Karl Gjellerup
Der goldene Zweig
Karl Gjellerup

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Neuntes Kapitel

Treue

»Germane!«

Caligula hat gesehen, wie sein furchteinjagender Großohm den Blendenbau, in dem er sich mit dem Oberpriester zurückgezogen hatte, verläßt und sich entfernt, und benutzt sofort den günstigen Augenblick, um sich wieder an den Flüchtling heranzumachen. Denn ein neuer Gedanke hat sich seiner bemächtigt und läßt ihm keine Ruhe.

»Ich bin's, Germane! Kehre dich nicht an das, was ich dir vorher sagte. Es war ja nicht mein Ernst ... Du sollst gar nicht sterben, wenn du mir nur den Zweig gibst. Ich werde mich für dich verwenden, ich vermag alles bei meinem Adoptivvater, ich brauche nur zu bitten. Und ich liebe dich ja, Segismundus – dich und Thusnelda – ich gönne sie dem Alten nicht. Du hast ganz recht getan, wenn du ihm mit dem Schwerte drohtest – ganz recht. O, ich liebe euch, denn ich liebe die Musik, die Gesangskunst ... Der Alte, o ja, er liebt auch die Musik; aber was ist das für eine Liebe? Er sieht es gern, daß ich mich mit dieser göttlichen Kunst beschäftige, denn er hofft, sie werde meine grausame Natur mildern, sagt er. Ha, ha! Was ahnt er von dem wilden Rausch, dem furchtbaren Entzücken der Töne! Ich bin eben Künstler, Sänger – alles was die Kitharöden mich lehren konnten, habe ich gelernt. Aber du hast etwas anderes – etwas, das nur ihr Barbaren habt – einen geheimen Zauber. Den Zauber mußt du mich lehren. Deshalb will ich dich retten. Hörst du, Germane? O, ich sehe, daß du hörst ... du verstehst ... ja das Leben ist süß, und ich rette es dir –!«

In der Tat lauscht der Germane sichtbar, und ein seliges Lächeln breitet sich immer mehr über seine Züge.

Caligula sieht, daß der Fisch in den Köder beißt. Er wird noch erregter, krampfhaft muß er sich an der Marmorbrüstung festklammern, sein ganzer Körper zittert, das sonst so blasse Gesicht wird feuerrot; die immer heiserer werdende Stimme keucht und überschlägt sich: –

»Lehre mich deinen Zauberspruch hersagen, das Amulett zubereiten, das du auf der Brust trägst – und du sollst leben, ich schwöre dir's bei dem dreifachen Hermes! ... Nicht nur leben ... du sollst groß und mächtig werden ... Du gibst mir dein Geheimnis und machst mich zum größten Sänger ... o göttlicher Gedanke, der größte aller Sänger zu sein, größer als Orpheus! den wilden Zauber des Barbaren mit der sicheren Schulung, dem vollendeten letzten Schliff des Griechen zu vereinen ... auf der höchsten Zinne der Kunst zu stehen! Verhilf mir dazu, und das nackte Leben, das dir, wie ich sehe, so süß ist, soll deine geringste Belohnung sein. Ich mache dich reich, ich mache dich groß. Wenn ich Princeps bin, sollst du nach mir der Mächtigste auf Erden sein. Alle sollen dich beneiden – dich, meinen geliebten Segismundus. Auch Thusnelda sollst du haben, wir wollen sie beide haben, die Sangeszauberin. Hast du verstanden? O ja, du lächelst, ich sehe – du versprichst ... wie solltest du auch nicht? Leben und alle Herrlichkeiten der Welt! O mein Segismundus, gib mir ein Zeichen! Pflücke ein goldenes Blatt ab und wirf es mir zu ... nicht jetzt – sie könnten es sehen ... ja, sie kommen gerade hierher ... daß sie der Blitz! ... Aber ich kehre zurück – Mut, mein Segismundus!« – – –

Marcus, der Centurio, und sein Schwager Rufus sind es, bei deren Herannahen der künftige Weltherrscher davonschleicht.

Rufus hat an Stelle des Euripideischen Alten den Wachedienst freiwillig übernommen, damit dieser bei der Losung anwesend sein kann. Er selbst hegt keine Neugier; es ist ihm längst zur Gewohnheit geworden, sich bei dieser Gelegenheit als unbeteiligt anzusehen. Ihn trifft das Los ja nie; das eben ist sein Fluch.

Segismundus, der seinen fürstlichen Besucher keines Blickes gewürdigt hat, sieht sofort auf, als die beiden Schwäger an der Einhegung stehen bleiben, und nickt ihnen freundlich wie alten Bekannten zu.

»Du bist's, freundlicher Alter! Gut, daß ihr das Scheusal verscheuchtet, es ließ mir keine Ruhe. Und wo ist der junge Priester, der für mich sprach?«

»Er hat sich mit den anderen in das Urnenhaus begeben.«

Rufus zeigt nach einem Lorbeergebüsch rechts vom Tempel, wo ein kleiner Rundbau seine flache Kuppel erhebt.

»Nach dem Urnenhaus? Warum blickst du mich dabei so traurig an, alter Mann?«

»Dein Gegner wird jetzt ausgelost.«

Segismundus zuckt die Achsel.

»Meinst du, sie werden jemand auslosen, der mich wirft?«

Rufus schüttelt den Kopf.

»Der Gegner wird dich nicht bestehen.«

»O, ich begreife. Du trauerst um einen Genossen, den du verlieren wirst.«

»Ich traure um dich, der du mein Genosse wirst.«

»Warum? Bin ich doch hierhergekommen, um mein Leben hier zu fristen.«

Rufus streicht bedenklich seinen langen weißen Bart.

»Die Frist wird dir zu lang werden.«

»Wird sie mir zu lang, dann geh' ich.«

»Die Tempelwache läßt jeden herein, niemand hinaus.«

Wieder ein Achselzucken des Germanen.

»Sei's um die Tempelwache,« sagt Rufus. »Mit deiner Kraft und Gewandtheit ist es möglich, daß sie dir kein unübersteigbares Hindernis wäre. Aber ein solches ist der furchtbare Eid.«

»Der Eid? Und wenn ich ihn nicht schwöre?«

»Das ist noch nicht vorgekommen. Aber wenn du den Eid verweigerst – siehst du die vorspringende Felsplatte dort – ›der Opfersprung‹ wird sie genannt – dort würden sie dich hinunterstürzen.«

Segismundus hat sich erhoben, um dem Fingerzeige des Alten zu folgen. Er schüttelt den Kopf, als ob ihm diese Aussicht nicht gefiele.

»Deshalb bin ich nicht hierhergekommen.«

»Dann mußt du dich aber durch den Eid binden.«

»Binden? Den Eid schwör' ich mir selber, mir selber halt' ich ihn.«

Kopfschüttelnd betrachtet Rufus dies Stück trutziger Selbstherrlichkeit aus den Wäldern Germaniens.

»So gibt's denn keinen Gott, der dich bindet? keinen, dem du dienst?«

Eine Weile blickt Segismundus schweigend vor sich hin. Dann richtet sich das hellblaue Augenpaar nicht auf den Frager, sondern auf das bronzefarbige Soldatengesicht neben ihm.

»Der da am Kreuze starb, Centurio – du sagtest von ihm, daß er Gottes Sohn sei.«

»Das rief ich unwillkürlich aus, als er starb.«

»Ist er Gottes Sohn, dann lebt er noch, selbst ein Gott und anders als die anderen. Ich sah Thusneldas Augen leuchten, als sie seinen Worten lauschte, die anders als die der anderen klingen. Auch bat sie sich von dir das Buch aus und hatte gerade darin gelesen, als das Furchtbare geschah, was uns auseinander riß. Ja mir ist, als habe sie das Buch neben ihrem Tuch für mich liegen lassen, damit auch ich lesen solle. Was ich ja auch tat. Viele sonderbare und gute Worte las ich, wie er sein Leben für andere hingeben wolle, und ich fühlte: dieser gekreuzigte Gott ist wahrlich anders als die anderen Götter alle. Da gedachte ich denn des Aufleuchtens ihres Auges. Wir Germanen aber meinen, daß der Frau und zumal der Jungfrau etwas Göttliches und Prophetisches innewohne. So denke ich mir, das Göttliche in ihr hat seine Göttlichkeit lebhaft erkannt. Ja vielleicht schaute ihr Geist in die Zukunft und sah, daß er unserem Volk viel Heil bringen wird.«

»Und deshalb möchtest du dem gekreuzigten Heilande dienen?« fragt Marcus.

Segismundus nickt langsam und nachdenklich.

»Ich will dir sagen, wie ich's fühlte. Wäre ich dort gewesen mit einigen guten germanischen Degen, solchen wie meine Jugendgenossen waren: wir hätten ihn herausgehauen und die Judenpriester und ihren Pöbel niedergemacht und euren Pilatus dazu, der mir nicht viel wert scheint, und dich auch, wenn du Widerstand geleistet hättest, denn du führtest ja die Wache. Und ihm wäre ich treu geblieben.«

»Ich glaub' es wohl,« sagt Rufus. »Denn treu seid ihr ja.«

»Und doch wurdest du Tiberius untreu.«

Der Germanenblick blitzt.

»Wem war ich untreu, Centurio? Weißt du denn, was Thusnelda mir ist? Ich würde, wenn ich könnte, die Welt in Stücke schlagen, eher denn daß ein giftiger Lufthauch sie anwehen sollte! Die ganze Welt! – und der Weltherrscher, der sich selber untreu ist? Das ist es ja. Er war sich selber untreu. Das war nicht mein Tiberius, den ich da vor mir hatte. Nicht einmal seine edlen Züge waren es noch. Er möge mich leben lassen. Solange er sich selber treu bleibt, bleibe ich ihm treu.«

»Und Thusnelda?« fragt Marcus. »Deine Treue hat nur dazu gedient, daß sie jetzt schutzlos und verlassen ist.«

Segismundus schüttelt den Kopf.

»Wer sich selber treu bleibt, ist nicht verlassen. Nichts kann sie zwingen. Ein Sprung vom Bord der Galeere macht sie frei. Sie und mich. Solange sie unter der Sonne bleibt, bleib' ich auch. Sie weiß, sie ist nicht verlassen. Sie schickte mich hierher und weiß, wo ich bin.«

»Und du? Weißt du, wo sie jetzt ist?«

Segismundus lächelt ruhig.

»Sie ist hier, Centurio.«

»Hier?« ruft Rufus ebenso ungläubig wie überrascht.

Aber Marcus nickt bestätigend.

»Ich würde es fühlen, wenn ich's nicht gehört hätte,« fährt Segismundus fort. »Aber ich hörte sie. Das Scheusal, das ihr Caligula nennt, störte mich – einen Augenblick war ich versucht, aufzuspringen und es zu erdrosseln – aber ich war geduldig, und ich hörte ihre Stimme wieder – wie man durch Rabengekrächze die Töne einer Drossel vernimmt. Sie ist draußen.«

»Er hat recht,« sagt Marcus. »Vor dem Eingange halten die Sänften Pulcherias und Julias, und die Goldlockige sah ich im Gefolge.«

Der Germane wirft den Kopf zurück und schüttelt seine goldig braune Löwenmähne. Seine Lippen öffnen sich, die Zähne glitzern unter dem Schnurrbart hervor.

Ist es ein kurzes, aufjauchzendes Lachen – ein frohlockender Waldruf – ein siegesfroher Kampfschrei ...?

Was es auch sei – ein Echo tönt ihm vom Eingange des Tempelhaines entgegen, leise aber erkennbar – Gruß und Gegengruß.

Der letztere erstickt in einem aufgeregten Schwall murmelnder Stimmen.

Er kommt von dem Gebüsche her, in dem sich der kleine Rundtempel des Urnenhauses verbirgt.


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