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Draußen vor der Stadt, aber noch unmittelbar an dieselbe grenzend, befand sich das Spital, in das man auf Requisition des Notars Püster den verwundeten Gefangenen geschafft hatte, und dort war er auch augenblicklich guter Pflege übergeben worden. Aber er litt furchtbare Schmerzen, und der Arzt schüttelte sehr bedenklich mit dem Kopfe, als er zuerst die Wunde untersucht und so gut als möglich behandelt hatte, und dann selber in das Haus des Notars ging und dort den mächtigen Haken sah, der ihm jedenfalls vollständig in den Körper gedrungen, ja durch das Gewicht desselben nur noch viel schärfer eingepreßt worden war.
Uebrigens fand die Anklage gegen ihn schon dadurch einen vollständigen Grund und Beweis, daß man in seiner im großen Koffer befindlichen Tasche noch dreizehn amerikanische Bonds fand, deren Nummern mit den von der verlassenen und beraubten Frau des Buben angegebenen genau übereinstimmten. Sieben davon hatte er in der Zeit außer den immer fälligen Zinsen verbraucht. Ebenso beschrieb diese jetzt so genau den Schmuck, den sie von ihren Eltern zum Brautgeschenk erhalten, daß kein Zweifel mehr obwalten konnte, wie auch dieser ihr gehöre und gestohlen sei.
Die anderen Anklagen wären allerdings nur schwer, wenn überhaupt zu beweisen gewesen; aber man konnte jetzt nicht einmal den Versuch dahin machen oder nur eine Frage an den Verwundeten richten, der in einem halb bewußtlosen Zustande auf sein Lager geschafft wurde und dort leise vor sich hinstöhnend lag.
Hans war dort gewesen, um sich nach ihm zu erkundigen aber der Kranke lag in einem heftigen Fieber und fing an zu phantasiren – und furchtbare Schreckgebilde mußten es sein, die vor seiner inneren Seele emporstiegen.
Als der junge Solberg an sein Lager trat, lag er gerade in einem Halbtraume, und mit geöffneten Augen, wenn auch keinen Menschen erkennend, stöhnte er vor sich hin: »Was kümmert mich der Stock! Nehmt ihn fort, er gehört nicht mir – ein Baron trägt keinen solchen Stock, das thun nur Handwerksburschen! Ich kenne auch den Juden nicht, ich habe ihn nie gesehen – fort, fort! Er lebt ja noch, er ist gar nicht todt! Er öffnet die Augen und ruft Erbarmen! A – i!« –
Ein so unheimlich gellender Schrei zitterte durch das kleine Gemach, daß ein Wärter aus einem Nachbarzimmer herüberkam, um zu sehen, was es gebe; aber der Kranke lag schon wieder von einer Ohnmacht befangen, und Hans verließ schaudernd das Spital.
Langsam schritt er die Straße zurück, welche auf den Brink zu führte. Er hatte erst im »Römischen Hause« vorgesprochen, um Mrs. Rehberg aufzusuchen und sie zu beruhigen, daß sie ihr Eigenthum, so weit es noch beschafft werden konnte, jedenfalls wieder erhalten sollte. Dann ging er zu Püster, um mit diesem das Weitere über die jetzt zu nehmenden Schritte zu besprechen.
Er fand Mux allein in dem Comptoir und ging freundlich auf ihn zu, um ihn zu begrüßen; der kleine Mann zog sich aber scheu zurück und fuhr mit der Erklärung, daß er den Herrn Notar augenblicklich rufen wolle, aus dem Zimmer, so daß ihm Hans kopfschüttelnd nachsah. Was hatte nur der wunderliche Mensch!
Unmittelbar danach kam der Notar, und was sie Geschäftliches mit einander abzumachen hatten, war bald erledigt und betraf hauptsächlich das amerikanische Consulat. An dieses hatte sich Hans nämlich selber gewandt, damit die hiesigen Behörden, von deren Weitläufigkeit und Langsamkeit er schon einige Proben gehabt, der Frau nicht zu viele Schwierigkeiten in den Weg legten, um ihr Eigenthum wieder zu erlangen. Er erzählte Püster dann, wie er den Gefangenen gefunden, und erfuhr von ihm, daß die Staatsanwaltschaft schon die Sache in die Hand genommen und der Staatsanwalt mit ihm conferirt habe, um all' die einzelnen Daten zu bekommen. Vor der Hand ließ sich allerdings nichts weiter thun, als die nothwendigen Erkundigungen an den verschiedenen Plätzen der verbrecherischen Thätigkeit dieses Menschen einzuziehen, und ein erstes Verhör mußte dann, bis Antwort hierauf eingetroffen und der Verwundete wenigstens in etwas hergestellt war, verschoben bleiben.
»Jetzt noch eine Bitte, lieber Herr Notar,« sagte Hans, als er alles das beendet und wie mit einem Entschlusse ringend für kurze Zeit in dem Comptoir hin und her gegangen war – »doch vorher noch eine Frage …«
»Womit kann ich Ihnen dienen?«
»Was haben Sie da eigentlich für einen komischen kleinen Menschen in Ihrem Comptoir?«
»In meinem Comptoir?«
»Ihren Herrn Mux – er hat auch gleich einen so wunderlichen Namen …«
»Aber inwiefern komisch?«
»Ich habe den kleinen Mann jetzt,« fuhr Hans fort, »seit längerer Zeit beobachtet und dabei die merkwürdige Entdeckung gemacht, daß er mit allen Leuten auf das Unbefangenste verkehrt, aber mir oder meinem Vater gegenüber eine ganz eigenthümliche Scheu, ja, Furcht zeigt, und doch hat keiner von uns Beiden ihm je ein hartes Wort gesagt oder ihn auch nur durch einen Blick gekränkt.«
»Haben Sie das in der That bemerkt, Herr Baron?« fragte Püster leise und wie nachdenkend.
»Allerdings, und besonders auffällig bei meinem Vater. Dort bei uns stand er im Entrée, und die hellen Thränen liefen ihm an den Wangen nieder; und jetzt, als mein Vater hier war und dort drüben saß und Mux an seinem kleinen Pulte stand, verwandte er fast kein Auge von ihm und warf nur manchmal flüchtige Blicke nach den Parteien hinüber. Als wir ihm dann die Hand gaben, zitterte er heftig und wieder traten ihm Thränen in die Augen, und jetzt ist er gar fortgelaufen, wie ich kam. Es sollte mir recht von Herzen leid thun, wenn ich ihn durch irgend etwas gekränkt hätte, und wissentlich ist es auch sicher nicht geschehen.«
Notar Püster sah nachdenkend eine Weile vor sich nieder; endlich sagte er ruhig: »Herr von Solberg, es ist eine eigenthümliche Thatsache, daß ich die Antwort auf die Frage, welche Sie in diesem Moment an mich richten, schon für Sie schriftlich in meinem Pult liegen habe.«
»Das ist undenkbar!« rief Hans erstaunt aus.
»Und trotzdem wahr,« sagte der Notar; »ich bin nur die ganze Zeit noch nicht mit mir selber einig gewesen, ob ich ein Geheimniß, das mir Jemand anvertraut hat, einem Dritten mittheilen darf.«
»Ein Geheimniß? Aber wie kann ein Geheimniß zwischen mir und Ihrem kleinen Schreiber bestehen? Ich habe ihn früher im Leben nie gesehen!«
»Und doch besteht es,« sagte Püster, langsam mit dem Kopfe nickend, »und manch Geheimniß so in der weiten Welt, und unter den hohen wie unter den niederen Ständen, das glatt genug an der Außenseite ist, um es gar nicht zu bemerken, im Innern aber Jammer und Elend, heiße Thränen und gebrochene Herzen birgt.«
»Sie spannen meine Neugierde auf das Aeußerste!« rief Hans.
»Die Neugierde hat nichts damit zu thun,« sagte der alte Mann ernst, »aber ich habe Vertrauen zu Ihnen gefaßt, Herr von Solberg – Ihrem Herrn Vater würde ich nie den Schleier gelüftet haben, denn gedemüthigt soll der arme, kleine, unglückliche Mensch nicht werden, der so schon, wenn auch vollkommen schuldlos, viel ertragen hat. Da, lesen Sie, aber geben Sie mir vorher Ihr Ehrenwort, Mux nie an Ihren Vater zu verrathen.«
»Gewiß nicht«, rief Hans und überflog schon das Blatt mit den Augen; aber seine Züge nahmen rasch den Ausdruck des Erstaunens an. »Es ist nicht möglich,« rief er leise vor sich hin – »kann denn das sein? Mux – armer, kleiner, verstoßener Mux!«
Der Notar stand daneben und nickte nur immer leise mit dem Kopfe, und Hans, ganz verwirrt, nachdem er die Zeilen erst flüchtig und dann noch einmal aufmerksamer überlesen, sagte bewegt:
»Herr Notar, ist das Wahrheit, was dieses Blatt enthält?«
»Ich weiß es aus des jungen Mannes eigenem Munde, der außer sich war, als er das Haus Ihres – seines Vaters zum ersten Mal betreten sollte.«
»Und mein Vater weiß nichts von ihm?«
»Die Frage ist schwieriger zu beantworten. Er kennt ihn keinenfalls, aber er hat auch mit der letzten Zahlung an die Mutter die bestimmte Erklärung abgegeben, daß dies sein letzter Zuschuß sein solle, und die Gerichte können ihn allerdings nicht zu Weiterem zwingen. Er hat gethan, was ihm das Gesetz vorschreibt, und eigentlich noch etwas mehr, also könnte von einem weiteren Zwang nicht die Rede sein. In seiner Erklärung verwahrte er sich aber außerdem ganz entschieden gegen jede fernere Forderung, und er ist auch nie mehr belästigt worden. Die Mutter war anfangs so krank, daß das Kind außer dem Hause genährt werden mußte, und dort verwahrlost, kam es zu Schaden und wurde ein Krüppel. Später nahm sie es wieder zu sich, aber Gram und Noth nagten doch an ihrem Leben. Sie starb, sechsunddreißig Jahre alt, vor noch nicht langer Zeit, und Mux mit keinen Mitteln, die Schule länger zu besuchen, war schon vor drei Jahren als Schreiber bei mir eingetreten.«
Hans hatte den Brief auf den Tisch geworfen, den Püster aber wieder an sich nahm und einsteckte, und ging mit raschen Schritten in dem kleinen Gemach auf und ab. Endlich blieb er vor dem Notar stehen und sagte mit wohl ruhiger, aber doch noch immer bewegter Stimme: »Wissen Sie wohl, mein lieber Herr Notar, daß ich, so lange ich mich jetzt wieder in der Heimath befinde, unter den »hohen Ständen«, wie Sie so freundlich waren, sie vorhin zu nennen, verwünscht wenig Gutes, aber eine Masse von recht traurigen Handlungen gefunden habe?«
»Ich gebe zu, daß ich darin Unglück hatte,« sagte Hans mit dem Kopfe nickend, »und gleich von Anfang an in die unrechte Bekanntschaft gerieth. Ich kenne ja auch zahlreiche ehrenwerthe Männer in diesem Stande und rechne zu denen auch mit gutem Gewissen meinen eigenen Vater; das alte Vorurtheil, aus besserem Thon geknetet zu sein, steckt vielen der Herren doch noch in den Adern. Was in der bürgerlichen Gesellschaft als eine Frevelthat gebrandmarkt werden müßte, gilt den Herren als eine »noble Passion«, mit der sie sich über sonstige Scrupel hinwegsetzen, und ich fange doch an zu fühlen, daß ich nicht recht mehr in diese Sphäre passe. Sonderbar, daß das Ehrgefühl da nach einer Seite so scharf ausgebildet wird, daß ein Schlag, ein Schimpfwort im Stande ist, einen Mann, der es nicht von sich abwälzt, für sein ganzes Leben ehrlos zu machen, während daneben gebrochene Schwüre, also gemeiner Meineid, nur daß er nicht vor Gericht abgegeben wurde, zu den Alltäglichkeiten gehören, nur weil die Standesgenossen dies ignoriren.«
»Mein lieber Herr Baron,« sagte Püster achselzuckend, »das Capitel ist schon über und über verhandelt, aber dadurch nicht besser geworden, und daran ändern wir nun einmal nichts, wenigstens nicht mit einem Schlage. Das muß die neue Zeit allmälig, aber gründlich verreiben und unschädlich machen; aber lassen Sie sich nichts merken,« unterbrach er sich rasch, »da kommt Mux, wir besprechen das einmal später.«
»Nichts merken?« rief Hans, während die Thür sich öffnete und Mux, ein Packet Briefe in der Hand, hereintrat, »nein, Herr Notar, kein Geheimniß da mehr zwischen uns, das mir, da ich es nun einmal kenne, doch nur auf der Seele brennen würde!«
Mux hatte die Briefe auf das Pult des Notars gelegt und wollte sich eben wieder zurückziehen, als Hans auf ihn zusprang und ihm die Hand entgegenstreckte.
»Mux!« rief er, mit vor Rührung fast erstickter Stimme, »Bruder Mux, gieb mir Deine Hand und laß uns Freunde sein!«
»Herr Baron!« rief Mux und wurde, indem er zurückprallte, todtenbleich.
»Herr Baron? Nicht mehr so,« rief Hans bewegt. »Der Notar hat mir alles erzählt, und recht von Herzen dank' ich ihm dafür; aber Du und Du sind wir auch fortan, und da ich Dir nie im Leben etwas zu Leide gethan, Bruder Mux, so darfst Du es mir auch nicht abschlagen, wenn ich Dich darum bitte.«
Der kleine Mann, dessen Hand Hans ergriffen hatte, stand vor ihm, am ganzen Körper zitternd; er vermochte kein Wort über die Lippen zu bringen. Sollte er dem Notar zürnen, daß er sein Geheimniß verrathen, sollte er laut aufjubeln, daß er eine Hand in der seinen hielt, die es treu und brüderlich mit ihm meinte? Die Gedanken schwirrten ihm nur so durch den Kopf, und nur das ernste dunkle Auge hob er zu Hans empor und begegnete für wenige Sekunden wie scheu und furchtsam dessen Blick. Dann aber zog ein lichtes Lächeln über seine Züge, und mit seiner weichen, melodischen Stimme sagte er, den Druck von des Bruders Hand erwidernd:
»Ich danke Dir, Bruder Hans, ich danke Dir recht aus meiner innersten Seele heraus, denn mit Deinem freundlichen Worte hast Du mir wieder Lust und Vertrauen zum Leben gegeben. Ich stand gar so einsam und verlassen in der Welt.«
»Armer Bruder!«
»Aber laß es damit auch genug sein,« fuhr Mux leise fort. »Wenn Dir der Herr Notar alles erzählt hat, so weißt Du auch, wie Dein Vater gegen mich gesinnt ist.«
»Aber er kennt Dich gar nicht.«
»Und glaubst Du,« sagte Mux bitter, »daß meine Persönlichkeit ihn günstiger für mich stimmen würde? Nein! Und ich selber würde mich nur wieder gedrückt und elend dadurch fühlen. Nein, versprich mir, ihm nie ein Wort über mich oder meine Existenz zu sagen. Sieh, ich bin ja auch jetzt glücklich genug, ich habe einen Bruder gefunden, der sich meiner nicht schämt, und ich halte mich in diesem Augenblick für reich, überreich!«
»Mein armer, guter Mux,« sagte Hans bewegt, »aber ich verspreche es Dir, und wäre der Letzte, der Dir wehe thun möchte. Es sei, wie Du es selber willst, bis wir uns später vielleicht einmal darüber verständigen.«
»Und was für eine Bitte hatten Sie an mich, Herr von Solberg?« sagte Püster, der ein stiller, aber deshalb nicht minder theilnehmender Zeuge des Ganzen gewesen war, »Sie sprachen vorhin davon.«
»Ja,« sagte Hans rasch, indem er des Bruders Hand ließ, »und Bruder Mux kann mir sogar darin helfen, denn was ich eben erfahren, muß mich nur in dem einmal gefaßten Entschluß bestärken. Ich habe nämlich, als ich vorhin zu Hause war, einen Brief von Lima vorgefunden, der meine Rückkehr nach Peru vielleicht noch im Laufe dieses Jahres bedingt, wenn ich auch gar nicht daran denke, mich dort für immer nieder zu lassen. Nur ein paar Jahre werde ich drüben noch aushalten müssen, und ehe ich die Reise dorthin wieder antrete, bleibt mir dann allerdings hier noch etwas sehr Wichtiges, was erledigt werden muß, nämlich nichts Geringeres, als mich zu verheirathen.«
»Und darin soll ich Ihnen helfen?« lächelte der Notar.
»Ja,« sagte Hans. – »Aber hören Sie. Ein Hauptgrund, weshalb ich nach Europa kam, war, mir eine Frau zu suchen. Die peruanischen Damen sind allerdings sehr hübsch, aber trotzdem nicht nach meinem Geschmack. Natürlich sah ich mich nun hier in unseren Kreisen nach einer passenden Lebensgefährtin um, habe da aber auch nur wenig erbauliche Erfahrungen gemacht. Es mag sein, daß mein böser, oder vielleicht mein guter Stern mich lauter solche Bekanntschaften machen ließ, die zu keinem Ziele führten, aber ganz im Verborgenen fand ich dabei ein Blümchen, das ich schon als unaufgeblühte Knospe gekannt – mit einem Wort, Käthchen da drüben – die kleine Näherin.«
»Käthchen?« rief Mux erstaunt aus, und der Notar schüttelte dazu den Kopf.
»Mein lieber Herr von Solberg,« sagte er, »das ist sehr hübsch von Ihnen, daß Sie sich über alle Standesvorurtheile hinwegsetzen wollten, und eine bravere Frau fänden Sie auch vielleicht nicht auf der Erde, aber …«
»Aber?«
»Sie kennen Ihren Herrn Vater vielleicht durch Ihre lange Abwesenheit von hier nicht so genau als ich; er ist entsetzlich adelsstolz.«
»Und hat alle Ursache dazu,« lachte Hans bitter. »Jener nachgemachte Graf Rauten, Herr von Schaller sind ebenfalls Adelige, und glauben Sie etwa, daß zum Beispiel eins jener hochadeligen Fräuleins von Klingenbruch oder Fräulein von Noltje, oder wie sie alle heißen, eine wackere Hausfrau geben würden?«
»Die Genannten vielleicht nicht, aber es giebt doch gewiß unter ihnen viele brave, wackere junge Damen.«
»Gewiß, aber wo sie finden? Und weshalb sie suchen, wenn ich alles, was ich brauche, in dem einen kleinen Käthchen habe? Wir sind zusammen aufgewachsen und haben – ich war ja selber noch ein Kind – als Kinder zusammen gespielt. Ich weiß außerdem, Käthchen hat mich lieb.«
»Aber was wird die Stadt dazu sagen?«
Hans lachte laut auf. – »Mein lieber Herr Notar,« sagte er, »die Stadt hat in diesem Augenblick so fabelhaft reichhaltigen Stoff zu ihren Unterhaltungen, und meine Familie spielt dabei gewiß eine so hervorragende Rolle, daß es auf ein bischen mehr oder weniger dabei nicht ankäme. Aber,« fügte er mit einem bittern Zug um die Lippen hinzu, »glauben Sie, daß mich das auch nur für einen Moment von einem beschlossenen Schritt abhalten könnte? Was haben sie über meinen armen Dürrbeck gesprochen, der nichts als seinem Gefühl für Pflicht und Ehre zum Opfer fiel! Sie werden auch über mich reden, ich aber glücklich sein! Was kümmert mich das Andere, kümmert mich die Stadt?«
»Und haben Sie schon mit Fräulein Peters gesprochen?« fragte der Notar.
»Mit Käthchen? Nein,« rief Hans, »und das ist ja eben das Unglück, daß ich keine Gelegenheit dazu bekommen kann und sie jetzt selber herbeiführen muß, wenn ich nicht meine ganze Zeit vergeuden will! Ich habe sie allerdings ein einziges Mal in ihrer Wohnung aufgesucht, und zwar als ich sie zum ersten Mal wieder sah, mußte ihr dann aber das feste Versprechen geben, es nie wieder zu thun, und natürlich mein Wort halten. Nun hatte ich die Absicht, Fränzchen mit in das Geheimniß zu ziehen und sie heute in deren Gesellschaft zu besuchen, aber wie die Sachen jetzt zu Hause stehen, ist das unmöglich, und ich weiß mir keinen andern Rath, als bei Ihnen Hülfe zu suchen.«
»Soll ich den Freiwerber für Sie machen, Herr Baron?« lächelte Püster, »das würde sich doch wohl nicht schicken.«
»Nein, das will und muß ich selber thun,« sagte Hans, »aber ich darf nicht hinüber und weiß auch Käthchen nirgends anders zu treffen, wo ich ungestört ein paar Worte mit ihr sprechen könnte, und da wollte ich Sie bitten, lieber Notar, sie hier zu sich unter irgend einem Vorwande herüberrufen zu lassen.«
»Hm,« lächelte Püster leise vor sich hin, »also ein zärtliches Rendezvous zwischen den alten staubigen Actenstößen und Dintenfässern. Wäre allerdings noch nicht dagewesen; ein solcher Vorschlag ist wohl noch keinem Notar in Rhodenburg gemacht worden.«
»Und ich hole sie,« rief Mux, seinen kleinen Hut vom Nagel reißend, »ich weiß schon eine Ausrede – und wie glücklich wird das arme Käthchen dann werden!«
»Höre, Mux,« rief der Notar, also überrascht, »die Sache muß doch noch überlegt werden.« – Aber Mux war schon zur Thür hinaus und unten auf der Straße, und Hans sprang in das Eckfenster, wo er, die Gardinen ein wenig zurückschiebend, ihm lachend nachsah.
»Guter, kleiner Mux,« rief er, als er wieder in das Zimmer zurücktrat, »wenn ich nur wüßte, was ich für ihn thun könnte, um ihn in etwas für das ausgestandene Leid zu entschädigen!«
»Wenn Sie das wollten,« sagte Püster freundlich, »dazu hätten Sie allerdings Gelegenheit.«
»Und welche? Bitte, nennen Sie es!«
»Mux,« sagte Püster, »hat und kennt nur eine Sehnsucht: die, zu studiren, wozu ihm aber bis jetzt freilich die Mittel, keineswegs aber die Kenntnisse fehlen. Er sucht keine Zerstreuung, keine Erholung, sondern verbringt jeden Abend bei seiner Lampe mit seinen Büchern.«
»Und was will er studiren?«
»Die Rechtswissenschaft,« nickte Püster, »und ich zweifle keinen Augenblick, daß er mit seinem Eifer und Fleiß, wie scharfem, natürlichem Verstand ein ganz ausgezeichneter Advocat werden könnte.«
»Und das, glauben Sie, könnte ihn glücklich machen?«
»Selig! Denn er wäre dadurch im Stande, sich eine selbstständige und ehrenvolle Stellung zu erringen, und weiter kennt er ja keine Sehnsucht, keinen Ehrgeiz.«
»Gut,« sagte Hans, und ein frohes Lächeln legte sich über seine Züge, »wenn mein kleiner Bruder Mux so entsetzlich bescheidene Wünsche hat, dann ist ihm zu helfen; aber das besprechen wir später, lieber Notar, und reguliren das alles, ehe ich Rhodenburg verlasse. Jetzt naht für mich die Entscheidung. Bei Gott,« fuhr er fort, »da kommt er schon mit Käthchen an! – Hören Sie, mir fängt doch jetzt das Herz ein wenig an zu schlagen, und ich möchte ihr nicht eigentlich sogleich entgegentreten. Das Ganze kam mir wirklich ein bischen zu rasch. Mux war ja auch wie ein Wetter fort.«
»Er freut sich über das Glück des jungen Mädchens.«
»Aber wenn er ihr nur keine Andeutung unterwegs macht, sonst kehrt sie auf der Stelle um.«
»Der nicht,« sagte Püster, mit dem Kopfe schüttelnd; »so jung er noch ist, so fest kann man sich auf ihn verlassen. Aber da sind sie schon auf der Treppe. So treten Sie denn einen Augenblick in das Eckfenster da hinein, Herr Baron, und lassen Sie den Vorhang herunter – so – der alte Vorhang fängt an, eine gewisse historische Berühmtheit zu erlangen – da ist sie schon.«
Zu gleicher Zeit öffnete sich die Thür, und Mux, der hereintrat, sagte: »Fräulein Peters, Herr Notar. Sie haben doch jetzt Zeit?«
»Laß sie nur hereinkommen. Guten Tag, mein liebes Kind!«
»Herr Notar, Sie hatten gewünscht …«
»Haben Sie jetzt viel zu thun und könnten Sie vielleicht ohne Weiteres eine größere Arbeit übernehmen?« sagte der alte Mann und sah das junge Mädchen forschend an.
»Heute bin ich allerdings sehr beschäftigt, denn ich muß bis sieben Uhr Abends noch ein Kleid für die heutige Gesellschaft im Solberg'schen Hause fertig machen.«
»Die ist abbestellt, mein Kind,« sagte der Notar. »Haben Sie gar nichts von den Vorgängen gehört?«
»Nichts,« sagte das junge Mädchen, mit dem Kopfe schüttelnd: »ich bin nicht von meiner Maschine aufgestanden, aber mit dem heutigen Tage hoffe ich sie auch verdient und keine Schulden mehr zu haben. Aber was ist im Solberg'schen Hause vorgegangen?« setzte sie rasch hinzu, »doch kein Unglück? Großer Gott, der junge Baron sprengte hier gestern auf einem so wilden Pferd vorüber!«
»Man hat den Grafen Rauten als einen Verbrecher verhaftet.«
»Ha!« rief Käthchen aus, und ihre Augen blitzten; »ich habe es gewußt, daß es ein böser und schlechter Mensch sei, aber sie wollten es mir nicht glauben,« setzte sie leise und kaum hörbar hinzu und seufzte recht aus tiefer Brust.
»Sie kannten den Grafen Rauten?« fragte Püster, sie aufmerksam betrachtend.
»Ich habe ihn nur dort gesehen,« erwiderte Käthchen; aber das Gespräch schien ihr nicht angenehm, und kurz abbrechend, fragte sie: »Doch was war es, Herr Notar, wegen dessen Sie mich rufen ließen? Ich muß meine Arbeit trotzdem zur bestimmten Zeit fertig haben, wenn sie auch heute nicht gebraucht wird, denn ich halte immer Wort.«
»Ja, liebes Kind,« sagte der alte Mann, in diesem Augenblick wirklich halb verlegen, denn er hatte noch gar keine Zeit bekommen, sich zu überlegen, welchen Vorwand er gebrauchen wolle. »Ich, ich hatte eine Arbeit für Sie.«
»Und was ist es, Herr Notar?«
»Hm,« schmunzelte Püster, und ein eigener Gedanke zuckte ihm durch's Hirn, »etwas, worauf Sie wohl nicht fallen würden, und wenn Sie ein ganzes Jahr danach riethen.«
»Ist es so außergewöhnlich?« sagte Käthchen lächelnd.
»Außergewöhnlich? Nein, das gerade nicht; es fällt eigentlich alle Tage vor, aber doch nur selten bei alten Junggesellen, wie ich einer bin, liebes Fräulein.«
»Da bin ich aber doch wirklich neugierig,« lächelte Käthchen.
»Also kurz heraus,« rief Püster – »ein Brautkleid!«
»Ein Brautkleid?« sagte das junge Mädchen erstaunt, und ein reizendes Lächeln funkelte in ihren blauen Augen. – Und für wen?«
»Für Dich, Käthchen!« rief da Hans, der sich jetzt nicht länger halten konnte, aus dem Vorhang herausbrach und auf das junge Mädchen zusprang. »Für Dich, Kind, wenn Du mich nur halb so lieb hast, wie ich Dich habe, und unsere Jugendzeit noch nicht vergessen hast!«
»Herr von Solberg!« rief Käthchen in einem Todesschreck, während alles Blut aus ihren Wangen floh. – »Oh, Du mein Gott, wie Sie mich erschreckt haben!«
Mux war schon aus der Thür, und Püster folgte ihm eben so geräuschlos. Käthchen aber bemerkte es gar nicht, der Kopf schwindelte ihr und sie mußte sich an dem nächsten Stuhl festhalten.
»Käthchen,« rief Hans und schlang seinen Arm um sie, ohne daß sie für den Moment im Stande gewesen wäre, sich davon los zu machen, »sieh mir in's Auge, Kind, fest und ehrlich, wie ich Deinem Blick begegne, und sage mir, ob Du mein Weib, mein liebes, braves Weib sein willst für alle Zeit!«
»Herr von Solberg,« bat Käthchen unter Thränen, »oh, das ist grausam von Ihnen, recht grausam – solchen Scherz …«
»Scherz, Käthchen?« rief Hans, »wo mir das Herz zerspringen möchte vor Seligkeit! Sieh mich an, Kind, und sage dann selber, ob ich scherze. Sieh, ich muß Deutschland vielleicht bald wieder verlassen und zurück in jenes ferne Land kehren, in dem ich für jetzt noch einen Schauplatz für meine Thätigkeit gefunden; aber nicht allein will ich ziehen, Du, mein Schwesterchen aus früherer Zeit, sollst mich als mein liebes, trautes Weib begleiten. Willst Du es thun, Käthchen? Hast Du mich lieb genug, um mir in die Welt hinaus zu folgen?«
Käthchen warf scheu den Blick umher. Wo war denn der Notar geblieben, wo Mux, der sie herüber gerufen? Sie waren allein, und es zog ihr das Herz zusammen, daß sie gar kein Wort über die Lippen brachte.
»Bist Du mir böse, Käthchen?« fragte Hans leise, ohne sie aber loszulassen. »Bist Du mir böse, daß ich Dich hier herübergelockt? Aber, Herz, ich hatte Dir ja versprechen müssen, Dich da drüben in Deinem Zimmerchen nie wieder aufzusuchen, und wo hätte ich Dich sprechen, wo Dich fragen sollen?«
»Oh, der böse Mux!« sagte Käthchen beinahe unhörbar und war jetzt blutroth geworden.
»Und er hat es so gut mit uns gemeint! Willst Du mein sein, Käthchen! Sage Ja, Herz, und es soll Dich nie im Leben gereuen.«
»Ach, Herr von Solberg,« sagte das arme Kind, »wie kann ich – wie kann ich denn? Ihre eigenen Eltern haben mich ja von sich gestoßen, und soll ich Haß und Unfrieden in Ihre eigene Heimath bringen?«
»Und traust Du mir zu, Käthchen, daß ich dazu die Veranlassung gäbe?« rief Hans bewegt »Sage mir nur erst, Mädchen, ob Du mir wirklich gut bist?«
Da hielt sich Käthchen auch nicht länger, und mit leiser Stimme hauchte sie, indem sie ihr Haupt auf die Brust neigte: »Oh, recht von Herzen, recht von Herzen bin ich's!«
»Mein Käthchen, mein liebes, liebes Käthchen!« rief Hans, sie fest und innig an sich drückend. »Aber jetzt hat auch Deine Sorge ein Ende, Schatz!« rief er, unter Thränen lachend. »Du darfst Dir nicht mehr die Augen bei spätem Lampenlicht verderben, und nur das Eine, wozu Dich mein alter Freund Püster herübergerufen, sollst Du noch – Dein eigenes Brautkleid machen! Und nun muß ich ihn auch wieder hereinrufen – ihn und Mux –, damit sie Zeugen unseres Glückes sein können.«
Der alte Mann freute sich selber über das Glück des jungen, braven Mädchens, und Mux stand dabei, die Augen voller Thränen, und streichelte dem Käthchen, das er selber stets so gern gehabt, still und herzlich die Hand.
Hans erzählte jetzt, daß das auf heute Abend angesetzte große Fest natürlich ausfallen müsse, denn Fränzchen habe die furchtbare Nachricht zu rasch und unvorbereitet getroffen. Aber der Bube war es nicht werth, daß man seinetwegen wirklich trauerte – ja, im Gegentheil mußte man der Stadt zeigen, daß man es für ein Glück halte, der Gefahr entronnen zu sein, ihm die einzige Tochter zu opfern. Nun war aber morgen der Eltern Hochzeitstag, der eigentlich regelmäßig jedes Jahr gefeiert wurde, und noch heut Abend sollten, wenn er seine Eltern dazu bewegen konnte, die auf morgen umgeschriebenen Einladungen an die verschiedenen Gäste ausgegeben werden.
»Aber geht das schon?« sagte Käthchen schüchtern – »morgen? Und heute ist erst der Brautstand gelöst …«
»Meine Mutter,« lächelte Hans, »hat es sich nun einmal in den Kopf gesetzt, ihre Kinder an dem nämlichen Tage unter die Haube zu bringen, an dem sie selber darunter gebracht wurde, und da nun Fränzchen sie im Stich gelassen hat, möchte ich ihr den Willen thun.«
»Herr von Solberg!« rief Käthchen erschrocken.
»Herr Notar,« rief Hans, »ich bitte zu Protokoll zu nehmen, daß mich meine Braut heut Morgen noch »Sie« und »Herr von« genannt hat, und daß ich sie dafür gestraft habe!« – und ehe das tief erröthende Mädchen nur ahnte, was er beabsichtigte, hatte er sie beim Kopfe gefaßt und küßte sie herzhaft ab.
»So,« sagte er dann, »das wirst Du Dir hoffentlich merken, aber meinetwegen kannst Du's gleich noch einmal thun.«
»Aber Sie denken doch nicht daran,« sagte jetzt auch Püster, »morgen schon die Verbindung mit Ihrer Braut zu schließen? Es wäre rein unmöglich, bis dahin alle die zahlreichen Formen durchzumachen, die in unserem Vaterland nun einmal für einen doch immerhin so wichtigen Schritt verlangt werden.«
»Nein,« erwiderte Hans, »ich weiß, daß das unmöglich wäre, und mit einer solchen Hast möchte ich es auch Käthchen's selber wegen nicht betreiben; aber unsere Verlobung wollen wir an dem Tage feiern und der Stadt damit verkünden.«
»Morgen?« rief Käthchen erschreckt, »und in – in Deiner Eltern Hause?«
»Dafür mußt Du wieder einen Kuß haben, Schatz, für das erste Du,« rief Hans mit glücklich strahlenden Augen – »und Du brauchst Dich hier nicht zu genieren, Lieb,« setzte er herzlich hinzu. »Der alte wackere Herr Notar meint es so gut und treu mit uns wie ein Vater, und mit Mux bin ich außerdem auf Du und Du.«
»Mit Herrn Mux?« rief Käthchen erstaunt.
»Ja,« lachte Hans, indem er dem kleinen Manne treuherzig die Hand hinüberreichte; »das ist aber eine lange Geschichte, die ich Dir einmal später erzähle. Nicht wahr, Mux, wir sind Du und Du.«
»Ja, Hans,« sagte der kleine Mann, und seine Augen blitzten wie ein paar Diamanten – »und ich bin recht glücklich darüber.«
»Also, Käthchen, morgen Abend hol' ich Dich ab und stelle Dich der Gesellschaft als meine Braut vor …«
»Um Gottes willen, Hans,« rief Käthchen erschreckt – »ehe ich Deine Eltern wieder gesprochen? Denke Dir nur, ich habe ja für mehrere Damen selbst für dieses Fest gearbeitet, und willst Du, daß sie mich über die Achsel ansehen und sagen: das ist meine Näherin, die sich Herr von Solberg zu seiner Frau auserlesen!?«
»Nein, Käthchen hat Recht, Herr von Solberg,« sagte auch jetzt Notar Püster; »das geht nicht gut an und würde Sie Beide nur in Verlegenheit bringen.«
»Und was sagst Du, Mux?« fragte Hans jetzt lächelnd den Bruder.
»Ich weiß es nicht,« erwiderte der junge Mann; »nach unseren Standesbegriffen hier glaube ich selber, daß Du damit anstoßen würdest.«
»Da hast Du das rechte Wort getroffen, Mux, nach unseren Standesbegriffen, nach denen auch Arbeit schändet. Schallers wurden noch überall eingeladen, obgleich man schon aller Orten wußte, daß sie dem armen, ehrlichen Handwerker nicht einmal seine saure Arbeit und seine Auslagen bezahlen konnten, und Käthchen, die sich, in die Welt hinausgestoßen, heldenmüthig und brav ihr Brod verdient und keinem Menschen einen Pfennig schuldig ist – nicht wahr, Käthchen? – sehen Sie, also die soll es nicht wagen dürfen, als meine Braut in meiner Eltern Hause zu erscheinen! – Vor wem brauchst Du die Augen niederzuschlagen, Mädchen? Vor keiner Fürstin der Welt – und glaubst Du, daß ich mich Deiner schäme, weil Du gearbeitet hast? Ei, Herz, das habe ich selber gethan, Holz gehackt und Tagelöhnerarbeit verrichtet, und bin darum nicht allein nicht schlechter geworden, nein, ich habe auch ein gutes, freies Gewissen behalten und frohen Muth, einer ganzen Welt die Stirn zu bieten! Wie Du den Saal betrittst, bist Du nicht mehr die arme Näherin Katharina Peters, sondern die Baronesse Solberg – und fürchtest Du Dich, an meinem Arm Dich da zu zeigen?«
»Nein, Hans, nein!« rief das junge Mädchen, jetzt selber in ihrer Aufregung erglühend. »Du hast Recht, ich war nur ein thörichtes Kind, und wenn Du mich zu Dir hinaufziehst, will ich mich auch Deiner würdig zeigen!«
»Das war wie mein altes Käthchen gesprochen,« rief Hans jubelnd, »und nun, mein Herz, mach' Deinen Ballstaat zurecht – aber, alle Wetter,« setzte er verlegen hinzu, »den wirst Du Dir erst schaffen müssen …«
»Nein, Hans,« sagte Käthchen lächelnd, »ich habe noch ein Kleid, das ich als letztes Geschenk Deiner Mutter mit mir genommen, aber nie Gelegenheit bekam, es zu tragen. Das bedarf nur einer kleinen Nachhülfe, und es geht. Sorge Dich nicht um mich; einfach allerdings muß ich und werde ich mich kleiden, aber Dir auch keine Schande machen. – Doch nun muß ich fort,« brach sie ab; »ich habe noch Arbeit übernommen und fest versprochen, und werde jetzt wahrlich mein Wort nicht brechen. Nicht wahr, das darf ich nicht?«
»Nein, mein Herz,« sagte Hans, ihre Stirn küssend, »nie im Leben. So erfülle denn jetzt Deine noch übernommenen Verpflichtungen, aber nimm Dir Hülfe, daß Du rascher damit fertig wirst.«
Käthchen schüttelte mit dem Kopfe. »Auch das geht nicht,« sagte sie; »ich bin dem Herrn Notar hier nur noch eine Kleinigkeit für die Nähmaschine schuldig, und damit zahl' ich sie ab.«
»Aber, Käthchen!«
»Willst Du mir die Freude nicht lassen, die Maschine zum Andenken und mit dem Bewußtsein zu behalten, sie mir ganz und vollkommen von meiner Hände Arbeit angeschafft zu haben? Wenn aber nur ein Groschen daran fehlte und von fremder Hand zugelegt wäre, würde es ja ewig ein Vorwurf für mich bleiben.«
»Dann geh, Herz,« sagte Hans, »und hab' Deinen Willen; aber morgen Abend hol' ich Dich ab. Darf ich jetzt?«
»Du darfst, Hans,« sagte Käthchen, aber mit einem so lieben Blick und Ausdruck, daß selbst dem alten Notar die Thränen in die Augen kamen. Was Wunder denn, daß Hans sie an sich zog und küßte!
»Du hast mich heute recht glücklich gemacht, Hans,« sagte das junge Mädchen leise, »Gott lohne es Dir – und meine ewige Liebe.« – Und wie ein Reh huschte sie hinaus aus der Thür und über die Straße hinüber in ihr Kämmerchen hinauf.