Friedrich Gerstäcker
Señor Aguila
Friedrich Gerstäcker

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Fremde in Peru

Am nächsten Abend trat Lydia Valière zum erstenmal in der »Regimentstochter« auf; der Erfolg war ganz außerordentlich. Das große, gewaltige Schauspielhaus, bis in die letzten Räume angefüllt, wurde von stürmischem Applaus und Bravos erschüttert, und schon nach dem zweiten Akt flog ein wahrer Blumenregen, aus den nächsten Logenreihen geschleudert, auf die Bühne.

Lydia war aber auch wirklich bezaubernd; mit einer glockenreinen Stimme drang sie hell und klar bis in die entferntesten Räume, und ihr reizendes Spiel, so natürlich und ungezwungen, so voll Leben und Bewegung und doch in einzelnen Szenen tiefes, seelenvolles Gefühl verratend, packte selbst die älteren und gleichgültigeren Zuschauer und brachte, mit ihrer lieblichen Erscheinung, die jüngeren beinahe um das bißchen Verstand.

Don Rafael selber war hingerissen von ihrem Spiel, und nur eins störte ihn dabei – der Schwede, der in einer Proszeniums-Loge saß und eine ganze Gartenanlage geplündert haben mußte, denn unerschöpflich flogen die Blumensträuße von seiner Seite aus, und seine weißen Glacéhandschuhe hingen ihm nur noch in Streifen an den Fingern.

Auch Desterres sah er, dem Schweden gerade gegenüber, um keinen Grad weniger eifrig als der Nordländer, ohne aber mit dessen zahllosen Blumen konkurrieren zu können. Der Schwede hatte in der Tat alles von Blumen aufgekauft, was er nur in der Stadt aufzutreiben vermochte.

Lydia dagegen, obgleich sie recht gut sah, welche Tätigkeit ihre beiden Anbeter entwickelten, zeichnete sie in ihrem, dem Publikum immer und immer wieder gebrachten Dank durch keine Miene, durch keine Bewegung aus. Ihr Lächeln, ihre Verbeugungen galten stets dem Ganzen, und nur manchmal schweifte ein neckischer, lächelnder Blick bald da, bald dort hinüber und zündete jedesmal richtig, wohin er traf.

Sie konnte Don Rafael übrigens von der Bühne aus nicht erkennen, obgleich sie ihn eine ganze Weile in dem großen Hause gesucht hatte. Er saß halb verdeckt in einer Loge und hatte sich den Platz absichtlich gewählt. Als die Vorstellung aber beendet war und die Künstlerin wieder und wieder gerufen und mit Blumen ordentlich bedeckt wurde, verließ er still das Haus, um in seine Wohnung zurückzukehren. – Dies sollte ihm jedoch heute abend nicht so leicht gelingen.

Der lange, aber nicht sehr breite Theaterplatz war nämlich mit den schon ausgeströmten Menschen so angefüllt, und so dicht gedrängt standen die Massen, daß Rafael nicht gleich einen Ausweg finden konnte. Er trat einen Augenblick in die Tür eines der Gasthäuser, um zu warten, bis sich die Masse verlief; aber sie wuchs im Gegenteil von Minute zu Minute, denn während sich die aus dem Theater Kommenden um den vor der Tür haltenden Wagen der gefeierten Sängerin sammelten, blieben alle Vorübergehenden ebenfalls stehen, um zu sehen, was da vorging, und Kopf an Kopf gedrängt, füllten sie den ganzen Platz.

Endlich erschien die Sängerin, fest in ihre Mantille eingehüllt und wieder von dem Direktor begleitet, der sie in den Wagen hob.

»Das ist sie, das ist sie!« ging ein Ruf durch die Menge, und mit einemmal brach ein so donnerndes Viva, viva! aus, daß die Pferde zusammenfuhren und aufbäumen wollten. Lydia hielt sich ängstlich an dem Wagenschlag an, aber eine Stimme schrie – es war Desterres –: »Fort mit den Pferden!« und zwanzig geschäftige Hände fielen den erschreckten Tieren in die Zügel oder warfen die Stränge los. »Seile herbei – einen Lasso!« schrien andere. Das Verlangte war im Nu herbeigeschafft, niemand wußte, woher es kam, wer es an die Deichsel geschlungen hatte, und wer nur einen Halt bekommen konnte – der Schwede zog an der Sattelseite, faßte an.

Lydia hatte jedenfalls mit großer Befriedigung gesehen, daß sie von den Pferden nichts mehr zu fürchten hatte, denn die jetzt vorgespannten waren zahm, und ihre Mantille zurückwerfend und von den vor dem Theater brennenden Gasflammen hell beleuchtet, dankte sie freundlich lächelnd aus dem Wagen heraus.

»Viva, viva!« brüllte die Masse – »Platz da vorn! – »A fuera! a fuera!« und fort ging der Zug, von Hunderten umjubelt, die nebenher sprangen, in einem wilden Feuerspritzentrab dem Hotel der gefeierten Künstlerin entgegen.

Rafael war ein stiller und unfreiwilliger Zeuge dieser Szene gewesen, und wenn er sich auch nicht dabei beteiligte, hob es ihm doch die Brust. Er freute sich des Triumphes, den die schöne Fremde genoß, und ohne daß er eigentlich selber recht wußte, wie er dahin kam, ging er etwa eine Stunde später noch einmal durch die Straße, in der sie wohnte, um ihre hell erleuchteten Fenster wenigstens zu sehen. Aber die Bewohner von Lima hatten sich noch nicht beruhigt.

Der Kunstenthusiasmus hatte sich einmal der heißblütigen Südländer bemächtigt. Eine Militärkapelle war erschienen und sogar ein Fackelzug improvisiert worden, der sich gerade, von Tausenden begleitet, durch die Straße bewegte und vor dem Hause hielt; kurz, Lima war außer sich und trug den neuen Stern am Theaterhimmel auf den Händen.

Während nun die Bewohner von Lima jubelten und der gefeierten Fremden Blumen streuten, bereitete sich mit anderen »Fremden« in Peru eine davon ganz verschiedene Szene vor.

Die peruanische Brigg »La Libertad« war endlich glücklich mit ihrer Menschenfracht im Hafen oder vielmehr auf der Reede von Callao eingelaufen.

In den Zeitungen wurde ihre Ankunft bekanntgemacht. Die Anzeige lautete:

»Kulis aus der Südsee als Arbeiter für einen Zeitraum von acht Jahren zu vermieten.«

Die Kulis waren angeblich als freie Arbeiter in dieses Land gekommen, und die mit ihnen abgeschlossenen Verträge, nach denen sie einen Jahreslohn von zwanzig Dollars und freie Beköstigung genössen, sollten, um ihre Überfahrtskosten und die sonst für sie gemachten Auslagen zu decken, an dem und dem Tage meistbietend in Callao in öffentlicher Auktion versteigert werden.

Es fehlte auf den Hacienden in der Tat an Arbeitern, denn weit im Innern mußten viele zu den dringend nötig gewordenen Wegebauten verwandt werden, und was es sonst an jungen und arbeitstüchtigen Kräften gab, brauchte der Präsident ebenso dringend und oft noch dringender zu Soldaten. Trotzdem hatte er sich nicht entschließen können, noch mehr von dem chinesischen Gesindel einzuführen, das jetzt schon anfing, dem Staate lästig zu werden.

Die Schwarzen waren ebensowenig dazu zu bekommen, mehr Arbeiten zu verrichten, als sie eben zu ihrem Lebensunterhalt brauchten; diese neuen Kulis versprachen deshalb, wenn das Geschäft einschlug, ein Segen für das Land zu werden.

Es hatten sich an dem bestimmten Tage auch eine Menge von Haciendenbesitzern und anderen Grundeigentümern in Callao eingefunden, und der »Menschenhandel« ging rasch vonstatten. Die Insulaner selber ahnten natürlich gar nicht, um was es sich hier handle, denn sie selber verstanden kein Wort von dem, was um sie her vorging, und Felipe hütete sich wohl, ihnen die Wahrheit zu sagen.

Die Haciendenbesitzer zahlten für die einzelnen Personen hundert, hundertundfünfzig, ja bis zu hundertundachtzig Dollars. Dafür war der Verkaufte für die ausbedungenen acht Jahre sein Eigentum, und er konnte ihn entweder selber für sich zu jeder Arbeit verwenden oder auch wieder verkaufen, d.h. nicht etwa unter dem Namen eines Verkaufs, das wäre Menschenhandel gewesen, nein, er »übergab nur den Kontrakt« einem anderen und ließ sich von diesem eine zwischen ihnen vorher verabredete Summe dafür auszahlen.

Es läßt sich auf der Welt ja alles einrichten, wenn man nur eine Form und einen Namen dafür findet.

Die Insulaner waren allerdings im Anfang bestürzt, als man sie aufforderte, das Stationsgebäude zu betreten; sie hatten geglaubt, man würde sie auf das Schiff zurückführen. Felipe aber versicherte ihnen, sie sollten nur an das Land gebracht werden, bis sich ein Schiff für sie fände, und als erst einmal der Zug mit Windesschnelle durch die Wüste flog, ließen sie ihr Erstaunen und ihre Angst vor der nie geahnten, furchtbaren Macht der Weißen schon gar keinen eigenen Willen mehr besitzen. Sie waren ihrem Geschick verfallen und mußten alles über sich ergehen lassen, was ihre Herren wollten.

In derselben Stunde, in der die unglücklichen Insulaner mit der Eisenbahn nach Lima geschafft wurden, um von dort durch ihre gegenwärtigen Eigentümer auf die verschiedenen Hacienden befördert und von jetzt ab acht volle Jahre lang als Sklaven behandelt zu werden, fuhr Präsident Castilla mit der Bahn von Chorillos ab, um in seinem Palais in Lima heute dem Expräsidenten Granero die drei Tage lang verweigerte Audienz zu geben.

Eigentümlich war die Art, wie der Präsident der peruanischen Republik seine Haupt- und Residenzstadt besuchte, und es zeugte von wenig Vertrauen zu den Bürgern, deren Wahl er doch seine Ehrenstelle verdankte.

Den allgemeinen Zug mußte er natürlich benutzen, denn da er sehr oft hin- und herfuhr, hätte ein jedesmaliger Extrazug zu viel Geld gekostet, und das Leben war ohnehin so kostspielig. Präsident Castilla wußte aber doch nicht recht, wie er mit seinen »Mitbürgern« stand, oder er wußte es vielleicht auch nur zu gut, denn da man ihm schon verschiedene Male nach dem Leben getrachtet hatte, schien er nicht gesonnen, sich leichtsinnig einer solchen erneuten Gefahr mehr auszusetzen, als eben unumgänglich nötig war.

Schon in Chorillos selber ging er nie ohne militärische Bedeckung aus, und selbst zu seinem Bade hinunter mußte ihn eine Patrouille von zwanzig Mann mit scharfgeladenen Gewehren begleiten, die dann unten Wache hielt, bis er sein Badehaus wieder verließ. Ebenso ging oder ritt er nie durch Lima, ohne daß er eine gleiche Bedeckung zu Fuß oder zu Pferde hinter sich gehabt hätte, und selbst auf der Eisenbahn schien er sich nicht ganz sicher zu fühlen, wie die Vorsichtsmaßregeln bewiesen, die er jedesmal ergriff.

Er hatte selbstverständlich ein eigenes Abteil, das sich aber keineswegs durch unnötige und ihm überhaupt sehr leicht entbehrliche Pracht auszeichnete. Der Wagen wurde dicht hinter dem Tender angehangen, und hinter diesem, an allen Seiten offen und nur mit einem Dach gegen die Strahlen der Sonne geschützt, hing ein anderer Wagen, den ausschließlich seine Leibgarde mit scharfgeladenen Gewehren einnahm. Erst hinter diesem kamen die übrigen Wagen mit den Reisenden. Und so folgten ihm die Soldaten auch vom Bahnhof aus durch die Stadt, und zwar zu Pferde, wenn er den ihm jedesmal an den Bahnhof gesandten vierspännigen Wagen benutzte, der in Silber das peruanische Wappen trug.

Der »General« Granero, wie er jetzt genannt wurde, war für vier Uhr nachmittags in das Palais bestellt. Es mochte etwas nach vier Uhr sein, als es der Präsident betrat. Verschiedene Minister hatten sich melden lassen, aber er nahm niemanden an als den alten Kriegsminister, zu dem er überhaupt das meiste Vertrauen zu haben schien. Mit diesem sprach er noch, als ein Diener hereintrat und den »General Granero« meldete.

»Soll warten!« sagte Castilla kurz, ohne sich in seiner Verhandlung stören zu lassen.

Es schlug ein Viertel auf fünf, es schlug halb, aber der Präsident machte noch immer keine Miene, seinen eben nicht willkommenen Besuch anzunehmen, und der Kriegsminister wagte endlich selber, ihn daran zu erinnern. Er glaubte, Castilla habe den ecuadorianischen Expräsidenten ganz vergessen.

»Schon gut, ich weiß«, sagte Castilla mürrisch; »der verdammte Sambo wird mir wieder mit seinen alten Quengeleien kommen, hat sich aber geirrt! ›General‹ Granero, zum Teufel auch, ich glaube kaum, daß der Bursche schon Pulver gerochen hat, außer bei seinen Exekutionen – soll mir aber eine Warnung sein für alle Zeiten!«

»Wollen Exzellenz ihn jetzt sehen?«

»Meinetwegen; einmal muß es doch sein«, brummte er und stand von seinem Stuhl auf. »Warten Sie hier auf mich, lieber Guitaro, ich werde mich nicht lange mit ihm aufhalten, und nachher bringen wir die begonnene Sache gleich in Ordnung.«

»Señor Granero kann Ew. Exzellenz vielleicht selber über die Angelegenheit wichtige Aufschlüsse geben«, sagte der Kriegsminister.

»Ja, er könnte wohl, wenn er wollte!« sagte Castilla finster; »aber ich kenne den Burschen. Alles, was er sagt, geht nur darauf hinaus, neue Summen aus mir herauszulocken, und er lügt, wenn er den Mund auftut. Nein, ich frage ihn nicht einmal darum; bessere Auskunft wird uns der Kapitän des Dampfers geben können, der ihn hergebracht hat. Ich habe ihn heraufbestellen lassen; er hat wenigstens kein eigenes Interesse dabei. Ich werde nicht lange bleiben!« Und mit den Worten schritt er rasch durch ein paar Zimmer hindurch in den Empfangssaal hinein, wo ihn indessen der Expräsident im Gefühl seiner Abhängigkeit erwartet hatte.

General Granero ging aber trotz dieses Gefühls sehr ungeduldig in dem großen Saal auf und ab, denn ganz besonders lag ihm daran, der unbehaglichen Situation enthoben zu werden, die das erste Begegnen nach der erlittenen Niederlage mit seinem Protektor doch jedenfalls bedingte. Er kannte Castilla schon von früher her und wußte, wie rauh und heftig der alte Herr werden konnte; aber er hoffte auch immer noch, daß er seine alten Pläne mit Ecuador nicht aufgegeben habe, und in diesem Falle galt es nur, den ersten Sturm abzuhalten und dann die weiteren Unternehmungen einzuleiten.

Was konnten die Ecuadorianer machen, wenn er mit einer Flotte von drei oder vier Dampfern vor Guayaquil ankerte, das er in einer Viertelstunde mit seinen Holzhäusern in Grund und Boden schießen konnte? Trotzte er doch immer noch darauf, daß er dort einen großen Anhang habe, der sich ihm mit Freuden wieder anschließen würde.

Und das war der Usurpator, der einen ganzen Staat in Schrecken gesetzt und Ströme von Blut in einem friedlichen Land vergossen hatte? Eine kleine, gedrungene, ja selbst dicke Gestalt, nicht einmal von Mittelgröße, mit einem runden, nichtssagenden Gesicht, das seine Abstammung nicht verleugnen konnte.

Er hatte die Hände auf den Rücken gelegt und horchte ungeduldig nach der Tür hinüber, ob sein bisheriger Bundesgenosse es noch nicht für gut fände, ihn zu begrüßen. War er doch schon drei Tage in Lima, und die Zeit verging hier nutzlos, wo er mit fieberhafter Ungeduld darauf brannte, nach Ecuador zurückzukehren und Rache an dem Volke zu nehmen, das ihn abgeschüttelt und aus dem Land vertrieben hatte!

Da öffnete sich plötzlich die Tür, und Granero, der ihr gerade den Rücken wandte, drehte sich rasch um und verbeugte sich tief vor dem mit nicht eben freundlichem Gesicht zu ihm eintretenden Castilla.

»Exzellenz, ich habe mir erlaubt, mich Ihnen vorzustellen«, sagte er ehrfurchtsvoll.

»Ja, leider«, lautete die Antwort. »Anstatt mir mit meinem Dampfer Nachricht zu senden, daß Sie in Quito eingezogen wären und Ecuador mir sein Amazonengebiet, das uns von Gott und Rechts wegen gehört, abgetreten hätte, kommen Sie selber, um mir zu melden, daß alles vorbei, alle meine Mühe und Ausdauer umsonst gewesen sind! Herr, wissen Sie, daß Sie mich weit über eine Million gekostet haben?«

»Es ist noch nicht alles vorbei«, sagte Granero, sich aufrichtend.

»Das weiß ich«, rief Castilla kurz, »ich bin noch nicht mit Ecuador fertig, aber Sie doch wohl!«

»Wenn mich Exzellenz nur hören wollen . . .«

»Hören, hören, hören! Ich weiß schon genau, was ich zu hören bekomme, ehe Sie den Mund auftun; aber reden Sie. Hören muß man jeden – setzen Sie sich«, fuhr er dann fort, indem er sich selber auf einen Stuhl warf, »und bedenken Sie, daß ich nicht lange Zeit habe, mich über eine verlorene Sache zu unterhalten.«

»Glauben Exzellenz wirklich, daß sie verloren ist?«

»Machen Sie keine Redensarten«, unterbrach ihn der Präsident kurz; »es handelt sich hier nicht um das, was ich glaube, sondern um das, was Sie für sich zu sagen haben! Was war das?«

Granero schluckte eine bittere Antwort hinunter und sagte leise:

»Exzellenz dürfen mir wenigstens glauben, daß ich bis zum letzten Augenblick in Ecuador ausgehalten habe. Wäre ich eine Stunde länger dort geblieben, so war ich ein Gefangener, und welchen Nutzen konnte ich Ihnen dann noch bringen?«

»Wahrscheinlich denselben, den ich jetzt von Ihnen ziehe«, brummte Castilla, »aber weshalb verteidigten Sie Guayaquil nicht besser?«

»Die Bewohner . . .«

»Ach was, kommen Sie mir nicht mit den Bewohnern – die Bewohner schliefen, als Flores die Stadt nahm, und ich glaube, Sie haben auch geschlafen, sonst ist es gar nicht möglich, daß dieser Bursche eine Stadt hätte nehmen können, die gerade an der Seite, an der er einen Angriff gewagt hat, durch Manglaren und Sumpf fast uneinnehmbar ist!«

»Ich konnte mich auf meine Leute nicht mehr verlassen«, sagte achselzuckend Granero. »Aber auch Napoleon floh aus Rußland, um sein Heer wieder zu sammeln und dem Feind aufs neue die Spitze zu bieten.«

»Ach was, Napoleon!« brummte Castilla verdrießlich vor sich hin, »ein sehr schöner Vergleich und besonders schmeichelhaft für Napoleon! Durch Ihr ungeschicktes Benehmen wiegelten Sie selber das ganze Land gegen sich auf; das war die Sache. Sie hatten zuletzt keinen einzigen Freund mehr als die in Ihrer Nähe befindlichen Offiziere, die aber eben auch nur so lange aushielten, bis sie Gelegenheit bekamen, durchzubrennen. Und Sie wollen davon reden, daß Sie noch nicht alle Hoffnung aufgegeben hätten, nach Ecuador zurückzukehren? Wissen Sie, daß man Sie an die erste beste Laterne in Guayaquil hängt, sowie Sie nur den Fuß wieder in die Stadt setzen?«

»Aber, Exzellenz, ich versichere Ihnen . . .«

»Schweigen Sie, ich weiß es besser! Ich kenne die Stimmung, die in Guayaquil herrscht, wahrscheinlich genauer als Sie, und ich kann Ihnen die Versicherung geben, daß dort allerdings noch einige Menschen leben, die es gern sehen würden, wenn Sie zurückkämen – Ihre Lieferanten, Maitressen und dergleichen Gesindel – alles andere aber ist gegen Sie! Dahin haben Sie es mit Ihrem politischen Talent gebracht, und wenn Flores sich jetzt nur ein klein wenig vernünftig beträgt, und er ist viel zu klug, das nicht zu tun, so hat Ihre Partei jeden Boden unter den Füßen rettungslos und auf ewige Zeiten verloren!«

»Ich habe die feste Überzeugung«, gab Granero zurück, ohne auf die Vorwürfe auch nur mit einem Wort zu erwidern, »daß, wenn ich heute – und je früher es geschieht, desto gewisser wäre der Erfolg – mit drei gutbemannten Dampfern nur vor Guayaquil ankerte, Flores gezwungen sein würde, nicht allein die Stadt, sondern die ganze Provinz ohne Schwertstreich zu räumen; und ein einziger Aufruf, das einfache Versprechen zum Beispiel, den Soldaten in Quito einige Freiheiten zu gestatten, würde dann genügen, alle waffenfähigen Männer wieder um mich zu sammeln. Freilich müßte ich imstande sein, ihnen einen Monat Sold vorauszuzahlen. Glauben Sie, Exzellenz, daß der Besitz des mächtigen und reichen Amazonengebietes damit nicht zu teuer erkauft ist? Tausend Acker Land würden Ihnen damit noch keinen Dollar kosten! Machen Sie den Versuch, und ich garantiere Ihnen . . .«

»Was und womit?« rief aber jetzt Castilla, der den Expräsidenten bis dahin ruhig hatte ausreden lassen, während nur ein mehr verächtliches als spöttisches Lächeln um seine Lippen zuckte – »was können Sie mir garantieren, Señor, der Sie nichts auf der weiten Gotteswelt haben als Ihre unglückliche Persönlichkeit und Ihren ruinierten Namen? Ich habe es vorher gewußt, als ich nur hörte, daß Sie hier eingetroffen wären – neue Bitten um Unterstützungen, neue Versprechungen und Pläne! Aber damit ist's jetzt vorbei! Ich bin es müde geworden, der Geldsack zu sein, den Sie so lange drücken, als noch ein Dollar herauszupressen ist! Wollen Sie Ihren Hals daran wagen, noch einmal nach Ecuador zurückzukehren – gut, ich werde der Letzte sein, der Sie zurückhält; aber daß Sie auch von mir die letzte Zahlung erhalten haben, das ist ebenso gewiß! Nun machen Sie, was Sie wollen, bleiben Sie meinetwegen in Peru, aber«, setzte er drohend hinzu, »ich bitte mir aus, daß Sie hier nicht Ihre alten Verschwörungen fortsetzen, denn wir würden hier in Peru nicht dieselbe Geduld haben wie die Ecuadorianer. Sie haben mich doch verstanden?«

»Exzellenz haben außerordentlich deutlich gesprochen«, sagte Granero, der sich Mühe geben mußte, sein Temperament zu zügeln.

»Gut denn, und damit Gott befohlen!« Und ohne eine Antwort abzuwarten, drehte Castilla dem Expräsidenten den Rücken und verließ den Saal.

 


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