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17.
Notar Püster


Notar Püster saß in seiner Stube, und zwar im Eckfenster, dessen Vorhang zurückgeschlagen war, allein an einem kleinen Tische; er hatte einige Briefe vor sich ausgebreitet, die er aufmerksam durchlas, wobei er den Blick oft auf die Straße hinaus warf. Er sah aber wohl kaum, was dort vorging, denn die Briefe interessirten ihn viel zu sehr, um seine Aufmerksamkeit von denselben abzulenken.

So mochte er ungefähr eine halbe Stunde gesessen haben, als es leise an seine Thür pochte; er hörte es aber gar nicht, oder achtete wenigstens nicht darauf. Und wieder pochte es – jetzt etwas lauter und herzhafter.

»Wer ist da? Herein!« rief Püster, nicht in bester Laune.

Die Thür öffnete sich, aber keiner seiner Clienten trat herein, sondern ein liebes Mädchenangesicht zeigte sich, die braunen, vollen, ja reichen Haare auf der Stirne gescheitelt, sonst ohne Schmuck oder andern Zierrath, ja selbst ohne Hut.

»Stör' ich Sie, Herr Notar?«

Püster warf den mürrischen Blick hinüber, aber er klärte sich rasch auf, als er seinen Besuch erkannte.

»Fräulein Peters? Nein, mein Kind, Sie stören mich nicht, wenn ich auch den Kopf manchmal ein bischen voll habe – kommen Sie herein! Was bringen Sie mir?«

»Geld, Herr Notar,« sagte das junge Mädchen schüchtern, indem es aber doch der Einladung folgte, »und noch dazu recht viel Geld, denn ich habe wenig Ausgaben gehabt und bin in der letzten Zeit sehr fleißig gewesen.«

»Ja, ich weiß es, mein Kind,« sagte der alte Notar vorwurfsvoll; »aber Sie arbeiten auch fast die ganze Nacht durch. Ich mag so spät zu Bett gehen wie ich will, bei Ihnen da drüben ist gewiß noch Licht; das sollten Sie nicht thun.«

»Aber es macht mir ja auch Freude,« sagte das junge Mädchen weich, »wenn ich sehe, wie ich so ganz aus mir selber heraus etwas vor mich bringe, und habe ich erst dann die Nähmaschine, dann brauche ich mich ja auch nicht mehr so anzustrengen und bringe das in der halben Zeit fertig, wozu ich jetzt den Tag und die halbe Nacht brauche.«

»Nun, wie viel haben Sie sich denn wieder erübrigt? Lassen Sie einmal schauen!«

»Sehen Sie, Herr Notar,« sagte die Näherin, indem sie aus ihrer Tasche ein kleines, aus Baumwollenzeug zusammengenähtes Säckchen nahm, »hier ist erst einmal ein ganzer Fünfthalerschein, dann hier noch vier Silberthaler und ein Thaler in kleinem Geld, also volle zehn Thaler zusammen; und meine Miethe und Feuerung und alles bezahlt, und keinem Menschen bin ich einen Pfennig schuldig.«

»Das ist mehr, als viele Andere von sich sagen können,« nickte der Notar; »da müssen Sie aber schmählich gearbeitet haben!«

»Verdient ist doch nicht alles,« sagte Käthchen erröthend; »Sie zum Beispiel haben mir immer mehr geschickt, als ich verlangen konnte.«

»Ich?« fragte Püster verwundert.

»Ja, gewiß; es ist so gut von Ihnen, aber es hat mich doch gedrückt, und ich wollte viel lieber, Sie thäten es nicht.«

»Aber wie so denn, ich verstehe Sie nicht.«

»Nun, das vorletzte Mal schon waren es zwanzig Groschen mehr, als ich verlangt hatte, und das letzte Mal, wo ich Ihnen für die Hemden fünf Thaler fünfzehn Groschen aufgeschrieben – und sie waren reichlich damit bezahlt, denn man bekommt nirgend anders höheren Arbeitslohn –, schickten Sie mir einen vollen Thaler mehr.«

»So?« sagte Püster.

»Ja; ich bat auch Herrn Mux, er möchte den Thaler wieder mit hinüber nehmen, aber er meinte, Sie hätten es ausdrücklich so gewollt.«

»So? Hm – nun, dann wird es wohl auch in Ordnung sein,« brummte der Notar; »Sie machen außerdem ein paar tausend Stiche mehr in Ihrer Arbeit, wie die anderen Näherinnen. Wie viel Geld haben wir denn aber nun eigentlich beisammen?«

»Ach,« sagte Käthchen leise, »es fehlt immer noch ein ganzes Theil; es werden jetzt wohl im Ganzen zweiundfünfzig Thaler sein.«

»Lassen Sie uns einmal Ihr Conto nachsehen, mein Kind; das wollen wir gleich herausbekommen.«

»Ach, ich mache Ihnen so viel Mühe, Herr Notar! Aber seit der böse Mensch da oben bei mir einbrach, als ich eben eine Arbeit austrug, und mir die ersten sechs sauer genug ersparten Thaler fortnahm, hatte ich keine Ruhe mehr, und am Ende hätten sie mir ja auch das Andere gestohlen.«

»Unsinn – reden Sie nicht von Mühe machen! Andere Leute machen mir Mühe – Sie nicht. Nun wollen wir einmal nachsehen, was Ihnen hier gutgeschrieben ist; zehn Thaler haben Sie jetzt, und aufgeschrieben für Sie sind hier dreiundvierzig Thaler, also das stimmt.«

»Dreiundvierzig? Nein, Herr Notar, es können nur zweiundvierzig gewesen sein; ich habe mir alles so genau aufgeschrieben, und um einen ganzen Thaler hätte ich mich gewiß nicht geirrt. Sie müssen sich da verschrieben haben. Es waren nur zweiundvierzig und sind jetzt zweiundfünfzig.«

Der Notar schüttelte mit dem Kopfe. »Mux hat die verschiedenen Posten ausgefüllt, und ich selber habe das Geld nachgezählt und für Sie angelegt. Etwas von Zinsen kommt ja auch noch dazu, und es werden jetzt also jedenfalls über vierundfünfzig, vielleicht nahe an fünfundfünfzig Thaler sein.«

»Aber das begreife ich nicht!«

»Und jetzt will ich Ihnen 'was sagen, mein liebes Kind,« nickte der Notar gutmüthig vor sich hin, »jetzt wollen wir auch mit dem Ankauf der Maschine nicht länger warten. Verstehen Sie denn damit umzugehen?«

»Oh gewiß – so gut!«

»Nun schön, dann sollen Sie eine – und ich suche Ihnen gewiß eine gute aus – noch heute zugeschickt bekommen.«

»Noch heute?«

»Gewiß, je eher, desto besser.«

»Aber dann komme ich in Schulden – und das möchte ich gar nicht gern.«

»Erstlich werden es nicht viel Schulden werden, und dann verdient sich ja die Maschine selber mit ab.«

»Der Kaufmann borgt mir gewiß nicht,« sagte Käthchen »und ich möchte ihn auch nicht darum bitten. Ich brächte es nicht über die Zunge.«

»Aber mir borgt er, Kind; deshalb machen Sie sich auch keine Sorgen. An mich zahlen Sie es dann, wie es Ihnen gerade paßt ab, und dazu können Sie sich Zeit nehmen und brauchen jetzt nicht mehr bis in die späte Nacht hinein zu arbeiten.«

»Ich weiß nicht, wie ich Ihnen das je danken soll!«

»Danken? Unsinn – mir haben Sie gar nichts zu danken, nur sich selber! Also ich gehe nachher aus, und dann wundern Sie sich nicht, wenn Ihnen auf einmal eine Nähmaschine in's Haus gebracht wird. Sie haben auch den Leuten gar nichts zu zahlen, ich mache alles ab, auch das Trinkgeld, denn Sie würden doch nur geprellt werden!«

»Mein guter Herr Notar!«

»Schon gut, Kind, schon gut; die Sache wäre also abgemacht, und ich habe jetzt zu thun, kann auch nicht eher fortgehen, bis Mux zurückkommt. Weiß der liebe Gott, wo der Mensch so lange steckt! Na, bei Ihnen im Hause ist wohl große Freude über die Erbschaft?«

»Erbschaft?« sagte Käthchen verwundert. »Ich weiß von nichts – von welcher Erbschaft denn?«

»Nun, Klingenbruchs haben von der verstorbenen Schwester des Oberstlieutenant, der Frau Mäusebrod, bedeutend geerbt.«

»Dann können sie es wohl noch gar nicht wissen,« sagte Käthchen, »denn als ich an der Thür vorüberging, schienen sie da drinnen zu zanken und zu weinen.«

»So, heh?« sagte der Notar und zog die Augenbrauen, mit einem drolligen Zug um die Lippen, hoch in die Höhe. »Haben sich also gezankt und geweint? Gewiß – werden noch gar nichts von der Erbschaft gehört haben« – und aufstehend, schritt er in seiner Stube auf und ab und rieb sich wie vor innerlichem Vergnügen die Hände. Er beachtete jetzt auch gar nicht, daß ihn Käthchen mit einem freundlichen Gruße verließ, er nickte ihr nur flüchtig zu und setzte seinen Spaziergang noch wohl eine Viertelstunde ununterbrochen fort bis Mux zurückkam.

Dieser trat wie gewöhnlich ohne weiteren Gruß – denn sie hatten sich ja schon an dem Morgen gesehen, und er selber war nur auf einem Geschäftswege ausgewesen – in's Zimmer, hing seinen Hut an den dafür bestimmten Nagel und ging dann schweigend wie immer zu seinem Pult.

Püster hatte ihn, schon als er das Zimmer betrat, scharf beobachtet. Der junge Bursche achtete aber gar nicht darauf und nahm, ohne ein Wort weiter für nöthig zu halten, seine Arbeit wieder auf.

»Alles besorgt, Mux?« sagte der Notar endlich.

»Ja, Herr Notar.«

»Ist die Rechnung in Ordnung?«

»Alles.«

»Die Acten auf's Gericht gebracht?«

»Gewiß; es war gleich mein erster Weg.«

»Und die Briefe abgegeben?«

»Alles pünktlich besorgt; auf den einen Brief mußte ich noch eine Marke kleben, er war doppelt.«

Der Notar nickte langsam vor sich hin, schien aber schon wieder mit seinen Gedanken abwesend, bis sich sein Blick fest auf Mux heftete und er nach einer Weile sagte: »Apropos, Mux, was ich Dich fragen wollte: wie viel Geld hast Du denn neulich der Näherin da drüben, der Mamsell Peters, hinübergetragen?«

»Was Sie mir gaben, Herr Notar; ich weiß es nicht mehr genau – war es etwa nicht richtig?«

»Nein,« sagte Püster kurz.

»Ich weiß doch nicht,« stotterte Mux und wurde feuerroth – »ich bin fest überzeugt, daß es richtig gewesen sein muß. Ich habe es ihr selber vorgezählt …«

»Und es war trotzdem nicht richtig,« sagte der Notar und ließ den Blick nicht von seinem Schreiber; »es war zu viel.«

»Zu viel, Herr Notar?«

»Ja, und ist schon früher auch einmal zu viel gewesen, und war auch ein Thaler mehr hier in der Kasse, als sie eingeliefert hat.«

»Das begreife ich nicht,« stammelte Mux.

»Aber ich begreife es,« sagte Püster; »das hast Du selber aus Deiner Tasche zugelegt, und wie kommst Du dazu, Mux?«

Mux schwieg; sein Gesicht war jetzt wirklich feuerroth geworden. Endlich sagte er leise: »Als Geschenk hätte sie es von mir doch nie im Leben angenommen, und sie ist so arm, sie lebt so erbärmlich – ich kam einmal zu ihrem Mittagsessen, es bestand nur aus einer Tasse Kaffee ohne Zucker und einem Stück Schwarzbrod …«

»So?« sagte Püster.

»Und es ist ein so braves Mädchen und immer so zufrieden und genügsam, mit nie einer Klage …«

»So, und da hast Du den Wohlthäter gespielt?«

»Wohlthäter – mit den paar Thalern, Herr Notar?«

»Und weshalb hast Du ihr da nicht mehr gegeben?«

» Von den paar Thalern, Herr Notar?«

Ein eigenes Lächeln zuckte um die Lippen des Alten, aber er sagte nichts weiter, und Mux, der selber das Gespräch nach anderer Richtung zu lenken wünschte, erzählte jetzt sein Zusammentreffen mit dem Amerikaner und was dieser ihm mitgetheilt. Püster hörte aufmerksam zu. i

»Und Ihr habt den Betreffenden nachher nicht mehr angetroffen?«

»Nein, Herr Notar.«

»Hast Du schon im Adreßbuch nachgesehen?«

»Ja, schon damals, Herr Notar; da steht aber nur ein Rehberger angegeben, und das ist ein Seifensieder hier in der Stadt und auch wohl schon lange hier ansässig, denn in dem alten Adreßbuch steht er ebenfalls. Wäre es nicht vielleicht gut, wenn ich ein paar Zeilen nach Hamburg schriebe, um wenigstens die Andeutung zu geben?«

»Hm, ich weiß nicht, die Spur ist noch verteufelt schwach; denn wirklich angenommen, daß der Mann so heißt und in Amerika war, ist es noch immer sehr die Frage, ob nicht eine Menge seines Namens dort herumgelaufen sind und noch herumlaufen.«

»Wie Sie meinen …«

»Nun, schreiben können wir immer – und noch Eins: frag' doch gleich einmal an, ob die Dame keine Photographie des Betreffenden hat; das würde die Sache außerordentlich erleichtern, und man brauchte nicht auf das Gerathewohl hin zu handeln.«

»Sehr wohl, Herr Notar …«

Draußen klopfte es wieder, und auf den gewöhnlichen Anruf trat Hauptmann Dürrheck in's Zimmer und sagte nach freundlichem Gruße:

»Mein lieber Herr Notar, darf ich Ihre Zeit für ein paar Momente in Anspruch nehmen?«

»Gewiß, Herr Hauptmann; womit kann ich Ihnen dienen?«

»Es ist nur vor allen Dingen eine Anfrage. Sie wissen doch, daß eine Heirath jeden beim Theater abgeschlossenen Contract löst?«

»Ich weiß eigentlich nicht, daß das ein bestimmt ausgesprochenes Gesetz ist,« sagte der Notar, »ich habe es wenigstens, soweit ich mich erinnere, noch in keiner Gesetzsammlung gefunden; aber ich weiß, daß es von allen Theater-Directionen als bestehend angenommen wird, und das ist dann das Nämliche.«

»Ja,« sagte von Dürrbeck, »die Sache ist nur die, daß meine Braut – Sie wissen doch, daß ich mit Fräulein Blendheim verlobt bin?« – (der Notar verbeugte sich leicht, als Bestätigung) »daß meine Braut also,« fuhr der Hauptmann fort, »unvorsichtiger Weise eine Clausel in ihren Contract hat einschmuggeln lassen, wonach sie sich dieses Vorrechts begiebt und verspricht, selbst im Falle einer Verheiratung ihren noch auf mehrere Jahre laufenden Contract bei einer Conventionalstrafe von zweitausend Thalern, die auch auf »Durchgehen« lautet, einzuhalten.«

»Das ist freilich fatal,« sagte der Notar sinnend – »und Sie wollen natürlich Ihr Fräulein Braut, oder später Ihre Frau Gemahlin, nicht länger beim Theater lassen.«

»Natürlich nicht; ich kann das schon nicht in meiner Stellung, besonders mit dem boshaften Recensentenpack hier, das einem anständigen Mädchen selten Gerechtigkeit werden läßt. Ich würde da vielleicht in höchst unangenehme Conflicte gerathen.«

»Sicher, sicher,« sagte der Notar; »die Clausel ist nun allerdings fatal, und zweitausend Thaler sind auch keine Kleinigkeit. Ich sehe aber nicht ein, wie Director Sußmeyer, mein liebenswürdiger, wenn auch etwas exaltirter Nachbar, den Contract selbst mit der Clausel halten will. Wir haben gewisse Fälle im bürgerlichen Leben, die jeden Contract lösen, mag er clausulirt sein, wie er will. Verbindet sich zum Beispiel ein Commis in einem Geschäft und wird militärpflichtig, so ist der Contract für die Zeit wenigstens suspendirt; Krankheit löst ebenfalls, und wenn Ihr Fräulein Braut auch eine Clausel in ihren Contract aufgenommen hätte, daß sie sich in der Zeit gar nicht verheirathen wolle, so würde sie der Director nie daran hindern können. Verheirathen Sie sich aber jetzt wirklich, und Ihre Frau Gemahlin kommt in den Fall, nicht auftreten zu können oder zu wollen, so kann der Director nichts dagegen machen. Haben Sie schon mit Herrn Sußmeyer darüber gesprochen?«

»Ja,« lächelte Hauptmann von Dürrbeck, »er ist aber ein äußerst komischer und sehr exaltirter Kauz, so daß man ihm wirklich nicht beikommen kann.«

»Hat er wieder gedonnert?« lächelte der Notar; »das haben wir ihm doch gelegt.«

»Nein, aber er verschwand durch eine Versenkung.«

Der Notar lachte. »Den seh' ich auch noch im Irrenhause,« sagte er; »aber wenn Sie noch einmal zu ihm gehen und ihm fest erklären, daß Sie Fräulein Blendheim ohne Weiteres heirathen und dann mit Ihrer Frau verreisen werden, so glaube ich nicht, daß er es hindern kann. Die Frau muß allen bürgerlichen Gesetzen nach dem Manne folgen, und das Allereinfachste wird dann sein, Sie accordiren mit ihm über die Conventionalstrafe. Ich bin fest überzeugt, daß er sich mit Vergnügen fügen wird.«

»Aber ich kann nicht mit ihm handeln.«

»Das brauchen Sie nicht; bieten Sie ihm ein Maximum, das er annehmen oder ablehnen muß, und weigert er sich, so kommen Sie wieder zu mir. Ich werde mich indessen genauer über den Fall informiren.«

»Ich muß Ihnen gestehen, daß ich den Herrn nicht gern zum zweiten Mal besuche.«

Püster sah still lächelnd vor sich nieder; endlich sagte er: »Wissen Sie 'was, ich möchte den komischen Löwen gern selber einmal in seiner Höhle sehen, ich werde zu ihm hinübergehen.«

»Sie würden mir dadurch einen großen Dienst erweisen.«

»Und wollten Sie ihm etwa als Abstandssumme bezahlen?«

»Wenn es nicht anders möglich ist, würde ich ihm die ganze Conventionalstrafe zahlen, denn meine Frau darf unter keiner Bedingung wieder auf der Bühne erscheinen, ja, ich möchte am liebsten ihr Engagement sobald als möglich lösen.«

»Also Sie sind willens, im schlimmsten Falle die Hälfte der Strafe zu zahlen?«

»Wenn ich es damit in Güte abmachen kann, mit Vergnügen.«

»Sehr schön, das Weitere überlassen Sie mir.«

Dürrbeck war an das Eckfenster getreten und sah über die Straße hinüber. Oben am Fenster saßen wie gewöhnlich die beiden jungen Fräulein von Klingenbruch, sahen aber heute nur wenig nach der Straße hinab und waren auch etwas bleich und niedergedrückt, so weit man das wenigstens von hier aus beobachten konnte.

»Die jungen Damen da drüben,« sagte er, »scheinen über den Tod ihrer Verwandten doch sehr niedergeschlagen zu sein. Apropos, Herr Notar, ist es denn wahr, was man sich in der Stadt über das Testament erzählt?«

»Also erzählt man sich schon davon?« fragte Püster.

»Die Stadt ist voll davon. Die beiden Fräulein von Klingenbruch galten bis jetzt für eine glänzende Partie, aber sie sind jedenfalls durch das wunderliche und eigentlich ungerechte oder doch unfreundliche Testament enttäuscht worden – wenn es eben begründet ist.«

»Begründet ist es allerdings und auch kein Geheimniß mehr,« sagte Püster, »denn es wissen zu viele Menschen darum.«

»Und kann das Testament nicht angefochten werden?«

»Nein,« sagte der Notar; »die Frau Mäusebrod hatte das volle Recht, über ihr Geld zu verfügen, wie sie wollte, und außerdem jetzt sämmtliche Pfaffen zu ihren Freunden – daran läßt sich nichts thun.«

»Ach, sagen Sie mir, wer ist das wunderhübsche junge Mädchen, das da oben an dem einen Dachfenster seine Blumen gießt? Ich bin ihm schon mehrmals auf der Treppe, wenn ich zu Klingenbruchs ging, begegnet.«

»Das ist eine junge Näherin, ein braves, wackeres Kind, das sich schwer, doch ehrlich durch's Leben arbeitet und sein Brod mit der Nadel verdient.«

»Wahrlich, ein hartes Brod! Aber das Gesicht kommt mir so merkwürdig bekannt vor, und doch kann ich mich nicht besinnen, wem es gehört. Wie heißt sie?«

»Peters – Katharina Peters. Sind Sie mit Solbergs befreundet?«

»Ja – ich – war früher dort oft im Hause.«

»Dann werden Sie sie auch dort gesehen haben; sie ist in dem Hause als Waise angenommen und erzogen worden.«

»Jetzt besinne ich mich,« rief Dürrbeck rasch, »das liebe junge Wesen, das dort immer aus- und einging! Und sie ist fort von dort?«

»Ja,« sagte Püster trocken.

»Ach, ich erinnere mich,« nickte der Hauptmann düster vor sich hin, »ich habe damals davon gehört. Apropos, lieber Notar, kennen Sie den Grafen Rauten?«

»Von Ansehen, ja, sonst nicht.«

»Was halten Sie von ihm?«

Der Notar zuckte die Achseln. »Er ist ein gar vornehmer Herr und hier mit den angesehensten Familien befreundet, ja, wie ich höre, wird er in kurzer Zeit sogar die einzige Tochter des reichen Solberg heirathen.«

»Und wo stammt er her?«

Der Notar zuckte mit den Achseln. »Herr von Solberg wird sich doch jedenfalls darüber informirt haben, ehe er ihm seine Tochter gab.«

Dürrbeck schwieg, und wieder schweifte sein Blick nach dem Fenster hinauf, wo sich das junge Mädchen noch immer mit seinen Blumen beschäftigte. Das Wetter war heute wieder so warm geworden, daß man sie recht gut im Freien lassen konnte.

»Und ist das junge Mädchen da oben im Nähen geschickt?«

»Nicht allein im Nähen, Herr Hauptmann; sie hat eine Erziehung weit über ihre jetzigen Verhältnisse erhalten, und um so ehrenvoller daher, daß sie sich mit ihrer Hände Arbeit durchbringt?

»Meine Braut hat jetzt so viel zu nähen,« sagte Dürrbeck, »und ich weiß, daß sie um gute Arbeiterinnen verlegen ist.«

»Das junge Mädchen arbeitet aber nicht außer seiner Wohnung.«

»Auch das läßt sich vielleicht vereinen; ich werde meine Braut jedenfalls darauf aufmerksam machen. Aber jetzt habe ich Ihre Zeit schon zu lange in Anspruch genommen. Also auf Wiedersehen, Herr Notar!« Und mit freundlichem Gruße wandte er sich dem Ausgang zu.

Notar Püster ging noch eine Weile, nachdem ihn der Hauptmann verlassen hatte, mit einem sehr vergnügten Gesicht in seinem Zimmer auf und ab und rieb sich dabei, still vor sich hin lächelnd, die Hände scharf zusammen. Er hatte sich schon lange gewünscht, den Director da drüben einmal in seiner eigenen Klause zu überraschen, und die Gelegenheit bot sich jetzt in vortrefflicher Weise. Aber wann sollte er gehen – morgen? Und warum nicht gleich? War aber der Director zu Hause? Er trat an sein Fenster und schaute hinüber; das Fenster drüben war geschlossen, aber er sah sich trotzdem dort etwas bewegen, das fast einem wehenden Federbusch glich, und ohne Weiteres seinen Hut aufgreifend, sagte er zu Mux: »Ich komme gleich wieder,« und ließ dem Entschlusse auch rasch die That folgen.

Als er unten an der Hausthür von Director Sußmeyer geklingelt und dem Glockenspiel da drinnen eine Weile gelauscht hatte, öffnete ihm endlich eine alte Frau, die Haushälterin des Mimen.

»Herr Director zu Hause?«

»Ja, der Herr Director sind oben. Wen soll ich melden?« »Wissen Sie, Sie brauchen mich gar nicht zu melden. Ich bin der Notar Püster von nebenan und komme in einer Geschäftssache, die seine Zeit nur wenige Minuten in Anspruch nehmen wird.«

»Aber er spielt heut Abend …«

»Das schadet nichts, die Sache ist wichtig. Eine oder zwei Treppen hoch?«

»Ah, er steckt wieder oben, zwei Treppen, gleich die erste Thür rechts; klopfen Sie nur an! Ich bin jetzt fünfmal hintereinander die Treppen gestiegen, und meine alten Beine wollen nicht mehr mit.«

Püster hatte ein so ehrwürdiges Aussehen, daß die alte Frau es ihm selber überließ, sich hinauf zu finden; kam er dem Herrn dann nicht gelegen, so konnte der ihn ja einfach wieder fortschicken. Der hatte seine Manier, die Leute los zu werden. Der Notar indessen stieg die enge Treppe hinan, fand die bezeichnete Thür und klopfte herzhaft an.

»Wer geht da?« donnerte eine Stimme von innen heraus, und das als eine Art von »Herein« betrachtend, öffnete er ohne Weiteres die Thür und fand sich auch im nächsten Augenblick – nicht etwa dem Director, sondern dem wirklichen Grafen Wetter v. Strahl gegenüber, der ihm in voller Rüstung, mit geschlossenem Visir und gezogenem Degen so gegenüber stand, als ob er ihm die geflammte, wuchtige Klinge ohne weitere Warnung in's Herz stoßen wollte.

Püster, sonst und im gewöhnlichen Leben nicht im Geringsten scheu oder selbst nur schüchtern, fuhr doch fast unwillkürlich einen halben Schritt zurück, denn auf eine solche Erscheinung war er nicht, vorbereitet gewesen, und Sußmeyer sah auch in der That imposant genug aus. Er war von Kopf bis zu Füßen in eine blitzende, vorn mit Messingzierrathen ausgelegte Blechrüstung gekleidet. Auf dem Kopfe trug er einen mächtigen Helm, dessen blau und weißer, hoher Federbusch sogar die Decke des nicht sehr hohen Zimmers streifte. Die Füße staken in spitzen Schnabelschuhen, auch mit Blech belegt, und Arm- wie Beinschienen mit den dazu gehörenden Handschuhen vollendeten den Ritter wie er leibte und lebte; ja selbst die blau und weiße Schärpe fiel von seiner Schulter nieder.

War denn das der Director? Denn sein Gesicht könne er durch das geschlossene Visir natürlich nicht erkennen; aber er sollte darüber nicht lange im Zweifel bleiben, denn hohl aus dem Blech heraus tönten die Worte:

»Wo willst Du, kühner Fremdling, hin,
Wen suchst Du hier im Heiligthum?«

»Habe ich das Vergnügen, mit Herrn Director Sußmeyer zu sprechen?«

Der Ritter zögerte einen Augenblick mit der Antwort. Noch stand er, das nur etwas gesenkte Schwert vor sich ausgestreckt, den rechten Fuß vor, den Kopf zurückgeworfen, und den linken, mit dem Schilde bewehrten Arm wie zu augenblicklicher Vertheidigung halb gebogen. Er hatte aber jedenfalls seinen Nachbar, den Notar, erkannt, mit dem er außerdem schon mehrere Beziehungen gehabt. Plötzlich nahm er das Schwert, wie er es mit einem Regenschirm gethan haben würde, unter den linken Arm, und mit der rechten Hand das Visir emporschiebend und sich dabei artig und modern verneigend, sagte er, indem er dem Advocaten die gepanzerte Rechte entgegenstreckte: »Herr Notar, ist mir sehr angenehm, Sie begrüßen zu können! Sie müssen entschuldigen, ich habe eben meine Rüstung anprobirt; wir geben heut Abend das »Käthchen von Heilbronn«.«

»Es sollte mir leid thun, wenn ich Sie gestört hätte!«

»Bitte!« sagte Graf Wetter von Strahl sehr artig, und die großen, weiß und blauen Federn schwankten auf seinem Helm. »Aber womit kann ich Ihnen dienen?«

Püster, dessen Aufmerksamkeit bis dahin nur allein von der geharnischten Gestalt gefesselt gewesen, warf den Blick jetzt im Zimmer umher und entdeckte noch eine andere Figur, die allerdings gegen den Ritter bedeutend abstach. Es war das Factotum des Directors, der Theaterdiener Pichler, der, in Hemdärmeln, mit großcarrirten, aber sehr fleckigen Hosen, verschobener Halsbinde und darunter vorgerutschtem, nicht neugewaschenem Hemd, im Schweiße seines Angesichts gearbeitet zu haben schien, um seinen Vorgesetzten in die blechernen Schienen einzuzwängen. Er trocknete sich jetzt wenigstens, in Ermangelung eines Taschentuches, mit seinem Aermel den Schweiß von der Stirn, hielt aber dabei die Augen immer noch mißtrauisch auf die Rüstung geheftet, um zu sehen, ob alles passe und nicht etwa im entscheidenden Moment »losgehen« könne. Für einen Knappen sah er sicherlich zu modern und nicht hübsch genug aus; übrigens genirte er den Notar, denn was er mit dem Director zu sprechen hatte, bedurfte keiner Zeugen.

»Ich – hätte ein paar Worte unter vier Augen mit Ihnen zu reden, Herr Director,« bemerkte er auch jetzt mit einem Blick auf den Diener; »ich werde Ihre Zeit nicht lange in Anspruch nehmen.«

»Darum müßte ich allerdings bitten,« erwiderte Graf Wetter von Strahl, »denn meine Zeit ist gemessen; die Kunst ruft mich, und der verfluchte Blechschmied muß mir auch die linke Beinschiene noch etwas weiter machen. Pichler – ab!«

Er sagte das mit einer wegwerfenden Handbewegung, als ob er den armen Teufel ohne Weiteres von der Erde zu vertilgen wünsche. Pichler verschwand aber noch nicht gleich, sondern sah erst mit einer fragenden Bewegung und einem leisen Herunterzucken des Kopfes nach links seinen Herrn an.

Dessen Auge haftete fest auf ihm; er schien etwas zu überlegen und warf dabei einen halb mißtrauischen Blick auf den Besuch. Endlich nickte er langsam mit dem Kopfe, und Pichler glitt dann wie eine Schlange aus der Thür.

»Ist es Ihnen nun gefällig,« sagte der Director mit einer vornehm einladenden Handbewegung, »so treten wir in mein Studierzimmer; wir sind dort ungestörter.« Er öffnete dabei die Thür, und während Püster in den geheiligten Raum trat, folgte ihm die gepanzerte, von Blech klappernde Gestalt, schob aber dem Advocaten sehr verbindlich einen Stuhl bis ziemlich mitten in die Stube und setzte sich dann nicht weit von ihm in einen Rohrstuhl mit hoher Lehne, was aber wegen der Rüstung seine Schwierigkeiten hatte.

»Herr Director,« begann jetzt Püster, »Sie wissen, wir Advocaten beschäftigen uns wenig mit unseren eigenen Angelegenheiten, sondern fast nur mit denen anderer Leute.«

»Das thun sehr viele Menschen,« erwiderte Graf Wetter von Strahl.

»Aus Neigung, ja; bei uns ist es aber Geschäft. So komme ich denn auch heute in der Angelegenheit eines Andern.«

»Als Advocat oder als Freund?«

»Sagen wir als Freund, auch Ihnen gegenüber, um einen Ausgleich zu finden, einen vorliegenden Gegenstand zu arrangiren.«

»Kommen wir zur Sache,« sagte der Director – er hielt noch immer das blanke Schwert in der Hand, stemmte es jetzt vor sich auf den Boden und hielt beide Hände auf das Kreuz, gerade so, wie wir es auf alten Ritterbildern häufig abgebildet finden.

»Ich komme im Namen des Hauptmanns von Dürrbeck.«

»Ha!« rief Graf Wetter von Strahl, von seinem Stuhl emporfahrend und mit der rechten Hand wieder das Schwert ergreifend, als ob er einen Schlag damit führen wolle.

»Schon wieder klingt der Name an mein Ohr
Und treibt das Blut mir rascher durch die Adern.
Wirft denn ein bös' Geschick den Unglückseligen
Mir wieder stets und wieder in den Weg –
Zur Hölle fahre er –

»Bitte um Entschuldigung, Herr Director,« sagte der Notar, der nur mit Mühe ein Lächeln unterdrückte, denn er mochte den exaltirten Menschen nicht reizen – »Hauptmann von Dürrbeck ist in jeder Hinsicht ein Ehrenmann, und ich bin gerade deshalb zu Ihnen gekommen, um einen Vergleich herbei zu führen.«

»Einen Vergleich!« sagte der Graf Wetter von Strahl mit einer wegwerfenden Bewegung des Kopfes – »wozu ein Vergleich? Ich habe den Contract. Machen Sie mir den Kopf nicht warm, Herr Notar!«

Sein Kopf schien ihm wirklich warm zu werden, aber der Notar war es nicht, der das that, sondern der ungewohnte Helm, und in seiner Aufregung nahm er ihn ab und stellte ihn neben sich auf den Boden. Jetzt mußte Püster aber wirklich an sich halten, denn darunter vor kam der Kopf in Papilloten und bildete über dem Harnisch einen etwas seltsamen Aufsatz. Der Director schien das aber nicht zu fühlen, oder dachte er in dem Augenblick vielleicht gar nicht an die Papilloten.

»Mein lieber Herr Director,« sagte Püster jetzt mit der größten Ruhe, »Sie haben allerdings den Contract, aber es giebt Contracte, die vor Gericht, wenn bestimmte Zwischenfälle eintreten, null und nichtig sind. Jeder Mann ist verpflichtet, seine Schulden zu bezahlen; aber sobald er nichts mehr hat und Bankerott macht, hört diese Verpflichtung auf, denn die Unmöglichkeit tritt ein, seine Schulden abzutragen.«

»Und was hat das hiermit zu thun?«

»Viel. Sie können doch Fräulein Blendheim nicht daran hindern, sich zu vermählen, wie?«

»Nein, ich glaube nicht; habe auch nicht die Absicht.«

»Schön; aber in unseren christlichen Gesetzen ist auch die Form aufgenommen, die Frau soll dem Manne folgen – und was dann, wenn sich Fräulein Blendheim jetzt verheirathet und ihr Mann eine Reise macht? Sie wären nicht durch irgend einen Contract der Welt im Stande, sie daran zu verhindern; ja, ich weiß nicht einmal bestimmt, ob Sie dadurch selbst der Verpflichtung entgingen, ihr regelmäßig ihre Gage zu zahlen.«

»Ha!« schrie der Director wieder und fuhr klappernd von seinem Stuhl in die Höhe; zu gleicher Zeit aber trat er mit dem rechten Fuße auf einen dicht neben ihm befindlichen Knopf, und der Notar, der ja wußte, daß er allerlei tollen Spuk in seinem Hause treibe, erwartete jetzt wirklich nichts anderes, als daß er wieder zu seinem alten Hülfsmittel die Zuflucht nehmen wollte. In dem nämlichen Momente fühlte er aber seinen eigenen Stuhl, auf dem er saß, schwanken, und behielt eben noch Zeit, sich davon ab und eine Strecke fortzuschnellen, als der Stuhl wirklich in die Tiefe sank und ein Loch an dessen Statt heraufgähnte.

»Alle Teufel, Herr,« rief er in der That erschreckt aus, »was treiben Sie da für Unsinn!«

»Sie müssen still sitzen,« sagte Graf Wetter von Strahl ruhig, »Sie hätten den Hals brechen können.«

»Ich danke Ihnen, aber das ist außer dem Spaß; ich komme in der besten Absicht« (die Klappe schloß sich wieder, und Pichler stand unten und betrachtete den leeren Stuhl) »und Sie verüben ein Attentat!«

Graf Wetter von Strahl hob abwehrend die Hand:

»Nicht weiter, Herr Notar! Vermengen wir nicht zwei ganz unvereinbare Geschäfte; Sie wollen mich bewegen, von meinem Contracte abzustehen – ich habe nicht die geringste Veranlassung dazu, ein Vergleich ist unnöthig.«

»Aber was verstehen Sie unter einem Vergleich?« sagte der Notar gereizt. »Ich verstehe darunter, daß uns der Gegenpart ein Anerbieten macht …«

»Ich hätte gewünscht,« sagte Graf Wetter von Strahl, indem er sich in Gedanken mit der Hand in die Papilloten fuhr und dann bestürzt einen Blick in den Spiegel warf – er griff auch wieder nach seinem Helm hinunter und stülpte ihn sich auf's Neue auf den Kopf; er mochte fühlen, daß es den Eindruck der Rüstung abschwäche –, »ich hätte gewünscht, daß unsere Unterredung vorhin auf geeignete Weise abgebrochen wäre.«

»Ja wohl, wenn ich in das Loch da unten hineinfiel!« sagte der Notar.

»Aber nennen Sie mir den Vergleich,« fuhr der Director unerschüttert fort –

»Ein warmer Anwalt ist Graf Shrewsbury
Für meine Feindin und des Reichs. – Ich ziehe
Die Räthe vor, die meine Wohlfahrt lieben.«

»Ich verstehe Sie nicht ganz, Herr Director,« sagte der Notar, »aber ich glaube, daß der Vorschlag, den ich Ihnen zu machen habe, auch Ihre Wohlfahrt einbegreift. Herr Hauptmann von Dürrbeck könnte vielleicht durch einen Proceß – und er hat viele Chancen für sich – den ganzen Contract umstürzen; aber er ist, wie gesagt, ein Ehrenmann. Er will weder Ihnen Schaden noch ein Unrecht thun und bietet Ihnen deshalb, da das Fräulein, der Gesetze unkundig, den Contract eingegangen ist, eine Abstandssumme von eintausend Thalern, während die Conventionalstrafe auf zweitausend festgesetzt ist. Was sagen Sie dazu?«

Der Director sann einige Minuten nach; dann declamirte er leise vor sich hin:

»Wie anders wirkt dies Zeichen auf mich ein!
Du, Geist der Erde, bist mir näher –

Baar ausgezahlt, meinen Sie?«

»Baar ausgezahlt an dem Tage, wo sie aus ihrem Contracte tritt.«

Graf Wetter von Strahl stand nachdenkend vor dem Notar. Er hatte sich wieder auf das Schwert gestützt und schien das Anerbieten reiflich zu überlegen. – »Ich will Ihnen etwas sagen, Herr Notar,« begann er endlich; »ich habe die feste Ueberzeugung, daß ich Fräulein Blendheim zwingen könnte, mir die zweitausend Thaler Conventionalstrafe zu bezahlen, falls sie wirklich gewillt sein sollte, ihren Contract zu brechen.«

»Aber sie bricht ihn gar nicht, sie verheirathet sich nur – doch machen Sie, was Sie wollen.«

»Trotzdem,« fuhr der Director fort, »bin ich nicht abgeneigt, auf eine solche Beilegung des Streites einzugehen – Sir haben keinen Begriff von der wahren Kunst..

»Mein lieber Herr Director, die Familie geht doch immer vor.«

»Sie haben keinen Begriff von der wahren Kunst,« wiederholte der Director kalt und streng; »Sie sind ein Alltagsmensch, praktisch vielleicht in allem, was die Spitzfindigkeiten der Gesetze betrifft, aber Sie haben kein Herz..

»Herr Director!«

»Kein Herz für das Höhere, für das Reine und Unantastbare – Sie hören von einem Contract, und das genügt Ihnen. Welche Verbindlichkeit aber die Künstlerin gegen das kunstsinnige Publikum übernommen, wie sie durch ihren Austritt das Ensemble stört und die Bühne zu einer Fabrik herabwürdigt, aus der man einen Tagelöhner entläßt und einen andern dafür wiedernimmt – das fühlen Sie, das verstehen Sie nicht.

»Ich will gern eingestehen, daß Sie die Sache von einer andern Seite auffassen ..

»Von der allein richtigen; aber lassen wir das. Tausend Thaler will mir Hauptmann von Dürrbeck baar auszahlen, Wenn Fräulein Blendheim ihren Contract bricht – sagten Sie das nicht, und übernehmen Sie die Bürgschaft?«

»Ich sage das und übernehme die Bürgschaft, Herr Director. Sind Sie also vollkommen damit einverstanden, und haben wir später von Ihrer Seite keine weiteren Schwierigkeiten zu erwarten?«

Der Director hatte seine gepanzerten Arme, unter denen er das Schwert jetzt hielt, auf der Brust gefaltet, und sinnend senkte sich sein behelmtes Haupt. Er nahm dabei eine vollkommen heroische Stellung ein, den rechten Fuß etwas vorgesetzt, und das leise Neigen seines Kopfes machte auch die Federn anmuthvoll schwanken; endlich sagte er:

»Es giebt im Menschenleben Augenblicke,
Wo man dem Weltgeist näher steht, als sonst,
Und eine Frage frei hat an das Schicksal –

aber soll ich eine Jüngerin der Kunst zwingen, ihr göttliches Talent, das jetzt auf jeder Bühne wenigstens dreitausend Thaler werth ist, zu benutzen? Nein, meine Seele denkt nicht an solche Engherzigkeit. Außerdem würde aller Wahrscheinlichkeit nach doch sehr bald der Fall eintreten, daß sie mir furchtbare Störungen im Repertoire machte – oh Weiber, Weiber! Aber das geschieht mir schon recht – ich hätte es voraussehen können – jetzt ist es vorbei. Nehmen Sie sie hin – sie sei die Ihre.«

»Bitte um Verzeihung, Herr Director,« lachte Püster, »ich denke gar nicht daran, meinen Junggesellenstand mit der heiligen Ehe zu vertauschen, und Hauptmann von Dürrbeck möchte auch wohl schwerlich damit einverstanden sein.«

»Spotten Sie noch meiner?« rief der Director und griff wieder krampfhaft nach seinem Schwerte. »Alles habe ich Ihnen geopfert, und das mein Dank?«

Er stampfte dabei heftig den Boden, und Püster stand schon wieder auf dem Sprunge, denn er traute dem Boden hier nicht, weil selbst die Dielenspalten eine Versenkung verbergen konnten.

»Herr Director,« rief er auch, halb im Aerger, halb in wirklicher Sorge für seine Gliedmaßen, »ich mache Sie für alles verantwortlich, was mir hier geschehen könnte! Treiben Sie Ihren Unsinn, mit wem Sie wollen, aber nicht mit mir!«

Er hatte übrigens nichts zu fürchten; das Stampfen war nur ein Zeichen für den Theaterdiener gewesen, denn während Graf Wetter von Strahl in hochtragischer Stellung auf sein Schwert gestützt dastand, steckte Pichler den Kopf in die Thür und fragte:

»Befehlen der Herr Director etwas?«

Director Sußmeyer hob, den Kopf zurückwerfend, die linke gepanzerte Hand gegen den Notar auf.

»Fort, stürzt das Scheusal in die Wolfsschlucht!« sagte er – und Püster, die offene Thür benutzend, zögerte keinen Moment, von der Gelegenheit Gebrauch zu machen.

»Wenn der Kerl nicht verrückt ist,« murmelte er dabei vor sich hin, »so bin ich es!« – Aber er hatte keine Zeit, lange Betrachtungen anzustellen, denn Pichler rannte hinter ihm die Treppe hinunter. Püster traute dem Einen so wenig wie dem Andern und ruhte auch nicht eher, bis er sich wieder auf freier Straße fand.



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