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9.
Tante Mäusebrod


Als die beiden jungen Fräulein von Klingenbruch in ihre Wohnung hinauf kamen, fanden sie einen Zettel von der Tante vor, worin diese sie bat, einen Augenblick zu ihr hinüber zu kommen, da sie etwas für sie habe, das sie ihnen geben möchte.

Die Tante ein Geschenk? Das kam sehr selten vor, und die jungen Damen, so wenig sie sich sonst aus einem Besuche bei ihr machten, waren doch neugierig geworden, außerdem ja auch gerade angezogen, und beschlossen deshalb, der Aufforderung ohne Weiteres Folge zu leisten.

Das Haus der Tante lag an der Promenade, nicht sehr weit entfernt und dicht an dem sogenannten Park, einer aber nur wenig besuchten, wenn auch sehr hübschen Anlage. Eine Seite desselben blieb nämlich verschlossen, um den geschäftlichen Verkehr daraus fern zu halten, und dadurch konnte er natürlich nur von den Leuten benutzt werden, die seine schattigen Spaziergänge direct aufsuchten.

Das Haus selber war ein sehr altes Gebäude, und wenn auch im Innern wohl freundlich eingerichtet, zeigte es nach außen düstere, verwitterte Mauern, die sehnsüchtig darauf zu warten schien, wieder einmal abgeputzt und frisch gemalt zu werden. Davon wollte die Eigenthümerin aber nichts hören. Sie meinte, und darin hatte sie zum Theil Recht, daß sie selten genug hinaus käme, um ihr Haus von außen anzusehen, und wenn es den Leuten auf der Promenade nicht gefiele und einen unangenehmen Eindruck für diese gegen die Nachbarhäuser mache, so sollten die es eben anmalen lassen, sie hätte nichts dagegen. Dabei blieb es denn auch, da sich die Stadt nicht veranlaßt sah, der freundlichen Aufforderung Folge zu leisten.

Die Tante saß oben in ihrem Zimmer und strickte an einem wollenen Unterrocke für die Heidenmission; es war das fast ihre einzige Beschäftigung, der sie sich den Tag über hingab. Abends las sie dann, aber auch nur meist religiöse Schriften, und ehe sie zu Bette ging, noch ein Capitel aus der Bibel. Daß sie die warmen wollenen Sachen, die sie das Jahr über wegschenkte, um damit die Kaufläden der Missionäre in fremden Welttheilen zu füllen, viel besser und nützlicher hätte hier mancher unglücklichen Familie schenken können, die im Winter gegen die grimmige Kälte rang und sich und die Kinder nicht erwärmen konnte, ging sie nichts an. Sie strickte sich hierdurch einen ihr im Himmel versprochenen Sitz; für die Unglücklichen in der Heimath gab es Armenhäuser, und wer zu stolz war, da hinein zu gehen, ei, der mochte eben selber sehen, wie er durchkam.

Sie saß bei ihrer Arbeit wie gewöhnlich in ihrem alten, lederbezogenen Lehnstuhl, von dem sie nicht lassen wollte, obgleich ihr die Nichten schon mehrmals angeboten hatten, einen neuen Ueberzug zu sticken. Der alte Stuhl sah gar zu schäbig aus und paßte nicht einmal in die sonst von Stickereien, Teppichen, Rückenkissen, Fußbänken etc. fast überladene Stube. Die Tante wollte aber nicht davon lassen.

Sie war eine robuste, stattliche Frau mit einem ernsten, strengen Gesicht, braunen, nicht unschönen Augen, aber einer finstern Entschlossenheit um die Lippen, auf denen sich noch außerdem die ziemlich deutlichen Spuren eines kleinen Schnurrbarts zeigten. Auch ihre oft zusammengezogenen buschigen Brauen dienten nicht dazu, die Züge zu mildern.

Sie hatte freilich auch ein herbes Leben durchgemacht. Aus einer armen adeligen Familie aufgewachsen, in der, wie in so vielen ähnlichen, nur der äußere Anstand gewahrt werden mußte, während es daheim fast am Nothwendigsten fehlte, verlebte sie eine trübe Jugend und sah sich wohl eine Zeit lang, in der Blüthe ihrer Jahre, von der jungen Männerwelt umflattert, bekam auch genug von ihren faden Schmeicheleien zu hören – aber dabei blieb es. Sie liebte einen jungen Mann aus dem Bürgerstande, der geschworen hatte, nicht ohne sie leben zu können; aber die Eltern verweigerten ihre Einwilligung, und wenige Monate später verheirathete sich ihr Geliebter mit einer reichen Bäckerstochter. Die Noth in der Familie nahm aber mit jedem Jahre zu, ihr Bruder brauchte das Wenige, das er besaß, für seine eigene Familie, und von dieser wie von den Eltern gedrängt, die ihren Adelstolz nicht mehr länger aufrecht erhalten konnten, nahm sie endlich die Hand eines ebenfalls bürgerlichen und sehr alten, aber auch sehr reichen Kaufmannes an, allerdings nicht aus Liebe, sondern nur einer Versorgung wegen.

Der alte Mann aber behandelte sie schlecht; er warf ihr fortwährend ihre Armuth vor und daß er sie daraus befreit habe, und spottete dazu über den »adeligen Bettel«; es war eine rohe Natur – ein Mensch, der sich selber nur mit Fleiß und Ausdauer von einem Markthelfer oder Hausknecht zu einem Kaufherrn emporgeschwungen hatte. Der Frau Charakter war aber durch das herbe Schicksal auch nicht milder geworden; sie duldete zuletzt nicht mehr schweigend seine Vorwürfe, und eheliche Zwistigkeiten gehörten von dem Augenblick an zur Tagesordnung. Da starb der Mann, und zwar so plötzlich, daß das Gerücht die Stadt durchlief, er habe Gift bekommen. Er wurden genaue Untersuchungen angestellt, aber man fand dabei, daß er wirklich an einem Herzschlage gestorben sei. Seine Wittwe trat das sehr bedeutende Vermögen an und war jetzt alt dabei geworden, ohne der menschlichen Gesellschaft, da sie fast gar nicht mehr damit verkehrte, bessere Seiten abgewonnen zu haben. Sie haßte besonders die Männer und nahm davon nur die Geistlichen aus, mit denen sie auch fast allein, aber selbst mit diesen nicht freundschaftlich, verkehrte. Es war, als ob sie selbst die Religion wie eine Sache betrachtete, die geschäftlich abgemacht werden könnte.

Ihre beiden steten Gesellschafter blieben nur ein alter, fetter Pinscher, schon so unbehülflich in seinen Bewegungen, daß er sich kaum rühren mochte und nur alle Menschen anknurrte – selbst die Geistlichen –, und ein großer Kater, der ihr bei ihrer Arbeit fast immer auf dem Schooße lag und halbe Tage lang wohlgefällig schnurren konnte.

So saß sie auch jetzt wieder, als es an die Thür klopfte und auf ihr lautes Herein! und ein ärgerliches Knurren des Hundes die beiden jungen Fräulein von Klingenbruch mit einem fröhlichen »Guten Abend, Tante!« in das Zimmer drangen, so daß Joli, der fette Hund, mit einem wahren Wuthgeheul aus seinem warmen Korbe emporfuhr und hart und heftig gegen die Eindringliche anbellte.

»Aber, Kinder,« sagte Frau Mäusebrod, indem sie ihr Strickzeug auf den Kater fallen ließ und mit der linken Hand die Brille abnahm, »Ihr stürmt mir ja auch herein wie die wilde Jagd und habt das arme Thier erschreckt! Schickt sich denn das für junge Mädchen in Eurem Alter? Ihr solltet doch wahrhaftig vernünftiger sein!«

»Ach, Tantchen, sei nicht böse!« bat Flora, indem sie auf sie zusprang und sie küßte; »dicht hinterher folgte uns aber so ein kleiner buckliger Mensch, und wie wir rasch in das Haus traten, kam er uns nach, und da sind wir in allem Schreck nur so die Treppe heraufgehetzt.«

»Er ist hier im Hause, Tante, gewiß,« bestätigte auch Henriette, indem sie ebenfalls die Tante begrüßte; »er kommt hinter uns die Treppe herauf – wenn er nur nicht stehlen will!«

»Bah, Unsinn,« sagte Frau Mäusebrod mit einem unwilligen Kopfschütteln, »was Ihr nur immer für verrückte Ideen im Kopfe habt! Das ist der kleine Schreiber von meinem Advokaten, der mir Papiere bringt – da ist er schon.«

In diesem Augenblicke klopfte es leise an die Thür, und die Tante, indem sie Herein! rief, legte ihr Strickzeug auf den Nähtisch vor sich, schüttelte den Kater ab und schritt nach der Thür, die sich jetzt langsam öffnete. Es erschien auch in der That Mux darin, der ein Packet Papiere in der Hand hielt.

»Eine Empfehlung vom Herrn Notar Püster,« sagte er dabei.

»Es ist gut – meinen besten Dank!«

Die Frau nahm die Papiere, die Thüre schloß sich wieder und Mux war verschwunden.

»Ich hatte mich so erschreckt!« sagte Flora.

»Ach, Ihr seid albern!« versicherte die Tante, indem sie die Papiere in ihr Pult schloß und dann wieder ihren alten Platz einnahm. »Vor so einem kleinen Menschen braucht Ihr Euch doch wahrhaftig nicht zu fürchten; lauft nur den großen so aus dem Wege, dann will ich nichts sagen. Aber da schreit keine von Euch, ich möchte darauf wetten.«

»Aber, Tante!« sagte Henriette.

»Na, setzt Euch dahin, Kinder,« fuhr die alte Frau fort, indem sie einen prüfenden Blick über ihre beiden Nichten warf. »Ich hatte Euch zu mir rufen lassen – aber, Du meine Güte!« unterbrach sie sich selber, »wie seht Ihr heute wieder aus: aufgedonnert, als ob Ihr zu einem Hofballe geladen wäret! Ich begreife nicht, daß Ihr Euch nicht schämt, so über die Straße zu gehen!«

»Aber, Tante,« sagte Flora bestürzt, »wir haben heute mehrere Besuche gemacht und fanden erst, als wir zurückkamen, Deinen Zettel. Wir müssen uns doch so kleiden, daß wir nicht in der Straße auffallen.«

»Und nennt Ihr das etwa so, wie Ihr vor mir sitzt?« rief die alte Frau. »Haarwülste hinten, falsch natürlich, daß es aussieht, als ob sie Euch den Kopf hintenüber reißen sollen, und mit bunten Farben, daß Einem die Augen übergehen, wenn man Euch nur ansieht!«

Die jungen Mädchen schwiegen. Flora hatte allerdings eine Antwort auf der Zunge, aber sie schluckte sie trotzdem hinunter, und die alte Frau fuhr nach einer Weile fort:

»Das ziemt sich nicht für anständige Mädchen, Kinder. Allein von dem, was Ihr auf Euren Hüten tragt, könnte eine Kuh einen ganzen Tag leben, wenn es wirklich die natürliche Gottesgabe wäre; so ist es aber nur nachgemacht in Papier und Taffet und gemalt und vergoldet, ein wahres Unding von einem Kopfputz, wie wir es nur in den Missionsschriften lesen, daß heidnische Völker solch' sündigen Tand zur Schau tragen.«

»Aber, beste Tante,« sagte Henriette, »es ist einmal Mode; Alle tragen es, und wenn wir uns davon ausschließen wollten, würden wir wirklich auffallen, und das willst Du ja gerade nicht!«

»Nein, gewiß will ich das nicht,« sagte die alte Dame, mit dem Kopfe schüttelnd, »aber das ist auch nur eine faule Ausrede, weiter nichts; denn keinem vernünftigen Menschen werdet Ihr auffallen, wenn Ihr Euch einfach, aber anständig kleidet. Und wo soll Euer armer Vater denn zuletzt das Geld hernehmen, um einen so albernen Luxus, der noch dazu in jeder Woche wechselt, zu bestreiten? Auch die seidenen, ausgefransten Lappen, die Ihr da um die Schultern tragt,« fuhr sie nach einer Weile fort, »sind unschicklich, denn sie wärmen nicht, sie verdecken nichts und sind nur ein alberner Zierrath, den sich nur solche Frauenzimmer umhängen sollten, denen frecher Weise daran liegt, beobachtet zu werden. Das geht nicht länger, Ihr müßt Euch anständiger und Euren Verhältnissen angemessener kleiden; da aber Eure Mutter gar keinen Sinn dafür zu haben scheint oder am Ende gar solches Plunderwerk billigt – sie läuft oft selber wie eine alte Närrin in der Stadt herum –, so habe ich den Anfang gemacht, um darin eine Aenderung herbei zu führen. Hier sind für Euch ein paar hübsche, aber einfache Frühlingstücher, die Euch noch recht gut thun werden, denn wir bekommen jedenfalls noch rauhes Wetter. Da, Hetty, dort drüben auf der Commode liegen sie, hol' sie einmal her und hängt sie um, damit ich sehe, wie Ihr Euch darin ausnehmt.«

Hetty machte ein etwas sehr bestürztes Gesicht, denn wie sie nur in's Zimmer trat, hatte sie dort die neuen Tücher schon bemerkt und nach einem Blick darauf geglaubt, daß sie für das Dienstmädchen bestimmt wären oder die Tante sie vielleicht selber tragen wolle. Es waren ganz einfach wollene Tücher, dunkelgrün und blau carrirt, die vielleicht das Stück einen Thaler zwanzig Groschen kosteten, und damit sollten sie am hellen Tage über die Straße gehen? Aber dem Befehle mußte Folge geleistet werden, denn böse durften sie die Tante nicht machen, und Henriette sprang auf und holte die Tücher herbei.

»Hier liebe Tante!«

»Nun seht einmal,« sagte die alte Dame, indem sie das eine auf ihrem Schooß auseinander breitete und etwas gegen das Licht hielt, »wie gefallen sie Euch? Es sind ganz dauerhaft gearbeitete Tücher und gewiß praktisch.«

»Oh, liebe Tante,« sagte Flora bestürzt, »die Tücher sind ganz wunderhübsch, und so weich, und im Hause besonders werden sie uns gute Dienste thun!«

»Aber auf der Straße nicht, Mamsell?« fragte die Tante rasch und warf ihr über die Brille einen Drohblick zu. »Dazu sind sie Euch wohl nicht gut genug, heh? Das muß alles Sammet und Seide und Spitzen und Tüll sein und Kinkerlitzchen und Trotteln und Quasten und Bummelagen haben, heh?«

»Aber, liebe, beste Tante,« bat Henriette, »Flora hat es doch so nicht gemeint!«

»Na, und wie sonst?« sagte die alte Frau streng. »Für das Haus kauf' ich Euch keine Tücher, denn wie Ihr dort ausseht, geht mich nichts an; aber wenn Ihr mich besucht, dann will ich nicht, daß Ihr wie die aufgeputzten Kunstreiterinnen ausseht, sondern wie anständige junge Mädchen, die zu ihrer anständigen alten Tante kommen, und« – setzte sie mit einem Blick auf die Beiden hinzu – »in den Hüten seid Ihr ebenfalls zum letzten Mal bei mir gewesen, denn ich ärgere mich jedesmal, wenn ich diese unsinnigen, verrückten Dinger auch nur ansehe. Ihr glaubt vielleicht, ich bin brummiger Natur, aber das ist nicht der Fall. Fragt hier Joli und meinen Murr, ob wir je ein barsches Wort mit einander haben – es kommt gar nicht vor; wie die Kinder leben wir mit einander, und mit meiner alten Resy ebenfalls; aber wenn ich bei Euch immer den Staat und Flitter sehe und dabei genau weiß, daß gar nichts dahinter ist, dann läuft mir die Galle über, und der ganze Tag ist mir nachher verdorben.« »Deshalb,« setzte sie ruhiger hinzu, »habe ich Euch vor der Hand nur die Tücher gekauft, und ich bin überzeugt, Ihr werdet Euch mir zu Liebe auch wohl des übrigen albernen Tands entschlagen. So, und nun nichts mehr davon, Kinder; legt ab und macht's Euch bequem und erzählt mir dann ein bischen, wie es in der Welt aussieht.«

»Ach, Tantchen!« rief Flora, nahm ihren Hut und sprang dann zur Commode, um ihn dort aufzulegen. Dabei huschte sie aber an Joli's Korb vorüber, der, eben schlechter Laune, mit einem lauten Knurren nach ihr schnappte, dabei das Kleid erwischte, mit einem seiner Zahnstümpfe darin hängen blieb und nun ein lautes Wuth- und Schmerzgeheul ausstieß.

Flora schrie natürlich ebenfalls, und die Tante fuhr von ihrem Stuhl empor, als ob sie selber einen Schlag bekommen hätte.

»Aber, Flora, was hast Du jetzt wieder gemacht? Mein armer Joli!«

»Das häßliche Thier hat nach mir geschnappt, Tante, und – Du, mein Himmel, sieh nur, Hetty, er hat mir das ganze Kleid zerrissen – das neue Kleid!«

»Warum kauft Ihr Euch auch solche dünne Fetzen,« sagte die Tante verächtlich, denn sie sah bald, daß Joli keinen weiteren Schaden gelitten, »und weshalb seid Ihr dabei so schnell und fahrig! Joli ist hier im Hause an ein ruhiges, gesetztes Benehmen gewöhnt und läßt sich eben seine Hausordnung nicht umstoßen. Da nimm Dir Nadel und Zwirn und hefte es wieder zusammen.«

»Ach, wenn Du mir nur ein paar Stecknadeln giebst, Tante,« sagte Flora, der das Weinen näher war als das Lachen, »so hefte ich es mir hier nur zusammen und lasse es mir dann zu Hause von der Näherin machen.«

»Von der Näherin?« sagte die Tante erstaunt. »Segne meine Seele, Kind, kannst Du denn das nicht gerade so gut wie eine Näherin? Du hast doch hoffentlich nähen und flicken gelernt?«

»Ja gewiß, Tante, aber so kunstgerecht versteht das Unsereiner doch nicht.«

Die Tante erwiderte nichts darauf, sondern schüttelte nur mit dem Kopfe, und Henriette, die das Gespräch gern in eine andere Bahn lenken wollte – denn das war ein gefährliches Capitel, und die Tante leistete darin manchmal Außerordentliches, – erzählte ihr jetzt von ihrem heutigen Besuche bei Schallers und dem jungen Solberg, den sie dort zum ersten Mal gesehen und der so lange »drüben« in Amerika gewesen sei, und von dem Grafen Rauten, den sie da ebenfalls getroffen.

Die Tante hörte ihr ruhig zu; endlich sagte sie: »Was ist der junge Solberg für ein Mensch?«

»Oh, Tante,« sagte Flora, »ganz hübsch von Aussehen! Er hat dunkles, lockiges Haar …«

»Ach, Geschwätz!« sagte die Tante, unwillig mit dem Kopf schüttelnd. »Ich frage den Henker nach seiner Larve; wie er sich benimmt, will ich wissen, und ob er denselben Dünkel im Kopfe trägt wie seine liebe Mama, der es manchmal ordentlich leid zu thun scheint, daß ihr die Nase nicht oben an die Stirn gewachsen ist!«

»Ach nein, Tante,« sagte Henriette, »so ist er mir nicht vorgekommen! Im Gegentheil, er hat wohl etwas recht Anständiges, aber gar nicht Unangenehmes und Aristokratisches, und lachte einmal sogar etwas ungezogen, als sich Papa auf einen musikalischen Stuhl setzte und darüber ein bischen erschrak.«

»Auf einen musikalischen Stuhl, Kind? Was ist das?« sagte die Tante.

»Nun ein Stuhl mit einer Spieldose, drin, Tante, und wenn man sich darauf setzt, so fängt die plötzlich an zu spielen.«

»Aber, Kinder, solche unsinnige Stühle haben doch Schallers nicht?«

»Gewiß, Tante,« lachte Flora, »und Fußbänke auch und Cigarrenkasten und was weiß ich sonst noch! Aber sie sind wunderhübsch eingerichtet, und Kathinka ist so ein liebes Mädchen …«

»Und die alte Schachtel ist verrückt,« sagte die Tante.

»Wer – Frau von Schaller?« rief Henriette.

»Gewiß; gestern ging sie hier mit ihrem Manne – die lange Stake kennt man ja von Weitem – vorüber, und wenn ich je ein verrückter aufgetakeltes Fahrzeug gesehen habe, als diese Frau von Schaller, so will ich in meinem Leben nicht wieder Murr auf den Schooß nehmen! Als wenn sie auf eine Maskerade wäre, ging sie gekleidet! Das alte Frauenzimmer sollte lieber an ihren Tod denken, als sich mit Blumen und falschen Haaren und, was weiß ich, von oben bis unten bedecken! Es ist wahrhaftig unglaublich, wie es jetzt die Menschen treiben, und ich hier an meinem Fenster …« – Sie hatte den Blick hinausgeworfen, schwieg plötzlich und sah eine Weile aufmerksam hinaus; endlich sagte sie: »Jetzt möcht' ich nur wissen, was sich der Grünspecht, der Lieutenant da, fortwährend auf der Promenade herumtreibt und nach meinem Fenster heraufschielt! Mir wird er doch wahrhaftig keine Fensterpromenade machen – kennt Ihr etwa den Musjö?«

»Welchen, Tantchen?« sagte Henriette und hob den Kopf, um hinaus zu sehen, aber doch nicht soviel, um auch von dort bemerkt zu werden. Es ist möglich, daß sie kein reines Gewissen hatte und sich der Gefahr nicht aussetzen wollte, jetzt mit einem Gruß von dort drüben direkt verrathen zu werden. »Ich sehe ja Niemand, Tante!«

»Du siehst den Lieutenant da drüben nicht?« Nun, Gott sei Dank, er steht doch breit genug da mit seinen dünnen Beinen und dem spitzen Degen! Höre, Hetty, die Sache ist mir nicht ganz richtig – warum wirst Du denn roth?«

»Aber beste Tante, von hier aus soll ich doch nicht erkennen, ob ich mit dem Herrn schon auf irgend einem Balle vielleicht zusammengetroffen bin? Ein Lieutenant sieht doch immer aus wie der andere.«

»Wirklich?« sagte die Tante, aber immer noch mißtrauisch. »Ich weiß doch nicht, ob das auch Deine Herzensmeinung ist, und will die Sache jetzt nicht näher untersuchen – aber, Kinder, Kinder, ich warne Euch!«

Flora seufzte tief auf, denn sie wußte genau, was jetzt kam.

»Glaubt mir,« fuhr die alte Frau fort, »ich kenne die Männer, und wenn Jemand Herzeleid mit ihnen ausgestanden hat, so bin ich es; sie taugen alle nichts, alle, ohne Ausnahme, und wenn manche Braut wüßte, was ihr in ihrem künftigen Leben bevorsteht, sie würde lieber in's Wasser als in den Ehestand springen.«

»Aber, Tante, giebt es nicht auch viele glückliche Ehen?« sagte Henriette. »Sieh doch Papa und Mama an! Mama fühlt sich gewiß nicht unglücklich.«

»Weil Dein Papa eine Schlafmütze ist,« erwiderte die resolute Frau Mäusebrod, »ein Oberstlieutenant, der eher einen Unterrock tragen sollte, als ein Paar Hosen mit rothen Streifen daran! Aber was für Jammer und Elend in anderen Familien herrscht, davon bekommt die Welt gewöhnlich nur sehr wenig zu sehen, und desto größer ist nachher der Jammer daheim. Wenn ich Töchter hätte – was Gott sei Dank der Fall nicht ist – ich drehte ihnen lieber als eigene Mutter den Hals um, ehe ich sie als Sclavin einem Manne überantwortete, der sie nachher langsam, aber eben so sicher zu Tode marterte! Neulich war ein Notar bei mir, mit dem ich über die Sache sprach: das ist ein vernünftiger Mann, der das Herz auf dem rechten Flecke hat …«

»Ist er verheirathet, Tante?« fragte Flora.

»Nein Naseweis,« sagte diese, »er ist nicht verheirathet, sonst wäre der Tiger bei ihm eben so gut erwacht wie bei allen Anderen – wißt Ihr, daß der mir sagte, er allein habe jetzt in hiesiger Stadt sechs Scheidungsprocesse unter den Händen? Er allein, und wie viel andere Advocaten und Notare sind noch außer ihm in Rhodenburg! Sechs Scheidungsprocesse, und was für Elend ist da vorhergegangen, ehe es so weit kam, denn zu einer gerichtlichen Scheidung gehört doch immer erst ein Entschluß, um mit einer solchen Privatsache vor die Oeffentlichkeit zu treten.«

»Sechs Scheidungsprocesse,« sagte Henriette seufzend, »das ist freilich viel, aber – sollten die Männer da immer allein die Schuld tragen?«

»Allemal,« sagte die Tante bestimmt. »Ich hoffe allerdings,« setzte sie dann hinzu, »daß ein solches Unglück von Euch fern gehalten wird, und was ich dazu beitragen kann, werde ich sicher thun; aber nicht genug könnt Ihr auch davor gewarnt werden, denn Jugend hat keine Erfahrung und kann keine haben, und das Alter muß deshalb für sie eintreten.«

»Nächsten Donnerstag ist thé dansant bei Schallers,« sagte Flora, »wir sind auch alle eingeladen.«

»Ihr solltet etwas Gescheiteres thun, als den Abend da herumspringen,« erwiderte die Tante, von der Neuigkeit eben nicht erbaut; »da ist wieder eine Bekanntschaft gemacht, und dann müßt Ihr die Leute auch einmal einladen, wenn Ihr Euch nicht wollt lumpen lassen – so führt Eins zum Andern, und die Ausgaben werden mit jedem Jahre größer, während die Einnahmen dieselben bleiben. Euer Vater wird nicht klug …«

»Herr von Schaller ist ein Jugendfreund von ihm,« sagte Henriette.

»Jugendfreund!« wiederholte die Tante, mit den Achseln zuckend; »was das in jetziger Zeit heißt, weiß man. Sie haben in der Jugend mitsammen ihr Geld durchgebracht und wollen das jetzt im Alter fortsetzen. – Aber geht Ihr denn schon wieder fort?« fragte sie, als Flora auf einen Wink der Schwester, diesmal aber sehr langsam und vorsichtig, aufstand und hinüber nach ihrem Hute ging.

»Ach ja, Tante,« sagte die ältere Schwester, »es fängt schon an zu dämmern, und im Dunkeln möchten wir doch nicht nach Hause gehen.«

»Nein, da habt Ihr Recht,« sagte Frau Mäusebrod, »das würde sich auch nicht einmal schicken. Aber nehmt die Tücher mit oder, noch besser, hängt sie gleich um, dann braucht Ihr sie nicht zu tragen.«

»Ach, Tantchen, es ist so warm heut Abend draußen, wirklich wie im Juni, und die sind doch nur für etwas kühleres Wetter …«

»Na, macht's wie Ihr wollt, aber – die Gartencultur nehmt mir von Euren Hüten herunter, das paßt sich nicht für anständige Mädchen, und ich mag es einmal nicht leiden – der Officier bummelt richtig da unten noch immer herum – Hetty, Hetty!«

»Aber, beste Tante,« bat das junge Mädchen, »Du kannst mich doch wahrhaftig nicht dafür verantwortlich machen, wenn einer der Herren gar nichts zu thun hat und ein Vergnügen daran findet, auf der Promenade auf und ab zu laufen!«

»Nein,« sagte die Tante, »und ich hoffe, Du sprichst die Wahrheit. Aber ich warne Dich, Kind, ich warne Dich; von mir habt Ihr in einem solchen Falle keine Unterstützung zu hoffen, das möchte ich Euch hiermit im Voraus gesagt haben, damit Ihr Euch später nicht beklagen könnt. Ein armes Mädchen kann gezwungen werden,« setzte sie mit einem aus tiefster Brust heraufgeholten Seufzer hinzu, »einen Mann zu nehmen, um sich ihren Lebensunterhalt zu sichern; hat sie aber ihr Auskommen, so ist sie rein wahnsinnig, wenn sie ihre Freiheit aufgiebt, um die Sklavin eines Mannes zu werden, der sie dann doch nur ihres Geldes wegen nimmt. Ihr seid die Kinder meines Bruders – ich möchte nicht, daß Euch ein Unglück widerführe.«

»Und darum sorgst Du Dich doch nicht jetzt etwa schon, Tantchen?« lachte Flora, indem sie auf sie zuflog und ihr einen Kuß gab. »Das ist noch in weitem Felde, und ich wenigstens denke gar nicht an's Heirathen – und nochmals schönen Dank für die Tücher!«

»Desto besser für Dich,« sagte Frau Mäusebrod – »und nun, Kinder, geht. Hetty hat Recht, es fängt schon an zu dämmern, und meine alte Resy ist heute wieder einmal kreuzlahm und könnte Euch nicht begleiten.«

»Also adieu, liebes Tantchen,« sagte auch Jettchen, indem jedes der beiden jungen Mädchen eins von den Tüchern zusammenrollte und unter den Arm nahm – »läßt Du Dich nicht bald einmal bei uns sehen?«

»Ich weiß es nicht, Kinder, ich finde keine rechte Freude dort; aber wir wollen sehen. Vielleicht komme ich in den nächsten Tagen einmal vor, denn ich habe doch in Eurer Nachbarschaft zu thun.«

Die beiden jungen Damen verließen unter den Abschiedsgeheul Joli's, der wüthend hinter ihnen dreinbleffte, das Zimmer; kaum aber waren sie auf der Treppe und sicher außer Hörweite, als Flora mit noch immer halb unterdrückter Stimme sagte:

»Wenn das nicht der größte alte Drache ist, den es in dieser Stadt giebt, so will ich wahrhaftig als alte Jungfer sterben und mich dann im Alter ebenso mit einem alten stinkigen Pinscher und einer ekelhaften grauen Katze einsperren lassen als Kinderspuk!«

»Ich trage das Tuch nicht,« sagte Henriette trotzig; »sollen wir hier zum Skandal in der Stadt herumlaufen?«

»Und meine Blumen nehme ich auch nicht vom Hute!« rief Flora. »Ei, wenn junge Mädchen wie wir nicht einmal Blumen tragen sollen, wer denn sonst? Was sie nur davon hat, sich so unausstehlich zu machen!«

»Sie will uns nicht unterstützen, sagte sie,« fiel Henriette ein; »das glaub' ich – so lange sie lebt, wenigstens nicht – aber ewig kann das ja auch nicht mehr dauern …«

»Gott gebe ihr ein seliges Ende!« bemerkte Flora; und mit diesem frommen Wunsche traten die jungen Damen wieder auf die Straße, wo Henriette gleich den Blick scheu umherwarf und richtig noch den Lieutenant dort bemerkte, der gerade langsam von ihnen fortging und sie in diesem Augenblick noch nicht entdeckt hatte.

»Wenn Wöhfen nur keine Dummheit macht,« flüsterte Henriette, »und zu scharf und auffällig hinter uns herkommt! Der alte Drache lauert jedenfalls da oben am Fenster, und nachher gnade Gott!«

»Bah, was geht sie's an!« sagte Flora trotzig; »ich fange überhaupt an, diese Vormundschaft satt zu bekommen! Sie redet davon, daß Männer ihre Frauen zu Sclavinnen machen – behandelt sie uns denn anders?«

»Wahrhaftig, da kommt Wöhfen schon!« stöhnte Henriette, die den Kopf zurückgewandt hatte. »Na, wenn die Tante jetzt nichts merkt, so weiß ich's nicht!«

»Ach, Thorheit!« erwiderte Flora. »Können wir etwas dafür, wenn uns ein Officier auf der Straße folgt? Wir sind doch wahrhaftig keine Nonnen, daß wir mit keinem männlichen Wesen sprechen dürften! Laß sie nur etwas darüber sagen, ich will ihr schon dienen!«

»Ja, auf der Straße hast Du immer das große Wort,« meinte die Schwester, »aber wenn Du mit mir oben bist, thust Du den Mund nicht auf!«

»Weil ich nicht unnöthiger Weise Streit mit ihr haben will; treibt sie's aber zu arg, so lasse ich es auch auf's Aeußerste ankommen, und wenn sie mich dann enterben will, das alte Scheusal – Gott verzeihe mir die Sünde, es ist Vaters Schwester –, so mag sie es meinetwegen thun, und ich weiß dann doch, wohin ich mich zu wenden haben – da …«

»Gehen wir durch den Park?«

»Es ist eigentlich schon ein bischen spät, aber ich denke doch – die Tante kann uns ja nicht mehr aus ihrem Fenster sehen, und die Resy ist kreuzlahm – auch ein Segen Gottes, sonst schickte sie die heute gewiß zum Spioniren hinter uns her!«

»Wenn nur Wöhfen dort noch ein kleines Weilchen auf und ab gegangen wäre – es ist auch zu ungeschickt, denn er mußte wissen, daß er uns dadurch in Verlegenheit bringt …«

»Ach was,« lachte Flora, »genau kann es die Tante aus ihrem Fenster doch nicht beobachten. Sie sieht nur, daß er die Richtung nimmt, der wir gefolgt sind, und ärgert sich nachher nur, wenn sie uns nicht gleich abkanzeln kann und nicht einmal etwas Bestimmtes weiß – die liebe Tante. – Ich hätte Lust, das alte ekelhafte Tuch hier gleich an die Ecke zu werfen – daß wir das jetzt auch noch herumschleppen müssen!«

»Besser unter dem Arme als auf den Schultern – aber da sind wir am Park – wahrhaftig, da kommt auch Wöhfen! Das ist beinah' ein bißchen zu auffällig – wenn es nur Niemand gesehen hat!«

»Das glaub' ich,« sagte Flora, »Du kannst jetzt mit Deinem Lieutenant eine Viertelstunde schwärmen, denn länger dürfen wir keinenfalls bleiben, und ich trabe als Ehrenwache langweilig nebenher. Heidewald ist doch ein recht phlegmatischer Peter; wenn er nur ein klein wenig aufmerksam wäre, so müßte er gemerkt haben, daß wir ausgegangen sind und er weiß, wie wir fast jedesmal durch den Park zurückgehen.«

»Meine Damen,« sagte in diesem Augenblick eine sehr bekannte Stimme, als die jungen Mädchen eben den ersten, sich kaum noch mit frischem Grün deckenden Laubgang betreten hatten, »ich bin so glücklich, Sie hier anzutreffen …«

»Das ist Ihnen wohl recht schwer geworden, Herr Lieutenant?« sagte Flora. »Sie haben wenigstens eine halbe Stunde auf Posten gestanden.«

»Auf Posten, mein gnädiges Fräulein?«

»Nun, vor dem Hause der Tante, die uns dadurch fortwährend fragte, ob der Herr Lieutenant da unten auf uns warte.«

»Oh, das bedaure ich unendlich! Aber ich glaubte, die Fenster Ihrer gnädigen Frau Tante gingen nach der andern Seite hinaus …«

»Ja wohl, gnädigen!« sagte Flora, und ihre Lippen zuckten in einem spöttischen Lächeln.

»Ach laß doch nur,« sagte Henriette, »wir wollen uns jetzt nicht um die Tante zanken!«

»Mein liebes, gnädiges Fräulein,« flüsterte der junge Officier, indem er verstohlen ihre Hand nahm und sie leise drückte, »wie glücklich bin ich, daß Sie mir Gelegenheit gegeben haben, Ihnen wieder, wenn auch nur auf Momente, nahe zu sein! Ach, die Minuten werden mir ja so abgemessen …«

»Sind Sie denn nicht bei Schallers eingeladen?« fragte Henriette leise.

»Ach, was soll ich da,« sagte Herr von Wöhfen – »ich werde absagen.«

»Wir kommen auch hin,« lächelte das junge Mädchen.

»Wirklich? Oh, das ist göttlich!« rief der Lieutenant in Ekstase.

»Ich denke Sie wollen absagen?« lächelte Flora.

»Wie konnte ich davon eine Ahnung haben – jetzt nicht um alle Schätze der Welt! Aber seit wann sind Sie mit Schallers bekannt?«

»Seit heute …«

»Das ist köstlich! Es sind prächtige Leute, und vielleicht findet sich dort Gelegenheit, uns öfter zu sehen – aber wollen wir nicht nach rechts abbiegen? Da vorn kommt Jemand …«

»Gerade deshalb, denke ich, können wir geradeaus gehen,« sagte Flora, die über und über roth geworden war, denn sie hatte die kurze Sammetpekesche erkannt – »vielleicht begleitet uns der Jemand.«

»Wahrhaftig, das ist Herr von Heidewald!« sagte Henriette. »Das trifft aber wirklich zufällig …«

»Und sehr glücklich,« ergänzte Wöhfen, denn er wußte, daß er jetzt, die kurze Zeit wenigstens, ganz ungestört mit Henriette plaudern könne.

Die Begrüßung mit dem Neuangekommenen, der ebenfalls schon fast zwei Stunden hier im Park auf der Lauer lag, war eine ähnliche wie mit seinem Vorgänger. Er sprach auch nur von einem »glücklichen Zufalle,« bis er mit Flora allein war, das heißt etwa sechs Schritt hinter dem andern Paar herging und nun in ihr Ohr seine Liebesklagen ausschüttete.

Herr von Heidewald war außerordentlich schwärmerischer Natur. Er machte auch in Mußestunden und wenn er nicht – wie er von sich selber bescheiden sagte – »Leinwand ruinirte«, Gedichte, von denen Flora schon ein ganzes Packet wohl verschlossen in ihrer kleinen Commode liegen hatte. Es ist wahr, in seinen Poesien reimten sich sehr häufig Herz und Schmerz, Lust und Brust, Thränen und Sehnen, Scheiden und Leiden, Gruß und Kuß etc., und der Schluß war fast jedesmal, daß er sich nach einem »kühlen Grabe« sehnte, um dort sein Elend zu verträumen, wonach dann die Geliebte zu dem Grabe kam und sich Blumen pflückte. Auch seine Redeweise war ein wenig überspannt, aber Flora gefiel das trotzdem, und wenn sie auch natürlich in Henriettens Gegenwart keinen Vergleich ziehen durfte, so kam ihr doch gegen ihren Guido der Lieutenant von Wöhfen immer entsetzlich langweilig und fade vor.

Flora war ebenfalls ein wenig schwärmerischer Natur, aber das konnte auch kaum anders sein. Ein junges Mädchen, das eben erst in's Leben tritt und schon vor der Zeit eine Menge von überschwänglichen Romanen gelesen hat, hält den Mondschein selbstverständlich für die passendste Beleuchtung der Welt und versenkt sich am liebsten in Erzählungen, die mit einer unglücklichen Liebe anfangen, und während Held und Heldin Folterqualen erleiden, aber alles mit dem größten Heroismus ertragen, endlich und unmittelbar vor dem Schlusse mit ihrer Verheiratung enden. Je geheimnißvoller die Sache dabei betrieben wird, desto hübscher ist es, und ein verzweifelter Nebenbuhler, der sich endlich, wenn er nicht mehr gebraucht wird, eine Kugel durch den Kopf schießt, giebt dem Ganzen eigentlich erst die Würze.

»Ach, Flora,« seufzte Guido, »wenn Sie wüßten, mit welchen Höllenqualen ich den heutigen Tag verbracht, denn ich hatte ja kaum eine Hoffnung, Ihnen zu begegnen! Nur in fieberhafter Unruhe athmete ich, meine Pulse schlugen, und oft war es mir, als ob ich es nicht länger ertragen könne und nur hinausstürzen müsse, um ein entscheidendes Wort von den Lippen Ihrer Eltern zu fordern.«

»Aber ich bitte Sie um Gottes willen, Herr von Heidewald,« sagte Flora bestürzt, »Sie würden nur alles verderben, und Mutter ließe uns nie wieder allein ausgehen.«

»Daß alle Eltern so grausam sind,« klagte Guido, als ob er darin schon die bittersten Erfahrungen gemacht hätte, »und sie waren doch auch einmal jung!«

»Das ist aber so lange her,« bemerkte Flora, »daß sie es rein vergessen haben. Vater würde es auch vielleicht noch milder beurtheilen, aber Mutter nicht – und nun erst die Tante, großer Gott, wenn die uns hier begegnete!«

»Ihre Frau Tante muß, nach der Beschreibung, die Sie mir schon von ihr geliefert haben, wirklich eine höchst liebenswürdige Dame sein, und sie kommt mir vor wie einer jener heidnischen Drachen, die einen Schatz bewachen – meinen Schatz,« setzte er zärtlich hinzu.

»Ach, und doch sind wir von ihr abhängig!«

»Das ist ja eben das Furchtbare!« rief Guido. »Sie Beide sind die Rosen, und das ist der riesige, unangenehme Dorn, der dazwischen steckt. Wissen Sie, theures Fräulein, daß ich mir so jene alten bösen Feen denke, von denen unsere Märchenbücher erzählen: mißgünstig jeder Liebe und nur immer – im Besitze eines großen Reichthums – Unheil und Verderben brütend.«

»Ach, Sie haben vielleicht Recht,« seufzte Flora, »und doch ist es meine Tante!«

»Und das allein schützt sie vor meiner Rache,« sagte Guido düster; »denn ich fühle, wie sich in meinem Herzen ein Dämon regt, um mit wilder Gewalt die Schranken nieder zu werfen, die sich unserer Liebe noch entgegen stellen.«

»Um Gottes willen,« rief Flora erschreckt, »nur keine Uebereilung, Sie könnten alles verderben; mäßigen Sie sich meinethalben!«

»Ich bin wie weiches Wachs in Ihrer Hand,« sagte Guido gerührt; »Sie, Flora, können mit mir machen, was Sie wollen. Aber um Eins bitte ich Sie – es ist mir versagt, Sie einmal in stiller, vertraulicher Stunde allein zu sprechen, nur immer im Flug, unter den Augen der Menge muß ich das Glück zu erhaschen suchen, Ihnen zu nahen –, nehmen Sie hier meinen Schwur, hier unter den ewigen Eichen des Parks, unter jenem blauen Himmel, aus dem uns dort der erste freundliche Stern herniederblitzt: nie lasse ich Sie! Meine Seele gehört Ihnen, mein ganzes Dasein findet nur eine Berechtigung in Ihrer Liebe, und wie ich Ihnen angehören will bis zum Tode, so sagen Sie auch mir, Flora, ob Sie die Meine sein wollen für jetzt und alle Ewigkeit! Wollen Sie, Flora? Süßes, geliebtes Herz – willst Du die Meine sein für immer?« – Er hatte, zuerst mit einem scheuen Blick umher, ob sie von keiner Seite beobachtet werden konnten, seinen rechten Arm um ihre Taille gelegt. – »Willst Du, Geliebte?«

»Ja!« hauchte Flora, und im Uebermaß seiner Gefühle – das andere Paar ging vor ihnen her und es lag schon tiefe Dämmerung auf dem Parke – drückte er den ersten seligen Kuß auf ihre Lippen.«

»Oh, mein Gott!« flüsterte Flora.

»So möcht' ich sterben!« hauchte Guido. »Oh, wenn ich jetzt in jenes blaue Aethermeer hinaufschweben und im kühlen Grabe unten diesen Traum nur immer wieder und wieder träumen könnte!«

»Aber wir müssen fort!« rief Flora, die jetzt erst darauf aufmerksam wurde, daß die Nacht schon hereinbrach. »Henriette, wir müssen nach Hause – was wird Mutter sagen, wenn wir so spät kommen!«

»Ja, gewiß,« rief Henriette, die ebenfalls außerordentlich aufgeregt schien, »es ist so spät geworden, und wenn uns hier noch jemand Bekanntes begegnet! Lassen Sie uns jetzt hier abbiegen, dort ist der Ausgang, und wir haben den Schlüssel. Nein, Sie dürfen uns nicht länger begleiten!«

Und zurück zur Schwester tretend, nahm sie deren Arm und zog sie rasch der links von ihnen liegenden Pforte zu.

»Gute Nacht!« tönte es ihnen nach.

»Gute Nacht!« riefen die Mädchen zurück und eilten nun, so rasch sie konnten, dem elterlichen Hause zu.

Unterwegs sprachen sie auch kein einziges Wort mehr zusammen. Jede von ihnen war viel zu sehr mit den eigenen Gedanken beschäftigt und mochte ihnen selbst nicht gegen die Schwester Worte geben. Aber so leicht und selig fühlten sie sich, daß sie mehr über den Boden schwebten, als daß sie gingen, und erst an ihrer eigenen Thür fühlten sie, wie sie gelaufen waren, und mußten einhalten, um Athem zu schöpfen.

Zu Hause angekommen, machte ihnen die Mutter allerdings Vorwürfe, daß sie so lange geblieben, aber deren Aufmerksamkeit lenkten die beiden jungen Damen rasch durch die mitgebrachten Tücher ab, wobei sie der Mutter gegenüber ihren Herzen keinen Zwang anthaten und sich in voller Entrüstung über ein solches Geschenk aussprachen. Sie erklärten auch Beide, daß sie fest entschlossen wären, die Tücher nicht zu tragen, denn zum »öffentlichen Skandal« wollten sie wahrhaftig nicht in der Stadt herumlaufen.

Die gnädige Frau von Klingenbruch, die ihnen im Herzen freilich Recht gab, aber doch auch die Klugheit nicht aus den Augen setzen wollte, hatte nur Mühe, die Töchter zu beschwichtigen. Sie waren ja nun doch einmal von der ihnen überhaupt freundlich gesinnten Tante abhängig, sie durften den Vater nicht zu sehr kränken und – ewig konnte es ja auch nicht mehr dauern.

Flora benutzte dann noch einmal die Gelegenheit, um ihre Meinung über das »scheußliche Beest«, den Pinscher, auszusprechen. Den hielt sich die Tante doch nur einzig und allein zu dem Zweck, um andere Menschen damit zu ärgern. Auf den verschwendete sie ihre Liebe, und ihre Nichten benutzte sie nur dazu, um Galle und Bosheit an ihnen auszulassen – die liebe Tante.

Flora, das kleine, sanfte Wesen, war so heftig geworden, daß ihr die Thränen in die Augen traten. Mitten in dem Schmerze dachte sie aber trotzdem an ihr beschädigtes Kleid. Sie mußte es gleich mit einem andern vertauschen, und dann wurde das Mädchen hereingerufen und ihm befohlen, es augenblicklich zu der oben im Hause wohnenden Näherin zu tragen, die es aber auf der Stelle und recht gut repariren und nachher, und zwar noch heut Abend, herunterbringen sollte. »Sag' Du ihr nur, das gnädige Fräulein brauche es nothwendig, und sie möge sich ein bischen dazu halten.«



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