Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Unter Palmen

Rafael verließ das junge Mädchen wie in einem Traum. Lydia Braut – in Frankreich verlobt, und hier – Juanita – war es denn möglich, daß ihn Juanita wirklich liebte? Wo hatte er dann seine Augen, seine Gedanken gehabt? – Ja, er hätte sich wohl eine Antwort darauf geben können, aber er wagte es nicht; wieder und wieder schmolzen zwei Bilder vor seiner Seele zusammen: Lydia, wie sie daheim dem erwählten Geliebten in die Arme fliegt, und dann die stille, freundliche Heimat dort draußen unter den Bananen, in Bertrands traulichem Hause, an Juanitas Seite.

Er schritt durch die französische Konditorei, dicht an einem Tisch vorbei, an dem zwei Männer saßen, deren Gespräch stockte, als er vorüberkam, und deren Blicke in tödlichem Haß auf ihm hafteten – es waren Desterres und Perteña. Aber er sah sie gar nicht, und nur mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, trat er hinaus ins Freie und ging langsam die Straße hinab, seiner eigenen Wohnung zu. Hier sattelte er sein Pferd, aber auch nur mechanisch, keinem klaren Bewußtsein folgend, stieg auf und ritt den Weg hinaus, der nach den Hacienden führte.

»Das ist der Schurke«, flüsterte Desterres, als er an ihnen vorüber war, seinem Gefährten zu. »Wo er nur so plötzlich herkommt – ich habe ihn doch vorher gar nicht gesehen! Am Ende hat er uns behorcht!«

»Hab' keine Furcht«, erwiderte Perteña, indem er dem Davonschreitenden mit nicht freundlicheren Blicken nachsah. »Ich weiß recht gut, woher er auf diesem Weg kommt, und es kitzelt mich ordentlich im Arm, ihm den Gang zu verleiden!«

»Wo der Schuft nur den Brief aufgetrieben hat?« sagte Desterres. »In den Papieren, die er in Callao ausgeliefert bekommen hat, war er nicht, dessen bin ich sicher.«

»Ich gebe dir mein Wort, daß er ihn bei der Kanaille, bei dem Scipio gefunden hat!« zischte Perteña. »Haben sie doch bei dem eine ganze Sammlung von Brieftaschen aufgetrieben! Scipio aber war an dem nämlichen Morgen im Hause draußen, als der Alte starb, und hat sie gestohlen und aufgehoben, ohne je auch nur einen Real Nutzen davon zu ziehen oder zu erwarten!«

»Gebe Gott, daß sie ihn hängen!« sagte Desterres mit einem unterdrückten Fluch. »Hat die Bestie nicht auch alles ausgesagt, was sie von der alten Pascua und ihrem Gift wußte!«

»Teufel!« rief Perteña erbleichend, »dann wird's Zeit, daß wir uns aus dem Staube machen; denn wenn . . .«

»Ängstige dich nicht«, lachte Desterres finster vor sich hin, »die Sache ist nicht so gefährlich. Ich bekam heute morgen schon Nachricht von der Polizei, und das war die Ursache, weshalb ich dir schrieb, hier mit mir zusammenzutreffen. Du mußt aber gleich nach der Hacienda hinaus und die alte Pascua warnen, daß sie nichts aussagt und alles leugnet – es soll ihr Schaden nicht sein. Ich kann im Augenblick nicht fort von hier, übrigens«, setzte er zögernd hinzu, »wäre es am Ende auch besser, du hieltest dich für kurze Zeit ein wenig aus dem Gesichtskreis der Polizei.«

»Und wenn sie dich abfassen?«

Desterres schüttelte verächtlich lächelnd den Kopf.

»Die nicht«, sagte er, »denn ich weiß zuviel von ihnen, und wenn sie mich bei dieser Sache in der Patsche sitzen lassen, könnte es mir vielleicht einfallen, auch andere Dinge zur Sprache zu bringen . . .«

»Und dürften sie mich, der nur als Zeuge unter dem Kaufbrief steht, dann verantwortlich machen?« murrte Perteña.

»Bah«, sagte Desterres, »wenn sie mich ungeschoren lassen, können sie sich nicht an die Zeugen halten! Aber nach verschiedenem, was ich gehört habe, fürchte ich fast, daß du noch andere Dinge auf der Kreide hast, und in dem Fall . . .« – Er sah ihn dabei mit einem lauernden Blick an, und Perteña flüsterte nach kurzem Sinnen:

»Ich glaube selber, es ist besser, ich besuche einige alte Freunde in den Cordilleren; die Luft fängt an, mir hier nicht mehr so recht zu behagen.«

»Apropos«, sagte Desterres leise, »weißt du auch schon, daß der neulich an der Straße ermordet Gefundene ein Verwandter des Polizeidirektors war, und daß man unter den bei Scipio gefundenen Sachen ein Messer entdeckt haben will, das – ihm gehört haben soll!«

»Was kümmert das mich?« gab Perteña zurück – aber er war leichenblaß geworden, und das Glas, das er eben zum Munde führen wollte, zitterte so in seiner Hand, daß er einen Teil seines Inhalts auf den Tisch goß.

Desterres sagte kein Wort und tat, als beachte er die Bewegung seines Gefährten gar nicht. Endlich fuhr er leise fort:

»Hast du dein Pferd in der Stadt stehen, Perteña?«

»Ja, das heißt draußen im letzten Garten bei dem Italiener, unmittelbar am Tor.«

»Gut, es ist bald Mittagszeit, und die Straßen sind jetzt menschenleer. Ich begleite dich noch ein paar Schritte bis zu meinem Hause und möchte dir dort auch ein paar Briefe ins Innere mitgeben, wenn du wirklich Luftveränderung vorziehen solltest . . .«

»Gehen wir«, sagte Perteña. Er war still und nachdenklich geworden, und nur der Blick flog rasch und scheu über die Anwesenden, ob er kein bekanntes Gesicht darunter entdecke. Aber es waren nur Fremde, und die beiden Männer schritten gleich darauf, ohne weiter ein Wort mitsammen zu wechseln, die stille, vollkommen schattenlose Straße hinab.

Es war in der heißesten Tageszeit, als Rafael heute nach den Hacienden hinausritt, und die Sonne brannte versengend auf den zu Staub zertrockneten Boden nieder, aber der junge Mann fühlte es gar nicht. Langsam ließ er sein Tier sich die Bahn zwischen den großen, runden Kieseln suchen, die den ersten Teil des breiten Weges füllten, ließ es austraben, als er diese Strecke hinter sich hatte, und war schon lange wieder an der Seitenstraße vorbei, die in das Negerdorf hinüberführte, als er vor sich eine Menge von Menschen auf dem Weg erblickte und nun fast unwillkürlich sein Tier zügelte. Aufsehend, erkannte er auch, daß er dicht vor der letzten, ziemlich verrufenen Posada war, und wenn er hier allein einer Bande betrunkener Neger in die Hände fiel und erkannt wurde, so durfte er sich auch auf einen Angriff gefaßt machen.

Während er aber schon mit der rechten Hand nach der Pistole griff, erkannte er auch, daß er hier nichts zu fürchten hatte, denn zwischen den auf der Straße versammelten Menschen bemerkte er Polizei- und Frauenkleider, und seinem Pferd wieder die Sporen gebend, war er bald dicht neben der Gruppe.

»Hallo, Señor«, rief ihn einer der Polizeileute an, der ihn erkannt hatte, denn er war mit dabei gewesen, als sie die Haussuchung im Negerdorf hielten, »heben hier gerade wieder ein Nest aus, das ebensolche Eier zu haben scheint, wie das da drüben! Hübsche Gesellschaft, so viel muß wahr sein, in der Nachbarschaft herum!«

»Blut, Blut!« hörte er da eine hohle, krächzende Stimme rufen, »rotes, warmes Herzblut, und mehr davon – immer mehr! Ich habe es steigen sehen, steigen, höher und höher, und jetzt läuft's über die Schwelle und füllt den ganzen Raum!«

Rafaels Blick flog über die Gestalt einer alten, halb wahnsinnigen Frau, die sich mit der Rechten das weiße, wirre Haar aus der Stirn strich, während sie mit der Linken stieren Blickes vor sich hindeutete, als ob sie das Blut, von dem sie sprach, in Wirklichkeit zu sich heraufquellen sähe. Aber eine andere Gruppe nahm seine Aufmerksamkeit rasch in Anspruch, denn dicht daneben, mit gebundenen Händen und auf einem Esel reitend, neben dem ein Polizeimann Wache hielt, saß die alte Pascua, ihre hagere Gestalt in einen zerrissenen Poncho geschlagen, die Haare wirr um den Kopf hängend, den Blick in tödlicher Feindschaft auf ihn selbst geheftet.

»Pascua!« rief er fast unwillkürlich aus, »was hat das Weib verbrochen?«

»Nur eine Kleinigkeit, Señor«, sagte der eine Polizeimann, »einem alten Herrn da draußen in den Hacienden mit Hilfe ihres Sohnes eine kleine Dosis Gift beigebracht, daß er darüber ins Gras beißen mußte!«

»Meinem Onkel?« rief Rafael erschüttert aus.

»War das Ihr Herr Onkel? Sieh mal ein Mensch an, wie sich das manchmal so komisch in der Welt macht!«

»Und wo ist der Sohn, der Pedro?«

»Ah, Sie kennen den Strick auch? Ja, er muß Wind gekriegt haben und war heute morgen ausgeflogen. Aber wir haben ein paar von uns zurückgelassen, und ich denke, er wird doch noch einmal zum alten Nest zurückkommen – es ist das so Menschennatur – nachher haben sie ihn fest! Santa Maria, ist das hier draußen eine Bande und haben die Blut vergossen!«

»Blut, Blut!« stöhnte die Alte wieder, die das Wort aufgefangen hatte, »immer noch nicht genug, immer noch mehr!«

»Krächze, du alte Krähe!« fuhr sie der Polizeimann an, »hinein mit dir, was brauchst du hier herumzuheulen! Wenn wir fort sind, hast du Zeit genug und Platz dazu im Hause! – Und eilt euch ein bißchen da drüben, daß wir hier wegkommen! Caracho, die Sonne brennt hier, daß sie einem das Hirn versengt!«

Die alte Pascua sagte kein Wort; regungslos saß sie auf ihrem Tier, aber ihr Blick schien sich in Haß und Ingrimm in den jungen Mann hineinzubohren, denn sie ahnte, daß sie nur seiner Rückkehr ihr jetziges Schicksal verdanke.

Rafael wurde es zuletzt unheimlich vor dem Blick der Giftmischerin, und sein Tier zur Seite lenkend, ließ er es wieder austraben, den Hacienden zu.

Schon konnte er von weitem die Gebüsche der Gärten und die niedrigen Bäume erkennen. Jetzt hatte er Pascuas Hütte erreicht, und noch einmal griff er seinem Tier in den Zügel. Wie verödet und einsam lag das kleine Haus; die Tür stand offen, und im Innern konnte er sehen, wie alles umhergeworfen lag und stand.

Vor ihm auf der Straße ging ein Mann. Die beiden großen Hunde spielten um ihn her. Es war Bertrand; er hatte die Hufschläge des Pferdes gehört und war stehengeblieben. Rafael hielt in wenigen Sekunden an seiner Seite und sprang aus dem Sattel.

»Sieh, sieh«, sagte der alle Bertrand, indem er Rafael die Hand reichte, die dieser herzlich schüttelte, »läßt du dich auch einmal wieder zwischen den Hacienden blicken? Ich glaubte schon, du hättest jetzt so viel in der Stadt zu tun, daß du an uns hier nicht mehr denken könntest. Aber wie ist es dir gegangen? Du siehst wohl aus!«

»Gut – und hier? Juanita ist doch wohl?«

»Juanita?« sagte der alte Mann und sah, während er neben ihm in der Straße hinschritt, rasch nach seinem Begleiter hinüber; aber gleich wieder vor sich hinnickend, entgegnete er: »Gewiß, Gott sei Dank, denn ich möchte nicht, daß dem Mädel 'was fehlte! Aber, apropos, Rafael, wie steht es mit unseren Insulanern? Sind sie fort?«

»Noch nicht; aber die Fregatte liegt segelfertig.«

»Nun«, sagte Bertrand, »das ist doch wenigstens eine gute Nachricht, daß die armen Teufel wieder nach Hause kommen. Du hättest nur sehen sollen, wie glücklich die hier draußen waren, als wir sie da drüben abholten. Den Lumpen, den Aufseher, hat das Gift aber fast erstickt.«

»Oh, ich habe Ihnen noch manche andere gute Nachricht zu erzählen!« rief Rafael, und Bertrand sah ihn wieder rasch und fast wie mißtrauisch an.

»Hat deine Sängerin ihren Schmuck wiederbekommen?«

»Zum Teil«, sagte Rafael; »aber in der Diebeshöhle, in der wir Nachsuchung hielten, fand ich ein anderes, wichtiges Dokument, eine Brieftasche meines ermordeten Onkels, und jetzt ziehe ich wahrscheinlich schon in den nächsten Tagen wieder als Besitzer auf meine Hacienda ein.«

»Alle Wetter!« rief Bertrand wirklich überrascht aus, »das wäre ein schnelles Gerichtsverfahren für Peru – und in Wirklichkeit für irgendeinen anderen Teil der Welt ebenfalls! hast du mit Castilla gesprochen?«

»Allerdings, und ihm die Papiere vorgelegt.«

»Dann muß der Schuft, der Desterres, ins Zuchthaus,« jubelte Bertrand, in die Hände schlagend, »und der liebe Gott hat endlich mit der Kanaille ein Einsehen gehabt! Aber alle Wetter«, brach er plötzlich ab, »damit steht auch am Ende schon das in Verbindung, was da drüben vor sich geht?«

»Dort drüben?«

»Auf deinem alten Platz. Dort werden seit heute morgen – es muß noch finster gewesen sein, wie sie anfingen – eine Anzahl von Maultieren mit Möbeln und allem möglichen Hausgerät bepackt. Das brauchst du dann auch nicht zu leiden.«

»Er wird doch nur fortnehmen«, lächelte Rafael, »was er selber hierher gebracht hat, denn das Alte kann überdies den Transport kaum mehr wert gewesen sein. Lassen sie ihn um Gottes willen gewähren, wenn wir ihn nur los werden und Haus und Grundstück überliefert bekommen!«

»Nein«, meinte Bertrand, »auf die Finger werd' ich ihnen trotzdem sehen, denn Desterres kommt keinesfalls selber heraus, schon aus Furcht, uns hier zu begegnen, oder noch wahrscheinlicher haben sie ihn jetzt auch bereits eingesteckt. Aber sein Aufseher würde, wenn er freie Hand behielte, natürlich alles aufpacken, was niet- und nagellos ist, und auf den wollen wir doch ein wenig aufpassen – der machte sonst nur, was ihm behagte.«

»Aber wie kann ich? Noch hab' ich kein Recht, den Platz zu betreten.«

»Mein lieber Rafael«, sagte der alte Franzose. »Du hast dich nun so lange in der Welt umhergetrieben und bist doch noch so grün. Wer sich sein Recht nimmt, hat es, und glaubst du, wenn ich dem Lumpen, dem Aufseher da drüben, auf den Leib rücke, der wagte noch um eine Vollmacht oder etwas dergleichen zu fragen? Denkt gar nicht daran! Die Schufte haben alle ein böses Gewissen, und nur dem, der sich vor ihnen bückt, treten sie auf den Kopf. Aber komm herein, Rafael; unser Mittagessen ist freilich schon vorbei, aber ich denke, Juanita wird dir doch noch etwas herrichten können. Wo steckt denn nur das Mädel?«

Juanita war oben in der Stube, in demselben Zimmer und an dem nämlichen Fenster, an dem damals Rafael gestanden hatte, als die Kugel aus Desterres' Garten an seinem Ohr vorbei in die Wand schlug. Sie hatte jetzt die beiden Männer schon von weitem kommen sehen und – wie wunderlich das doch war – erst sich so danach gesehnt, daß sie Rafael bald, recht bald besuchen möge, und nun, da er kam, da er da war, da zögerte sie, ihn zu begrüßen; da versagte der Fuß ihr fast den Dienst, ihm entgegenzueilen. Aber das dauerte nicht lange; rasch hatte sie sich wieder gesammelt, und ob sie auch vielleicht um einen Schatten bleicher aussah als gewöhnlich, sie ging ihm mit freundlichem Gesicht entgegen, ihn zu begrüßen.

»Bekomme ich heute nicht einmal eine Hand, Juanita?« sagte Rafael herzlich. »Ich bin so lange nicht hier gewesen; aber glauben Sie mir, ich habe indessen kein ruhiges Leben geführt und Wirrsal und Aufregung genug gehabt.«

»Hast du noch 'was zu essen, Schatz?« fragte ihr Vater. »Rafael kommt sonst um sein Mittagessen!«

»Ich brauche nichts; machen Sie nur ja nicht meinetwegen Umstände; es ist mir viel lieber, wenn Sie bei uns bleiben.«

»Ich bin gleich wieder da!« rief das junge Mädchen und verschwand blitzschnell aus dem Zimmer. Aber sie versprach dabei auch nicht zuviel, denn bald kehrte sie zurück, und im Nebenzimmer wurde indes für Rafael schon der Tisch gedeckt.

Die beiden Männer sprachen unter der Zeit noch über die Angelegenheit mit Desterres und erzählten dabei Juanita, welche neue und glückliche Wendung die Ansprüche des rechtmäßigen Besitzers genommen hätten. Inzwischen war das Essen angerichtet, und als Rafael hinübergerufen wurde, sagte Bertrand:

»So, dann iß jetzt, mein Junge, und laß dir's schmecken; ich werde indessen einmal hinübergehen und ein Wort mit dem Verwalter reden. Bis du fertig bist, bring' ich dir Bericht.«

»Sie machen sich unnütze Mühe.«

»Aber ich habe meinen Spaß dran – kann ich den gelben Schuft doch ohnehin nicht leiden!« Und ohne weiter eine Einwendung zu beachten, pfiff er seinen Hunden und verließ den Platz.

Rafael war mit Juanita allein. Das junge Mädchen nahm ihm gegenüber Platz, um bei der Hand zu sein, wenn etwas fehlen sollte.

Rafael aß, aber er wußte wahrlich nicht, was; er trank den Wein, den ihm Juanita einschenkte, und fast kein Wort wurde zwischen den beiden in der ganzen Zeit gewechselt. Oft aber, wenn Rafael sein Auge zu dem jungen Mädchen aufschlug, fand er, wie ihr Blick scheu den seinen mied und höheres Rot dann ihre Wangen färbte.

Endlich schob er seinen Teller zurück und stand auf; er konnte diesen Zustand nicht länger ertragen.

»Wollen Sie nicht erst Ihren Kaffee trinken, Don Rafael?«

»Unten im Garten, Juanita, in Ihrer Laube«, sagte der junge Mann rasch – »der Vater muß doch auch gleich zurückkommen! Wir wollen ihn unten erwarten.«

Juanita stand auf und verließ das Zimmer, und Rafael ging indessen mit schnellen Schritten in dem Raum auf und ab. Hundertmal hatte die Frage auf seinen Lippen geschwebt: Juanita, hat das fremde Mädchen recht? Bist du mir wirklich von Herzen gut? – Und ebenso oft hatte er sie zurückgedrängt, weil ihm der Mut fehlte, sie auszusprechen. Er war ihr nicht gleichgültig – jetzt, aufmerksam darauf gemacht, hatte er es selber in ihren Augen gelesen.

Der kleine Cholo kam herein und meldete, daß der Kaffee unten in der Laube angerichtet sei. Dort wartete auch Juanita auf ihren Gast, und als Rafael zu ihr hinunterstieg, war es ihm fast wie eine Beruhigung, als er das fröhliche Bellen der Hunde draußen hörte und gleich darauf Bertrand wieder in den Garten trat.

»Das ist recht«, rief er aus, »daß Ihr euch hier heruntergemacht habt, und eine Tasse Kaffee trink' ich ebenfalls noch mit, Juanita – die Pfeife schmeckt besser dabei!«

»Haben Sie drüben etwas ausgerichtet?«

»Na, ich denke«, lachte der Franzose vergnügt, »schon als er mich mit den Hunden kommen sah, wurde der gelbe Schuft von Aufseher ordentlich grün im Gesicht, und richtig hatten sie schon ein paar Sachen von der alten Einrichtung herunter in den Hof geschleppt. Verdammt schnell mußten sie die aber wieder hinaufschaffen, und ich habe dem Burschen jetzt erklärt, daß ich ihn für jedes Stück verantwortlich machen würde, was später fehlen sollte, und daß er außerdem nur noch bis morgen mittag Zeit habe, um auszuräumen und fortzuschicken, wie ebenfalls sich selber aus dem Weg zu bringen! Wen ich morgen mittag noch von dem fremden Gesindel im Hofe träfe, den hetze ich mit den Hunden hinaus!«

»Sie sind zu weit gegangen.«

»Ja, eigentlich hast du recht«, sagte der Alte. »Ich hätte ihm nur bis heute abend Frist geben sollen; jetzt ist's aber einmal geschehen, und er mag nun so lange bleiben. Morgen abend aber, wenn meine Leute den Platz erst ordentlich gesäubert haben, ziehen wir hinüber.«

»Wollen Sie wieder unser Nachbar werden?« fragte Juanita leise und versuchte dabei zu lächeln, aber ein eigener Schmerz zog ihr das Herz zusammen.

»Ich denke, er hat Absichten«, meinte Bertrand, und sah den jungen Mann von der Seite an; wie er aber bemerkte, daß Rafael blutrot bei der Frage geworden war, fuhr er kopfschüttelnd fort: »Junge, Junge, mach' keine dummen Streiche! Tu keinen Schritt, der dich nachher gereuen könnte, wenn es zu spät ist! Überleg' dir wenigstens alles vorher genau, wenn auch nicht mit anderen Leuten, doch in deinem eigenen Herzen, und wenn du dort im klaren bist, nun, dann meinetwegen! Aber vollkommen im klaren mußt du erst mit dir selber sein.«

»Und wenn ich's wäre?« sagte Rafael rasch, mit seinem Blick Juanita streifend und ihn dann voll auf Bertrand heftend.

Juanita war so bleich geworden, wie sie vorher rot gewesen war, und nach der Kaffeekanne greifend, stand sie auf, aber Rafael hielt ihren Arm. Lydia hatte recht – die Bewegung, die in diesem Augenblick des Mädchens Herz erfüllte, war mehr als bloße Geschwisterliebe; der Augenblick war gekommen, in dem er reden mußte.

»Bleiben Sie, Juanita, ich fühle, daß ich Ihnen ein Geständnis machen muß, und da ich weiß, wie lieb mich Vater Bertrand hat . . .«

»So laß nur wenigstens das Mädel los und sie erst ihren heißen Kaffee herbeiholen«, sagte Bertrand, der ein ganz anderes Geständnis erwartete und Juanitas Bewegung ebenso gut bemerkt hatte wie Rafael.

»Aber Juanita muß es auch hören«, bat Rafael lächelnd.

»Also ist alles richtig?« fragte der Alle trocken.

»Nein«, sagte Rafael, wieder errötend, »noch nicht; aber ich hoffe, es soll nicht lange dauern.«

»Nun, dann mach's kurz«, sagte Bertrand leise, denn Rafael hielt noch immer Juanitas Arm – »oder soll ich dir helfen?«

»Können Sie raten?« lächelte Rafael.

»So ziemlich«, meinte Bertrand, »und ich glaube, hier ist's kein Kunststück – du willst heiraten?«

»Ja . . .«

»Die französische Sängerin?«

»Nein.«

»Nein?« sagte Bertrand wirklich erstaunt. »Bist du denn noch nicht mit ihr verlobt?«

»Ich – mit ihr verlobt?« rief jetzt Rafael erstaunt, »wer sagt denn das?«

»Die ganze Stadt.«

»Dann weiß die ganze Stadt wahrscheinlich nicht, daß sie schon in Frankreich verlobt ist!«

»Die Valière?«

»Gewiß!«

»Nun, wen dann? – Junge«, fuhr der Alte halb erschrocken von seinem Stuhl auf, »du hast dich doch um Gottes willen nicht wieder von dem alten Rivadia breitschlagen lassen? Die Candelaria paßt so wenig für dich wie . . .«

»Lydia Valière«, lächelte Rafael – »nicht wahr? Nein, ich glaube, ich habe eine bessere Wahl getroffen, wenn Sie mich nämlich hier draußen nicht allein als Nachbar, nein, auch als – Schwiegersohn haben wollen.«

»Junge!« rief Bertrand, überrascht in seinen Stuhl zurückfallend.

»Juanita«, bat Rafael, das erbleichende, zitternde Mädchen in seinen Arm fassend und haltend, »hast du mich wirklich lieb genug, mir dein ganzes künftiges Lebensglück anzuvertrauen? Glaubst du mir, wenn ich dir sage, daß ich mir ein neues Leben an deiner Seite zu schaffen hoffe und dich hegen und pflegen will, so lange mich Gott dir erhält?«

Juanita legte ihren Kopf an seine Brust, während ein lange und mühsam zurückgehaltener Tränenstrom ihrem Herzen Luft machte. Aber es waren Tränen des innigsten Glückes, und Rafael küßte wieder und wieder das liebe Haupt, das vertrauend und glücklich an seiner Schulter lehnte.

Ehe Bertrand sich so weit von seinem Erstaunen erholt hatte, um nur imstande zu sein, seinen Empfindungen Worte zu geben, störten die beiden großen Hunde die Szene. Schon seit einigen Minuten hatten sie dort in der Nachbarschaft umhergesucht und geknurrt; jetzt plötzlich fuhren sie mit wildem Geheul gerade in die Laube hinein und gegen die Hecke an und hätten um ein kleines den ganzen Kaffeetisch zu Boden geworfen.

Bertrand suchte durch die Hecke zu erkennen, was ihre Aufmerksamkeit gerade jetzt erregt haben mochte, aber es war des dichten Laubes wegen nicht möglich. Jedenfalls hatten sie draußen irgendwen gespürt und heulten jetzt vor Wut, daß sie nicht hinauskonnten. Endlich stürmten sie zur Gattertür zurück und sprangen winselnd und noch immer wie rasend an dieser hinab.

 


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