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Erfurt, 17. September 1757.
Deine lieben Briefe, teure Schwester, sind mein einziger Trost. Könnte der Himmel soviel Edelsinn und heroische Empfindungen vergelten! Seit meinem letzten Schreiben häuft sich bei mir Unglück auf Unglück. Es scheint, das Schicksal will seinen ganzen wütenden Ingrimm auf meinen armen Staat entladen.
Ich will immer noch den Himmel für seine Güte segnen, wenn er mir nur die Gunst gewährt, mit dem Degen in der Faust zu fallen. Täuscht mich auch diese Hoffnung, dann, wirst Du mir zugeben, wäre es allzu hart, müßte ich vor dieser Verräterbande im Staube kriechen, die jetzt durch ihre glückgekrönten Verbrechen in der Lage ist, mir ihren Willen zu diktieren. Wie vermöchte ich, teure, unvergleichliche Schwester, der Gefühle der Rache und der Erbitterung Herr zu werden gegen all meine Nachbarn, unter denen auch nicht einer ist, der nicht an der Beschleunigung meines Sturzes mitgeholfen hätte und sich nicht seines Anteils an dem Raube freute. Kann ein Fürst seinen Staat, den Ruhm seiner Nation, die Ehre seines eigenen Namens überleben? Nein, liebe Schwester, Du denkst zu groß, um mir solche Feigheit anzusinnen. Soll das kostbare Vorrecht der Freiheit den gekrönten Häuptern des achtzehnten Jahrhunderts weniger teuer sein als einst den römischen Patriziern? Und wo steht geschrieben, daß Brutus und Cato es an hoher Gesinnung Fürsten und Königen zuvortun würden? Die Festigkeit besteht im Widerstand gegen das Unglück; nur Memmen beugen sich unter das Joch, schleppen ergeben ihre Ketten und ertragen ruhig die Unterdrückung. Nie wird es mir möglich sein, in solche Schmach zu willigen. Hat mich die Ehre doch schon hundertmal im Kriege mein Leben der Gefahr aussetzen und aus geringerem Anlaß als hier dem Tode trotzen lassen. Das Leben ist es sicherlich nicht wert, sich so fest daran zu klammern, zumal wenn man voraussehen muß, daß es fortan nur eine Kette von Leiden sein wird und daß man sein Brot wird mit Tränen essen müssen:
Endlos wie ein Jahrhundert Schmerz und Not,
Und nur ein kurzer Augenblick der Tod.
Hätte ich nur meiner Neigung folgen wollen, ich hätte gleich nach der unglücklichen Schlacht, die ich verloren habe, ein Ende gemacht; doch ich fühlte, das wäre Schwäche, und es sei meine Pflicht, die Scharte wieder auszuwetzen. Meine Hingebung an den Staat erwachte wieder; ich sagte mir: Im Glück Verteidiger zu finden, das will nichts bedeuten, wohl aber im Unglück. So machte ich es mir zur Ehrensache, allen Schaden wieder gutzumachen, was mir noch letzthin in der Lausitz gelungen ist. Kaum aber bin ich hierher geeilt, neuen Feinden die Stirn zu bieten, da wird Winterfeldt bei Görlitz geschlagen und getötet, da dringen die Franzosen ins Herz meiner Staaten ein, da blockieren die Schweden Stettin. Was kann ich da noch beginnen? Der Feinde sind es zuviel. Selbst wenn ich so glücklich wäre, zwei Heere zu schlagen, das dritte würde mich vernichten.
Die Dankbarkeit, die innige Anhänglichkeit an Dich, unsere altbewährte Freundschaft, die sich nie verleugnet, verpflichtet mich, ganz offen gegen Dich zu handeln. Nein, herrliche Schwester, ich will keinen meiner Schritte vor Dir geheimhalten, von allem Dich in Kenntnis setzen. Meine Gedanken, das Innerste meines Herzens, meine Entschließungen, alles sollst. Du rechtzeitig erfahren. Überstürzen werde ich nichts, andrerseits wird es mir aber auch unmöglich sein, meine Gesinnung zu ändern. Wohl schien nach der Prager Schlacht die Lage der Königin von Ungarn bedenklich, aber sie hatte mächtige Verbündete und noch bedeutende Hilfsquellen; ich habe weder das eine noch das andere. Ein Unglück allein würde mich nicht zu Boden werfen, ich habe schon so viele überstanden: die Niederlagen bei Kolin und bei Jägersdorf in Ostpreußen; den unglücklichen Rückzug meines Bruders und den Verlust des Magazins von Zittau, die Einbuße aller meiner westfälischen Provinzen, das Unglück und den Tod Winterfeldts, den Einbruch in Pommern, in das Magdeburgische und Halberstädtische, die Untreue meiner Verbündeten. Und trotz aller dieser Schläge recke ich mich auf gegen das Mißgeschick, so daß ich glauben darf, daß meine Haltung bis heute von jeder Schwäche frei ist. Ich bin fest entschlossen, gegen das Unheil anzukämpfen, zugleich aber auch, nie meinen Namen unter die Schande und Schmach meines Hauses zu setzen.
Nun weißt Du alles, liebe Schwester, was im Grunde meiner Seele vorgeht; da hast Du meine Generalbeichte. Was Dich anlangt, unvergleichliche Schwester, so habe ich nicht das Herz, Dich in Deinen Entschließungen umstimmen zu wollen. Unsere Denkweise ist ganz die gleiche; unmöglich kann ich Empfindungen, die ich täglich selber hege, bei Dir verdammen. Das Leben ward uns von der Natur als eine Wohltat gegeben; sobald es eine solche nicht mehr ist, läuft der Vertrag ab, wird jeder Mensch Herr darüber, seinem Mißgeschick ein Ende zu setzen in dem Augenblick, da er es für geraten hält. Einen Schauspieler, der auf der Bühne bleibt, wenn er nichts mehr zu sagen hat, pfeift man aus. Unglückliche beklagt die Welt nur in den ersten Augenblicken; bald wird sie ihres Mitgefühls müde; dann sitzt die Schmähsucht der Menschen über sie zu Gericht und befindet, alles, was sie betroffen, hätten sie sich nur durch eigene Schuld zugezogen; schon ist der Stab über sie gebrochen, und schließlich fallen sie der Verachtung anheim. Überlasse ich mich fernerhin dem gewöhnlichen Lauf der Natur, so werden der Kummer und meine schlechte Gesundheit in wenigen Jahren meine Tage kürzen. Das hieße mich selber überleben und feige dulden, was zu vermeiden in meiner Hand liegt. Außer Dir bleibt mir in der weiten Welt niemand mehr, der mich noch ans Diesseits bände; meine Freunde, meine teuersten Verwandten ruhen im Grabe – mit einem Wort: ich habe alles verloren. Ist Dein Entschluß der gleiche wie meiner, so enden wir gemeinsam unser Unglück, unser unseliges Geschick. Die in der Welt zurückbleiben, mögen sich dann mit den Sorgen abfinden, die auf ihnen lasten werden, und all das Schwere auf sich nehmen, das so lange unsere Schultern gedrückt hat.
Das sind, angebetete Schwester, trübselige Betrachtungen, doch schicken sie sich zu meinem Zustand. Wenigstens wird keiner sagen können, ich hätte die Freiheit meines Vaterlandes, die Größe meines Hauses überlebt; mein Tod wird den Beginn der Zwingherrschaft des Hauses Österreich bezeichnen. Doch was liegt daran, wie es zugehen wird, wenn ich nicht mehr bin? Mein Gedächtnis wird dann nicht belastet sein mit all dem Elend, das nach meinem Erdenleben über die Welt kommen wird, und dann wird man dankbar, wenn auch zu spät, erkennen, daß ich mich bis zum letzten der Unterdrückung und Knechtung meines Vaterlandes entgegengestemmt habe, und daß ich nur dank der Erbärmlichkeit derer unterlegen bin, die es mit ihrem tyrannischen Unterjocher gehalten haben, anstatt mit ihrem Verteidiger.
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