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20.
Verschiedene Interessen


Das Testament der alten Frau Mäusebrod war insofern in Kraft getreten, als ein Justizrath Bärwald, ein alter Freund des Mäusebrod'schen Hauses und ein anerkannter Ehrenmann, als Testamentsvollstrecker von der Verstorbenen selbst ernannt, die Sache in die Hand genommen hatte und sie nun rasch und nach dem Buchstaben abwickelte. Frau Oberstlieutenant von Klingenbruch, da ihr Mann trotz mehrerer Scenen im Hause, nicht dazu bewogen werden konnte, die nötigen Schritte zu thun, hatte es allerdings unternommen, das Testament umzustoßen, oder doch wenigstens den Versuch zu machen, aber keinen Advocaten gefunden, der es übernehmen mochte, da sie die Erfolglosigkeit einer solchen Handlung einsahen. Nur ein kleiner Winkeladvocat ging darauf ein, aber die Frau Oberstlieutenant wurde selber gegen ihn mißtrauisch, und da er auch noch einen Vorschuß auf die Kosten von ihr verlangte, sah sie sich endlich gezwungen, es aufzugeben und sich dem Unvermeidlichen zu fügen.

Es war ein Sonntagmorgen. Der Oberstlieutenant saß drüben in seinem kleinen Kämmerchen, denn ein Zimmer konnte man es eigentlich gar nicht nennen, und las das Sonntagsblatt, das alle acht Tage die Fortsetzung eines englischen Romans in der Uebersetzung brachte. Die gnädige Frau war noch bei ihrer Toilette, die jungen Damen befanden sich allein in der großen Wohnstube, natürlich in tiefer Trauer um die verstorbene Tante, und ihr ganzes Aeußere wie der Ausdruck in ihren Zügen paßte genau zu der düstern Farbe des Anzuges. Ja, selbst auffallend bleich sahen die beiden jungen Mädchen aus, und Flora, deren Arbeit in ihrem Schooß ruhte und die das Köpfchen in die linke zarte Hand stützte, hatte sogar Thränen in den Augen. Nahmen sie sich den Tod der Tante so zu Herzen?

»Die Tante war doch ein rechtes Scheusal,« brach da Flora das Schweigen, »und die Mutter hat es immer gesagt, aber wir wollten es nur nicht glauben!«

»Wenn wir ihr nur damals, als wir zum letzten Mal bei ihr waren, die alten häßlichen Tücher in das dicke Gesicht geworfen hätten!« bemerkte Henriette in ihrer tiefen Trauer.

Wieder schwiegen die beiden Mädchen, aber ihre Gedanken schweiften ab nach anderer Richtung, und Flora, auch viel leidenschaftlicher von Temperament als ihre etwas ruhigere Schwester, hatte ihre zarte Unterlippe zwischen die Zähne gefaßt und sagte endlich, indem sie finster und mit einem recht häßlichen Blick vor sich nieder schaute:

»Aber in einer Hinsicht hatte die Tante Recht. So lange sie lebte, habe ich's nicht geglaubt; aber 's ist wahr, 's ist bitter war!«

»In was hatte sie Recht?« sagte Henriette finster; »sie stak voll Gift bis obenhin …«

»Aber was sie von den Männern sagte, ist wahr!« rief Flora heftig; »sie mag auch wohl da eine Anzahl Erfahrungen gemacht haben. Oh, wenn wir ihr nur wenigstens darin geglaubt hätten!«

Jettchen zog auch die Stirn in düstere Falten; sie hätte gern widersprochen, aber die Worte wollten ihr nicht über die Lippen. Sie ärgerte sich darüber, daß die Tante in irgend Etwas sollte Recht gehabt haben, aber im Herzen mußte sie trotzdem zustimmen, denn, wenn sie auch gerade noch keine wirklichen Beweise hatte, so fürchtete sie doch schon das Schlimmste. Wie oft war sie jetzt abends unter den verschiedensten Vorwänden in den Garten hinunter gegangen, aber immer und immer vergebens, ihr »Julius« ließ sich nicht mehr blicken, und nur dem Hofapotheker Semmlein war sie zweimal begegnet, der sie immer wieder auf das Widerlich-Freundlichste grüßte. Was der Mensch nur fast jeden Abend im Dunkeln auf dem Hof zu thun hatte; er war zu unausstehlich! Aber Julius kam nicht mehr, und auch in der Stadt wie im Park war sie ihm nicht mehr begegnet. Und ob er ein einziges Mal wieder an ihrem Fenster vorübergegangen wäre und heraufgegrüßt hätte! Nein, dicht am Hause drückte er sich hin, wenn er vorbei mußte, und neulich – fast unbewußt ballte sie die kleine Hand.

»Falsches, ehrloses Volk!« murmelte Flora zwischen den Zähnen durch. »Alle miteinander; aber mir sollen sie nur wieder kommen mit ihren Lügen und faden Schmeicheleien! Jetzt weiß ich, was ich davon zu halten habe, und wir können Beide Gott danken, Hetty, daß wir die Erfahrung gemacht, oder wir wären vielleicht Beide unglücklich für unser ganzes Leben geworden.«

»Weshalb könnt Ihr Gott danken?« sagte die Mutter, die in diesem Augenblick in's Zimmer trat und die Worte hörte, »was habt Ihr denn? Und Du, Flora, hast geweint?«

»Um die Tante, Mama,« sagte Flora und wandte den Kopf halb zur Seite, denn ihre Mutter sah sie ganz verwundert an.

»Um die Tante

»Ja, Mama, um Frau Mäusebrod, wenn Dir das besser klingt,« erwiderte schnippisch das junge Mädchen. Sie waren jetzt durch die Erbschaft ihre eigenen Herrinnen geworden, und Flora dachte nicht daran, sich noch als Kind behandeln zu lassen. Mama aber that das gar zu gern, weil sie den Oberbefehl im ganzen Hause führte, und es wurde Zeit sie merken zu lassen, wie dies doch eigentlich nicht mehr am Platze wäre.

»Na?« sagte die Frau Oberstlieutenant und sah erst Flora, und dann Jettchen verwundert und eben nicht freundlich an. »Was soll denn das jetzt heißen? Glaubt Ihr, weil Ihr schlechter Laune seid, Ihr könntet Euren Aerger dabei an mir auslassen? Ich will's mir ausgebeten haben. Was ist das für eine alberne Bemerkung, Mamsell, »Frau Mäusebrod, wenn das besser klingt«; jetzt seh' ein Mensch so einen Gelbschnabel an, wie sie da sitzt und die Nase rümpft! Ist mir denn je im Leben schon so etwas vorgekommen? Untersteht Du Dich das noch einmal!«

»Aber, Mama!« rief Flora, jetzt doch gewillt, nicht wieder klein beizugeben, wo sie wußte, daß sie den Boden dann für alle Zeit verloren hatte, »ich bin alt genug, um auch einmal übler Laune zu sein und meine Gründe dafür zu haben, ohne daß ich gezwungen wäre, die Jemandem anzugeben.«

»Alt genug magst Du sein,« rief aber die Mutter, in der der Zorn schon kochte, »alt genug, um einzusehen, daß Du eine alberne Gans bist; aber Du hast keinen Verstand dazu, das ist der Fehler, und nun sag' ich Dir Eins, Mamsell Spitzmaul, hüte Dich und mach' mich nicht böse, denn ich bin gerade in der rechten Stimmung, um Dir heimzuleuchten!«

»Mutter,« rief Flora, als liebenswürdige Tochter, »ich verbitte mir das Schimpfen; ich brauche es mir nicht mehr von Dir gefallen zu lassen, und ich will es nicht – und Henriette ist auch meiner Meinung!«

Die Frau Oberstlieutenant war wie vom Schlage gerührt – so etwas war ihr wirklich noch nicht in ihrem ganzen Leben vorgekommen. Die beiden Arme in die Seiten gestemmt, den Oberkörper vorgebeugt, stand sie da und starrte eine ihrer Töchter nach der andern vor Verwunderung an. Endlich aber brach es los; der lange zurückgehemmte Strom ihrer Rede sprengte die Dämme, und eine solche Fluth von größtentheils nicht adeligen Wörtern ergoß sich über ihre Zunge, daß Flora, obgleich sie ein paar Mal den trostlosen Versuch wagte, dagegen doch nicht anschwimmen konnte, die Fluth schwemmte sie rein und spurlos fort. Wie sich aber die Frau Oberstlieutenant in immer größeren Zorn hineinredete und zuletzt, in einen wahren Paroxysmus ausbrechend, rief: »Wenn's Euch denn nicht mehr hier im Hause gefällt, ei, warum geht Ihr denn nicht, Ihr Gänse? Ihr habt ja geerbt; oder glaubt Ihr, daß Ihr mir ein Vergnügen macht, wenn ich Euch hier als lebenslängliche alte Jungfern sitzen habe, heh?« – Da sprang Flora von ihrem Stuhl empor, und sie wie Henriette verließen rasch das Zimmer.

Der Oberstlieutenant hatte den Skandal drüben in seinem Kämmerchen recht gut gehört, war aber gar nicht neugierig zu erfahren, um was es sich hier handle, und dachte noch weniger daran, sich irgendwie einzumischen. Ja, er stand sogar von seinem Stuhle auf, schob so geräuschlos als möglich den Riegel vor und setzte sich dann wieder behaglich in seinem Lehnstuhl zurecht. Die Zugbrücke war aufgezogen, und es konnte ihm nichts passiren.

Die Vorsicht schien auch in der That nicht so ganz nutzlos gewesen zu sein, denn kaum war drüben die Thür gegangen und wieder scharf in's Schloß geworfen worden, als sie sich noch einmal öffnete und unmittelbar danach Jemand auf seine Klinke drückte.

»Mach' einmal auf, Heinrich!« rief die Stimme seiner Frau draußen.

»Ich kann nicht, mein Kind,« sagte der Oberstlieutenant, indem er wohlgefällig ein Bein über das andere schlug, das Zeitungsblatt aber vorsichtig bei Seite legte, damit ihn das Knittern nicht verrieth – »ich bin gerade beim Anziehen!«

»Du ziehst Dich aber eine Ewigkeit an – ich muß Dir etwas sagen!«

»Warte nur ein wenig, mein Kind, ich komme dann hinüber.«

»Aber so mach' doch nur auf!« rief die Frau Oberstlieutenant ärgerlich und drückte wiederum auf die Klinke.

»Es geht absolut nicht, mein Schatz,« sagte ihr Gatte mit der größten Gemüthsruhe – denn er wußte sich hier vollkommen sicher – »ich komme dann hinüber.«

Was die Frau Oberstlieutenant draußen murmelte, konnte man allerdings nicht genau verstehen, aber ein Segenswunsch war es nicht. Uebrigens mußte sie die Belagerung aufheben, denn die Festung weigerte sich zu capituliren und die Schlüssel zu überreichen, und der Sturm zog diesmal harmlos vorüber. Andere Truppen wurden nämlich in's Feld geführt und kamen zum Entsatz, denn es klingelte jetzt draußen an der Vorsaalthür, und seine Gattin fuhr in die Thür zurück, um nicht in dieser Aufregung irgend einem Besuche zu begegnen.

Die Hanna mußte nach einer längeren Weile, da sie sich eigentlich nie beeilte, öffnen, und draußen stand Hauptmann von Dürrbeck, der den Herrn Oberstlieutenant zu sprechen wünschte. »Ist er zu Hause?«

»Ja; ich glaube, er zieht sich gerade an – die gnädige Frau hat eben eine Weile an der Thür gedonnert,« sagte das Mädchen in seiner liebenswürdigen Unschuld.

»Aber ich möchte nicht stören …«

»Ne, Sie stören nicht, kommen Sie nur herein; er wird wohl gleich fertig sein.«

Die Hanna machte solcher Art die Honneurs und führte den Hauptmann ohne Weiteres in die »gute Stube«. Dort blieb er eine Zeit lang allein, denn die jungen Damen hüteten sich, ihm in dieser Stimmung zu nahe zu kommen, und die gnädige Frau fühlte sich ebenfalls nicht aufgelegt, jetzt einen Besuch zu empfangen, der noch dazu nicht einmal ihr selber galt. Aber auch der Oberstlieutenant mußte eine kurze Zeit verstreichen lassen, ehe er sich zeigte, denn er durfte sich selbst nicht Lügen strafen, daß er beim »Anziehen« gewesen wäre, späterer Consequenzen wegen. Endlich aber, und auf doppelte Mahnung der Hanna, zeigte er sich doch und traf nun Dürrbeck, der in voller Ruhe an dem einen Fenster saß und mit der größten Geduld von der Welt nach der Wohnung seiner Constanze hinüber schmachtete.

»Mein lieber Herr Hauptmann, entschuldigen Sie, wenn ich Sie so lange warten ließ, aber ich war gerade bei meiner Toilette …«

»Mein lieber Herr Oberstlieutenant, ich muß um Entschuldigung bitten, wenn ich Sie zu so ungelegener Zeit belästige; aber ich will Sie nicht lange aufhalten und möchte nur eine Frage an Sie richten, an deren Beantwortung mir viel liegt, die Sie mir aber nicht weigern werden, da Sie ja auch ein Freund des Solberg'schen Hauses sind …«

»Bitte, bitte, mein bester Herr Hauptmann, gewiß nicht, wenn es in meinen Kräften steht – aber wollen Sie nicht wieder Platz nehmen? Womit kann ich Ihnen dienen – aber halt, kommen Sie lieber mit hinüber in mein Zimmerchen, dort ist es gemüthlicher, und wir rauchen unsere Cigarre.«

Dürrbeck nahm den Vorschlag an, und drüben eingetroffen, begann er ohne Weiteres sein Anliegen.

»Sie kennen den Grafen Rauten näher, Herr Oberstlieutenant, nicht wahr? Es wurde mir wenigstens gesagt, daß Sie einmal in der Gegend gewesen wären, wo seine Güter liegen.«

»Das ist allerdings der Fall,« lächelte der Oberstlieutenant verlegen; »aber, lieber Gott, das Land ist entsetzlich groß, die Verbindungswege sind sehr schlecht, und Verkehr zwischen den einzelnen Theilen herrscht der verschiedenen Schwierigkeiten wegen fast gar nicht. Ich muß auch gestehen, daß ich die Güter des Grafen nie selber betreten habe. Der Rauten ist aber dort ziemlich bekannt, es scheint eine sehr angesehene Familie zu sein.«

»Also Sie sind nie mit Jemandem aus der Familie näher zusammengekommen und wissen nichts Genaueres über die einzelnen Glieder derselben?«

»Nein, mein lieber Herr Hauptmann, das weiß ich allerdings nicht.«

»Seit wann kennen Sie unsern Grafen?«

»So lange er hier ist, etwa seit sechs oder sieben Monaten, glaub' ich.«

»Darf ich dann eine recht indiscrete Frage thun, deren Beantwortung ich Ihnen aber vollständig anheimstelle – wie gefällt er Ihnen?«

»Graf Rauten?« sagte der Oberstlieutenant, doch etwas erstaunt, denn er wußte nicht, was er daraus machen sollte – »ih nun, ganz gut, denk' ich; es ist ein sehr gewandter, liebenswürdiger Mann, mit einem ganz außerordentlich entwickelten gesellschaftlichen Talent.«

»Das läßt sich nicht leugnen – aber sonst?«

»Sonst?« wiederholte der Oberstlieutenant und sah den Hauptmann verdutzt an. »Ich weiß nicht, wie Sie das verstehen.«

»Ich meine in seinem ganzen Wesen, in seinem – ich weiß eigentlich selber nicht, wie ich mich ausdrücken soll …«

»Er beträgt sich immer sehr anständig und hat etwas wirklich Nobles gerade in seinem Wesen.«

»Ja, das meine ich nicht, das läßt sich aneignen – aber halten Sie ihn für einen guten Menschen?«

»Ja, mein lieber Herr Hauptmann,« sagte der Oberstlieutenant, aber augenscheinlich etwas verlegen, »das ist freilich wieder ein anderes Capitel, und ich muß Ihnen aufrichtig gestehen, daß ich darüber noch nicht einmal ernsthaft nachgedacht habe.«

»Und wenn Sie darüber nachdächten?«

»Aber wie kommen Sie überhaupt zu der Frage?«

»Ich habe Ihnen im Voraus gesagt, lieber Herr Oberstlieutenant, daß ich Ihnen die Beantwortung völlig freistelle; ich will nicht in Sie dringen und habe kein Recht dazu, aber Hans von Solberg ist mein intimster Freund; ich bin dem ganzen Hause Solberg vielen Dank schuldig, und es liegt, wie ich Ihnen vorher gestehen will, um Ihnen zu zeigen, daß ich volles Vertrauen in Sie setze, für mich etwas Unheimliches, Lauerndes in dem Blicke des Grafen, dem ich umsonst einen Ausdruck zu geben versuche.«

»Hm,« nickte der Oberstlieutenant langsam vor sich hin, »Sie mögen in einer Hinsicht Recht haben, lieber Herr Hauptmann. Ich muß Ihnen gestehen, ich habe schon selber manchmal ein ähnliches Gefühl gehabt; aber was will das sagen? Wir dürfen doch einen Menschen nicht nach dem Eindrucke beurtheilen, den er gerade auf uns macht.«

»Und weshalb nicht? Gerade der Eindruck sollte maßgebend sein, denn unser Gefühl täuscht uns selten. Wie ich Ihnen aber im Vertrauen sage – denn ich habe nicht den geringsten Anhalt für meine Behauptung –, so hat Graf Rauten für mich etwas, um das mildeste Wort zu gebrauchen, Unsympathisches, und ich könnte mich nie mit ihm befreunden.«

»Aber, lieber Gott,« sagte der Oberstlieutenant gutmüthig, »die kurze Zeit, die er überhaupt noch hier sein wird, können wir schon mit ihm auskommen, und außerdem treffen wir doch auch nur in Gesellschaften oder einmal bei einem flüchtigen Besuch mit ihm zusammen.«

Dünbeck schwieg eine Weile und sah still vor sich nieder; seine Gedanken schweiften jedenfalls nach anderer Richtung ab; endlich sagte er: »Was ich Sie fragen wollte, Herr Oberstlieutenant; lebt Ihr Freund noch in Galizien?«

»In Galizien? Gewiß – er müßte denn ganz kürzlich gestorben sein – aber auch das hätte ich erfahren, denn er ist ein naher Verwandter meiner Frau, und vor etwa sechs Wochen, haben wir noch Briefe von dort gehabt.«

»Schön – wollen Sie mir dann persönlich einen Gefallen thun, der ganz unverfänglich ist?«

»Aber, mein lieber Herr Hauptmann, mit dem größten Vergnügen,« sagte Klingenbruch gutmüthig – »nur heraus, damit.«

»Gut, dann schreiben Sie an Ihren Freund ein paar Zeilen, bitten ihn um umgehende und ausführliche Auskunft über die auf diesem Zettel benannte Familie und den Erben derselben, Leopold – die Adresse ist hier vollkommen genau angegeben –, und lassen mich, wenn Sie die Antwort erfahren, das Resultat augenblicklich wissen.«

»Sie trauen Rauten nicht?« fragte der Oberstlieutenant und sah den Hauptmann verwundert an.

»Nein,« erwiderte Dürrbeck nach einigem Zögern, – »aber selbstverständlich alles unter uns. Ich möchte Graf Rauten nicht Unrecht thun, wenn sich alles so verhält, wie er es erzählt hat; ich möchte aber auch Gewißheit über einen Fall haben, der mich jetzt beunruhigt, und da diese Nachfrage vollkommen ehrenhaft und berechtigt ist, so glaubte ich auch unbedingt, Sie um Ihre Hülfe dabei ersuchen zu dürfen.«

Klingenbruch streckte ihm die Hand entgegen und sagte: »Das ist alles so ehrenhaft, wie es sein soll, und ich verspreche Ihnen mit Vergnügen meine Hülfe. Ich theile allerdings den Verdacht nicht, den Sie zu haben scheinen, aber das schadet keinem Menschen, nicht einmal dem davon Betroffenen, wenn er eben schuldfrei ist, wie ich es fest überzeugt bin.«

»Das also ist abgemacht, und Sie versäumen keine Zeit, nicht wahr?«

»Ich gab Ihnen mein Wort,« erwiderte Klingenbruch; »aber beantworten auch Sie mir eine Frage – es giebt doch nichts Natürlicheres auf der Welt, als daß sich Herr von Solberg schon selber nach der Familie erkundigt hat, denn man kann nicht gut annehmen, daß er seine Tochter einem wildfremden Menschen geben wird?«

»Das ist allerdings geschehen,« sagte Dürrbeck, »aber, wie ich von Hans ganz bestimmt weiß, nicht direct, weil Solbergs nicht den geringsten Anhaltspunkt dort haben, sondern durch Herrn von Schaller, der, wie es scheint, in Galizien bedeutende Verbindungen hat. Die Nachrichten sind, wie ich von Hans von Solberg gehört habe, außerordentlich günstig ausgefallen.«

»Ja, aber mein bester Hauptmann,« sagte Klingenbruch, »andere Nachrichten werde ich Ihnen auch wohl schwerlich liefern können.«

»Es kommt das eben auf einen Versuch an, und ich gestehe Ihnen aufrichtig, daß ich es recht von Herzen wünsche.«

»Dann sind wir einig,« rief Klingenbruch herzlich, »und nun können Sie sich auch darauf verlassen, daß ich noch am heutigen Tage an meine Freunde schreibe!«

»Und die Antwort ein wenig beeilen, wie?«

»Das werde ich sicher thun.«

»Wie geht es Ihren Damen? Sie hatten kürzlich einen schmerzlichen Trauerfall in Ihrer Familie …«

»Meine arme Schwester – ja, Gott hat sie eigentlich zu früh abberufen, denn sie war noch in ihren rüstigsten Jahren.«

»Sie hat es überstanden – eine einsame Wittwe führt auch kein beneidenswerthes Dasein, eben so wenig wie ein alter Junggeselle.«

»Nun, wissen Sie,« sagte der Oberstlieutenant, der eben an seine Frau dachte, »der alte Junggesellenstand hat doch auch wieder seine Annehmlichkeiten, wenn ich ihn auch im Ganzen nicht vertheidigen möchte – aber da kommt neuer Besuch,« unterbrach er sich, hoch aufhorchend (denn draußen that es wieder einen kurzen, aber entschiedenen Zug an der Klingel), »und wenn mich nicht alles täuscht, so ist das Graf Rauten selber.«

»Graf Rauten?« wiederholte Dürrbeck, und wie es schien, eben nicht besonders erfreut darüber – »der hätte auch zu einer andern Zeit kommen können.«

»Bester Hauptmann,« sagte Klingenbruch gutmüthig, »wenn es Ihnen gerade nicht paßt, so lassen Sie ihn nur einfach eintreten, und er braucht gar nicht zu wissen, daß Sie überhaupt hier waren.«

»Nein,« sagte Dürrbeck nach kurzem Ueberlegen, »das geht nicht. Wenn er es nachher zufällig erführe – und die Damen wissen sämmtlich, daß ich da bin –, so könnte er am Ende gar glauben, ich hätte mich gescheut, ihm zu begegnen, und einen solchen Wahn möchte ich doch nicht in ihm aufkommen lassen.«

»Schön, dann kommen Sie mit hinüber, denn er darf auch nicht vermuthen, daß wir Heimlichkeiten mit einander haben – richtig er ist's,« setzte er hinzu, als draußen geöffnet wurde und er die Stimme des Grafen erkannte –, übrigens hat er sich gegen unsere Familie immer sehr liebenswürdig benommen und meine Frau schwärmt für ihn.«

»Lassen Sie uns also hinübergehen, denn ich möchte den Damen ebenfalls guten Tag sagen.«

Die beiden Herren schritten augenblicklich in das Besuchszimmer hinüber und fanden hier die Damen vom Hause, welche Graf Rauten eben begrüßte, schon versammelt. Dem Oberstlieutenant streckte der eben gekommene Besuch auch herzlich die Hand entgegen, dem Hauptmann neigte er sich nur kalt und förmlich, was dieser aber auch in gleicher Weise erwiderte. Das Gespräch aber, bei dem sich dann auch Dürrbeck beteiligte, wurde allgemein; man unterhielt sich über Tausenderlei, und die jungen Damen, mit dem Aerger hinter sich, suchten jetzt trotz der Trauerkleider ihre heitersten Mienen vor.

Dürrbeck war, obgleich er sich dann und wann in das Gespräch mischte, doch ziemlich schweigsam geblieben, wenigstens im Vergleich zu Graf Rauten, der heute ordentlich ausgelassen schien und die jungen Damen ein paar Mal zum wirklich lauten Lachen brachte.

Henriette und Flora hatten sich natürlich gleich in ihren Trauerkleidern photographiren lassen, denn wenn sie es auch nicht gerade äußern mochten, so fanden sie doch, daß ihnen die dunkle Tracht zu ihrem blüthendweißen Teint wirklich vortrefflich stand. Da man nun gerade auf Bilder zu sprechen kam, wurden auch diese hervorgeholt, um das Urtheil der Herren natürlich darüber zu hören. Die Lichtbilder waren auch vortrefflich gerathen, und ein wenig Farbe und Touche des Künstlers hatten, mit einer geschickt gewählten Stellung, ein wirkliches kleines Genrebild daraus gemacht.

Hauptmann Dürrbeck nahm eins der auf dem Tische liegenden Bilder auf, und sich plötzlich an Rauten wendend, sagte er: »Das muß man den Amerikanern lassen, in der Photographie sind sie außerordentlich weit. Haben Sie das nicht auch gefunden, Herr Graf?«

»Ich bedaure, darüber kein Urtheil zu haben,« sagte dieser ziemlich kühl; »ich war nie in Amerika.«

»Nie in Amerika?« wiederholte Dürrbeck erstaunt, hielt aber seinen Blick fest auf Rauten's Züge geheftet, »das wäre überraschend. Ich habe erst vor kurzer Zeit eine Photographie von Ihnen in Händen gehabt, die der Firma nach dort an Ort und Stelle aufgenommen ist, und die Firma lautete auf New-York.«

Rauten sah ihn erstaunt an, und Dürrbeck glaubte zu bemerken, daß er sich ein klein wenig entfärbte; aber das konnte auch recht gut Täuschung sein, denn der junge Graf blieb vollkommen ruhig. Nur ein eigenes, fast spöttisches Lächeln spielte um seine Lippen, und er sagte, von dem Hauptmann aber halb abgedreht und seine Aufmerksamkeit wieder den Bildern zuwendend: »Das wäre allerdings überraschend, denn ich habe mich in meinem Leben noch nicht photographiren lassen.«

»Und doch existirt ein Bild von Ihnen?« lachte Flora.

»Der Herr Hauptmann sagte es,« erwiderte Rauten, den Ton aber so geringschätzig auf das Wort Hauptmann gelegt, daß diesem rasch das Blut in die Wangen stieg. Er wäre auch schwerlich in seiner Bemerkung weiter gegangen, denn er hatte nur beobachten wollen, ob die hingeworfene Erwähnung des Bildes einen Eindruck auf den Grafen machen würde. Darin sah er sich nun allerdings getäuscht, aber der Hohn lag auch zu klar in den Worten des ihm überhaupt nicht angenehmen Mannes zu Tage und verlangte jedenfalls eine Rüge.

»Wenn es nur eine Aehnlichkeit wäre,« fuhr er fort, »daß sich sogar die kleine Narbe, die Graf Rauten an der linken Seite trägt, deutlich und unverkennbar darauf abgedruckt findet, und es läßt sich doch kaum annehmen, daß zwei verschiedene Menschen eine so fabelhafte Aehnlichkeit mit einander, und dann auch noch außerdem eine solche Narbe gemeinsam haben.«

»Also glauben Sie meinen Worten nicht?« fragte der Graf kalt.

»Ich wollte nur, daß ich Ihnen das Bild zeigen könnte.«

»Und wo haben Sie es gesehen?«

»Bei einem Freunde. – Der Name thut nichts zur Sache,« erwiderte Dürrbeck, jetzt ebenfalls durch das wegwerfende Benehmen gereizt. Klingenbruch aber, der natürlich einem weiteren Wortwechsel vorbeugen wollte, denn man konnte dann nie wissen, wie weit er ging, gab dem Gespräch rasch eine andere Wendung, und da Rauten darauf einging, war der leise Mißton bald verhallt.

Dürrbeck fühlte sich übrigens in der Gesellschaft nicht mehr wohl. Die Frau Oberstlieutenant saß ebenfalls mit einem Gesicht dabei, als ob sie hätte Brunnen vergiften können, Rauten plauderte jetzt mit Henriette, und aufstehend reichte Hauptmann von Dürrbeck dem Oberstlieutenant die Hand, sprach noch ein paar Worte mit ihm, empfahl sich dann den Damen und verließ mit einer sehr kalten und eben so erwiderten Verbeugung gegen den Grafen das Haus.

»Ach, lieber Herr Klingenbruch,« sagte der Graf, wie Jener kaum die Thür hinter sich geschlossen, »ich wollte den Gegenstand vorher und in Gegenwart des Hauptmanns von Dürrbeck nicht erwähnen, ich weiß nicht, wir Beide sympathisiren nun einmal nicht mit einander, aber ich habe eine Bitte an Sie.«

»Mit Vergnügen, mein Herr Graf; was ist es?«

»Ich gebe in den nächsten Tagen und noch vor meiner Verheirathung,« fuhr Rauten fort, »eine kleine Herrengesellschaft, denn da ich jetzt noch keine eigene Heimath habe, muß ich leider auf die Damen verzichten. Ich wollte aber doch auch, bevor ich Rhodenburg verlasse, alle meine hier gewonnenen Freunde, von denen ich freundlich aufgenommen bin, gern noch einmal bei mir sehen und bewirthen, und da bitte ich Sie denn recht herzlich, daß auch Sie mir die Freude machen und Theil nehmen. Sie hauptsächlich gehören dazu, und ohne Sie würde der ganzen Sache die Spitze abgebrochen sein.«

»Mein lieber Herr Graf,« sagte der kleine Mann verlegen, indem er einen fast fragenden Blick nach seiner Gattin hinüberwarf, »Sie sind wirklich zu freundlich; ich weiß nur, nicht, ob nicht vielleicht der Dienst …«

»Sie werden das gewiß arrangiren können. Wir kommen überhaupt erst um drei Uhr zusammen, und ich habe das Rendezvous in das reizend gelegene Belvedere, etwa eine Stunde von der Stadt, verlegt. Außerdem können Sie mit mir und meinem Schwiegervater hinausfahren; Hans will reiten, und wir bilden dann vielleicht einen kleinen Zug; daß wir uns aber amüsiren werden, dafür steh' ich Ihnen, vorausgesetzt, daß Sie Ihre gewöhnliche gute Laune mitbringen.«

»Das soll also noch einmal zuguterletzt ein richtiges Junggesellen-Essen werden?« sagte die gnädige Frau.

»Wir könnten es beinahe so nennen, meine Gnädige,« lachte Rauten, »aber es ist sehr harmloser und allein freundschaftlicher Art, und ich verspreche Ihnen außerdem, daß ich Ihren Gatten noch vor zehn Uhr Abends richtig und wohlbehalten wieder bei Ihnen abliefere.«

»Und auf welchen Tag ist das bestimmt?« fragte die Frau Oberstlieutenant, und ihr Gatte fühlte, daß sie ihre Zustimmung dazu gegeben hatte, immer ein nicht unwichtiger Punkt bei derlei Angelegenheiten.

»Der Tag ist noch nicht genau bestimmt, gnädige Frau,« sagte Rauten, »aber jedenfalls in der allernächsten Zeit. Ich muß mich erst erkundigen, wann wir den Saal dort draußen ganz und bestimmt für uns allein bekommen können, damit wir nicht von ungebetenen Gästen gestört werden. Ich bringe Ihnen aber, so wie ich nur etwas Bestimmtes weiß, augenblicklich Kunde; also Sie sagen zu, lieber Klingenbruch, nicht wahr?«

»Das kann er ja gar nicht abschlagen,« bemerkte die Frau Oberstlieutenant, und Klingenbruch, seine Hand in die ihm gebotene legend, rief: »Topp denn! Ich komme jedenfalls.«

Draußen klingelte es wieder. »Heute geht es bei uns zu wie in einem Bienenstock,« bemerkte die Frau Oberstlieutenant, und Rauten lächelte leise vor sich hin. Draußen wurde aber eine bekannte Stimme laut.

»Das ist Hans,« sagte der Graf emporfahrend. »Ei, ei, ei, ei, er sucht mich, und ich weiß auch weshalb; ich habe einen faux pas gemacht.«

»Meine Herrschaften,« sagte Hans, der in diesem Augenblick das Zimmer öffnete, »zürnen Sie mir nicht, wenn ich Ihnen so ohne Weiteres in Ihre Häuslichkeit breche, aber ich suche einen Deserteur. – Rauten, bei Gott! Mensch! Meine Schwester steht daheim in ihrem Reitkleid und vergeht fast vor Ungeduld, und Du sitzest hier ganz gemächlich bei anderen schönen Damen als ein wort- und treubrüchiger Cavalier.«

»Bester Hans!« rief Graf Rauten,« der indeß schon aufgesprungen und eben im Begriff war, zu gehen, »wie ich nur Deine Stimme hörte, fielen mir alle meine Sünden ein. Franziska ist wohl böse auf mich? Aber die Zeit verging mir hier so schnell, daß ich die besprochene Stunde wirklich versäumt habe. Aber ich hole es jetzt nach. Hast Du einen Wagen unten, den ich benutzen kann?«

»Gott bewahre; ich hatte ja keine Ahnung, wo ich Dich finden sollte, und hörte nur eben zufällig drüben im Eckfenster, daß Du hier in's Haus gegangen wärest. Die da drüben sehen alles.«

»Kommst Du mit?«

»Ich denke nicht daran; ich befinde mich hier vollkommen wohl, und Ihr reitet doch gleich in's Weite; es müßte denn sein, daß mich die Damen hier nicht haben wollten.«

»Aber, lieber Herr von Solberg!« sagte der Oberstlieutenant.

»Schön!« rief Hans, während sich Graf Rauten von der Familie verabschiedete, »dann setze ich mich hier eine kleine Weile zu Fräulein Flora her und sehe ihrem Sticken zu. Sie glauben gar nicht, gnädige Frau, wie ich mich wieder danach gesehnt habe, die feinen weiblichen Arbeiten beobachten zu können, wenn die zarten Finger darüber hingleiten und schaffen und fördern. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie heimisch und heimlich mir bei einer solchen Arbeit zu Muthe wird.«

»Und hat man da drüben keine solche Arbeiten?« fragte die Frau Oberstlieutenant, aber mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln gegen den jungen Mann.

»Nein, gnädige Frau. Sie finden das dort sehr selten, denn die südlichen Damen sind überhaupt keine Freunde von häuslichen Arbeiten.«

»Aber was in aller Welt thun sie den ganzen Tag?«

»Sie brauchen sehr viel Zeit zu ihrer Toilette und verplaudern dann die übrigen Stunden zu Hause oder auf einem Spaziergange.«

»Das ist ja entsetzlich!« sagte die Frau Oberstlieutenant.

»Und was wird das, mein gnädiges Fräulein?« fragte Hans, der sich seinen Stuhl zu Flora's Arbeit gerückt hatte und ihr dabei auf die zierlichen und wirklich gewandten Finger sah.

»Können Sie es nicht aus der Form errathen?« lächelte Flora.

»Sie müssen mich entschuldigen,« entgegnete Hans, »denn ich habe darin gar keine praktische Erfahrung.«

»Aber Ihre Schwester stickt doch auch?«

»Nie. Sie hat Nadeln überhaupt vollkommen abgeschworen und beschäftigt sich nur allein mit Musik und Malerei.«

»Ach, Malen hatte ich auch so gern gelernt,« seufzte Flora, »und ich glaube gewiß, daß es mir nicht an Talent dazu fehlt, denn im Blumenzeichnen war ich in der Schule immer die Beste.«

»Also was wird das, mein gnädiges Fräulein?«

»Wenn Sie's denn nicht rathen können: eine Cigarrentasche.«

»Für den Papa?«

»Dann würde ich's doch nicht so offen sticken!«

»Also diese Arbeiten sind immer lauter Heimlichkeiten; auch das hat wieder einen besondern Reiz, denn es folgt demselben eine Ueberraschung, und man erfreut einen Andern, während man selber eine Genugthuung dabei fühlt. Haben solche Geschenke aber nicht auch etwas Egoistisches, denn man macht sich doch wohl selber dabei eben so viel Freude, wie dem, der sie geschenkt bekommt? Eigentlich ist das nicht der Sinn einer Gabe.«

»Geben ist überhaupt seliger, denn Nehmen,« sagte die Frau Oberstlieutenant.

»Und besonders bei Rückenkissen,« seufzte ihr Gatte; »mir haben sie wenigstens mein Zimmer so damit ausgestopft, daß ich um mein Sopha schon herumgehen muß und nur noch die Rohrstühle benutzen kann.«

»Du wirst keins wieder bekommen, Heinrich,« bemerkte seine Gattin mit einem etwas scharfen Tone.

»Ja, mein Herz,« sagte der unverwüstliche Klingenbruch, »das hast Du mir schon einige Mal versprochen. Du vergißt es aber immer wieder.«

»Du bist das undankbarste Geschöpf, Heinrich, das auf der Welt lebt.«

Hans plauderte indeß mit Flora und fragte sie bald nach Dem und Jenem, bis er endlich nach der Uhr sah und fand, daß er wieder nach Hause müsse.

»Das ist ein recht netter, anständiger Mensch geworden, der junge Solberg,« sagte die Frau Oberstlieutenant, als sich draußen die Vorsaalthür hinter ihm schloß, »und was war das früher für ein unbändiger wilder Junge!«

»Ich weiß nicht,« sagte Henriette, »er kommt mir immer noch ein wenig roh und rücksichtslos vor; Graf Rauten hat jedenfalls viel feinere Manieren.«

»Aber in dem Hans steckt dafür kein falscher Blutstropfen,« nahm der Oberstlieutenant seine Partei; »er ist offen und ehrlich mit Wort und Blick, und wenn er Ja sagt, meint er wahrhaftig nicht Nein.«

»Aber das thun andere Leute auch nicht, Papa.«

»Na, man weiß nicht; es soll vorkommen,« sagte der Oberstlieutenant.

»Mit wem spricht denn Herr von Solberg da unten?« fragte jetzt die Mutter, die an's Fenster getreten war.

»Das ist das unausstehliche Geschöpf, die Bertha.«

»Fräulein von Noltje?«

»Ja; den ganzen Tag treibt sich die Person auf der Straße herum, und ich habe dabei nie in meinem Leben ein koketteres Frauenzimmer gesehen.«

»Alle Wetter, so auf einmal?« sagte der Vater; »früher waret Ihr doch die besten Freundinnen und ein Herz und eine Seele!«

»Das ist nichts als eine falsche Katze,« bestätigte auch Flora, »und mir soll sie nur erst recht zehn Schritt vom Leibe bleiben – so, das ist recht,« lachte sie plötzlich still vor sich hin und rieb sich die Hände, »jetzt hat er sie mitten auf der Straße stehen lassen und ist weggegangen – der gönn' ich's!«

Bertha von Noltje sah in diesem Augenblick herauf und entdeckte die Familie. Sie grüßte freundlich, und mit lächelndem und raschem Kopfnicken grüßten die beiden Damen wieder – man durfte doch äußerlich nicht die Form verletzen.



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