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Am nächsten Morgen war Rafael mit Tagesgrauen auf und angezogen und sog oben im offenen Fenster die frische Morgenkühle ein. Wie reizend lag der kleine Platz hier inmitten der kahlen, ringsum aufragenden Berge, auf denen auch nicht die Spur eines Grashalmes zu erkennen war und in deren Schluchten selber keine Ziege hätte Nahrung finden können!
Dem alten Bertrand hatte es freilich Mühe und Arbeit genug gekostet, sich die Wasser des nicht weit von dort vorbeifließenden kleinen Bergstromes dienstbar zu machen und dahin zu leiten, wo er sie eben brauchte, und er hatte viele hundert Dollars hinauswerfen müssen, ehe er einen einzigen als Ertrag zurückerhalten konnte. Jetzt aber lohnte sich dafür auch reichlich das ausgelegte Kapital, und es war in dieser peruanischen Wüste wirklich ein kleines Paradies entstanden.
Rechts von dem Hause erhoben zwei, freilich erst etwa zwölf Fuß hohe Kokospalmen ihre breiten, gekrönten Häupter, denn diese Palme vor allen anderen steigt eigentlich gleich fertig aus dem Boden, bildet schon im dritten Jahre ihre volle Krone und wächst von da an nur noch im Stamm selber weiter; und um das Haus herum hatte Bertrand seinen Bananengarten angelegt, der mit seinen breiten, prachtvollen Blättern und goldenen Früchten dem Platz nicht allein einen entschieden tropischen Anstrich gab, sondern auch eine wohltuende Kühle verbreitete und den Boden feucht und fruchtbar hielt.
Die Hecke bildeten jene buntblühenden, duftenden Akazien, die in allen heißen Ländern verbreitet sind; fruchttragende Orangen- und Papayabäume gruppierten sich unfern davon zu einem kleinen, reizenden Hain.
Weiter hinaus begannen freilich die mehr eintönigen Felder, aber selbst die nächst dem Hause gelegene Baumwollpflanzung, mit ihren vielen Blüten und sie umschwärmenden Kolibris, schwächte das ab, wie weiterhin die hochhalmigen Zuckerpflanzen, Yukabüsche und Kaffeebäume. Selbst mit Kakao hatte der tätige Franzose einen kleinen Anfang gemacht und überhaupt alles getan, die Hacienda zu einer kleinen peruanischen Musterwirtschaft zu erheben. Ebenso deckte die Südseite seines Hauses, denn dem heißen Norden durfte er sie nicht so sehr aussetzen, ein sorgfältig angelegtes Rebengelände, und Bertrand zeigte dadurch den Peruanern, was sie alles in ihrem Lande ziehen können, wenn sie sich nur die Mühe und Arbeit nicht verdrießen ließen, es auch ordentlich zu bewässern.
Wie dürr und trocken deshalb da draußen das Land in der Sonne liegen mochte, hier drinnen sah man davon nichts, und es gab kaum ein reizenderes Bild als diese kleine, lauschige Anpflanzung um das Haus in der Morgenkühle mit Millionen blitzender Tauperlen auf den frischen, saftgrünen Blättern.
Rafael aber achtete kaum darauf oder betrachtete es wenigstens als etwas ganz Gewöhnliches, denn er kam ja eben von Tahiti und Guayaquil, wo es nicht der geringsten Pflege und Arbeit bedarf, um eine noch viel üppigere Vegetation zu erzielen, ja, wo sie kaum niedergehalten werden kann. Seine Gedanken flogen zurück nach Tahiti, zurück zu seiner Reise durch den blauen Ozean, nach Guayaquil, zu dem Dampfer, und so rasch er in diesen Gedanken den Ozean durchflogen hatte, so lange brauchte er dazu, um die wenigen Tage zurückzulegen, die er auf dem Dampfer verbrachte.
Und ob er die reizende Französin wirklich wieder aufsuchen sollte? Gewiß, warum auch nicht? Es war jedenfalls eine höchst interessante Bekanntschaft, und hier in dem langweiligen Lande, was konnte er da Besseres tun? Was sie wohl mit dem Schweden anfangen würde? Der arme Teufel, wenn er nur eine Ahnung davon gehabt hätte, wessen Locke er in seinem Medaillon trug und so inbrünstig küßte! Ein gefährliches Mädchen blieb die Kleine immer, gefährlich schon deshalb, weil sie die Gewalt kannte, die sie über Männerherzen ausübte, und zu gleicher Zeit selber davon unberührt schien. Ob sie wohl je selber geliebt, heiß und innig geliebt hatte? Wie selig sie einen Mann machen müßte, den sie wirklich liebte . . .
»Nun, schläfst du aus dem Fenster hinaus?« rief plötzlich eine lachende Stimme dicht neben dem Träumer, und eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter. »Juanita ist schon unten vorbeigegangen und hat dir einen Guten Morgen hinaufgerufen; du scheinst sie aber gar nicht gesehen zu haben. Komm, das Frühstück steht auf dem Tisch, und nachher wollen wir einen Spaziergang mitsammen durch meine Felder machen, ehe es zu heiß wird. Hast du gut geschlafen?«
»Vortrefflich«, erwiderte Rafael, der sich errötend aufrichtete. »Aber ich habe wirklich niemand unten vorbeigehen sehen; ich dachte eben an so viele Dinge.«
»Ja, daß dir jetzt manches im Kopf herumgeht, mein Junge, ist wohl natürlich; aber jetzt komm, Juanita zankt sonst, wenn wir den Kaffee kalt werden lassen, und er schmeckt auch nicht.«
Juanita aber sah gar nicht so aus, als ob sie überhaupt je zanken könne. Mit freundlichem Lächeln begrüßte sie den Gast und wurde nur blutrot, als dieser sich bei ihr des vernachlässigten Dankes wegen entschuldigen wollte.
»Das ist unrecht von dir, Papa«, sagte sie mit einem Blick voll leisen Vorwurfs auf den Vater, »daß du Don Rafael davon gesagt hast. Er konnte mich wohl auch nicht einmal sehen, denn ich ging unter den Bananen hin. Weshalb mußtest du plaudern?«
»Nun, nun«, lachte dieser, »die Sache ist nicht so wichtig, Schatz, und nun heraus mit deinen Herrlichkeiten!«
Wenige Minuten später saßen die drei um den Frühstückstisch, und Rafael mußte jetzt von seinen Fahrten und Reisen erzählen, für die sich der alte Bertrand ganz besonders interessierte, da er sich in seiner Jugend ebenfalls lange in der Welt herumgetrieben und viel gesehen und erlebt hatte. Juanita saß, während die Männer ihre Erinnerungen ausbeuteten, schweigend daneben, besorgte den Tisch und lauschte der kurzen, aber belebten Schilderung, die ihr Jugendgespiele von seinen Schicksalen gab, bis der Vater endlich die Tafel für aufgehoben erklärte, Rafaels Arm ergriff und mit ihm hinaus in seine Anlagen schlenderte.
So stolz Bertrand aber, wie alle Landbauern und Gärtner, auch auf das sein mochte, was er hier und auf diesem trockenen peruanischen Boden geleistet hatte, und so gern er jede Gelegenheit ergriff, Fremde in seinen Feldern herumzuführen, so war das heute doch wirklich nur Nebenzweck gewesen, und die Hauptursache die, daß er mit Rafael ungestört plaudern wollte, was im Hause selber nicht gut anging. Ganz enthalten konnte er sich aber doch nicht, ihn hier oder da auf die einzelnen Stellen aufmerksam zu machen.
»Stehen die Bananen hier nicht prachtvoll, mein Junge, heh? Und was für ein lauschiges Plätzchen ist das hier, selbst in der Mittagszeit – und alles nur mit einem einzigen Kanal und einer kleinen, unbedeutenden Schleuse hergerichtet, denn die war nötig, sonst hätte mich mein sehr unzuverlässiges Wasser-Reservoir einmal plötzlich mit einer Menge überrascht, die mir die ganze Bescherung wegschwemmen konnte. – Aber was ich dir sagen wollte, hast du über unser Abenteuer von gestern abend nachgedacht? Ich meine über den Besuch bei der Alten?«
»Nicht viel, wenn ich aufrichtig sein soll. Was der Bursche in seinem Delirium da geschwatzt, kann wohl kaum Bedeutung haben.«
»Und ich denke gerade das Gegenteil«, rief der Alte lebendig. »Wäre es nur eine Phantasie gewesen, so würde es seine Mutter nicht weiter beachtet haben; aber sie erschrak, Rafael, bei Gott, sie erschrak und drängte nachher ebenso ängstlich auf unser Fortgehen, als sie mich vorher herbeigerufen hatte.«
»Gut, ich will auch zugeben, daß er Andeutungen auf irgendeine Schurkerei machte, um die seine Mutter weiß, nichts ist sogar wahrscheinlicher; aber weshalb sollte die gerade mit mir in Verbindung stehen? Es ist nicht gut denkbar, daß sich dieser Desterres, falls er wirklich eine Büberei ausgeübt hat, eines solchen Geschöpfes bedienen sollte!«
»Warum denn nicht?« rief Bertrand. »Junge, du hast dich lange in der Welt herumgetrieben, aber doch zu wenig von der wirklichen Schlechtigkeit der Menschen gesehen! Ich habe hier schon andere Erfahrungen gemacht, und wie ich mir in dieser Nacht alles hin und her überlegt habe, zweifle ich keinen Augenblick mehr daran, daß dein armer Onkel keines natürlichen Todes gestorben ist!«
»Aber auf welche Weise wäre das möglich gewesen?«
»Ich habe mir fast die ganze Nacht darüber den Kopf zerbrochen«, sagte Bertrand, »bin aber noch immer nicht recht im klaren. So viel ist gewiß, daß die Alte hier in der Nachbarschaft in dem Rufe steht, eine Menge geheimer Tränke, unter anderen auch Liebestränke, brauen zu können, und daß sie von dem abergläubischen Landvolk deshalb gefürchtet wird. Sie wohnte auch früher ganz abgelegen und allein dort, wo sich der Fluß wieder näher den Bergen zuzieht, in einer alten, zerfallenen Hütte, in den dürftigsten Umständen, und ging, wie ich dir schon gestern sagte, gewöhnlich in der Ansiedelung, ja, oft bis nach Lima hinein betteln. Das hat jetzt vollständig aufgehört. Der gegenwärtige Besitzer deiner Hacienda – Junge, Junge, sieh einmal, wie das Zuckerrohr hier gewachsen ist – klingt es da nicht ordentlich lächerlich, daß wir Peruaner Zucker vom Ausland importieren und mit teurem Geld bezahlen? Und mit Baumwolle habe ich einen ebenso glücklichen Versuch gemacht. Das wäre ein Land für Baumwolle, wenn wir nur Arbeitskräfte hierher bekommen könnten, um es zu bewässern. Kein Regen, der die aufplatzenden Kapseln verdirbt, was müßte das für eine famose Baumwolle werden! Aber es ist kein Trieb in dem Volk, keine Energie, und trotzdem hätte sich bei den enormen Einnahmen ein Paradies aus dem Lande schaffen lassen. Sie fangen auch hier nicht eher an, etwas Ordentliches zu schaffen – du wirst sehen, daß ich recht habe – bis es zu spät ist, das heißt, bis die letzte Schaufel voll Guano von den Chincha-Inseln heruntergekratzt ist. Nachher werden sie anfangen wollen, wenn kein Geld mehr da ist, aber woher dann nehmen und nicht stehlen! Und jetzt werden die Millionen nutzlos aus dem Fenster geworfen. Es ist wahrhaftig ein Jammer.«
»Was aber wollten Sie mir von dem gegenwärtigen Besitzer meiner Hacienda sagen?«
»Ja so, von der Alten; die hat jetzt von dem neuen Eigentümer das Haus gebaut bekommen, und das nicht allein, nein, sie muß auch noch einen Zuschuß zum Leben erhalten, denn mit dem Betteln hat es vollständig aufgehört. Umsonst tut Señor Desterres das aber nicht, so viel ist sicher, und wenn mir die Geschichte auch schon lange wunderlich vorkam, habe ich mir bis jetzt immer nicht die Mühe genommen, darüber nachzudenken.«
»Dann bliebe nur der einzig mögliche Fall, daß sie auf die Bestellung dieses Herrn irgendeinen teuflischen Trank gebraut haben könnte; was aber hätte dann der Junge damit zu tun, der, wenn sich seine Phantasien darauf beziehen sollen, jedenfalls eine Hauptrolle dabei gespielt haben müßte?«
»Hm, ja, eigentlich; aber der Teufel weiß auch, wie das alles zusammenhängt. Jedenfalls sind wir auf einer Fährte; es mag eine falsche sein, ich will nichts dagegen sagen, aber ein Stück nachgehen müssen wir doch, und finden wir nachher keinen Schweiß, nun gut, dann haben wir wenigstens unsere Schuldigkeit getan. Jetzt aber, nachdem uns die Alte selber gerufen hat, gibt uns das auch eine prächtige Entschuldigung, um sie noch einmal aus freien Stücken zu besuchen und zu sehen, wie die gegebene Medizin gestern gewirkt hat, und ich denke, wir machen davon Gebrauch.«
»Wird sie aber keinen Verdacht schöpfen, wenn sie mich erkennt?«
»Erstlich glaube ich gar nicht, daß sie dich kennt«, sagte Bertrand. »Dann aber auch, sollte es wirklich der Fall sein, kann sie nichts Außerordentliches darin finden, daß du mich besuchst, die wir doch immer alte Freunde waren. Je offener du dich zeigst, desto unverfänglicher wird ihr deine Gegenwart vorkommen. Jedenfalls gehen wir einmal hinüber; wir wollen auch vorderhand noch eigentlich weiter gar nichts von ihr, als sehen, was sie für ein Gesicht macht.«
»Nun gut«, sagte Rafael, »gehen wir also hinüber, ich bin sehr neugierig, wie es in der Hütte am hellen Tage aussieht.«
Und ohne weiter ein Wort miteinander zu wechseln, schritten die beiden Männer durch den Garten und wieder der kleinen Hütte, Pascuas Wohnung, zu.
Bertrand und Don Rafael waren, wie es schien, von keinem Insassen der Hütte bemerkt worden, und da die Tür offen stand, bedurfte es keiner weiteren Einführung als des eben üblichen »Ave Maria«, mit dem oder mit einem ähnlichen frommen Wort sich jeder Fremde beim Eintritt in ein Haus melden muß, um die Aufmerksamkeit der Insassen auf sich zu ziehen.
Als die beiden Freunde mit dieser Anrede auf die Schwelle traten, kauerte die Alte gerade vor ihrem Ofen und der junge Bursche saß noch auf seinem Bette wie gestern abend. Aber er war nicht mehr in dem alten, zerrissenen Hemd, sondern in seinen »Sonntagskleidern«, kurzen Hosen von blauem, feinem Tuch, einem weißbaumwollenen Hemd, einer hellbraunen Jacke mit blanken Knöpfen, einem umgeknüpften buntseidenen Halstuche und einem kleinen Panamahut. Nur sein Gesicht sah bleich und angegriffen aus, und als er die Fremden bemerkte, schien er sich, wie gestern auch, scheu und verdrossen noch weiter in die Ecke zurückdrängen zu wollen. Der Besuch mochte ihm keinesfalls angenehm sein.
Aber auch »Mutter Pascua« warf einen scheuen Seitenblick auf die Weißen, während sie ihr als Antwort geltendes »purisima« vor sich hinmurmelte. So sehr sie gestern abend den Besuch und die Hilfe ihres französischen Nachbars gesucht und gewünscht hatte, so wenig war ihr, allem Anschein nach, heute morgen daran gelegen.
»Nun, wie geht's heute mit dem Kranken?« fragte Bertrand, der sich darum wenig kümmerte. »Hat die Medizin geholfen?«
»Ja; der Herr vergelt' es Euch! Ich bin eine arme alte Frau und kann es nicht«, sagte die Alte, indem sie aufstand und sich die Asche vom Rock klopfte, »es ist besser heute, aber es hat ihm arg mitgespielt.«
»Kann ich mir denken«, lachte Bertrand, »aber wie ist's mit dem Fieber?« – Und mit diesen Worten ging er auf das Bett zu, um den Puls des Burschen noch einmal zu fühlen; der aber, den Blick dabei nicht auf Bertrand, sondern auf den ihn begleitenden Rafael gerichtet, drückte seine Arme fest hinter sich und sagte:
»Es ist gut; Pedro hat kein Fieber mehr, es ist alles gut, nur der Magen ist tot – Señor Bertrand hat ihn totgemacht mit seinem Giftwein.«
»Ja, mein Junge, das glaub' ich«, schmunzelte der Franzose, »daß dir dein Magen heute morgen wie tot vorkommt; hast auch eine tüchtige Portion Brechweinstein gestern abend verschluckt; wird aber schon wieder lebendig werden, wenn du ihn nicht selber totsäufst.«
»Ist das der Doktor von gestern abend?« sagte die Frau leise zu Bertrand, indem sie seinen Arm berührte und verstohlen auf Rafael deutete.
»Ja, allerdings, zum Besuch bei mir«, sagte der Franzose.
»Seit wann ist er zurückgekehrt?« fragte die Frau weiter.
»So, kennst du ihn doch von früher her, Pascua?« fragte Bertrand rasch.
»Die Leute sagten, er wäre tot?«
»Die Leute schwatzen mancherlei; man darf eben nicht alles glauben.«
»Bleibt er hier?«
»Weshalb?«
Die Frau erwiderte nichts mehr. Nur einige unverständliche Worte vor sich hinmurmelnd, nahm sie ihre Arbeit wieder auf und schien auf den Besuch nicht weiter zu achten. Mit einem kurzen a Dios! verließen beide die Hütte wieder.
»So hat dich die Alte doch erkannt«, sagte Bertrand draußen zu seinem jungen Begleiter, »und es war ihr noch dazu nicht recht, daß du hierher zurückgekehrt bist. Ich sah's in ihren Augen. Und hast du die goldenen Münzen bemerkt, die sie unter dem alten, zerlumpten Tuch um den Hals trug?«
»Bah«, sagte Rafael, »Sie wissen doch, was die Eingeborenen von echtem Schmuck halten und wie sie sich alle das Notwendigste an Leib und Leben abdarben, nur um einen derartigen Zierat von echtem Gold an sich zu haben! Es ist das noch ein altes Anhängsel aus ihrer Heidenzeit: beinahe jede hat es.«
»Hm, und wie anständig der Lump, der Cholo, heute morgen gekleidet ging«, fuhr Bertrand sinnend fort; »hundeschlecht war ihm noch von meiner gestrigen Medizin, aber Staat mußte er machen, und keine Hand rührt er zu irgendeiner Arbeit!«
»Lieber Bertrand, ich glaube wirklich, Sie sind auf einer falschen Fährte; es kann ja gar nicht möglich sein.«
»Gut, mag sein, Junge, aber laß mich einmal eine Weile darauf«, beharrte Bertrand. »Für jetzt ist doch nichts zu tun, denn direkt ist aus den beiden nichts herauszubekommen, wenn sie wirklich etwas wüßten, und so lange du jetzt hier bleibst, gar nicht. Bist du aber erst einmal nach Lima zurückgekehrt, dann wollen wir sehen, was sich weiter machen läßt.«
»Wenn Sie wirklich noch stärkere Beweise als einen bloßen Verdacht hätten, was würde es helfen?«
»Ich habe einmal meinen Spaß daran; laß mich; und überhaupt ist mir die Nachbarschaft nicht angenehm. Verdächtiges Gesindel bleibt es jedenfalls, und ich bin diesem Herrn Desterres keineswegs dafür verbunden, sie mir gerade auf die Nase gesetzt zu haben.«
»Ihre Hunde werden sie schon fern halten«, lachte Rafael.
»Die Schufte sind selber mit allen Hunden gehetzt; aber was hast du jetzt vor, und was willst du zunächst tun?«
»Diesen Herrn Desterres aufsuchen und mir den Kaufbrief vorlegen lassen. Es interessiert mich doch jetzt, zu wissen, wer die Zeugen sind, und wie das Papier überhaupt ausgestellt wurde. Auch möchte ich die Namensunterschrift selber prüfen, wenn ich mir auch nicht den geringsten Nutzen davon verspreche. Ich hoffte diesen Desterres hier zu finden; wie Sie mir sagen, ist er aber gegenwärtig in Lima oder Chorillos, und es bleibt mir jetzt nichts übrig, als ihn eben aufzutreiben.«
»Gut, nimm aber einen Rechtsanwalt dazu.«
»Ich verstehe selber genug von der Jurisprudenz.«
»Schadet nichts, nimm doch einen. Du bist überhaupt viel zu ehrlich für einen Advokaten. Ein richtiger Rechtsanwalt muß hinter der einfachsten, unschuldigsten Sache eine Schurkerei wittern.«
»Aber wenn nun keine dahinter steckt?«
»Schadet nichts; ein richtiger Jagdhund hat jeden Grasbüschel in Verdacht, daß ein Huhn oder ein Hase dahintersitzen könnte, und geht sie alle gegen den Wind an. Ist nichts drin, gut; steckt aber etwas dahinter, dann hat er's auch um so sicherer in der Nase. Übrigens nimmst du die Sache merkwürdig kaltblütig. Junge, in der Hacienda liegt ein Vermögen, und so reich bist du denn doch nicht, daß du das so behaglich über die Achsel werfen könntest.«
»Aber tu ich denn das, alter Freund?« fragte Rafael. »Ich füge mich doch nur dem Unabänderlichen. Geben Sie mir wirklich eine haltbare Spur, und dann überzeugen Sie sich selber, mit welchem Eifer ich ihr folgen werde. Für jetzt aber kann ich nichts tun, bis ich nicht den Kaufbrief selber gesehen und mit Desterres gesprochen habe.«
»Den Nachlaß deines Oheims mußt du von Callao abholen«, riet Bertrand, »es sind viele Papiere dabei, wenn ich auch fast fürchte, daß wir nichts Besonderes darin entdecken werden! Jedenfalls müssen wir sie durchsehen!«
»Sowie der Dampfer von Valparaiso ankommt, fahre ich hinüber und schicke Ihnen dann alles hier heraus. Das machen wir nachher gemeinschaftlich.«
»Gut; also das ist abgemacht. Und wann willst du wieder nach Lima zurück?«
»Gleich. Zeit möchte ich nicht mehr versäumen, als nötig ist; nur Sie mußte ich erst einmal begrüßen und die Sache hier besprechen. Das ist jetzt geschehen, und je eher ich selber jetzt nach Lima zurückkomme, desto besser.«
»Hm, wie alles jetzt steht, magst du recht haben, aber allein laß ich dich nicht wieder nach Lima hineinreiten.«
»Sie glauben doch nicht etwa, daß ich mich fürchte?« lachte Rafael.
»Nein«, sagte Bertrand, »aber ich habe doppelte Gründe dafür. Mit einem ganzen Vermögen in der Tasche . . .«
»Ich habe es nur hier herausgebracht, um es bei Ihnen zu deponieren.«
»Bei mir?«
»Nun, gewiß. Es ist die sicherste Stelle, die ich in Peru kenne. Würden Sie mir nicht den Gefallen tun, meine Papiere zu bewahren?«
»Du magst am Ende recht haben«, sagte nach kurzem Nachdenken der Franzose; »dann aber müssen wir uns noch an jemand anders wenden, der, was ich an wichtigen Papieren besitze, ebenfalls zur Aufbewahrung hat.«
»Jemand anders? Und wer wäre das?« fragte Rafael erstaunt.
»Juanita«, erwiderte der Alte trocken. »Sie allein ist mein Kassen- und Rechnungsführer, und wenn ich aufrichtig sein will, kümmere ich mich eigentlich um gar nichts, als eben um meine Felder und mein Vieh.«
»Aber Juanita ist noch so jung! . . .«
»Mag sein«, sagte der Vater, »aber für ihr Alter außerordentlich ruhig und praktisch, und ich kann mich in allem auf sie verlassen.«
»Bueno«, lachte Rafael, »dann machen wir sie also zum Kassierer.«
»Und das können wir gleich tun, denn jetzt sitzt sie eben bei ihren Büchern und rechnet und addiert. Ich hab' viel Freude an dem Kind, und Gott erhalte sie mir nur so gut und lieb noch viele, viele Jahre!«
Sie hatten während des Gesprächs den Garten wieder erreicht, betraten gleich darauf das Haus und, von dem Vater geführt, Juanitas Zimmer, wo sie das junge Mädchen freilich arg überraschten.
Juanita saß an ihrem »Schreibtisch«, der einfach genug von dem Vater aus Tannenholz gezimmert und dann braun lackiert, aber praktisch mit Schubladen und Fächern eingerichtet war. Dort hatte sie, da der Monat gerade zu Ende ging, eine Menge von Rechnungen und Blättern um sich her liegen und war in ihre Arbeit so vertieft gewesen, daß sie das Öffnen der Tür gar nicht beachtete, bis sie des Vaters Stimme hinter sich hörte. Sie erschrak, als sie den Fremden auf der Schwelle stehen sah.
Eigentlich hätte er ihr ja wohl gar nicht fremd sein dürfen; war er doch ein lieber Jugendgespiele von ihr, mit dem sie sich früher geduzt und der sie oft auf seinem Rücken im wilden Spiel im Garten umhergetragen hatte. Jetzt aber war er ihr doch fremd geworden; sie nannten sich Sie und waren höflich, nicht mehr freundschaftlich zusammen, und das konnte auch eigentlich gar nicht anders sein. Hatte er sich doch da draußen weit in der Welt umhergetrieben und war ein Mann im vollen Sinn des Wortes geworden, während sie sich, die kaum die Plantage verlassen hatte, um vielleicht einmal mit ihrem Vater nach Lima hineinzureiten, noch immer wie das Kind von früher vorkam. Wie konnte er auch von der Welt erzählen, und was wußte sie vom Leben! War es da ein Wunder, daß er die Zeit vergessen zu haben schien, wo sie mitsammen Kinder waren?
Und wie es bei ihr im Zimmer aussah! So viel hatte sie heute morgen schon zu tun gehabt, daß sie noch nicht einmal an Aufräumen denken konnte! Ihr Hut lag da noch auf dem Tisch, die Schürze, die sie im Garten umgehabt hatte, hing über dem Stuhl, und ihr Haar, wie wirr ihr das auch gerade heute um den Kopf hing!
»Aber, Vater!« rief sie bestürzt.
»Was, Töchterchen?« fragte der alte Mann lächelnd, der auch nicht den geringsten Grund sah, weshalb sie so verlegen sein konnte. »Was hast du, Schatz?«
»Aber wie kannst du nur Don Rafael hier herauf zu mir führen? Ich habe ja noch nicht einmal aufgeräumt!«
»Entschuldigen Sie mein Eindringen, Señorita«, lächelte Rafael, »aber ich komme, auf die Empfehlung Ihres Vaters, mit einer Bitte. Da ich nämlich gehört habe, daß Sie Sekretär und Verwalter meines alten Freundes sind, so möchte ich Sie bitten, ein kleines Paket wichtiger Schriften, die ich gern bei Ihnen ließe, für kurze Zeit in Verwahrung zu nehmen. Wollen Sie mir diesen Gefallen erweisen?«
Das junge Mädchen, wenn es vorher schon rot geworden war, erglühte jetzt wie Purpur.
»Mein Vater –!« stammelte sie.
»Na, mach' keine langen Redensarten«, lachte der Alte, »pack' die Geschichte mit zu meinen Papieren, besonders eingewickelt sind sie ja, und damit basta! So, das wäre abgemacht, und jetzt habe ich nichts mehr dagegen, wenn du nun allein zurückreitest. Leute, die aus dem Lande kommen, werden überhaupt weit seltener angefallen, weil man bei denen weit seltener Geld oder Geldeswert vermutet, als bei solchen, die von der Stadt aus erst eine Reise in das Innere machen wollen. Wenn sie zurückkommen, ist ihnen gewöhnlich nicht mehr viel geblieben.«
»Sie wollen schon wieder fort, Don Rafael?« fragte Juanita jetzt, die sich von ihrer ersten Verlegenheit vollständig erholt hatte, indem sie das Paket aus seiner Hand nahm – »ich werde Ihnen die Papiere gewiß sicher und gut aufheben.«
»Herzlichen Dank, Señorita! Ja, ich muß wieder in die Stadt, um doch jetzt einmal nach meinen Angelegenheiten zu sehen. Sobald sie aber beendigt sind, komme ich wieder heraus, und hoffe dann länger bei Ihnen bleiben zu können.«
»Das soll ein Wort sein, Junge! Aber ehe du gehst, mußt du doch jedenfalls noch einen Imbiß nehmen.«
»Wir haben ja eben erst gefrühstückt«, wehrte Rafael ab; »mit vollem Magen reitet es sich auch schlecht. Leben Sie wohl, Señorita!«
»Ach was«, sagte Bertrand – »Señorita, Señorita – daß ihr euch beide nicht mehr duzt wie als Kinder, finde ich ganz in der Ordnung, aber mit dem Señorita brauchst du dem Mädchen nicht den Kopf zu verdrehen; es klingt gar zu fremd, und fremd bist du uns nun doch einmal nicht! Warum nennst du sie nicht bei ihrem Namen?«
»Also auf Wiedersehen, Juanita«, sagte Rafael herzlich. »Es ist ja auch wahr, das Señorita wollte mir selber nicht so recht heraus, und wir sind ja doch auch immer wie Bruder und Schwester gewesen. Und nun Ade, denn möglicherweise muß ich heute noch nach Chorillos, und dann wird es höchste Zeit für mich, wenn ich noch den letzten Zug erreichen will.«
Eine Viertelstunde später trabte Rafael wieder auf seinem ausgeruhten Braunen in die Stadt zurück.