Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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An Bord des Guayaquil-Dampfers

Der Dampfer von Panama hatte sich, wie das gar nicht selten geschieht, verspätet und lief zwölf Stunden nach seiner gewöhnlichen Zeit Guayaquil in Ecuador an, um dort die Passagiere für Lima an Bord zu nehmen.

In Guayaquil war auch gerade wieder einmal Revolution, oder die eigentlich rechtmäßige Regierung Ecuadors, die ihren Sitz in Quito hatte, war es müde geworden, den Usurpator Granero mit seiner nichtswürdigen Partei den Süden des Reiches besetzen und die Bevölkerung mißhandeln zu sehen, und General Flores war eben mit seiner Armee im Anrücken, nachdem er den Usurpator aus seinem letzten Halt im innern Land, aus Bodegas, vertrieben hatte.

Der »Callao«, wie der Dampfer hieß, ankerte im Strome unmittelbar vor der Stadt neben einem peruanischen Kriegsschiff, das General Castilla zur Disposition Graneros dort stationiert hatte, um seinen Schützling, im Fall er besiegt werden sollte, an Bord zu nehmen. Die Passagiere aber, denen der unruhige Boden hier unter den Füßen brannte, kamen in einem Schwarm von Booten vom Lande abgefahren und an Bord. Wußte man doch nicht, wie die Eroberer, wenn sie wirklich die Stadt nahmen, darin wirtschaften würden, und wer kein eigenes Interesse darin hatte, suchte natürlich einer solchen Katastrophe so rasch als irgend möglich aus dem Wege zu gehen.

Eine gute Stunde herrschte auch an Bord des Dampfers selber die entsetzlichste Verwirrung, und Koffer, Kisten und Hutschachteln lagen in Haufen überall unordentlich im Weg herum, während kein Mensch wußte, wohin er gehöre, wo er bleiben solle, und niemand sich um ihn bekümmerte. War es doch gerade Essenszeit an Bord, und die Aufwärter hatten mehr zu tun, als den Fremden jetzt ihre Plätze anzuweisen.

Mitten in die Verwirrung schmetterte ein Kanonenschuß hinein, der vom Bord des Dampfers abgefeuert worden war, um seine Wiederabfahrt anzuzeigen. Er schien aber dieses Mal die Landbewohner mehr zu schrecken, wie die an Bord Befindlichen. Die Einwohner von Guayaquil betrachteten nämlich das vor ihren Häusern ankernde peruanische Dampfschiff schon die ganze Zeit sehr mißtrauisch, weil sie recht gut wußten, daß Peru die von Granero angestiftete Revolution aus allen Kräften unterstützte. Gerüchte hatten deshalb auch schon lange die Stadt durchlaufen, daß das Kriegsschiff den Ort bombardieren und in Trümmer schießen würde.

Als jetzt der Schuß genau von der Richtung des peruanischen Schiffes her fiel, lief alles bestürzt durcheinander. Dieses Mal aber sollten die Guayaquilener noch mit dem bloßen Schreck davon kommen. Es war nur der »Callao« gewesen, und seine Räder arbeiteten jetzt gegen die gewaltige Strömung des Guayaquil an, um das peruanische Kriegsschiff zu umfahren.

Da kam noch ein Boot vom Land ab mit einer Regierungsflagge an Bord. Hinten in seinem Stern stand ein Offizier und schwenkte eine kleine Flagge zum Zeichen für den Kapitän des Dampfers, daß er an Bord wolle. Der Engländer hatte das Zeichen auch wahrscheinlich bemerkt, denn er stand gerade auf dem dem Land zugedrehten Quarterdeck, gab aber keinen Befehl, die Maschine anzuhalten.

»Kapitän«, meldete da der wachthabende Offizier, »ein Regierungsboot wünscht noch an Bord zu kommen.«

»Dank' Ihnen, Mr. Gellinek«, sagte der Kapitän trocken. »Erstlich wissen wir vor der Hand gar nicht, wer hier Regierung ist und wer nicht, und dann hätte der Herr da drüben eben eine Viertelstunde früher abfahren sollen, wenn er zu uns an Bord kommen wollte. Wie wir jetzt laufen, glaub' ich schwerlich, daß er uns einholt!«

»Hallo the Steamer!« rief in diesem Augenblick eine Stimme vom Quarterdeck des peruanischen Kriegsdampfers den »Callao« an, und der Kapitän drehte sich überrascht danach um.

»Hallo?« fragte er zurück.

»Stop that boat!« lautete der Befehl; »Regierungs-Depesche will noch an Bord!«

»Stop that boat?« rief aber der Engländer erstaunt zurück; »wer, zum Henker, hat hier an Bord zu befehlen, Sie oder ich?«

»Auf Ihre Verantwortung!« schallte es zurück, und deutlich konnten sie hören, wie auf dem jetzt ganz nahen Kriegsdampfer der Befehl gegeben wurde, eine Kanone zu richten.

»You be damned!« war aber die einzige Erwiderung, die sie von dem alten Seemann bekamen, den sie mit einer solchen Drohung noch lange nicht einschüchtern konnten. Er fuhr unter englischer Flagge und wußte recht gut, daß sich die Peruaner zweimal besinnen würden, ehe sie feuerten. Es geschah auch in der Tat nichts Derartiges. Der »Callao« schwenkte herum, mit dem Bug stromab, und auf ein Zeichen des Kapitäns mußte der Mann am Steuer jetzt sogar so dicht an dem Peruaner vorbeistreifen, als es nur die Vierkant gebraßten Rahen beider Dampfer gestatteten, ohne sich gegenseitig zu berühren. Das Regierungsboot folgte dabei noch immer, da es wahrscheinlich vermutete, der Engländer würde erst wieder unterhalb des Peruaners beidrehen. Der dachte aber gar nicht daran. Als er das Kriegsschiff passiert hatte, hielt er weiter in den Strom hinaus, in das richtige Fahrwasser hinein, und zehn Minuten später war er schon so weit entfernt, daß man nicht einmal mehr die einzelnen Personen an Deck mit bloßen Augen unterscheiden konnte.

Fluchend hielt der Steuermann des Regierungsboots nach dem Ufer hinüber, um dicht daran der gewaltigen Strömung etwas besser ausweichen und den Platz wieder erreichen zu können, von dem er abgefahren war. Seine Depeschen nahm er natürlich wieder mit zurück.

An Bord des Dampfers hatten indessen nur wenige von dem kleinen Zwischenspiel etwas bemerkt, niemand auch nur darauf geachtet, denn die alten Passagiere waren schon durch des Kochs Klingel zum Diner gerufen worden, und die neuen quälten sich noch mit ihrem Gepäck ab, um Leute zu finden, die es ihnen in irgendeine Koje schaffen konnten. Sie wollten vor der Hand nur einen Platz haben, dann mußten sie selber sehen, daß sie etwas zu essen bekamen.

Unter den in Guayaquil an Bord gekommenen Passagieren befand sich auch ein junger, schlank gewachsener Mann mit offenen, freien Zügen. Er hatte dunkle Augen und rabenschwarzes, gelocktes Haar, dazu einen durch die Sonne tiefgebräunten Teint, so daß er recht gut als Sohn dieses Landes gelten konnte. Sein ganzes Benehmen war dabei das eines Mannes, der sich in den höheren Schichten der Gesellschaft bewegt hat, und der breitrandige, außerordentlich feine Panamahut, den er trug, verriet auch, daß er wohlhabend sein müsse. Irgendeinen Schmuck trug er nicht, obgleich weder ein Peruaner noch ein Ekuadorianer gern ohne eine goldene Uhrkette getroffen wird; nur am vierten Finger der linken Hand trug er einen einfachen goldenen Reif mit einem Brillanten.

Er vor allen anderen Passagieren hatte sich auch rasch und behaglich an Bord eingerichtet. Er kannte, wie es schien, den Mayordomo, und mit einem Trinkgeld, das er einem der Kajütenwärter in die Hand drückte, fand er sich bald allein in einer Koje untergebracht, während die übrigen zu dreien und selbst vieren kampieren mußten; eine höchst fatale Sache in den geschlossenen Räumen und dem heißen Klima. – Der junge Mann war keinesfalls zum erstenmal auf Reisen. Der Kapitän kannte ihn ebenfalls.

»Ah, Señor Aguila«, rief er ihm entgegen, als er ihm nach Tisch zuerst auf dem Quarterdeck begegnete, »sieht man Sie auch einmal wieder? Wo haben Sie die ganze Zeit gesteckt? In Europa?«

»Zum Teil, Kapitän«, lachte der junge Mann, indem er dem Engländer die Hand schüttelte, »und nachher hab' ich mir noch ein Stück von der Welt besehen.«

»Bis es Ihnen in der Graneroschen Wirtschaft da drüben zu heiß wurde, heh? Es soll aber zu Ende gehen, denn wie mir unser Agent sagte, kann sich der verdammte Sambo keine Nacht mehr halten.«

»Er wünschte Ihnen noch eine Bestellung aufzutragen«, lachte Aguila.

»Er soll zum Henker gehen!« brummte der Kapitän – »aber waren Sie lange in Guayaquil?«

»Nur seit dem letzten Dampfer. Ich wollte einige Freunde besuchen, hätte mir aber die Mühe ersparen können, denn es ist alles nach Quito geflüchtet.«

»Sie kamen von Panama herunter?«

»Ja, und will nach Hause.«

»Ach du lieber Gott«, seufzte der Kapitän, »ich wollte, ich könnte das auch sagen! Statt dessen aber fahre ich Jahr nach Jahr an dieser verbrannten Küste auf und ab. Aber was kann's helfen! Meine Zeit kommt ja wohl doch auch einmal, und bis dahin heißt's eben aushalten! Sind Sie gut eingerichtet an Bord?«

»Vortrefflich.«

»Desto besser« – und der Kapitän trat mit einem freundlichen Kopfnicken wieder in seine Kajüte hinein.

Aguila, oder Don Rafael, wie er von seinen Freunden genannt wurde, hatte indessen seine Mitpassagiere gemustert, aber es waren teils Fremde, Engländer, Franzosen oder Deutsche, die mit der westindischen Mail von Europa kamen, teils nichtssagende Gesichter von Landeskindern, deren Bekanntschaft zu machen es ihn nicht drängte. Ein befreundetes Gesicht fand er nicht und begnügte sich deshalb, die Leute stillschweigend zu mustern, wie sie eben bei ihrem Nachmittag-Spaziergang an Deck hin und her an ihm vorübergingen.

Ein reizendes Wesen zog dabei seine Aufmerksamkeit vor allen anderen auf sich. Es war ein junges Mädchen von vielleicht zweiundzwanzig Jahren, bildschön, von tadellosem Wuchs, mit rabenschwarzen Haaren und Augen, einem wahrhaft griechischen Profil, und dabei die Züge voller Leben, die Augen voll Glut und Feuer.

Ein junger, sehr elegant gekleideter Mann begleitete sie auf Deck und unterhielt sich mit ihr. Es war jedenfalls ein Nordländer – wie sich später herausstellte, ein Schwede – mit blonden Haaren und blauen Augen, aber sie unterhielten sich französisch miteinander, wie denn die junge Dame ebenfalls Französin sein mußte.

»Fräulein, Sie sind grausam«, hörte Don Rafael einmal ein paar abgebrochene Sätze, als sie unfern von ihm in ihrem Gespräch stehengeblieben waren.

»Grausam?« lautete die Rückfrage, »etwa weil ich offen und ehrlich die Wahrheit sage? Sie wollen mir nur nicht glauben, daß es die Wahrheit ist, und sollten mir gerade dankbar dafür sein!«

Der Nordländer wollte etwas darauf erwidern, aber sein Blick streifte den nicht weit davon entfernt lehnenden Peruaner, und er fuhr mit leiserer Stimme zu reden fort, so daß Don Rafael nichts mehr davon verstehen konnte.

Bald nachher gingen die beiden jungen Leute hinunter, um eine Partie Schach miteinander zu spielen, welche die Dame – der Peruaner fing an, sich für sie zu interessieren – gewann.

Er erkundigte sich jetzt beim Mayordomo weiter nach ihr und erfuhr, daß sie mit von Panama gekommen sei und ihre Koffer französische Marken von Bordeaux trügen. Sie reiste mit einer Dienerin oder Gesellschafterin und hatte ihre Kajüte zufälligerweise dicht neben der seinigen. Weiter wußte der Mayordomo nichts von ihr, als daß sie sich auf der Fahrt von Panama wohl sehr frei und ungeniert, aber immer höchst anständig benommen und auch nie gestattet habe, daß sich irgend jemand mit ihr die geringste Freiheit erlaube. Ihr Name war der Schiffsliste nach Lydia Valière.

Wohl hatte nun Don Rafael bemerkt, daß das Auge des schönen Mädchens ein paarmal auf ihm haftete, aber dennoch nicht gewagt, sie anzureden, weil er nicht zudringlich erscheinen mochte. Was half es ihm auch! In wenigen Tagen waren sie in Lima, wo er selber sich nur wenige Stunden aufzuhalten gedachte, weil ihn sein Weg ins Innere führte, und eine so flüchtig angeknüpfte Bekanntschaft hätte dann doch gleich wieder abgebrochen werden müssen.

So war er schon zwei Tage an Bord, ohne ein einziges Wort mit ihr zu wechseln, einen Gruß ausgenommen, wenn er ihr unten im gemeinschaftlichen und zu den Kajüten führenden Gange einmal zufällig begegnete. Heute ging er wieder hinunter, um sich ein Buch heraufzuholen; wollte er aber aufrichtig sein, so hatte er nur an das Buch gedacht, weil er die junge Dame nicht an Deck sah, und das Herz schlug ihm ordentlich ein wenig, als er ihre Koje passierte und sie in der offenen Tür stehen sah. Mit einem einfachen Gruß wollte er auch jetzt vorübergehen, als er sich angerufen hörte.

»Señorita!« überrascht wandte er sich der Schönen zu.

»Entschuldigen Sie, Señor«, sagte da das junge Mädchen im reinsten Spanisch und mit einem halb verlegenen Lächeln, das ihr um so reizender stand, als er es noch gar nicht an ihr bemerkt hatte, »wenn ich die erste Gelegenheit, bei der ich das Vergnügen habe, Sie anzureden, zu einer etwas wunderlichen Bitte benutze.«

»Señorita«, rief Don Rafael erfreut, »Sie würden mich glücklich machen, wenn Sie mir Gelegenheit gäben, Ihnen zu dienen!«

»Also auch Sie«, sagte das junge Mädchen, und wie ein leiser Schmerz zuckte es für einen Augenblick um ihre Lippen. »Ich hatte geglaubt, daß wenigstens Sie nicht zu jenen faden Schmeichlern gehören, die es nur alle darauf abgesehen zu haben scheinen, dem ersten besten glatten Gesicht den Kopf zu verdrehen.«

Don Rafael war betroffen von dem Ausdruck, der bei diesen Worten in den Zügen der Redenden lag, und sagte herzlich:

»Glauben Sie mir, liebes Fräulein, daß Sie mir wirklich eine Freude machen, wenn Sie mir Gelegenheit geben, Ihnen gefällig zu sein.«

»Das klingt schon besser«, lächelte die junge Dame, »und diesmal will ich es Ihnen glauben. Ich verlange aber nicht viel, nur eine unbedeutende Kleinigkeit – eine Locke von Ihnen.«

»Eine Locke?« lachte der junge Mann erstaunt – »Sie wollen mich bestrafen, Señorita, und halten mich zum besten!«

»Und wenn es mir Ernst wäre?«

»Ich stelle Ihnen meinen ganzen Kopf zur Verfügung!«

»Sehen Sie, Sie übertreiben schon wieder!«

»Señorita«, sagte der junge Mann halb im Scherz, halb im Ernst, »ich weiß wirklich nicht, ob ich diesmal übertrieben habe, denn Sie scheinen in der Tat mit den Köpfen Ihrer Umgebung anzufangen, was Ihnen beliebt.«

»Das wäre ein schlechtes Kompliment für ihren Inhalt«, erwiderte die junge Dame, »und ich hoffe, daß Sie sich jedenfalls davon ausnehmen. Aber Sie haben mir meine Bitte noch nicht erfüllt.«

»Dann verschaffen Sie mir nur eine Schere«, lachte der junge Mann, »und Sie sollen sehen, wie freigebig ich sie erfüllen werde.«

»Bitte, das ist gar nicht nötig«, sagte die Dame, und nahm eine Schere, die sie schon die ganze Zeit versteckt in der Linken getragen haben mußte, in die rechte Hand. »Haben Sie nur die Güte, sich ein klein wenig zur Seite zu drehen – so, das ist genug – ich werde mich selber bedienen und sehr bescheiden sein.«

Don Rafael fühlte mit einer eigenen Empfindung, die ihm durch den ganzen Körper zuckte, wie die Finger des jungen Mädchens sein Haar teilten. Jetzt hob es den rechten Arm, und das scharfe Klippen der Schere hatte sein Opfer gefunden. Fräulein Valière trat lächelnd mit einer dankenden Verbeugung von ihm zurück, und während sie eine seiner langen schwarzen Locken in der Hand hielt, sagte sie freundlich:

»Sie sind so liebenswürdig gewesen, meinen Wunsch zu erfüllen, und ich fühle mich nun auch verpflichtet, Ihnen zu sagen, weshalb ich Sie um dieses Geschenk gebeten habe.«

»Señorita, ich erlasse Ihnen jede Erklärung. Die Sache selber hat mich viel zu glücklich gemacht, um . . .«

»Eben deshalb«, unterbrach ihn die junge Dame wie vorher. »Sie könnten sonst wirklich auf die wunderlichsten Gedanken kommen und vielleicht gar glauben, daß ich beabsichtige, dieses ›teure Unterpfand‹ als ein Andenken zu bewahren.«

»Sie sind mehr als grausam«, sagte der junge Peruaner mit komischer Verzweiflung; »wollen Sie denn jede Illusion zerstören?«

»Jede; ich müßte Ihnen sonst in einem wunderlichen Licht erscheinen. Sie haben doch bemerkt, daß mir der junge Schwede in fast etwas zu auffälliger Weise den Hof macht?«

»Er ist gern in Ihrer Nähe, und wer könnte ihm das verdenken?«

»Hm«, lächelte das junge Mädchen, »das Kompliment will ich Ihnen noch hingehen lassen; es klingt wenigstens nicht übertrieben, wenn es auch vielleicht nicht so gemeint war. Bitte, lassen Sie mich ausreden. Nicht allein also, daß der junge Mann gern in meiner Nähe ist, wie Sie sich ausdrücken, hat er mich auch so lange um eine von meinen Locken gequält, um eine Erinnerung an mich zu haben, »wenn uns das Schicksal grausam trennen sollte«, wie er sich ausdrückt und was allerdings wahrscheinlich ist, daß ich ihm, um nur Ruhe zu haben, seinen Wunsch zu erfüllen versprach.«

»Und nun?« lachte Don Rafael.

»Sie können sich aber doch denken, daß ich ihm nur dann ein solch ›teures Unterpfand‹ von mir selber geben würde, wenn ich ihn wirklich liebte, und da das nicht der Fall ist, so habe ich mir erlaubt, nicht allein Ihre Güte, sondern auch Ihren reichen Haarwuchs in Anspruch zu nehmen, um den Herrn zufrieden zu stellen und mir Ruhe zu verschaffen.«

»Und Sie glauben wirklich«, lachte Don Rafael, »daß er den Betrug nicht augenblicklich entdecken wird?«

»Haben Sie nicht bemerkt, daß er kurzsichtig ist? Er trägt ja sogar zu Zeiten eine Brille, wenigstens immer dann, wenn er etwas genau betrachten will. Außerdem haben unsere Haare fast eine Farbe, überlassen Sie das mir, ihn sicher zu machen.«

»Aber Sie sind mehr als grausam!«

»Grausam, wieso?«

»Wenn Sie nun wirklich ernstlichen Eindruck auf den Fremden gemacht haben und er, wenn auch später, den Betrug entdeckt, wie wehe muß ihm da ums Herz sein! Treiben Sie kein leichtsinniges Spiel, Señorita«, setzte er mit herzlichem Tone hinzu, »mißbrauchen Sie die Gewalt nicht, die Ihnen über Männerherzen gegeben wurde! Es ist eine gefährliche Waffe in Ihren Händen!«

»Ihren Augen nach sollte man wirklich glauben, daß Sie jetzt im Ernst sprächen«, lächelte das junge Mädchen und sah ihn voll und forschend an – »ist dem so?«

»Ja, es ist so!«

»Dann will ich Sie beruhigen«, setzte sie mit weit mehr Gefühl im Ton hinzu, als sie bis jetzt gezeigt hatte; »wenn ich wirklich auch nur vermutete, daß mich der Fremde ernstlich liebte, würde ich nie dieses Spiel mit ihm treiben! Glauben Sie mir das auf mein Wort?«

Ihre großen dunkeln Augen hafteten dabei so voll und treuherzig auf dem jungen Peruaner, daß dieser ihr unwillkürlich die Hand entgegenstreckt« und ausrief: »Ich glaube Ihnen, Señorita, und jetzt habe ich nur den einen Wunsch, Zeuge Ihres Triumphes zu sein!«

»Vielleicht bietet sich dazu eine Gelegenheit«, lächelte die junge Dame wieder ganz mit der früheren Schelmerei. »Er hat mir versichert, die Locke in einem Medaillon auf seinem Herzen zu tragen. Also nochmals meinen freundlichsten Dank für Ihre Güte und für das Opfer, das Sie mir gebracht haben.«

»Ich wollte wirklich, Sie forderten ein größeres von mir, mein liebes Fräulein; ich könnte Ihnen dann beweisen, daß ich nicht zu denen gehöre, die mit dem Munde versprechen und im Herzen gar nicht daran denken, das Versprechen je zu halten, wozu meine Landsleute leider zu sehr geneigt sind.«

»Nun, wer weiß, wie ich Sie vielleicht noch einmal beim Worte nehme. Sie bleiben in Lima?«

»Ich wohne in Peru.«

»Schön; auch ich werde mich dort einige Zeit aufhalten; aber noch eine Frage – Sie erwähnten vorhin Ihre Landsleute«, sagte die junge Dame, die sich schon halb abgewandt hatte, um wieder in ihre Kajüte einzutreten, jetzt aber noch einmal auf der Schwelle stehenblieb; »ich muß Ihnen eigentlich gestehen, daß ich Sie schon einmal habe fragen wollen, wer Ihre Landsleute eigentlich sind; denn aufrichtig gesagt, bin ich noch nicht recht klug daraus geworden, welchem Volke ich Sie zuteilen soll.«

»Ich bin Peruaner«, sagte Don Rafael.

»Hm«, sagte die Señorita kopfschüttelnd, »nach allem, was ich bis jetzt von den Peruanern hörte, passen Sie keineswegs zu dem Bilde, das ich mir von diesem Volk machte. Die einzige Möglichkeit wäre, daß Sie lange auf Reisen waren.«

»Das ist allerdings der Fall. Ich war drei Jahre in Europa und dann andere drei Jahre auf einem Streifzug durch die verschiedenen Länder der Erde, wobei ich jetzt ein volles Jahr auf dem wundervollen Tahiti in der Südsee gesessen habe.«

»Und dort kommen Sie gerade her?«

»So ziemlich. Aber nun erlauben Sie mir eine Frage, verehrtes Fräulein, die ich in jedem andern Fall für unbescheiden gehalten haben würde, wenn – wir nicht jetzt Verbündete wären, und ich nicht wirklich den Wunsch hätte, Ihnen in Peru nützlich sein zu können. Wo werden Sie in Lima absteigen?«

»Das ist noch unbestimmt. Ich habe mehrere Empfehlungen für die Hauptstadt, wo ich etwa zwei oder drei Monate zu bleiben gedenke.«

»So wollen Sie Freunde besuchen?«

»Haben Sie keine Furcht«, lächelte die junge Dame über die Art und Weise, wie der Peruaner Näheres über sie zu erfahren suchte; »wir werden uns in Lima wiedersehen. Besuchen Sie zuweilen das Theater?«

»Früher habe ich es besucht, ich weiß nicht, ob ich jetzt nach dem, was ich in Europa gesehen habe, noch besondere Freude daran finden werde.«

Die Fremde sah immer noch lächelnd vor sich nieder. »Ich werde hier gastieren«, sagte sie plötzlich, und ihr Auge begegnete wieder voll dem überraschten Blick des jungen Mannes.

»Sie sind Künstlerin?« rief dieser unwillkürlich aus.

»Das ist mein Beruf«, bestätigte sie. »Finden Sie das so außerordentlich? Sie scheinen wenigstens erstaunt darüber zu sein?«

»Nein und ja, daß Sie Ihre Bahn nämlich an eine so entlegene und der Kunst so wenig zusagende Küste geworfen haben konnte.«

»Glauben Sie«, erwiderte sie rasch, »daß der Drang, die Welt zu sehen nur allein dem Manne eigen ist? Aber wir haben hier schon zu lange geplaudert«, brach sie plötzlich ab, als der laute Klang einer Glocke durch das Deck drang. »Hören Sie das Signal? Wir vergessen die gebieterische Pflicht, uns zum Diner vorzubereiten, also au revoir, Señor Confederado«, und mit einer freundlichen Neigung des Kopfes verschwand sie in der sich hinter ihr schließenden Tür.

Don Rafael blieb noch in tiefen Gedanken auf der Stelle stehen, wo ihn seine neue Bekanntschaft verlassen hatte, bis er Schritte auf der Treppe hörte, denn die Passagiere kamen jetzt von allen Seiten herab, um ebenfalls Toilette zum Diner zu machen; dann trat er nebenan in seine eigene Kajüte. Aber er zerbrach sich umsonst den Kopf, aus dem Charakter der Schönen klug zu werden, mit der ihn hier der Zufall zusammengeführt hatte. War es nur eine Kokette? – Sein Herz sagte nein, denn ihre Blicke, ihre Worte hatten ein paarmal tiefes Gefühl verraten. Oder war auch das gemacht? Eine Schauspielerin, die jede Miene, jede Bewegung in ihrer Gewalt hatte! Und der arme Schwede? Sollte er ihn warnen? Es drängte ihn fast dazu, aber das wäre Verrat gewesen, und was ging ihn auch der Schwede an! Der war selber alt genug, um auf sich acht zu geben! Möglich ja auch, daß er sogar ein Einmischen in seine Herzensangelegenheiten, wenn es wirklich solche waren, übelgenommen hätte. Don Rafael war zu weit in der Welt herumgekommen und darin schon mit zu vielen Menschen zusammengetroffen, um sich unnötigerweise um Dinge zu kümmern, die ihn nichts angingen. Er hatte gelernt, zu sehen und zu beobachten, ohne dreinzureden, wo er nicht gefragt wurde, und selbst da nicht immer.

Und hatte er einen Eindruck auf das schöne Mädchen gemacht? Unwillkürlich kam ihm mit ein klein wenig Eitelkeit, wie sie wohl jeder besitzt, der Gedanke – aber hätte sie ihn da so ungeniert um eine Locke gebeten? – Wohl kaum. Und nun erst ihr ferneres Betragen an Bord. Er hatte geglaubt und auch im stillen gehofft, daß sie ihn von da an wie einen alten Bekannten behandeln werde. Hatte sie ihn nicht selber Señor Confederado genannt? Aber Gott bewahre! Sie erwiderte sehr höflich seinen Gruß, wenn er ihr auf Deck begegnete oder seinen Platz ihr schräg gegenüber bei Tisch einnahm, das war alles. Mit keiner Silbe, mit keinem Blicke deutete sie je darauf hin, daß sie schon einmal im Leben ein Wort zusammen gewechselt hatten, ja, es war augenscheinlich, daß sie ihm auswich, wo das nur irgend auf unbemerkte und nicht auffallende Weise geschehen konnte, und wie leicht ist das an Bord eines so großen Dampfers! Nur ein einziges Mal machte sie davon eine Ausnahme.

Der arme Schwede, der rettungslos in ihren Banden hing und ihr wirklich kaum von der Seite wich, wenn sie sich nur an Deck sehen ließ – unglücklicherweise hatte er seine Kajüte im vordern Teil des Bootes – saß mit ihr eines Tages oben auf dem Quarterdeck. Don Rafael lehnte nicht weit davon entfernt auf einer Bank und blätterte in ein paar guyaquilenischen Zeitungen, die er sich mitgenommen hatte. Das Gespräch zwischen den beiden war aber bis jetzt so leise geführt worden, daß er nur immer abgebrochene Worte, keinen zusammenhängenden Satz hatte verstehen können. Jetzt plötzlich hörte er deutlich, wie die junge Dame sagte:

»Und ich soll Ihnen das glauben? Weggeworfen haben Sie es schon seit langer Zeit.«

Rafael sah auf und begegnete dem Blick des Mädchens, der aber nur eine Sekunde auf ihm haftete und dann zu dem Schweden hinüberflog; und doch war es kein zufälliger Blick gewesen. Sie hatte sein Auge gesucht, und der Peruaner sah jetzt, wie der unglückliche Getäuschte, während er der vor ihm sitzenden Dame ein paar Worte zuflüsterte, ein kleines goldenes Medaillon unter seiner Weste vorzog, es an seine Lippen preßte und wieder an seinem Herzen barg.

Wieder streifte des Mädchens Blick den Peruaner, und diesem konnte das leichte, spöttische Lächeln nicht entgehen, das um ihre Lippen zuckte; aber von da an wurde das Gespräch wieder so undeutlich, daß er nichts weiter verstehen konnte. Sie hatte die wenigen Worte jedenfalls nur so laut für ihn gesprochen, damit er aufmerksam darauf werden sollte.

An dem nämlichen Abend landete der Dampfer in Callao. Don Rafael hatte noch Geschäfte in der Hafenstadt, während die junge Schauspielerin, von ihrem Schatten, dem Schweden, begleitet, den ersten Zug nach Lima benutzte.

Als er an dem Stationsgebäude vorüberging, stand sie oben in der Tür; der Schwede besorgte wahrscheinlich im Innern die Billets. Er grüßte achtungsvoll, sie aber rief ihm, noch mit der Hand freundlich winkend, nach: »Auf Wiedersehen in Lima!«

 


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