Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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General Granero

Gerade dem Theater gegenüber in Lima lag ein Gebäude, das fast die ganze Front des Theaterplatzes einnahm und ursprünglich wohl ein Hotel werden sollte. Unten liefen an der ganzen Front Kolonnaden hin; die unteren Räume des Gebäudes waren aber jetzt vermietet.

Da fand sich ein von einem Franzosen gehaltenes Bad mit Marmorbassins; da lag ein von einem Italiener gehaltenes, allerdings sehr einfaches Kaffeehaus; da hatte ein deutscher Möbelhändler und Tapezierer seinen Stand, ein Vergolder, ein Messerschmied, eine Putzhandlung, ein Barbier, und oben und unten an den Kolonnaden saßen ein paar Obstfrauen, die über Tag das herrlichste Obst feil hielten.

In der ersten Etage dieses Hauses wohnte in einem der vorderen Zimmer, mit dem Balkon nach dem Theaterplatz hinaus, Granero, der Expräsident der ecuadorianischen Republik; von seinem ganzen Hofstaat hatte er sich nur zwei junge Mulattenburschen mitgebracht.

Die Möbel des Zimmers, die bei Einrichtung des früheren Hotels sehr elegant und hübsch gewesen sein mochten, hatten jetzt, durch den Zahn der Zeit, durch Motten und starken Gebrauch, nicht unbedeutend gelitten. In dem Sofa waren einige ziemlich große Löcher, die Rohrstühle verlangten dringend eine Reparatur und der zertretene und verblaßte Teppich, der allem Anschein nach nicht ausgeklopft worden war, seit ihn der Tapezierer damals hineingelegt hatte, gab bei jedem Schritt kleine feine Wolken Staub von sich; aber das störte den Expräsidenten nicht.

Nur eine Bequemlichkeit hatte er sich aus Ecuador mitgebracht, seine aus gelbem und rotem Bast geflochtene Guayaquil-Hängematte, die auch, nach ecuadorianischer Sitte, nicht langgestreckt ausgespannt wurde, um darin liegen zu können, sondern mehr wie eine Schaukel mitten im Zimmer befestigt war. In dieser Hängematte saß der Präsident den ganzen Tag, das eine kurze, dicke Bein rechts, das andere links herüber hängend, in einer halb sitzenden, halb liegenden Stellung, und empfing auch so seine Besuche. Die farbige Bevölkerung der Stadt strömte ihm von allen Seiten zu, denn sie vermutete, er habe Ecuador nicht verlassen, ohne an barem Gelde mitzunehmen, was er nur zusammenraffen konnte. Außerdem war es bekannt, daß Präsident Castilla nur höchst ungern den ihm persönlich verhaßten Flores an der Spitze der ecuadorianischen Regierung sah; denn daß dieser ihm den südöstlichen Teil der ganzen Republik, ja, fast die südöstliche Hälfte derselben, die Castilla als zu Peru gehörend beanspruchte, nicht abtreten würde, verstand sich von selbst. Wollte er also dort seinen Willen durchsetzen, so mußte eine neue Revolution hervorgerufen werden, um diese Regierung zu stürzen, und die Möglichkeit blieb ja doch immer, daß eben Granero noch einmal dazu ausersehen wurde, an die Spitze derselben zu treten.

In diesem Falle brauchte er aber wieder einen neuen Generalstab, oder konnte doch Leuten, denen er wohlwollte, einträgliche Stellen zuweisen. So fand der Expräsident sich plötzlich von einem Schwarm von Schmeichlern und Schmarotzern umgeben.

Wie niedergeschlagen er auch gewesen sein mochte, als er den Präsidenten verließ, so erwachte der alte Geist der Intrige doch wieder in ihm, als die verschiedensten Leute nacheinander zu ihm kamen und ihm erzählten, welche Sympathien er in Peru selber habe, da man den Trotz der Ecuadorianer gebrochen sehen wollte, und wie sie selber sich mit Freuden zu seiner Verfügung stellen würden, um eine neue Expedition nicht allein nach Guayaquil, nein, gleich nach Quito zu unternehmen. Dort konnte man ja dann den Herd der »Rebellen« zerstören und von der Erde vertilgen.

Erbittert war er selber genug gegen Quito, denn jetzt trafen auch mit dem Dampfer Berichte von dort ein, wie man in der alten Residenz mit Festen, Feuerwerken und Tedeums seine Niederlage und Vertreibung gefeiert hatte, und im stillen malte er sich schon oft den Augenblick aus, wo er an den Feinden, die ihn so schmählich behandelt hatten, Rache nehmen konnte.

Aber dazu war keine Aussicht, solange Castillo selber am Ruder blieb. Was dieser auch gegen den Nachbarstaat unternehmen mochte, ihm, Granero, würde er nie mehr eine Führerstelle übertragen.

Aber wenn es nun hier in Lima selber zu einer Umwälzung kam, wenn ein anderer Präsident ans Ruder käme? Daß es in Peru Unzufriedene genug gab, verstand sich von selbst, und aus den Gesprächen mit denen, die ihn aufsuchten, hatte Granero schon deutlich genug erfahren, daß selbst jetzt schon Zündstoff genug aufgehäuft lag und es eigentlich nur eines Funkens bedürfe, der ihn explodieren mache; er war der Mann dazu, diesen Funken oben nach Kräften anzublasen.

So geheim er es auch hielt und so laut er es ableugnete, die ecuadorianischen Kassen noch am letzten Tage geplündert und mitgenommen zu haben, was er eben erreichen konnte, so unterlag es doch keinem Zweifel, daß er Geld genug hatte, um einen Umsturzplan auch in dieser Weise zu unterstützen, und es ging sogar schon das Gerücht in Lima, daß er einen bedeutenden Vorrat an Waffen teils in Peru selber, teils von einem amerikanischen Schiff angekauft habe, der irgendwo in Callao lagern mußte.

Natürlich wurde daraus ein Geheimnis gemacht, denn in der Stimmung, in der sich Castilla jetzt gerade gegen den Expräsidenten befand, ließ sich voraussehen, daß er eine solche Privatrüstung unter seinen Augen nicht geduldet hätte.

Alle Anzeichen sprachen jedenfalls dafür, daß Granero nicht müßig sei und wie eine fette Spinne in ihrem Netze, mit der er in seiner Hängematte wirklich Ähnlichkeit hatte, nur auf den Augenblick warte, wo er wieder Haß und Unfrieden, Mord und Brand über ein friedliches und kaum beruhigtes Land ausschütten könne.

Der Dampfer von Guayaquil war angekommen, und Granero saß in seiner gewöhnlichen Art, eine Zigarre rauchend und ein zerknittertes Zeitungsblatt vor sich liegend, in seiner Hängematte, während zwei andere, etwas verdächtig aussehende Individuen auf dem Sofa und auf einem Stuhl Platz genommen hatten.

Beide waren Mulatten mit scharf und entschieden ausgeprägten Gesichtszügen. Granero hatte ihnen eben einen Artikel aus Quito vorgelesen und zerkaute dabei seine Zigarre, bis er sie endlich ärgerlich auf den Teppich schleuderte. Dort fielen die Funken auseinander und brannten ein Loch, ohne daß jemand Notiz davon genommen hätte.

»Ich weiß nicht, weshalb Sie sich ärgern, Exzellenz«, sagte jetzt der auf dem Sofa, der eine Art von Stutzer zu sein schien, denn er trug weiße Wäsche – was sich von Granero und dem anderen Besuch nicht sagen ließ –, eine sehr große Tuchnadel, goldene Uhrkette, Ringe an den braunen Fingern und ein himmelblauseidenes Halstuch. »Daß das Gesindel jetzt schimpft, da Sie ihm den Rücken gewandt haben, ist ja natürlich. Die kleinen Köter kläffen auch hinter einem drein, wenn sie sich sicher fühlen, ziehen aber den Schwanz ein und kneifen aus, sowie man sich wieder nach ihnen umdreht oder nur Miene macht, als ob man einen Stein aufheben wollte.«

»Lassen Sie uns nur wieder hinüberkommen«, knurrte der auf dem Stuhl, der seinen Hut zwischen den Knien unaufhörlich herumdrehte, »das Bellen soll ihnen dann schon vergehen. Caracho! Mir zuckt's ordentlich in den Fingern, wenn ich von der Bande nur höre!«

»Aber wie wollen wir hinüberkommen?« rief Granero; »Castilla gibt uns im Leben seine Dampfer nicht dazu, und der Landweg ist zu weit.«

»Castilla«, wiederholte der auf dem Stuhl, aber jetzt nur mit halblauter Stimme, denn an beiden Seiten waren Türen und man wußte nicht, wer dahinter lauschen konnte – »Castillo wird nicht mehr lange über die Dampfer zu befehlen haben, und wenn wir nur seines Nachfolgers sicher wären, machte sich die Sache nachher von selber.«

»Señores«, sagte Granero leise, indem er sich etwas zu ihnen überbog, »ich glaube, daß ich mich auf Sie verlassen kann?«

»Sie zweifeln noch daran, Exzellenz?« sagte der Stutzer, während der andere versicherte:

»Geben Sie uns nur Gelegenheit, es zu beweisen, und wenn es auch wäre, dem alten Dickschädel selbst an den Kragen zu gehen. Verdammt, wenn ich nicht dabei wäre, denn mich hat er schlimmer als einen Hund behandelt!«

»Gut«, sagte Granero noch ebenso vorsichtig, »dann halten Sie sich für die nächste Zeit bereit, denn es ist etwas im Werk.«

»Und was sollen wir tun?« fragte, bei der Ankündigung etwas beunruhigt, der Mulatte mit der reinen Wäsche.

»Vorderhand«, lautete die Antwort, »nichts, als sich Ihrer Freunde versichern, daß sie im rechten Augenblick zusammenstehen und eine neue peruanische Regierung mit allen Mitteln unterstützen.«

»Es ist nur eine verteufelte Sache, daß der Alte das ganze Militär auf seiner Seite hat; denn dem stopft er ja alles zu, und es wird ihn deshalb schon nicht im Stich lassen.«

»Die Offiziere sind aber nicht alle auf seiner Seite«, lachte Granero verächtlich vor sich hin; »er hat sie doch nicht alle zu Generalen machen können, und an Unzufriedenen fehlt es nie. Verlassen Sie sich aber auf mich, daß ich sicher zu Werke gehe, denn ich selber habe am meisten dabei zu verlieren. Ist aber eine Partei fest für unsere Sache gewonnen, dann hängt alles nur von unserer Geschicklichkeit und davon ab, daß wir den rechten Augenblick benutzen. Was Sie selber für sich dann zu erwarten haben, wissen Sie am besten, und Sie arbeiten für Ihr eigenes Wohl, während Sie unsere gemeinschaftliche Sache fördern.«

»Und wer soll der neue Präsident sein?«

»Noch ist darüber nichts Genaueres bestimmt worden, Señor Corona«, sagte Granero; »bis jetzt sind zwei in Vorschlag, und es versteht sich von selbst, daß die Partei vor allen Dingen erst über einen bestimmten Mann einig werden muß, ehe ein Schlag geführt werden kann. Es muß eine Hand da und bereit sein, die gleich sicher die Zügel faßt, denn Ungewißheit und Zögern in dem Augenblick würde alles wieder vernichten. Daß wir nur alle zur rechten Zeit unsere Pflicht tun.«

»Exzellenz«, sagte der auf dem Sofa, den Granero Corona genannt hatte, »Sie wissen, welchen Einfluß ich hier in Lima auf die ausübe, die unseres Blutes sind; ich rühme mich nicht zu viel, wenn ich sage, mein Wort gilt ihnen als Befehl, denn wenn sie auch die Kraft haben, geht ihnen doch die Intelligenz ab, und der beugt sich die rohe Masse immer. Ich hoffe, daß wir noch einmal mit Stolz auf unsere Taten zurückblicken werden.«

»Ich hoffe es, Señor Corona, ich hoffe es«, erwiderte Granero kopfnickend, »und ich baue auch auf Sie als eine meiner Hauptstützen. Sie wissen aber auch, Señor, wie notwendig ich einmal solche Leute später in Ecuador brauchen werde, und ich bin fest überzeugt, daß uns gegenseitiges Interesse aneinander bindet – es mag kommen, was da wolle!«

»Sie sollen mit mir zufrieden sein, Exzellenz«, sagte der Mulatte selbstbewußt, indem er von dem Sofa aufstand; »aber nun erlauben Sie, daß ich mich empfehle, denn ich habe heute noch wichtige Sachen vorzubereiten. Darf ich Sie morgen früh wieder besuchen?«

»Sie wissen, Señor Corona, daß Sie mir stets eine Freude mit Ihrem Besuch machen«, sagte Granero verbindlich. »Kommen Sie, sobald Sie können; ich werde Sie mit Ungeduld erwarten, denn ich habe noch manches mit Ihnen zu besprechen.«

Señor Corona machte eine sehr förmliche Verbeugung gegen den Expräsidenten, winkte dem anderen Mulatten einen huldvollen Gruß mit der Hand zu und verschwand dann aus dem Zimmer.

Er hatte das Gemach schon eine Weile verlassen, während keiner der beiden Zurückgebliebenen ein Wort sprach. Endlich drehte Granero den Kopf zur Seite und rief:

»Juan!«

»Señor?« sagte der eine der kleinen Burschen, die er in seinen Diensten hatte, und steckte den Kopf zur Tür herein.

»Mach' einmal draußen die Saaltür auf und sieh, ob noch jemand davorsteht.«

»Si, Señor«, sagte der Bursche und verschwand gleich darauf, kehrte aber nach kurzer Zeit zurück und berichtete, daß niemand mehr auf dem Gang draußen zu sehen sei.

Granero nickte, und als der Bursche wieder die Tür ins Schloß gezogen hatte, sagte er leise:

»Mestozzi!«

»Exzellenz!« erwiderte der Angeredete.

»Was haltet Ihr von Corona?«

»Sehr gescheiter Mensch das«, erwiderte Mestozzi mit einem etwas stumpfsinnigen Blick, denn er wußte nicht recht, was die Frage eigentlich bedeuten sollte.

»Hm, ja, möglich«, brummte Granero halb vor sich hin, halb als Antwort; »aber wißt Ihr wohl, daß ich ihm nicht recht traue?«

»Exzellenz«, sagte der Mulatte, der selber die beste Meinung von dem gelbbraunen Stutzer zu haben schien, bestürzt, »ich weiß nicht . . .«

»Er spricht zu viel, Mestozzi«, sagte aber Granero ruhig, ohne dessen Erstaunen weiter zu beachten; »Ihr seid mir am kleinen Finger lieber, Ihr redet wenig, aber Ihr denkt viel, und ich weiß, daß ich mich auf Euch verlassen kann.«

»Exzellenz, ich bin stolz auf diese Auszeichnung«, sagte der geschmeichelte Mulatte; »Sie sollen Ihr Vertrauen nie bereuen.«

»Das weiß ich, Mestozzi«, erwiderte Granero leise vor sich hin, »das weiß ich; Ihr habt auch noch einmal eine große Zukunft, denn auf die Gescheitheit, Mestozzi, kommt es weit weniger an als auf die Treue, auf die Zuverlässigkeit, und daß ich Euch für zuverlässiger halte, mag Euch das beweisen, daß ich mich jetzt so aufrichtig gegen Euch ausspreche.«

»Aber Corona würde Eure Exzellenz nie verraten.«

»Ich will nicht wünschen, daß er je Gelegenheit dazu bekommt«, sagte der Expräsident, »aber ich habe ein Vorurteil gegen alle Menschen, die sich so geschniegelt kleiden, und möchte Euch deshalb um etwas bitten.«

»Bitten, Exzellenz? Sie haben doch nur über mich zu befehlen.«

»Nein, lieber Mestozzi, gar nicht zu befehlen; wir sind Freunde, und zwischen denen kann von Befehlen keine Rede sein. Ich bitte Euch also, ein wenig ein wachsames Auge auf unseren gemeinschaftlichen Freund Corona zu haben. Er meint es vielleicht ganz gut, aber er ist sehr von sich selber eingenommen und könnte leicht in der besten Absicht ein Unheil anstiften.«

»Ich verstehe Sie nicht, Exzellenz«, sagte Mestozzi, der mit seinen Gedanken da nicht folgen konnte, wo ihm nicht, was er tun oder lassen sollte, mit klaren Worten gesagt wurde.

»Ich will deutlicher sein«, fuhr Granero fort, der den Burschen vollständig durchschaute; »tut mir den Gefallen, Mestozzi, und paßt genau auf, was dieser Corona tut und treibt und mit wem er verkehrt. Ihr seid häufig mit ihm zusammen, wohnt sogar mit ihm in einem Hause; stattet mir also genauen Bericht über ihn ab, und es soll Euer Schaden nicht sein.«

»Exzellenz sollen jedes Wort erfahren, was er spricht«, sagte der Mulatte, durch das herablassende Betragen einer solchen Persönlichkeit völlig gewonnen, »Sie können sich fest auf mich verlassen.«

»Ich glaube Euch, Mestozzi«, sagte Granero, ihm die Hand entgegenstreckend, die der Mulatte ehrerbietig nahm und drückte, »und jetzt geht, ich erwarte noch jemand, der gewünscht hat, mich allein zu sprechen, und wenn Ihr könnt, kommt morgen etwa um fünf Uhr wieder zu mir.«

»Jawohl, Exzellenz«, sagte Mestozzi, indem er aufstand, als ob er sich empfehlen wollte. Aber er hatte noch etwas auf dem Herzen, wenn er sich auch, allem Anschein nach, scheute, es auszusprechen. Granero kannte aber seinen Mann.

»Aha«, lachte er, »Ihr seid wieder kurz in der Kasse, Mestozzi, wie? Hab' ich recht geraten? Ja, in Lima braucht man viel Geld, und die Zeit, die Ihr verwandt habt, um mir nützlich zu sein, kann ich auch nicht umsonst beanspruchen. Nun, nehmt das für heute«, fuhr er fort, indem er ihm eine Unze in die Hand drückte; »hoffentlich kommt bald ein Tag, wo wir beide Geld im Überfluß haben – wie, Mestozzi?«

»Oh, Exzellenz«, rief der Mulatte, indem er das Geld nahm und die Faust darüber ballte, »gebe Gott, daß die Zeit bald da wäre, wo ich Ihnen beweisen könnte, wie ich für Sie kämpfen würde.«

»Ich glaub' es Euch, Mestozzi«, sagte der General, indem er in die funkelnden Augen des Mulatten blickte, »ich glaub' es Euch, und hoffentlich kämpfen wir dann Seite an Seite, wenn Ihr erst einmal als General meine Truppen führt.«

»Exzellenz!« rief der Bursche entzückt.

»Schon gut, schon gut, lieber Freund; also auf Wiedersehen morgen, und vergeßt mir nicht, ein wachsames Auge auf unseren guten Corona zu halten.«

Der Mulatte hatte das Zimmer schon lange verlassen, und Granero saß noch immer, den Kopf auf die Brust gesenkt, in seiner Hängematte und schaute still und schweigend vor sich nieder. Da wurden im Nebenzimmer Schritte laut, und er hörte eine fremde Stimme. Gleich darauf klopfte es leise an die Tür, und auf sein lautes Entra öffnete sich diese und ein peruanischer Offizier steckte den Kopf ins Zimmer.

Granero war aufgestanden, denn er hatte den Besuch erwartet, und ihm entgegengehend und seine Hand ergreifend, sagte er mit halb unterdrückter Stimme, aber anscheinender Herzlichkeit:

»Oberst Desterres, ich kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich mich freue, Sie bei mir zu sehen; ich hatte schon fast gezweifelt, ob Sie Ihr Versprechen halten würden!«

»Soll ein Offizier sein Wort nicht halten?« sagte der Oberst, indem er einen Blick im Zimmer umherwarf, ob sie auch allein wären. »Schon vor einer halben Stunde war ich einmal auf dem Gang draußen, aber es gingen dort einige Leute auf und ab, und da es nötig ist . . .«

»Sie taten vollkommen recht, daß Sie jede Vorsicht gebrauchten«, unterbrach ihn Granero; »denn sollte Castilla nur den geringsten Verdacht schöpfen, so wäre unser ganzes Unternehmen schon von vornherein als mißglückt zu betrachten.«

»Wohnt hier jemand nebenan?« fragte der Offizier jetzt wieder vorsichtig, indem er die beiden Türen rechts und links betrachtete.

»Auf dieser Seite, nein, dort allerdings, aber ein Deutscher, der wohl kaum verstehen würde, was wir mitsammen verhandeln. Nichtsdestoweniger habe ich schon aufpassen lassen. Er ist vor etwa einer Stunde ausgegangen und kommt er zurück, so gibt mein Diener Nachricht. Zu schreien brauchen wir deshalb doch nicht«, setzte er lächelnd hinzu. »Und nun bitte ich Sie, Platz zu nehmen, Herr Oberst, denn Sie glauben nicht, mit welcher Sehnsucht ich Sie erwartet habe. Wie stehen unsere Sachen?«

»Gut«, sagte der Oberst, seine Mütze auf den Tisch und sich selber in die nämliche Sofaecke werfend, in der vorher Señor Corona gesessen hatte – Granero nahm seinen Platz in der Hängematte wieder ein, »ganz vortrefflich! Es hängt alles davon ab, daß uns der Hauptschlag gelingt, den Alten selber zu überrumpeln, was nicht so ganz leicht, aber doch ausführbar ist. Haben wir ihn, lebendig oder tot, das bleibt sich gleich, in unserer Gewalt, dann sollen Sie Ihre Freude daran erleben, wie rasch der Umschlag bei seinen jetzigen Anhängern hier geschieht; denn was liegt den Leuten an der Person, wenn sie sich selber nur gesichert und in ihren Stellungen bestätigt wissen.«

»Aber die Minister müssen fallen!« rief Granero rasch.

»Einige, ja«, sagte der Oberst; »der Kriegsminister zum Beispiel ist ein alter Starrkopf, der zäh an Castilla und seinem System hält.«

»Und daß ich meinen ganzen Einfluß aufbieten werde, Sie in die Stellung zu bringen, darauf können Sie sich verlassen.«

Der Oberst zuckte die Achseln.

»Lieber General«, sagte er zweifelnd, »das ist eine eigene Sache; die Konkurrenz ist zu groß, und Señor Santomo, obgleich er mir jetzt sehr freundlich gesinnt scheint, hat so viele Verwandte. Ist er einmal wirklich Präsident, wer weiß, wie sich dann alles gestaltet!«

»Aber die Dankbarkeit . . .«

»Bah, General, täuschen wir uns nicht selber über moralische Verpflichtungen«, unterbrach ihn der Oberst kopfschüttelnd. »In Peru kennen wir nur eine Gegenwart; wir benutzen den Augenblick, wie er kommt, und wer zuerst zugreift, hält, was er hat; ob er dazu berechtigt ist oder nicht, bleibt sich vollkommen gleich. Ich muß Ihnen auch gestehen, daß ich für mich selber hier in Lima sehr wenig von einer Revolution hoffe, alles dagegen für Ecuador, und wenn ich darauf rechnen könnte . . .«

»Lieber Oberst«, fiel Granero rasch ein, »natürlich habe ich bis jetzt nicht gewagt, Ihnen Anerbietungen für Ecuador zu machen, da ich glaubte, daß Sie gerade auf die hiesigen Verhältnisse Ihre Hoffnung gründeten, und ich Ihnen nicht gleich von allem Anfang an einen gesicherten Staat, sondern nur ein unruhiges Land bieten konnte, in dem wir uns erst unsere Bahn mit dem Schwert erkämpfen müssen. Aber glücklich würden Sie mich machen, wenn Sie mir dahin folgen wollten, und daß Ihnen dort Ihren militärischen Talenten nach der erste und höchste Posten in meiner Regierung offensteht, dazu bedarf es wohl keiner Versicherung weiter.«

»Ist das ein Wort?« fragte der Oberst.

»Sie haben mein Ehrenwort dafür!« lautete die Antwort.

»Bravo, General«, rief der Oberst befriedigt; »dann kann ich jetzt mit voller Sicherheit an die Arbeit gehen, denn für uns selber verspreche ich mir sicheren Sieg!«

»Sind Sie aber auch einer Sache gewiß?« fragte der Expräsident sinnend. »Bei der Zusammenkunft, die ich neulich mit Santomo hatte, schien er allerdings fest entschlossen, meine Ansprüche in Ecuador zu unterstützen; er sagte es wenigstens, aber es lag dabei etwas in seinem ganzen Wesen . . .«

Es klopfte in diesem Augenblick an die Tür, und während Granero sein Entra rief, griff der Oberst erschreckt nach seiner Mütze; aber nur der kleine Neger Juan steckte seinen Kopf herein und fragte: »Schokolade, Señor?«

Granero nickte, und als die Tür wieder geschlossen war, sagte er, den Obersten beruhigend:

»Sie brauchen nicht zu fürchten, daß uns jemand überrascht. Ich habe strenge Ordre gegeben, niemand hereinzulassen, solange Sie bei mir sind!«

»Ich bin Ihnen dankbar dafür!« sagte der Oberst.

Der kleine Bursche brachte ein Kaffeebrett mit zwei Tassen Schokolade herein, von denen er die eine zuerst seinem Herrn, die andere dem Gast präsentierte und sich dann wieder lautlos in das Vorzimmer zurückzog.

»Auf Santomo zurückzukommen«, fuhr jetzt Granero fort, »so gefiel mir die Zurückhaltung nicht, die er in der ganzen Unterhaltung zeigte. Er sprach nicht frei von der Leber weg, nicht so offen, wie ich ihm entgegenkam, und er könnte uns einen bösen Strich durch die Rechnung machen, wenn er unsere Anstrengungen eben benutzte und dann, am Ruder, unsere Sache fallen ließe oder auch nur hinauszögerte; beides wäre gleich verderblich für einen sicheren Erfolg.«

»Wenn er nicht eben müßte«, lächelte Oberst Desterres, indem er die heiße Schokolade mit seinem Löffel umrührte, »hätten Sie recht, General. Er würde uns, wie es die anderen tun, eben nur benutzen, um sein eigenes Ziel zu erreichen, davon bin ich fest überzeugt – aber er kann nicht anders.«

»Ich verstehe Sie nicht! Was soll ihn verhindern?«

»Es gibt nichts Einfacheres in der Welt als das«, erwiderte der Oberst. »Sie wissen, daß das Militär im allgemeinen auf seiten Castillas ist, und nur auf ein Regiment, das erst ganz kürzlich gewaltsam ausgehoben wurde, können wir bestimmt rechnen. Dem neuen Präsidenten muß daher vor allen Dingen daran liegen, gerade die Truppen, auf die er sich am wenigsten verlassen kann, aus dem Weg zu schaffen. Aber wohin? Mit Bolivien darf er sich in keinen Krieg einlassen, denn Bolivien ist nicht allein schlagfertig, sondern könnte ihm auch ernstliche Schwierigkeiten bereiten. Es ist allerdings möglich, daß die Bolivianer selber den Augenblick benutzen und einen Einfall wagen könnten, und in dem Falle bekäme er hier in der Hauptstadt Luft; aber darüber vergingen jedenfalls noch Wochen, und es handelt sich hier um Tage, besonders um die ersten Tage. Nun gibt es aber für den Augenblick in Peru nichts Populäreres, als einen Krieg mit Ecuador, wenn denn überhaupt ein Krieg geführt werden muß.«

»Und Sie glauben, daß Santomo dann auch einige der unzuverlässigen Regimenter mitsegeln lassen würde?«

»Was könnte er denn Gescheiteres tun?« rief der Oberst. »In einem fremden Land weiß der Soldat, daß er plündern darf; also er darf auf Beute rechnen, und ich bin fest überzeugt, daß Santomo in wenigen Tagen so sicher hier in Lima residierte, als ob er nach regelrechter Volkswahl den Präsidentenstuhl bestiegen hätte. Er weiß das aber auch; ich habe selber mit ihm darüber gesprochen, und er ist vollkommen damit einverstanden.«

»Und wann glauben Sie, daß der entscheidende Schlag geführt werden kann?« fragte Granero nach einer Pause, in der er still vor sich niedergesehen hatte.

»Das hängt von den Umständen ab«, erwiderte der Oberst mit vorsichtig gedämpfter Stimme. »In Chorillos ist es nicht möglich oder doch nicht ratsam. Der Streich muß unmittelbar auf das Volk und das Militär wirken. Sie müssen sehen, daß wir gesiegt haben; sie dürfen es nicht erst von draußen herein erfahren, und dazu muß der Augenblick hier in der Stadt selber abgepaßt werden. Das kann aber ebensogut morgen wie über vier Wochen geschehen; doch die Sache ist in den besten Händen. Jedenfalls erhalten Sie den Abend vorher Nachricht, um Ihre Leute ebenfalls instruieren zu können. Wir brauchen an dem Tag alle unsere Kräfte.«

»Gut, gut, an uns soll es nicht fehlen!« rief Granero.

»Aber noch eins, General«, sagte der Oberst. »Haben Sie denn auch daran gedacht, daß wir nicht allein Geld, nein, daß wir besonders Waffen und Munition haben müssen, wenn wir in Guayaquil landen? Ich zweifle nicht, daß wir dort eine Menge von Armen finden werden, die uns zu Gebote stehen, denn derlei Abenteurer gibt es überall, die einem Gewaltstreich ihre Fäuste leihen; aber solches Volk hat nie ordentliche Waffen, und was ich bis jetzt von Flores' Soldaten gehört habe, so bestehen seine Truppen wohl aus vielem zusammengerafften Gesindel, aber er hat sie gut ausgerüstet.«

»Mein lieber Oberst«, sagte Granero leise, »je weniger wir davon sprechen, desto besser; aber seien Sie versichert, daß ich dafür Sorge getragen habe und daß es daran nicht fehlen soll; denn selbst den Fall angenommen, daß uns Señor Santomo nicht damit aushelfen könnte . . .«

»Darauf dürfen Sie nicht rechnen!«

»Gut, es ist auch nicht geschehen; also, selbst für den Fall habe ich schon genug Waffen zur augenblicklichen Einschiffung bereit liegen, um wenigstens fünfhundert Mann damit auszurüsten. Halten Sie das für genügend?«

»Vollkommen«, sagte der Oberst, befriedigt nickend.

»Und außerdem denke ich, noch ebensoviele bewaffnete Freiwillige einzuschiffen«, setzte der Expräsident hinzu.

»Die sich ebenfalls auf das Plündern verlassen?«

»Soweit wir es ihnen gestatten«, lächelte Granero. »Nein, jetzt, seitdem ich mit Ihnen gesprochen habe, fühle ich mich vollkommen sicher und habe zum erstenmal wieder volles Vertrauen gefaßt. Unsere Sache ist in guten Händen, und wer weiß, ob wir nicht schon von der jetzt ausgestreuten Saat in vier Wochen eine reiche Ernte halten!«

»Wir wollen's hoffen, General«, sagte der Oberst, von seinem Sitz aufstehend und seine Mütze ergreifend; »die Hauptsache ist jetzt, daß wir die Augen offenhalten und, wenn der rechte Zeitpunkt kommt, nicht zu blöde sind. Und nun leben Sie wohl, denn ich muß zur Parade. Wären Sie aber wohl so gut, vorher einmal einen der Jungen auf den Gang hinauszuschicken, um zu sehen, ob die Luft rein ist?«

»Mit Vergnügen, Oberst, und lassen Sie bald recht Gutes von sich hören«, sagte Granero und gab dann die nötigen Befehle. Es war niemand im Gang zu sehen, und der Oberst verließ rasch das Zimmer.

 


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