Friedrich der Große
Briefe
Friedrich der Große

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

An Voltaire

Insterburg. 27. Juli 1739.

Endlich sind wir angekommen, lieber Freund. Wir waren drei Wochen unterwegs, und zwar in einem Lande, das ich für das Non plus ultra der zivilisierten Welt halte. Es ist eine in Europa wenig bekannte Provinz, die freilich bekannter zu sein verdiente, da sie als eine Schöpfung des Königs, meines Vaters, gelten kann.

Preußisch-Litauen ist ein Herzogtum von stark 30 deutschen Meilen in der Länge und 20 in der Breite, obwohl es nach Samogitien hin spitz zuläuft. Die Provinz wurde zu Anfang des Jahrhunderts von der Pest verheert; über 300 000 Einwohner raffte die Seuche und das Elend hin. Der Hof, der von dem Unglück wenig wußte, unterließ es, der reichen und fruchtbaren Provinz, die an Einwohnern und an jeder Art von Erzeugnissen Überfluß hatte, wieder aufzuhelfen. Die Krankheit raffte das Volk hin; die Felder lagen brach und bedeckten sich mit Gestrüpp. Auch das Vieh ging in dem allgemeinen Elend zugrunde; kurz, unsere blühendste Provinz verwandelte sich in die schrecklichste Einöde.

Inzwischen starb Friedrich I. und wurde mit seiner falschen Größe begraben. Ihm lag nur an eitlem Prunk und an der pomphaften Zurschaustellung nichtiger Zeremonien.

Mein Vater, der ihm nachfolgte, wurde durch das öffentliche Unglück gerührt. Er begab sich selbst an Ort und Stelle und sah die weiten verheerten Länderstrecken nebst all den schrecklichen Spuren, die Seuche, Hungersnot und die schmutzige Habgier der Minister hinterlassen hatten. Zwölf bis fünfzehn entvölkerte Städte, vier- bis fünfhundert unbewohnte und verödete Dörfer boten seinen Augen einen trostlosen Anblick. Er ließ sich dadurch nicht abschrecken, im Gegenteil, er beschloß, das Land, das fast zur Wüstenei geworden war, neu zu besiedeln und Handel und Wandel wieder zu beleben.

Seitdem hat der König keine Ausgabe gescheut, um seine heilsamen Absichten zu verwirklichen. Er erließ zunächst weise Reglements, baute alles, was die Pest zerstört hatte, wieder auf und ließ Tausende von Familien aus allen Ecken Europas kommen. Die Äcker wurden wieder bestellt, das Land bevölkerte sich, der Handel blühte wieder auf, und gegenwärtig herrscht in dieser fruchtbaren Gegend mehr Überfluß denn je. Litauen besitzt über eine halbe Million Einwohner. Es zählt mehr Städte und Herden als früher, hat mehr Wohlstand und Fruchtbarkeit als irgend eine Gegend Deutschlands. Und all das ist lediglich dem König zu danken, der die Ausführung persönlich angeordnet und auch selbst geleitet hat. Er hat die Pläne entworfen und sie allein ausgeführt; er hat weder Mühe noch Sorge, noch ungeheure Schätze, noch Versprechungen oder Belohnungen gespart, um einer halben Million denkender Wesen Glück und Leben zu sichern. Ihm allein verdanken sie ihr Wohlergehen und ihre Versorgung.

Ich hoffe, Sie werden über die Einzelheiten, die ich Ihnen berichte, nicht böse sein. Ihre Menschenfreundlichkeit muß sich auf Ihre litauischen Brüder so gut erstrecken wie auf die französischen, englischen, deutschen usw., zumal ich zu meinem großen Erstaunen durch Dörfer kam, wo nur Französisch gesprochen wurde.

Ich finde etwas so Heroisches in der hochherzigen und tätigen Art, wie der König diese Wüstenei besiedelt, sie fruchtbar und glücklich gemacht hat, daß es mir schien, als müßten Sie der gleichen Meinung sein, wenn Sie die näheren Umstände dieser Neuschöpfung erführen.

*


 << zurück weiter >>