Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Präsident Castilla

Südlich von Lima am Seestrand, aber nur wenige Leguas von der Hauptstadt des Landes entfernt und durch eine Eisenbahn mit ihr verbunden, liegt Chorillos, der vornehmste Badeort der Bewohner Limas; es gehört eigentlich mit zum guten Ton, dort ein kleines Landhaus, einen sogenannten Rancho, zu haben und einige der heißen Monate im Jahr da zuzubringen.

»Chorillos, peruanischer Badeort, am Strande der See«, wie romantisch das klingt, und wie sich die Phantasie des Lesers da gleich ein lauschiges, von Palmen überschattetes Plätzchen ausmalt!

Schöne Träume! Die ganze Küste fast von der äußersten nördlichen Grenze Perus bis zu der südlichen Grenze ist eine kahle, starre, sonnengedörrte Bergkette, die nur an wenigen Stellen – aber wahrlich nicht bei Chorillos – von staubig grünen und mühsam bewässerten Hängen unterbrochen wird.

Chorillos als Badeort verdankt seine Entstehung auch nicht einer romantisch bewaldeten Schlucht; denn seine Berge liegen so nackt und ausgetrocknet in der glühenden Sonne, wie Limas ganze übrige Nachbarschaft. Aber eine kleine Bai schnitt hier in die Küste ein, durch ihr südliches Vorgebirge das Ufer vor den zu stürmischen Wogen der See schützend, und da sich der Überrest eines der alten Indianerstämme dort niedergelassen und ein kleines Dorf gebaut hatte, so zogen sich auch nach und nach einige Weiße dorthin und badeten in der klaren Flut.

Der Platz war aber noch sehr wenig besucht; kein Wunder, wenn man bedenkt, welchen langen, beschwerlichen und ermüdenden Ritt man dort hinaus von Lima hatte, wo auch nicht ein einziger Baum dem Reiter Schatten gab und jeder Hufschlag des Pferdes Wolken von Staub aufwirbelte. Da aber ließ sich Seine Exzellenz der Präsident dort ebenfalls einen Rancho bauen, und jetzt war der Platz – genau so, als ob er bei uns in Europa gelegen hätte – auf einmal Mode geworden.

Wer irgend die Mittel dazu besaß, kaufte sich dort ein kleines Häuschen für den Sommer; wer sie nicht besaß, mietete sich eins, aber die Hautevolee mußte zu einer gewissen Jahreszeit nach Chorillos fahren, bis der Zudrang so groß wurde, daß sich sogar eine Eisenbahn rentierte.

Das Dorf gehörte den Indianern; ein indianischer Kazike war sogar jetzt noch Magistrats-Person und oberste Behörde dort, und alle Häuser wurden, wenn auch von etwas besserem Material, doch genau in der Art und Weise errichtet, wie die Indianer selber ihre Ranchos bauten. Daß man zu den Säulen der Veranden keine rohen, unbehauenen Stücke Holz nahm und die Stuben, anstatt sich mit den Reisigwänden zu begnügen, tapezieren ließ, verstand sich von selber.

Auch der Präsident hatte sich ein ziemlich einfaches Landhaus hier erbaut, und wenn der Vorhof auch mit Steinsäulen und eisernen Gittern umgeben war und in dem großen Salon ein Klavier und europäische Möbel standen, war das Ganze doch nicht reicher ausgestattet, als sich ein wohlhabender Privatmann in Europa seinen Sommeraufenthalt ebenfalls herstellen würde, und Präsident Castilla verfügte über Millionen.

Castilla war aber überhaupt ein Mann, der auf das Äußere wenig gab, ein Soldat im wahren Sinn des Wortes, einfach und schmucklos, und ein Feind alles unnötigen Zeremoniells; gutmütig, ja herzlich dabei in seinem Familienkreise, aber ein Despot nach außen und gegen seine Untergebenen – und er hatte recht.

Im geheimen spottete die Hautevolee in Lima über ihn, daß er ein ganz gewöhnlicher Cholo sei, das heißt, daß er indianisches Blut in den Adern habe und aus der Hefe der Bevölkerung stamme.

Aus dem Volke stammte er in der Tat; denn während er schon lange das Staatsruder in Händen hielt und das Staatsschiff allerdings auch dahin steuerte, wohin er es haben wollte, war sein Bruder noch Arriero oder Maultiertreiber im Süden des Landes, und wahrscheinlich von ebenso halsstarrigem Charakter wie der alte General, da er von diesem nie eine Unterstützung, nie eine Vergünstigung annehmen wollte und sein Geschäft nach wie vor weiter betrieb.

Castilla aber, mit einem guten Teil gesunden Menschenverstandes und weit größerer Energie begabt, als seine Landsleute gewöhnlich besaßen, wußte sich bald aus den untersten Schichten der Gesellschaft emporzuarbeiten, und erst einmal die Macht in seinen Händen, sah er, wie sich vor ihm bückte und im Staube kroch, was früher verächtlich auf ihn herabgesehen hatte; daß dies nicht dazu beitragen konnte, ihn das Menschengeschlecht achten zu lernen, läßt sich leicht denken.

So fand er bald Freude daran, gerade die, welche sich und ihre Familien zu der Crême der Bevölkerung rechneten und trotzdem schmeichelnd seine Tür umlagerten, nur um einträgliche Posten und Ehrenstellen von ihm zu erbetteln, so hart und abstoßend, ja, so verächtlich wie möglich zu behandeln.

Waren sie dann wirklich angestellt, so drückten und betrogen sie das Volk, nur um für sich selber so rasch als irgend möglich ein Vermögen zusammenzuscharren. Und auch das wußte der alte Herr; was aber würde es ihm geholfen haben, wenn er sie weggejagt hätte – er bekam dafür nur ebensolche andere. Aber er ließ sie fühlen, daß er es wußte und es in seiner Gewalt hatte, sie aus Amt und Würden zu jagen oder gar dem Gesetz anheimzugeben. Dadurch bekam und behielt er Leute, über die er stets volle Macht hatte und mit denen er eben machen konnte, was er wollte.

Es war etwa halb zehn Uhr morgens. Präsident Castilla hatte eben in seinem Landhaus in Chorillos mit seiner Familie gefrühstückt, und zwar nach englischer Art, aber sehr einfach, mit Fleischspeisen, Eiern und Tee.

Präsident Castilla war ein kleiner, alter Herr von schmächtiger, aber sehniger Gestalt, mit etwas vorgebeugter Haltung, dem ein ziemlich starker, weißer Schnurrbart einen entschieden militärischen Ausdruck gab. Sein Auge war offen und lebendig, und er sah den, mit dem er sprach, fest und durchdringend an. Auch seine Bewegungen waren lebhaft, den rastlosen, tätigen und unternehmenden Charakter andeutend, der in ihm wohnte. In einem größeren und mächtigeren Reiche wäre er jedenfalls ein gefährlicher Nachbar für jede Nation gewesen, und selbst jetzt machte er seiner Nachbarschaft genug zu schaffen und hielt die Westküste Amerikas etwa in einer ebenso angenehmen Aufregung, wie Napoleon lange Zeit hindurch Europa gehalten hat.

Das Hauptgewicht legte er von jeher auf die Militärmacht seines Landes, und zwar nicht allein auf das Landheer, sondern auch auf die Seemacht, denn er war nicht töricht genug, zu glauben, daß er mit einem Landheer allein einem anderen Staate imponieren könne, solange er nicht auch die Macht besaß, sich seine Küsten frei und seine Häfen geschützt zu halten. Er erreichte dadurch bei den Nachbarstaaten, daß er nicht allein geachtet, nein, daß er auch gefürchtet wurde, und das war die Hauptsache; denn im Privatleben mögen wir wohl einen anderen Maßstab anlegen, im Staatenleben aber achtet keine Nation die andere, wenn sie sich nicht auch gefürchtet zu machen weiß. Redensarten allein tun es nie.

Ein Teil der riesigen EinkünftePeru bezog jährlich bei einer Einwohnerzahl von zwei und einer halben Million Seelen »allein vom Guano« einen Nettogewinn von sechzehn bis zwanzig Millionen Dollars. des Landes floß aber auch nach Ecuador, Neu-Granada und Bolivien, um in diesen Staaten die Revolutionen zu unterstützen, die aus den drei Republiken ebenfalls Militärstaaten bilden sollten.

Der alte Haudegen Castilla hatte nun einmal seine Freude daran, und seine nächste Umgebung, der natürlich daran lag, soviel Geld als möglich in Fluß zu bringen, um kleine und stete Abzugsquellen in ihre eigene Taschen zu leiten, bestärkte ihn selbstverständlich in diesen Plänen.

Auch jetzt und während er, ohne ein Wort zu sprechen, mit einer Anzahl erbrochener Depeschen neben sich, sein Frühstück verzehrte, gingen ihm diese Gedanken rastlos durch den Kopf. Die Stirn in die Hand gestützt, trank er seinen Tee, und immer und immer wieder griff er eine der Depeschen heraus und überflog den Inhalt. Endlich schob er seinen Teller zurück, stand auf und fragte den hinter ihm stehenden Diener:

»Ist denn der Finanzminister noch immer nicht gekommen?«

»Der Zug hat sich heute morgen verspätet, Exzellenz«, sagte der Diener ehrfurchtsvoll; »vor wenigen Minuten aber traf er ein, und Señor Benares wartet auf Ew. Exzellenz im Salon.«

»Ah, endlich!« rief Castilla, seine Serviette auf den Tisch werfend, »pack' mir die Briefschaften zusammen und bring' sie hinüber.« Und nur die eine Depesche, in der er so oft gelesen hatte, selber mitnehmend, schritt er rasch durch die Mitteltür in den Empfangssalon, wo ihn Señor Benares mit einer stummen, aber tiefen Verbeugung begrüßte.

»Guten Morgen, Benares«, sagte der Präsident kurz, »Sie sind heute lange geblieben.«

»Es war etwas an der Maschine nicht in Ordnung, Exzellenz.«

»Haben Sie jemand aus Guayaquil gesprochen? Die Depeschen, die ich erhalten habe, sagen wieder gar nichts. Immer nur dieselben Hoffnungen und Pläne und Bitten um Geld, als ob ich die Tausend-Unzen-Säcke nur so aus den Ärmeln schütteln könnte!«

»Wie mein Gewährsmann sagt«, versicherte Señor Benares, »war noch ein Regierungsboot, wahrscheinlich mit Privatdepeschen, vom Lande abgekommen, als der ›Callao‹ schon unter Dampf ging. Der Kapitän scheint sich aber geweigert zu haben, noch einmal anzuhalten.«

Der Präsident zerbiß einen Fluch zwischen den Lippen.

»Diese Engländer«, sagte er finster, »handeln so eigenmächtig wie möglich und tun überall, als ob sie die Herren wären! Und wie stand es in Guayaquil? Glaubte man, daß Granero bald einen entscheidenden Schlag führen würde? Bei Gott, es wird Zeit, wenn ich nicht die Geduld verlieren soll!«

»Nach dem, was ich gehört habe«, versicherte Señor Benares, »scheint es weit eher, als ob General Flores bald einen entscheidenden Schlag führen würde, denn General Granero hatte von Bodegas flüchten müssen und war in Guayaquil eingeschlossen.«

»Davon erwähnen die Depeschen kein Wort!« rief Castilla rasch.

»Man konnte in der Stadt schon deutlich das Gewehrfeuer hören«, setzte der Finanzminister achselzuckend hinzu.

Der Präsident ging mit auf den Rücken gelegten Händen, in denen er noch immer das Papier hielt, mit raschen Schritten auf und ab.

»Wäre ich meinem Kopfe gefolgt«, sagte er endlich wieder, vor seinem Minister, der ihn wohl um eine Kopflänge überragte, stehenbleibend, »so hätte ich mich mit diesem verwünschten Sambo im Leben nicht eingelassen. Ich habe ihm nie die nötige Energie zugetraut, ein solches Werk rasch und tüchtig durchzuführen; ihr alle aber waret fortwährend anderer Meinung.«

»Aber, Exzellenz . . .«

»Seien Sie ruhig – Sie ebensogut wie die anderen. Granero hinten und vorn – der ganze Süden von Ecuador stände wie ein Mann zu ihm. Jetzt haben wir's. Von Woche zu Woche hat er mich damit getröstet, daß er die ganze Küste bis zum Pailon hinauf besetzt halte und in den nächsten Tagen in Quito einziehen werde; von einem Kampfe erwähnte er gar nichts, als ob es bloß ein Triumphzug sein würde, und jetzt hat er sich nicht einmal in Bodegas, das der Schlüssel zu Guayaquil ist, halten können. Das Nächste, was wir hören werden, ist, daß sie mir auch meinen Dampfer noch zerschossen haben. Aber Gott soll mich verlassen, wenn ihnen das ungestraft hinginge!«

Señor Benares dachte darüber anders, denn er war fest davon überzeugt, daß General Granero sich und den ihm zur Verfügung gestellten Dampfer wohl schon zur rechten Zeit außer Schußweite bringen würde; aber er hütete sich, etwas Derartiges laut werden zu lassen. Hätte es doch dem gerade widersprochen, was er früher selber so oft dem Präsidenten über den Charakter und die Tapferkeit des Generals Granero erzählt hatte.

»Bis wann ist der nächste Dampfer fällig?« fragte der Präsident.

»Wir haben keinen vom Norden vor vierzehn Tagen zu erwarten, Exzellenz«, sagte Benares achselzuckend, »denn die Segelschiffe, die inzwischen einlaufen werden, können keine neueren Nachrichten bringen. Unter drei Wochen macht keins die Reise.«

»Aber der Dampfer läuft sie in fünf Tagen.«

»Sie haben Wind und Strömung beständig gegen sich.«

»Es ist rein zum Verzweifeln«, rief der Präsident ungeduldig, »und ich habe große Lust, einen Expreßdampfer hinaufzuschicken, nur um genau zu hören, wie es dort steht!«

»Das würde sehr viel Geld kosten, Exzellenz«, sagte der Finanzminister, »und der Dampfer könnte doch im günstigsten Falle nur um ein oder zwei Tage früher wieder hier sein, wie die gewöhnliche Post.«

»Sehr viel Geld, hm, ja«, sagte der Präsident nachdenklich, »und wir brauchen jetzt selber hier sehr viel Geld – das ist wohl wahr. Apropos, Benares, haben Sie mir die Anweisung an den Staatsschatz mitgebracht, von der ich Ihnen gestern abend sagte?«

»Zu Befehl, Exzellenz, ich werde sie Ihnen nachher vorlegen.«

»Gut; ich habe gestern abend wieder schmähliches Unglück gehabt. Dem Brasilianer fielen alle Karten zu.«

»Wir müssen es auf andere Weise wieder aus ihm herauszubringen suchen«, lächelte der Finanzminister.

»Den Teufel auch«, sagte der Präsident, »der Brasilianer ist zäh wie Gummi und geschmeidig wie eine Schlange. Er windet sich überall durch, und wo ich ihn fünf- oder sechsmal schon fest zu haben glaubte, schlüpfte er mir immer wieder zwischen den Fingern weg. Das ist eben das Unglück, daß uns diese Portugiesen mit der Mündung ihres Amazonenstromes ganz in der Gewalt haben, und mit Ein- und Durchfuhrzöllen bis aufs Blut peinigen können.«

»Ich würde die Grenzregulierung auch vor der Hand ganz fallen lassen«, sagte Benares, »und vorher auf einen längeren Kontrakt der Schiffahrt dringen. Was liegt einstweilen daran, wie die Grenzen dort in den Wildnissen laufen?«

Der Präsident zog seine Brauen zusammen, denn es war dies ein Gegenstand, der mit zu seinen Steckenpferden gehörte: die Grenzregulierung, d. h. die Grenzerweiterung seines Staates.

»Das geht nicht«, sagte er finster, »schon Ecuadors wegen nicht; denn wenn ich dem Staat seine Grenzen vorschreiben will, muß ich mich vorher mit Brasilien darüber geeinigt haben.«

»Und Don Manoel weigert sich, darauf einzugehen?«

»Er weicht aus; er will, daß wir uns zuerst mit Ecuador verständigen – als ob mit diesem Flores eine Verständigung möglich wäre, wenn sich der Dummkopf, der Granero, nicht in Ecuador halten kann!«

»Ich würde doch Ew. Exzellenz dringend bitten, vorher dem Schiffahrtskontrakt die nötige Aufmerksamkeit zu schenken.«

»Wir haben ja einen Kontrakt«, sagte der Präsident ungeduldig.

»Ja, aber nur auf sechs Jahre«, sagte Señor Benares achselzuckend; »bis wir aber in der deutschen Kolonie eine einzige Schiffsladung zusammenbringen, ist der Kontrakt schon wieder abgelaufen.«

»Gut, gut, ich werde mir das überlegen«, wehrte Castilla ab. Das Gespräch war ihm nicht angenehm, und er fühlte doch auch, daß sein Minister in diesem Fall nicht unrecht hatte. »Der ganze Schiffahrtskontrakt hilft uns überhaupt nichts, wenn wir nicht fremde Kolonisten bekommen können, die jene Stellen besiedeln; denn von unseren Peruanern werden wenige dorthin zu bringen sein, bis ihnen der Nutzen vor Augen liegt. Ich kenne meine Landsleute.«

»Auch darin habe ich versucht, Ew. Exzellenz Wünschen entgegenzukommen«, sagte der Finanzminister mit einer Verbeugung. »Exzellenz erinnern sich vielleicht noch, was wir vor sechs Monaten über die Einführung von fremden Kulis besprachen?«

»Kulis?« fragte Castilla kurz; »ich bin kein Freund von diesem Kulihandel, wenn wir sie denn auch einmal Kulis nennen wollen, und das System bringt wohl einigen Spekulanten Nutzen, aber der Staat selber leidet immer darunter, wie wir den Erfolg ja auch mit den Chinesen gesehen haben, gegen die ich mich ebenfalls lange genug sträubte. Gibt es denn ein nichtswürdigeres Volk als diese verwünschten Langzöpfe? Sobald sie frei sind, überschwemmen sie das Land mit ihren Verbrechen! Alle Diebes- und Lasterhöhlen in ganz Lima werden von Chinesen gehalten.«

»Aber die Deutschen haben sich doch bewährt.«

»Ach, man hat auch nichts wie Schererei mit ihnen! Überall lassen sie sich anführen und betrügen, und dann kommen sie nachher und klagen und wollen, daß man ihnen helfen soll. Ich habe da gestern abend wieder so eine Geschichte vorgetragen bekommen, die noch nicht erledigt ist und wohl auch nicht erledigt wird, ich müßte denn meinen Morales nicht kennen. Es gibt kein hilfloseres Geschöpf als einen solchen deutschen Arbeiter in einem fremden Land.«

»Außer, wo er sich auf seinem Grund und Boden befindet.«

»Dagegen habe ich nichts. Aber was ist das mit Ihren Kulis?«

»Ein Freund von mir, Ustegal und Compagnie, haben mehrere Schiffe ausgerüstet und nach den Inseln geschickt, um dort freiwillige Arbeiter anzuwerben, und das eine, die ›Libertad‹, muß in den nächsten Tagen eintreffen. Ein amerikanischer Klipper ist heute hier eingelaufen, der das Schiff schon auf der Höhe von Arica gesprochen hat.«

»Glauben Sie denn, daß die Leute hier gut tun werden?«

»Ich bin fest überzeugt davon.«

»Ich sage Ihnen nochmals, ich mache mir gar nichts aus diesen schiffsweise importierten Arbeitskräften, und dazu solcher Menschen, die noch viel weniger selbständig aufzutreten wissen, als die Deutschen. Sie sind zu weiter nichts zu verwenden, als eben zu Handlangern.«

»Aber, Exzellenz, selbst dazu brauchen wir Menschen; unsere Arbeitskräfte im Lande sind zu sehr durch das Militär in Anspruch genommen und müssen durch andere ersetzt werden, wenn wir nicht sogar unsere schon urbar gemachten Felder brachliegen lassen wollen; davon gar nicht zu sprechen, daß wir keinen Acker weiter in Angriff nehmen können.«

»Ja, ja, Sie haben recht, wir brauchen Arbeiter; aber ich kann auch meine Soldaten nicht entbehren. Muß ich denn den Bolivianern nicht immer den Daumen aufs Auge halten, wenn sie nicht übermütig werden sollen? Lassen Sie mich heute meine Soldaten fortschicken, und morgen habe ich eine Revolution in Arica, wo sie ja nur auf eine Gelegenheit warten, um den Hafen wieder zu besetzen.«

»Exzellenz kennen meine Meinung darüber«, sagte Señor Benares mit einer halben Verbeugung. »Die Sache ist, wie Sie ganz treffend bemerken, nicht zu ändern; das Militär ist unbedingt nötig, aber eben deshalb können wir ja doch einmal den Versuch mit den Kulis machen. Sagt es Ew. Exzellenz später nicht zu, oder finden Sie, daß das System den gehegten Erwartungen nicht entspricht, so ist es ja immer eine Kleinigkeit, es wieder aufzugeben. Es war dann eben nichts weiter als ein Versuch, und die Südsee-Insulaner sind vollkommen harmlose Menschen, mit denen eine Sittenverderbnis unseres Volkes nicht zu fürchten ist.«

»Als ob an unserem Volk noch etwas zu verderben wäre!« brummte Castilla. »Nun gut, wir wollen einmal sehen, wie die neue Maschine arbeitet. Lassen Sie mich nur gleich wissen, wenn das Schiff signalisiert ist, damit die nötige Erlaubnis zum Ausschiffen gegeben wird. Sonst haben Sie doch nichts?«

»Nichts weiter als einige Unterschriften Ew. Exzellenz einzuholen«, sagte der Finanzminister, indem er verschiedene Papiere aus seiner Tasche nahm und vor den Präsidenten auf den Tisch legte. »Hier diese fünfzehnhundert Dollars wurden dem Präfekten in Cerro für den Weg von Huánako nach dem Pozuzo, diese tausend Dollars für gleiche Arbeiten von Cerro nach Huancabamba zugesichert.«

»Jawohl«, sagte Castilla, »die Gelder lassen sich die Herren auch regelmäßig zahlen, aber ewig laufen Klagen ein, daß kein Mensch die Strecken passieren kann. Ich werde nächstens einmal eine Revision dort hinüberschicken.«

»Hier sind ferner zweitausend Dollars, die zur Reparatur der Wasserleitung nötig waren, und hundertundfünfzig Dollars, um einige gefährlich schadhaft gewordene Brücken auf dem Wege nach Cerro auszubessern.«

»Das reißt gar nicht ab«, sagte der Präsident ungeduldig, »die ewigen Flickereien hören nicht auf, und dabei ist der Weg kaum zum Reiten. Ich muß wirklich einmal daran denken, eine ordentliche Straße da hinauf zu bauen. Wenn ein Schienenweg nur nicht so entsetzliche Summen kostete!« Er unterzeichnete die Schriften.

»Hier sind ferner zwölftausend Dollars für die Verpflegungskosten der Truppen in Arica.«

»Notwendig«, sagte Castilla, seinen Namen rasch unter das Papier setzend.

»Ferner fünfzehntausend Dollars für die Ausrüstung des nach Guayaquil gesandten Dampfers.«

»Was mich dieser Granero schon für Geld gekostet hat!« seufzte der Präsident, auch dies unterzeichnend.

»Und ferner dreißigtausend Dollars für die neue Kaserne.«

»Hm, ja, die Soldaten mußten untergebracht werden.«

»Und hier, Exzellenz, die Anweisung, die Sie befohlen haben.«

»Ach ja«, sagte der Präsident, das Papier nehmend und mit den Augen überfliegend. »Holla«, sagte er aber plötzlich, zu seinem Finanzminister aufsehend, »soviel ich mich erinnere, hatte ich Ihnen nur von fünfzigtausend Dollars gesagt, und hier stehen sechzig!«

Mit einer leichten, halb entschuldigenden Verbeugung, aber mit dem größten Ernst erwiderte Señor Benares:

»Ich brauche selber zehntausend, Exzellenz.«

Castilla sah ihn erstaunt an, aber um seine Lippen zuckte ein halb verbissenes Lachen. Er erwiderte kein Wort, drehte sich ab und unterzeichnete den Scheck von sechzigtausend Dollars an die Staatskasse.

»Das war alles?« sagte er nach einer kleinen Pause, während ein Diener eintrat und an der Tür stehenblieb. »Was willst du?« fragte er nach diesem hinüber.

»Der Minister Señor Morales ist draußen, Exzellenz.«

»Soll eintreten!«

Der Mann verschwand wieder durch die Tür.

»Alles, Exzellenz«, erwiderte Benares. »Nur die Beförderung eines jungen Mannes möchte ich Eurer Exzellenz noch ans Herz legen, der mir von vielen Seiten warm empfohlen worden ist.«

»Wie heißt er?«

»Felix Perteña.«

»Was kann er?«

»Er ist gewandt und brauchbar.«

»Gut, ich will ihn nächstens einmal sehen, heute habe ich keine Zeit. Ah, Morales!«

Der Minister, ein schlanker, stattlich gewachsener und sehr gut aussehender Mann, der eben eintrat, machte eine tiefe Verbeugung.

»Sie haben mich wieder in eine schöne Geschichte hineingeritten!« rief ihm Castilla aber ziemlich barsch und ohne weiteren Gruß entgegen.

»Exzellenz, ich weiß nicht . . .«

»Was ist das mit dem deutschen Konsul?«

»Mit dem deutschen Konsul?«

»Einer von ihnen, der Henker mag behalten, von welcher Stadt, war gestern abend bei mir – tun Sie nur nicht, als ob Sie nichts davon wüßten! Die deutschen Kolonisten sind da oben in ihren Bergen, wo sie ihre Güter zurücklassen mußten, um nach dem Pozuzo hinunterzukommen, auf das Nichtswürdigste und Frechste bestohlen worden, und trotz aller Klagen und Eingaben hat sich kein Mensch von euch allen darum bekümmert!«

»Aber, Exzellenz . . .«

»Schweigen Sie! Sie haben den Konsul abgewiesen und ihn nicht einmal bei mir melden wollen, weil einer den andern nicht verraten will; aber ich fahre euch einmal dazwischen, wenn ihr es am allerwenigsten vermutet! Und da muß ich nachher mit all den Scherereien gequält und geärgert werden! Ich will Bericht über die Sache haben – verstanden?«

»Exzellenz befehlen!«

»Was wollen Sie sonst noch?«

»Nur anfragen, ob Eure Exzellenz für mich irgend . . .«

»Gar nichts, ich werde Sie schon rufen lassen, wenn ich etwas habe. Guten Morgen!« Und mit den Worten drehte er sich um und verließ das Zimmer.

Die beiden Minister hatten sich, als er ging, ehrfurchtsvoll verbeugt; kaum aber fiel die Tür hinter ihm ins Schloß, als sich Morales leicht und lächelnd aufrichtete, sein Kinn strich und sagte:

»Der Alte ist heute wieder in famoser Laune.«

»Nicht besonders gnädig«, meinte Benares trocken.

»Jedesmal, wenn Sie ihn vorher mit Ihren Geldgeschäften geärgert haben – das kann ich dann ausbaden.«

»Lieber Freund«, sagte der Finanzminister, indem er seinen Arm nahm, »wir wissen beide, woran wir mit ihm sind. Lassen Sie ihn brummen, wenn er nur zahlt, was er soll. Wieviel Uhr haben Sie?«

»Es wird gleich elf sein.«

»Gut, dann dürfen wir auch keine Zeit mehr verlieren, denn der Zug geht Punkt elf, sonst müssen wir noch bis halb vier Uhr in dem langweiligen Nest sitzen. Kommen Sie.«

Und die beiden Herren verließen zusammen das Gebäude und kehrten nach Lima zurück.

 


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