majestätsverbrechens über meinem Kopfe schwebe.

In der Tat, meine Gefahr war groß, ja tödlich. Zwar konnte Tiberius diesmal meine Verse nicht schlecht nennen; um so fraglicher war es jedoch andererseits, ob er ›meinen Willen gut‹ finden würde.

Das Schrecklichste jedoch war, daß gerade jetzt sich wirklich die Nachricht vom Tode des Drusus verbreitete.

Welcher Verdacht konnte nicht jetzt entstehen? Würde man nicht fragen: wie kommt es denn, daß unter allen Dichtern Roms gerade dieser den tödlichen Ausgang dieser Krankheit so sicher voraussah? gerade dieser, der Schwager des Arztes, dem das teure Leben anvertraut war? – Welche Untersuchungen mußten da folgen, welche Entdeckungen konnten da gemacht werden?

Solche Erwägungen gaben den Ausschlag und führten mich hierher.

Daß es aber schon deutlich in den Sternen geschrieben stünde, ich solle meine Dichterbahn auf echte Pindarische Weise nicht mit Trauergesängen sondern mit Preisliedern auf den Sieger im Ringkampf des Aricianischen Dianahaines beschließen, das wird dir der Alte des Euripides sagen.«


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