Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Der Überfall

In der Calle de Valladolid wurde indessen nicht minder als in der übrigen Stadt tüchtig »gespielt«, und Lydia Valière, die rasch auf den Scherz einging und Vergnügen daran fand, war bald eine der Ausgelassensten von allen. Aber sogar die sonst so ruhige und stille Adele schien heute wie ausgewechselt zu sein und trieb den Mutwillen fast noch wilder als Lydia selber.

Schon am vorigen Abend hatten sie alle Kübel, Flaschen, Karaffen, Becken und Schalen, kurz alles, was nur irgend Wasser halten wollte, füllen und bereitstellen lassen, und da sich Madame Deringcourt nicht ganz wohl fühlte, so war der eigentliche Kampfplatz in Lydias Zimmer hinüber verlegt worden.

Natürlich hatte man vorher die unteren Fenster, die außerdem auch noch eiserne Gitter trugen, fest verschlossen. Ebenso war die Haustür verriegelt, Lydias Balkon aber in ein Vorwerk der Festung verwandelt worden, von dem aus man halb gedeckt die ganze Front des Hauses und die Hälfte der Straße beherrschen konnte.

Beide junge Damen waren weiß gekleidet, eigentlich nur in Morgenröcke, denn große Toilette wurde an diesen Tagen nicht gemacht, die Haare hielt nur ein Netz zusammen. Adele hatte noch außerdem ein paar schon einmal zu diesem Zweck verwandte kleine Sonnenschirme zum Umklappen beigebracht, mit deren Hilfe sie sich besser gegen die von unten heraufgeschleuderten Eier schützen konnten.

Der erste Angriff geschah etwa um neun Uhr, als Señor Desterres mit einem ganzen Korb mit wohlriechendem Wasser gefüllter Eier vor dem Hause Posto faßte und den Kampf eröffnete. Die beiden Damen hatten ihn bald von oben herab so durchweicht, daß er ordentlich triefte. Unterstützt wurden sie dabei lebhaft von einer dicken Mulattin, Adelens Dienerin, die das Wasser mit einem wahren Feuereifer herbeischleppte und zuletzt gar eine als Bombe zu verwendende, gefüllte und verschlossene Kalabasse brachte.

Der Junge, der den Eiervorrat trug, trieb sich nämlich immer unter dem Balkon umher, weil der sonst so steife Señor Desterres bald herüber, bald hinüber sprang, um den wohlgezielten Strahlen auszuweichen, und Lydia paßte jetzt ihre Zeit ab und schleuderte die Kalabasse mit so glücklichem Wurf mitten in den Eierkorb hinein, daß sie dort eine furchtbare Verwüstung anrichtete. Der Vorrat war völlig vernichtet, und von dem spöttischen Lachen der Damen verfolgt, mußte sich der Angreifer zurückziehen, um neue Wurfgeschosse herbeizuschaffen.

Rafael hatte sich anfangs dem Spiel nicht anschließen wollen; aber es zog ihn doch unwillkürlich in die Gegend, wo Lydia wohnte, um wenigstens einmal zu sehen, ob sie sich dabei beteiligte. Er selber brauchte ja nicht den Unsinn mitzutreiben, nur sehen wollte er, was die Damen machten.

Schon am vorigen Tag hatte er sich aber auf der Plaza einen billigen Hut gekauft, denn mit seinem guten Panama durfte er sich heute nicht in die Straße wagen. Als er in die Calle de Valladolid einbog, begegnete er eben Desterres, der wie eine gebadete Maus vom Kampfplatz zurückkehrte.

Rafael lachte leise vor sich hin, beschleunigte aber fast unwillkürlich seine Schritte, denn er brauchte jetzt nicht mehr daran zu zweifeln, daß Lydia an dem peruanischen Leben, und zwar mit großem Eifer, teilnahm. Vorsichtig hielt er aber doch die Mitte der Straße, denn verschiedene nasse Flecken vor den Häusern verrieten, wenn man auch noch niemand in den Fenstern erkennen konnte, daß mutwillige Schöne dahinter lauerten und nur darauf warteten, den arglos Vorübergehenden mit einer Ladung zu überschütten.

Einigemal entging er auch wirklich nur mit knapper Not vortrefflich gezielten Güssen, die bis über die halbe Straße reichten, gelangte aber doch noch verhältnismäßig trocken bis vor Deringcourts Haus, wo auf Lydias Flügel allerdings Fenster offen standen, aber kein menschliches Wesen zu erkennen war.

Die Nässe vor dem Haus verkündete indessen, daß hier vor noch ganz kurzer Zeit ein heißes Gefecht stattgefunden hatte. Hatten sich die Damen vielleicht jetzt gerade zurückgezogen, um andere Toilette zu machen? Rafael passierte das Gebäude ein paarmal, aber immer noch mißtrauisch. Auf Deringcourts Flügel waren alle Jalousien fest geschlossen; vielleicht war die Tür offen, und er konnte, als Neutraler, den Damen einen Besuch abstatten. Er ging quer über die Straße, um an die Tür zu pochen, und behielt dabei die geöffneten Fenster immer im Auge; aber er vernachlässigte den Balkon, und kaum befand er sich fast unter diesem, als eine der Jalousien aufflog und ein kleiner, rot lackierter Gießer, der etwa einen drittel Eimer halten mochte, so direkt über ihn ausgeschüttet wurde, daß auch kaum ein Tropfen dabei verloren ging. Lauter Jubel von ein paar lachenden Mädchenstimmen folgte dem geglückten Guß, während Rafael, der aus der gefährlichen Nähe zurückspringen wollte, aus dem Regen in die Traufe, oder eigentlich aus einer Traufe unter die andere kam.

Gegenüber, an der anderen Seite der Straße, erwartete ihn nämlich ein ganz ähnlicher Empfang, denn die dort versteckten Mädchen hatten nur darauf gepaßt, ein Opfer herübergeschickt zu bekommen, und von zwei Seiten geriet er in einen förmlichen Wasserstrahl.

»Caramba«, rief der junge Mann lachend aus, indem er sich wie ein Pudel schüttelte, »da bin ich in die rechte Ecke hineingekommen! Aber warten Sie, meine Damen, umsonst sollen Sie das nicht getan haben, darauf können Sie sich verlassen, und da Sie mich doch nun einmal so zugerichtet haben, so will ich Ihnen auch beweisen, daß ich mich rächen kann!«

»Haben Sie mir nicht erzählt, Don Rafael«, rief Lydia jetzt lachend aus dem Fenster, »daß es in Lima nie regnet? Wie mir scheint, sind Sie doch heute morgen naß geworden!«

»Warten Sie nur, Señorita«, rief Rafael, indem er sich scheu vor dem Fenster zurückzog, »das sollen Sie büßen!« Und so rasch ihn seine Füße trugen, lief er die Straße hinab, um sich einen Eiervorrat zuzulegen. Er war plötzlich Feuer und Flamme für den Kampf geworden.

Es dauerte auch nicht lange, so kehrte er zurück, und die Damen fanden hier einen gefährlichen Gegner, denn Rafael war ein wahrer Meister im Werfen und fehlte sein Ziel fast nie. Dabei wußte er aber mit der größten Sicherheit so zu treffen, daß er den Damen durch einen heftigen Wurf nicht weh tun konnte. Nur gegen Fensterkreuz und Rahmen schleuderte er die Eier, sowie die Damen sich diesen näherten.

Wehe aber der dicken Mulattin, wenn sie sich im Bereich eines Geschosses blicken ließ, denn sowie sie nur mit einem Wasservorrat den Kopf zeigte, saß ihr eins von den Eiern auch mit solcher Gewalt geschleudert mitten vor der Stirn, daß es zu Atomen zersplitterte und die Mädchen sich dann darüber totlachen wollten. Die dicke Person war schon gar nicht mehr an ein Fenster zu bringen.

Rafael hatten sich indessen noch ein paar junge Leute, Bekannte von Deringcourts, angeschlossen, und der Kampf wurde immer hitziger.

Als sie im besten Feuern waren, bog ein Wagen um die Ecke und kam die Straße herunter; die italienische Fahne wehte daran, und eine Garibaldi ähnliche Figur, mit drei anderen dicht Vermummten im Innern, stand darin und unterstützte mit sicherem Wurfe die Belagerer. Das Ziel draußen war aber zu verführerisch, wenn man auch die Herren im Wagen nicht kannte. Sie hatten sich in Wurfsnähe getraut und selber die Feindseligkeiten begonnen, und ein tüchtiger Kübel Wasser, von Lydias Hand gesandt, traf den verkleideten Garibaldi wie ein Spritzenstrahl auf die Brust.

Eine kleine Salve von Eiern folgte nach, und dann fuhr der Wagen unter dem Lachen der Darinsitzenden langsam weiter, um seine Geschosse auch gegen die übrigen Fenster zu richten. Die jungen Leute vor dem Hause achteten auch nicht weiter darauf, denn es war etwas zu Allgewöhnliches, derartige Fuhrwerke durch die Straßen fahren zu sehen.

Immer wilder tobte indessen der Kampf, bis den Damen oben der Vorrat ausging, oder die Geschosse von unten auch vielleicht zu derb und dicht fielen. Da bekam die Mulattin Befehl, die Fenster zu schließen, als Zeichen des Waffenstillstandes, und kaum ließ sie sich sehen, als sie eine volle Salve gegen Stirn und Brust erhielt. Aber es half nichts, naß war sie doch einmal, und mit festgeschlossenen Augen gelang es ihr endlich, die Fenster anzuziehen.

Die Herren unten zogen sich indes ebenfalls zurück, um vor allen Dingen erst einmal ihre Kleider zu wechseln, und dann mit einem neuen Eiervorrat zurückzukehren. Sie waren einmal warm geworden, und beschlossen, nun auch den Kampf bis Sonnenuntergang durchzuführen.

Etwa eine halbe Stunde später öffneten sich die Fenster wieder, und vorsichtig schaute zuerst die Mulattin, die immer als Zielscheibe vorgeschoben wurde, heraus, um zu sehen, ob keine unmittelbare Gefahr drohe, oder wer überhaupt in der Nähe sei. Von den früheren Kämpfern war übrigens noch keiner wieder zu entdecken; nur der Wagen mit der italienischen Flagge bog wieder um die Ecke und kam langsam die Straße herab, während die darin Sitzenden nach rechts und links die gefüllten Eier aussandten und dafür solche Güsse zurückerhielten, daß das Wasser ihnen schon unten aus dem Wagen lief.

Vor Deringcourts Haus hielten sie wieder an, und die mutwilligen Mädchen, denen indes die Zeit schon lang geworden war, konnten die Gelegenheit nicht vorübergehen lassen, ohne ein paar Gefäße über die vermummten Ritter auszuschütten. Es waren ja überhaupt »alte Bekannte«, mit denen sie schon vorher ihre Schüsse gewechselt hatten, und ungestraft konnte man doch an diesem Tag keinen Wagen langsam unter einem Fenster vorbeifahren lassen.

Die im Wagen Sitzenden richteten sich jetzt auf und erwiderten das Feuer, aber so ungeschickt, daß sie den Damen immer Zeit ließen, gerade in rechter Wurfweite förmliche Wasserstürze auf sie niederzusenden, bis sie plötzlich besser zu treffen anfingen.

Die arme Mulattin bekam zuerst drei Eier zu gleicher Zeit und mit solcher Gewalt ins Gesicht, daß sie hintenüber stürzte, und Lydia wie Adele wurden ebenfalls blitzschnell getroffen und überschüttet. So leicht wollten sie sich aber nicht für besiegt erklären, und wieder und wieder arbeiteten die Blechbecher, die den Strahl heruntersandten. Aber den vier Werfenden konnten sie nicht lange die Spitze bieten. Wo sich nur ein Arm oder Kopf sehen ließ, wurde er getroffen, und als die Mulattin jetzt noch einmal das Fenster schließen wollte, war es, als ob es Eier auf sie gehagelt hätte, und mit einem Schrei fuhr sie wieder zurück.

Die Damen ließen sich jetzt nicht mehr am Fenster sehen; aber in der Hitze des Gefechts, und um besser von verschiedenen Seiten beikommen zu können, waren die Vermummten schon vorher aus dem Wagen gesprungen und hatten jetzt mit solcher Geschicklichkeit geworfen, daß sich die Nachbarschaft für die Sache zu interessieren begann und lachend zuschaute.

Dadurch aber, daß sich die Damen vom Fenster zurückzogen, verloren die Werfenden ihr Ziel. – An der andern Seite der Straße war ein Schwarzer mit einer Leiter heruntergekommen und ebenfalls stehengeblieben, um dem Kampfe zuzusehen. Auf diesen sprang der eine der Verkappten, derselbe, der wahrscheinlich Garibaldi vorstellen sollte, zu, und wollte dem Mann die Leiter wegnehmen. Dieser weigerte sich anfangs, aber ein ihm in die Hand gedrücktes Geldstück schien ihn rasch zu beruhigen.

Der Vermummte nahm die Leiter und brachte sie selber nach dem gegenüber befindlichen Fenster. Er trug auch nicht, wie seine Kameraden, Handschuhe, sondern zeigte eine weiße, schön geformte Hand, an der ein großer Brillant funkelte. Der Verkappte mußte ein vornehmer Señor sein.

Jetzt war die Leiter angesetzt, und »Garibaldi« machte Anstalten, sie zu ersteigen. Kaum aber war er etwa zur Hälfte oben, als die Mulattin mit einem ganzen Kübel Wasser ans Fenster gestürzt kam und diesen, sowie sie die Leiter bemerkte, in einem vollen Guß über den Vermummten ausschüttete.

Der Kletternde mußte sich in dem Augenblick wirklich mit beiden Händen an der Leiter halten, um nicht im wahren Sinn des Wortes hinuntergespült zu werden; Jubelgeschrei der Vorübergehenden lohnte den kühnen Guß der Gelben. Aber ihr Triumph sollte nicht lange dauern, denn vier oder fünf Eier flogen ihr zugleich ins Gesicht. War es nun Zufall oder absichtlich aus Bosheit geschehen, daß sich auch ein wirkliches Ei zwischen die mit Wasser gefüllten gemischt hatte, aber ein solches traf die unglückliche Mulattin gerade auf die Nasenwurzel, mitten zwischen die Augen hinein. Völlig geblendet, fuhr sie zurück, und den Moment benutzte der Vermummte, um mit kühnem Schwung das Fensterbrett zu gewinnen.

»Schafft Eier hinauf«, rief er laut zurück, »ich halte indessen das Fenster!« Und ihm nach kletterten, jeder einen Handkorb voll Eier in der einen Hand, die übrigen.

In der Straße hatte man indessen diesem Haussturm mit Lachen zugesehen, denn derartige Auftritte waren besonders am letzten Tage des Karnevals gar nichts Seltenes. Man setzte natürlich immer voraus, daß die »Spielenden« auch schon gute Freunde oder wenigstens Bekannte wären, und nahm immer Partei für die Sieger, ob sie nun durch kräftige Güsse abgeschlagen wurden, oder wirklich triumphierend die verteidigte Festung erstürmten.

Dort ging es dann gewöhnlich entsetzlich wild her. Die Eindringenden, die den Kampf mit ihren Wurfgeschossen in solcher Nähe aufgaben, suchten sich gewöhnlich so rasch als möglich aller dort aufgestellten Wassergefäße zu bemächtigen und sie zur Strafe über die schönen Eigentümerinnen selber auszugießen. So viel ist sicher: alle Bande der Ordnung und steifen Grandezza waren in diesem Augenblick gelöst, und in den Häusern schwamm alles, tropfte durch die leichtgebauten Decken in den untern Stock und weichte die Tapeten von den Wänden.

Aus den gegenüberliegenden Häusern beobachtete man indessen noch mit besonderem Interesse den sich jetzt im Innern entspinnenden Kampf. Da sich dieser aber aus der überhaupt halb düsteren Stube rasch in das dahinter gelegene Zimmer hinüberzog, ließ sich bald nichts mehr erkennen.

Lautes Lachen und ein paarmal ein weiblicher Aufschrei oder Kreischen – dann war alles ruhig, und die Nachbarn erwarteten jetzt gespannt den Rückzug der Angreifer, der ihnen, wie es schien, abgeschnitten worden war.

Der Schwarze nämlich, von dem man die Leiter entlehnt, hatte nicht länger Lust zu warten, und als die Vermummten nicht gleich zurückkamen, ging er erst einmal an das Haus und rief hinauf, und da ihm niemand antwortete, nahm er seine Leiter und ging unter dem Beifallsruf der Umstehenden die Straße hinab.

Viel geduldiger nahm der Kutscher die Sache und schien seinerseits nicht die geringste Eile zu haben. Oben war alles ruhig geworden, er aber saß regungslos auf seinem Bock, und da sich die Straße wieder von Menschen geleert hatte, so fing man jetzt an, ihn von den gegenüberliegenden Häusern als Zielscheibe zu nehmen.

Da er in Mitte der Straße hielt, war der Wurf allerdings etwas weit; dann und wann aber traf ihn doch ein Guß, ohne ihn jedoch im geringsten außer Fassung zu bringen, ja, als ein paar dort wohnende mutwillige junge Burschen eine lange Spritze herbeigeschafft hatten und ihn zuletzt unter den vollen Strahl brachten, daß er wie unter einer Gießkanne saß, wich er noch immer nicht vom Platze, zog nur den Hut fester ins Gesicht, seinen Rockkragen in die Höhe und hielt still. Was schadete auch in der glühenden Sonne solch ein kühler Schauer!

*

Bertrand war am dritten Karnevalstage in die Stadt geritten. Er fand den französischen Konsul auch zu Hause, schien dem Herrn aber nicht recht gelegen zu kommen. Monsieur Lacoste ließ sich aber trotzdem einen genauen Bericht erstatten. Er wußte allerdings, daß die Insulaner hierher gebracht und nach angeblichen Kontrakten an verschiedene Hacienderos vermietet worden waren, hatte sich aber nicht weiter darum bekümmert; die Südsee ist groß, und nur wenige Inseln darin wurden von den Franzosen beansprucht. Eine Klage war aber bis jetzt von keiner Seite eingelaufen; es lag also nicht der geringste Grund vor, gegen diesen Kulihandel einzuschreiten.

In der Geographie der Südsee war Monsieur Lacoste ebenfalls nicht besonders zu Hause; nach genauer Durchsicht einer vortrefflichen Karte stellte sich aber doch heraus, daß die Insel Raiateo wirklich zu jener Gruppe gehöre, die von den Franzosen als unter ihrem Protektorat stehend betrachtet wurde, wenn auch die Insulaner selber das bisher nicht anerkennen wollten. Jedenfalls schien es, als ob es jetzt wenigstens einem Teil von ihnen zugute kommen sollte, denn Monsieur Lacoste hatte sich kaum von diesem Tatbestand überzeugt, als er auch selber entrüstet war über das an »französischen Untertanen« verübte Verbrechen, und er gab Bertrand die bestimmte Versicherung, daß er sich lebhaft dafür verwenden wolle.

Er ließ sich jetzt vor allen Dingen die näheren Daten geben. Aber die Hauptsache blieb ein Dolmetscher, denn er selber konnte nicht mit den Insulanern sprechen.

Bertrand wußte da keinen anderen Rat, als ihm Don Rafael zu empfehlen, obgleich er zweifelte, daß dieser sich gern dazu verstehen würde. Übrigens lag ein französisches Kriegsschiff, »La Glorieuse«, zufällig auf der Reede, und an Bord dieser Fahrzeuge, die eine Zeitlang in der Südsee gekreuzt hatten, fanden sich immer Leute, die der verschiedenen Sprachen dieser Inselgruppen mächtig waren und leicht als Dolmetscher verwandt werden konnten. Es war sogar notwendig, daß der Konsul, ehe er in dieser Sache einen wirklich ernstlichen Schritt tat, eine Unterredung mit dem Kapitän der »Glorieuse« hatte, und er versprach Bertrand, diese am nächsten Morgen zu besuchen – heute konnte kein Mensch verlangen, daß er sein eigenes Haus verließ, um sich draußen von der übermütigen Jugend fast ersäufen zu lassen.

Das war alles, was Bertrand heute erreichen konnte; es war auch genug; denn wenn sich der französische Konsul erst wirklich einmal der Sache annahm, so durfte er fest darauf rechnen, daß er sie durchführen würde. Übrigens war der Konsul auch hier in seinem guten Recht, denn er brauchte von der Regierung nichts weiter zu verlangen, als daß die bestraft würden, die ein Verbrechen verübt hatten, und daß man die befreite, die widerrechtlich so lange als Sklaven gehalten worden waren. Etwas Einfacheres gab es gar nicht in der Welt.

Bertrand begab sich von hier direkt nach Deringcourts Haus, denn er hatte versprochen, dort sein Mittagsmahl einzunehmen, sobald er wieder in die Stadt käme. Allerdings war das heute mit Hindernissen verbunden, aber lieber Gott, was schadeten im schlimmsten Falle ein paar Becher reinen Wassers! So ließ er denn sein Pferd dort stehen, wo er es eingestellt hatte, und begab sich zu Fuß nach der allerdings ziemlich entfernten Calle de Valladolid.

Die Plaza erreichte er auch ohne besondere Schwierigkeiten. Quer dort hinüberhaltend, wollte er jetzt in die nach der Calle de Valladolid führende Straße einbiegen und suchte unter den ersten rechts gelegenen Balkon zu schlüpfen, um von hier erst einmal einen Überblick über die Straße zu gewinnen.

Kaum aber hatte er den Fuß unter den Vorbau gesetzt, so fuhr er auch mit einem Seitensprung zurück, bei dem er den Hut verlor und fast in die Mitte der Straße gelangte; denn mit einem furchtbaren Krach und Poltern schien das ganze Haus über ihm zusammenzubrechen. Ehe er sich aber nur von seinem Schreck erholt hatte, hörte er schon jubelndes Lachen um sich her, und besaß peruanische Erfahrung genug, um zu wissen, welcher List er eben zum Opfer gefallen war.Die Damen in Lima füllen nämlich an diesem Tage Säcke mit Glasscherben, Blech, Stücken Eisen und allerlei tönenden Dingen und lassen sie, an einem festen Strick hängend, bis dicht über die Köpfe Vorübergehender herunterstürzen, so daß diese meinen müssen, das ganze Haus breche und poltere über ihnen zusammen. Es ist fast nicht möglich, seine Ruhe dabei zu bewahren, und man muß zusammenschrecken. Wie er nun, halb ärgerlich, halb über sich selbst lachend, wieder zurück nach seinem Hut sprang, schienen sich alle Schleusen des Himmels zu öffnen, denn solche Wasserstürze kamen über ihn her, daß er fast das Gleichgewicht verlor.

In der ersten Überraschung flüchtete er dabei nicht an dieser gefährlichen Stelle vorüber und in die Straße weiter hinein, sondern unwillkürlich auf die freie Plaza zurück, wo ihm allerdings nichts weiter geschehen konnte, er aber auch wieder die von allen Seiten bedrohte Stelle passieren mußte, wenn er die Calle de Valladolid erreichen wollte.

Bertrand brauchte aber nicht von vorn Deringcourts Haus zu erreichen, denn bis zur anderen Straße hinüberführend lief ein kleiner Garten von Deringcourts Wohngebäude ab, der an seinem unteren Ende an das Grundstück eines französischen Konditors stieß und von da aus auch durch eine kleine Seitentür in die andere Straße ausmündete. Der Weg dahin war auch ziemlich betreten, denn Deringcourts schickten ihre Dienstboten immer dorthin, um bei dem Franzosen das, was sie an Brot und Gebäck brauchten, holen zu lassen.

Diesen Weg schlug Bertrand jetzt ein; er führte durch eine verhältnismäßig ruhige Straße. Nur einige vereinzelte nasse Flecken an den Seiten der Häuser verrieten die Stellen, wo man aufpassen mußte, und des Franzosen Haus besonders deckte ein langer Balkon, von dem aus der Konditor kein »Spiel« duldete, um sich die Gäste nicht damit fortzuscheuchen.

Das Lokal des Franzosen war heute außergewöhnlich stark besetzt, denn wer an dem Tag einen trockenen Platz hatte, hielt den eben, so lange er konnte. Bertrand blieb aber nicht lange, ließ sich nur, um etwas zu verzehren, ein Glas Anisette geben und schritt dann durch die Hintertür in den Hof, durch diesen in den Garten, fand Deringcourts kleine Pforte, wie das gewöhnlich der Fall war, offen, und betrat gleich darauf das Grundstück seines Freundes. Daß es in dessen Hause aber nicht so ruhig zuging, wie bei dem Konditor, merkte er bald, denn wildes Kreischen von Frauenstimmen und tiefes Lachen tönte dazwischen.

»Das ist wildes Volk«, murmelte Bertrand, »ob denn nicht die Frauensleute heute alle wie vom Bösen besessen sind! Gott sei Dank nur, daß die Geschichte heute abend mit Sonnenuntergang aufhört! Mir ist's überdies schon ein Rätsel, wie sie's nur drei Tage ausgehalten haben!«

Mit den Gedanken hatte er die Hintertür zu Deringcourts Haus erreicht und wunderte sich schon, daß sie gegen alle Gewohnheit offen stand, denn sonst war sie fast immer von innen verriegelt und man mußte an einer kleinen Glocke ziehen, um Einlaß zu erhalten. Wie er aber eben öffnete, brachen ein paar vermummte Gestalten heraus.

Nun wußte Bertrand recht gut, daß derlei Mutwille im Karneval oft genug getrieben wurde, aber die stille Flucht kam ihm verdächtig vor. Auch das Rufen im Hause machte ihn stutzig; ehe er aber nur einen festen Gedanken fassen konnte, flogen ihm ein halbes Dutzend Eier, die mit Essig gefüllt sein mußten, denn es zerbiß ihm fast die Augen, ins Gesicht, er fühlte sich beiseite geworfen und hörte, wie noch mehr Fliehende an ihm vorübereilten.

»Halt! Diebe!« schallte es aus dem Haus heraus, und Bertrand, den Schmerz gewaltsam verbeißend, sprang zu und fuhr dem letzten, der an ihm vorüberwollte, nach der Kehle; aber ein Messer schnitt ihm über die Hand, und als er erschreckt losließ, schleuderte ihn der Gehaltene beiseite und war im Nu hinter den Genossen her. Nur ein Stück bunten Kattunlappen von dem Überwurfe des Vermummten behielt er in der rechten Hand.

Oben bei Deringcourts, und zwar in Lydias Stube, hatte sich indessen eine wilde Szene abgespielt. Kaum nämlich waren die Vermummten durch das Fenster eingedrungen, als der »Garibaldi« Lydias Arm ergriff und mit durch die Maske gedämpfter Stimme rief:

»Einen Schrei, und Sie sind des Todes!«

In demselben Augenblick hatte einer der Nachfolgenden die Mulattin mit einem Schlag seiner Faust zu Boden geworfen, während ein anderer auf Adele zusprang, um sich ihrer zu versichern. Trotz der Drohung stießen jetzt beide Mädchen einen markdurchschneidenden Schrei aus; aber der Führer der Schar hatte schon mit einem seiner Leute ein paar flüchtige Worte gewechselt, und Lydia wie Adele fühlten sich im nächsten Augenblick jede von einem Paar eiserner Arme umfaßt und zu Boden gedrückt, eine schwere Hand lag auf ihren Lippen und ein Messer funkelte vor ihren Augen.

Adele machte den Räubern die wenigste Mühe, sie war vor Schreck gleich ohnmächtig geworden; Lydia aber, durch die Todesdrohung nicht im geringsten eingeschüchtert, rang mit dem Burschen, der sie hielt, aus Leibeskräften, freilich umsonst. Wie in einem Schraubstock hielt er sie umfaßt, und der Führer, der sich mit einem einzigen Blick überzeugt hatte, daß er seine Opfer in sicheren Händen wußte, rief lachend:

»So recht, Compañeros, haltet mir nur den kleinen Teufel fest, dann will ich im Handumdrehen mit unseren Geschäften fertig sein. Nun sag' einmal, mein Schatz, wo hast du denn all deine Kostbarkeiten versteckt? Das sieht ja hier brillant in dem Zimmer aus, und kein Teufel kann sich da zurechtfinden!«

Aufgeräumt war allerdings nicht viel, denn die beiden Mädchen hatten alles aus Lydias Zimmer in das Hinterstübchen getragen, um es vor Nässe zu schützen, und hier war das nur eben aus dem Weg geschoben, daß man vorbei konnte – morgen wurde ja doch wieder Ordnung gemacht. Der Fremde erwartete aber keineswegs eine Antwort auf seine Frage, denn noch während er sprach, war er zu einer dort stehenden Kommode gesprungen, um diese zu untersuchen.

Die erste Schublade, die halb offen stand, enthielt freilich nur Wäsche; kaum hatte er aber die mittlere herausgezogen, als er ein wahres Gewirr von kleinen, sehr geschmackvoll gearbeiteten Saffian-Etuis erblickte und jubelnd ausrief:

»Gefunden! Aber, Schatz, du hast ja einen ganzen Juwelierladen geplündert! Nun, zum Betrachten haben wir jetzt freilich keine Zeit, das können wir nachher zu Hause bequemer haben. Gib deinen Eierkorb her, Kamerad!«

»Hier, Señor«, rief einer der Burschen, indem er ihm den verlangten Korb reicht«.

»Bravo! Der wird aber nicht einmal alles halten; noch einen anderen, und dann füllt eure Taschen, die Ihr freie Hände habt; die Mulattin liegt still genug!«

Im Nu war alles aus der Schublade geräumt; eine untere Schublade erwies sich aber noch reichhaltiger als die andere, denn sie zeigte einen kleinen Sack mit Dublonen und einen größeren mit halben Dollarstücken.

»Bravisimo!« lachte der Dieb vor sich hin, indem er den kleineren Sack barg und den größeren vorhob. »Hier, eure Taschen auf, und nun fort – wir dürfen zufrieden sein!«

Der Bursche, der Lydia hielt, sprang gierig vor, um seinen Teil ebenfalls in Empfang zu nehmen. Den Augenblick benutzte das junge Mädchen, um mit gellender Stimme um Hilfe zu rufen.

»Alle Teufel!« zischte der Führer zwischen den Zähnen durch. »Das geht nicht, das zieht uns die Nachbarschaft auf den Hals! Hier, Sip, trag' du das, und nun fort, so rasch euch eure Füße bringen können!«

Drüben im Gang schlug eine Tür, und Schritte wurden laut.

»Fort!« lautete der Warnungsruf, und mit einem Satz war der Bursche aus der Tür und die kleine Gartentreppe hinunter. Die übrigen folgten ihm, und während Lydia wieder und wieder ihren Hilferuf erschallen ließ, sprang Deringcourt vom Gang herüber. Aber der Gang hatte eine Tür an dieser Seite, die von innen verriegelt werden konnte. Einer der Mulatten ersah seinen Vorteil, schlug sie zu und schob den Riegel vor, und ehe sie der wütend dagegen stürmende Franzose auseinanderbrechen konnte, waren die Räuber mit ihrer Beute im Garten und flüchteten dort, den ihnen begegnenden und überraschten Bertrand beseitigend, zwischen die Häuser hinein und auf die andere Straße hinaus.

Wenige Minuten später waren sie in Sicherheit, und die Verfolger konnten jetzt sehen, wie sie ihrer in dem Gewirr von Straßen wieder habhaft wurden.

 


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