Karl Emil Franzos
Der Pojaz / Vorwort
Karl Emil Franzos

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Vierzehntes Kapitel

»Euer Hochwohlgeboren!

In umgehender Erwiderung Ihres Werten vom 30. Januar beehre ich mich ganz ergebenst mitzuteilen, daß Ihnen Gott soll Glück geben und Segen und langes Leben, und soll Ihnen vergelten, was Sie an mir armem Menschen tun!

Es war mir sehr angenehm, aus Hochdero Zuschrift zu ersehen, daß sich Euer Hochwohlgeboren in erwünschtem Wohlsein befinden, und ich möcht wissen, ob Sie gesund sind und ob die Czernowitzer wenigstens die paar Wochen viel ins Theater gehen, denn der Herr Wohltäter hat ja leider kein Wort über sich geschrieben und über die Frau und die Geschäfte. Auch war ich sehr erfreut, daraus zu entnehmen, daß Hochdero Unternehmungen guten Fortgang nehmen, und der Herr Nadler braucht sich nichts daraus zu machen, denn für die Czernowitzer ist es eine Schand', daß er dort nicht den ganzen Winter sein kann, aber nicht für ihn.

Euer Hochwohlgeboren gefällige Sendung habe gleichzeitig erhalten und beehre mich für die prompte Ausführung meiner Aufträge meinen Dank zu sagen; aufgegebenen Gegenwert habe Ihnen bestens gebucht. Lieber Herr Wohltäter, ich hab ja lang auf den Brief warten müssen, aber ich hab gewußt, der gute Mensch verläßt mich nicht, und wie ich alles gelesen hab und die Bücher durchgeschaut, hab ich geweint vor Freude. Gott muß es lohnen; wie soll ich es je vergelten, außer daß ich als Schauspieler bei Ihnen bleiben werd, so lang Sie wollen und für jeden Lohn spielen, auch für zehn Kreuzer täglich – auf Ehre!

An geschäftlichen Nachrichten vom hiesigen Platze, die Euer Hochwohlgeboren interessieren dürften, beeile ich mich zunächst zu Hochdero Kenntnis zu bringen, daß ich gottlob Reb Mortches Chaje nicht zu heiraten brauch, und eine andere, scheint es, hat Reb Itzig noch nicht gefunden, aber wenn ja, so werd ich schon machen, daß sie mich auch nicht nimmt. Im Kloster hab ich viel gelesen, zuerst von Lessing, dann von A bis Albigenser, aber der Herr Wohltäter hat recht, wenig hab ich verstanden, und ich weiß gar nicht, was Philotas will. Übrigens ist das Lexikon nicht so schlecht, wie ich geglaubt hab, denn jetzt seh ich aus Hochdero Zuschrift den Namen von dem englischen Dichter und bisher hab ich geglaubt, daß er Scheckspier geheißen hat, denn so hat es mir der arme Wild gesagt, er hat es – der Arme – selbst nicht richtig gewußt. Alles soll geschehen, wie der Herr Wohltäter mir schreibt, denn Sie sind mein Moses, aber ich werd Ihnen gehorsamer sein, als unsere Väter in der Wüste ihm waren, und erst im nächsten Winter komm ich zu Ihnen und jede Zeile in jedem Buch werd ich dann auswendig wissen – Sie können mich prüfen!

Was Euer Hochwohlgeboren gefällige Offerte betrifft, so hat es Ihr Engel im Buch Ihres Lebens eingeschrieben, was Sie, trotz ihrer eigenen Sorgen für einen fremden Menschen, den Sie einmal im Leben gesehen haben, tun wollen. Aber es ist nicht nötig, lieber Herr Wohltäter, weil mir Klein-Jossele, was mein Meister ist, jetzt monatlich einen Gulden Lohn gibt, und was die Reise betrifft, das ist meine letzte Sorge – wenn ich erst so weit wär! Denn es fährt kein Fuhrmann zwischen hier und Czernowitz, und es sitzt kein Schänker am Weg, der nicht den ›Pojaz‹ kennt. Nur in Czernowitz kennt mich niemand, aber das wird schon anders werden, und Sie werden Ehre mit mir einlegen – Sie werden schon sehen! Ich weiß nicht, was ich besser machen werd, ob lustige Leut, ob traurige Leut, aber beide werd ich sehr gut machen, da können sich der Herr Wohltäter darauf verlassen. Nur ob auch Verliebte, weiß ich nicht, aber so den Nathan oder den Schajelock – mir wässert schon der Mund, und Sie können mir glauben, mein Schajelock wird gut sein, ausgezeichnet wird er sein – natürlich nach Ihnen!

Indem ich mich Euer Hochwohlgeboren fernerer Geneigtheit empfehle, zeichne ich

in ausgezeichneter Hochachtung
Hochdero ganz ergebenster
Sender Kurländer,
künftiger Schauspieler.

Barnow, 8. Februar 1853.

N.S. Die Frau Wohltäterin laß ich schön grüßen und alle Ihre Mitglieder.

P.S. Wenn Sie mir schreiben wollen, immer an Fedko Hayduk im Kloster in Barnow, denn es darf ja niemand wissen, daß ich lesen kann.

Nachschrift. Was ich da geschrieben habe vom Schajelock und Nathan, natürlich mein ich das nicht für den Anfang. Im Anfang spiel ich Bediente, und wenn Sie wollen, kehr ich ein ganzes Jahr nur das Theater aus und werd doch glücklich sein, daß ich dabei bin.«

 

Diesen Brief schrieb Sender in der dritten Nacht nach Empfang der Bücher, und schon brach der fahle Schein des Wintermorgens durch das Fenster seines Kämmerchens, als er ihn beendete. Denn das war ein schwer Stück Arbeit für ihn gewesen, weil er ja nicht nach eigenem Gutdünken schreiben, sondern, wie Nadler gewünscht, den »Briefsteller« als Muster benutzen mußte. So nahm er denn in den beiden ersten Nächten dies Buch durch, aber so eifrig er las, ein Entwurf, der auch nur entfernt für seine Lage gepaßt hätte, fand sich nicht, und er mußte endlich ihrer zwei kombinieren, um halbwegs zustande zu kommen, einen »Dankbrief an einen Gönner« und einen »Geschäftsbrief an eine große Firma«.

Er arbeitete eifrig; auch wenn unten das Glöckchen erklang, zum Zeichen, daß ein Wagen den Schlagbaum passieren wollte, blickte er kaum auf. Das war Frau Rosels Sache, bei Tag und bei Nacht, so heut' wie vor zwanzig Jahren. Die wenigen Haare, die ihr unter dem »Scheitel« (der enganliegenden Kopfkappe der östlichen Jüdinnen) hervorquollen, waren nun weiß, das hagere, knochige Antlitz wies tiefe Furchen, aber die Gestalt war noch so ungebrochen, das Auge so scharf wie einst. Auch nun noch verrichtete sie den Dienst selbst. Und doch war die Heerstraße auch vom Abend bis zum Morgen viel befahren; wohl zehnmal mußte sich die Mautnerin des Nachts vom Lager erheben. Aber die tatkräftige Frau wollte von keiner Hilfe wissen, duldete auch nie, daß Sender für sie eintrat.

Er war es so gewohnt und dachte nicht darüber nach, ob es so recht sei – auch in jenen Nächten nicht. Nur eines ging ihm zuweilen durch den Sinn, wenn er das Glöckchen vernahm: wie, wenn die Mutter den Lichtschein bemerkte, die Leiter emporklomm und an seine Tür pochte? Aber seine Kammer lag ja im Dachgiebel des ebenerdigen Häuschens, und nach hinten hinaus; Frau Rosel konnte den Schein nicht gewahren. Und so las und schrieb er eifrig drauf los, obwohl er sehr müde war – aber er mußte nun fertig werden, der Dank für solche Wohltat ließ sich nicht länger verzögern.

Als der Brief endlich vorlag, gefiel er ihm wohl. »Nadler hat recht, wie immer«, dachte er, »mit dem Briefsteller ist es schwerer, aber dann kommt alles auch viel feiner heraus.«

Er streckte sich auf sein Lager hin, noch etwas vom versäumten Schlaf nachzuholen, bis er den Gang zur Werkstätte antreten mußte. Sonst schlief er ein, kaum daß der Kopf den Polster berührte; diesmal ging es nicht. In seinen Schläfen pochte es schmerzhaft, die Augen brannten, und so oft er in Halbschlummer verfiel, riß ihn ein angstvoller Traum wieder empor. Da stand sein Meister Jossele vor ihm und holte höhnisch den eben geschriebenen Brief hervor, den Sender unter dem Kopfpolster geborgen, oder die Mutter hatte die Lade aufgemacht, wo er die Bücher versteckt, und warf sie unter Verwünschungen zum Fenster hinaus... Dazu der Husten, der nicht enden wollte. »Wenn ich nur nicht krank werde«, dachte er angstvoll, als er sich erhob, mühsam ankleidete und wankenden Schritts in die Wohnstube trat, die Frühstückssuppe einzunehmen, »um Gottes willen, jetzt gesund bleiben, gesund!«

Frau Rosel saß bereits auf ihrem gewohnten Platz am Fenster, wo sie jeden Wagen, der sich nahte, gewahren konnte. Sie blickte nicht auf, erwiderte auch seinen Gruß nicht.

Er setzte sich an den Tisch, griff nach dem Löffel, schob aber bald das Töpfchen von sich. Auch mit dem Essen war es heute nichts. Als er sich erhob, begegnete er dem Blick der Mutter; sie sah ihn so recht sorgenvoll an.

»Bist du krank?« fragte sie; es klang ungewohnt weich.

Er verneinte.

»Es ist doch so!« sagte sie und trat auf ihn zu. »Dein Husten wird immer schlimmer, er läßt dich jetzt auch nicht mehr schlafen...«

»O doch, Mutter... Warum glaubst du?...«

»Weil du immer Licht brennst – gestern – heute –«

Er fühlte sich erröten.

»Ja... aber es hat nichts zu sagen.« Er griff nach der Mütze. »Du kannst wirklich ruhig sein, Mutter!«

Sie faßte ihn scharf ins Auge.

»Du fühlst keine Schmerzen?« fragte sie. »Spuckst kein Blut?«

»Nein!« beteuerte er.

»Sonst müßte man den Doktor fragen«, fuhr sie fort. »Mit solchen Sachen darf man in deinen Jahren nicht spaßen!... Aber wenn dir wirklich nichts ernstliches fehlt, so hat es vielleicht auch sein Gutes, daß du gerade jetzt ein bißchen hustest und blässer aussiehst...«

»Warum?« fragte er erstaunt.

»Weil ja –« begann sie lebhaft, stockte dann aber. »Wir sprechen später einmal darüber! Geh jetzt, der Meister wartet!«

»Was mag das sein?« dachte Sender erstaunt, aber um ernstlich darüber nachzusinnen, fühlte er sich zu müde, nur mit Aufgebot aller Kraft konnte er die Werkstätte erreichen und sank da matt auf seinen Schemel. Und mit der Arbeit ging's heute noch schlechter als sonst.

Jossele Alpenroth tat, als ob er es nicht bemerkte; aber Sender selbst fühlte, daß es so nicht gehe. Er mußte die Nächte nicht bloß zum Lesen und Schreiben, sondern auch zum Schlaf benutzen.

Das tat er denn auch, aber es fiel ihm schwer. Nicht etwa, als ob das Buch, das er nun zunächst durchnahm, gar so fesselnd gewesen wäre. Aus Gehorsam und in der abergläubischen Furcht, dadurch vom rechten Wege abzukommen, ließ er alles andere unberührt liegen und widmete sich der »Deutschen Sprachlehre«. So oft er heimkam und die Bücherlade aufschloß, seufzte er tief auf. Da lag die »Weltgeschichte«, das »Lesebuch«, vor allem aber der Schlüssel zu seinem Paradies – der »Katechismus der Schauspielkunst«, der sogar mit Bildern geschmückt war, die lachende, weinende, zornige und furchtsame Gesichter sowie »Spieler« und »Spielerinnen« in den verschiedensten Haltungen und Kostümen darstellten – und er mußte lernen, was ein »Hauptwort« sei, und dann, wie viele »Zeiten« es im Deutschen gebe! Es war hart, und nachdem er so stundenlang konjugiert: »Ich liebe – ich liebte – ich habe geliebt –« hätte ihm das Wachen eigentlich schwerer fallen sollen als das Schlafen. Dennoch kämpfte er allnächtlich den gleichen Strauß mit sich selbst: »Nur noch ein halb Stündele, das schadet nicht«, und dann: »Noch zehn Minuten; das halt' ich leicht aus« – bis er sein Lager aufsuchte. Denn je rascher er mit dem langweiligen Buche fertig war, desto eher winkten ihm die Freuden des Lesebuchs und endlich auch die Wonnen des »Katechismus«.

Er war in jenen Tagen wohl einer der glücklichsten Menschen in Barnow. Denn er war ja auf dem Weg zu seinem Ziel und felsenfest seine Zuversicht, es zu erreichen! Nur das ewige Verhehlen gegen seine Mutter war ihm zuweilen peinlich; er trug nun den Schlüssel zu seiner Kammer immer bei sich, obwohl Frau Rosel sie ohnehin nie betrat, und verhängte des Abends das Fenster, daß kein Lichtstrahl hinausdringen konnte. Aber er mußte sie ja hintergehen, und wenn ihr auch die Verwirklichung seiner Pläne gewiß zunächst nur Schmerz brachte, wie reichlich wollte er ihr einst, wenn er ein großer »Spieler« geworden, vergelten, was sie um ihn gelitten! Sie verdiente es ehrlich, so tief er sie gekränkt, nun wurde sie aus Besorgnis um seine Gesundheit von Tag zu Tag freundlicher gegen ihn. Die Wandlung mehrte das Glücksgefühl, das ihn in diesen Zeiten überkommen, fast hätte er den lästigen Husten gesegnet, der dies herbeigeführt.

Aber seltsam! – als sollte nun alles verschwinden, was ihm unangenehm gewesen, so wurde nun auch, je weiter der März vorschritt, je milder die Lüfte wehten, sein Meister gegen ihn immer freundlicher. Er lachte ihn ordentlich an, wenn er morgens den Laden betrat, und als Sender einmal beim Zusammensetzen eines Uhrwerks gedankenvoll deklinierte: »Das Rädchen, des Rädchens, dem Rädchen, das Rädchen« und dabei mit der Kneifzange die Feder sprengte, war der Meister nur einen Augenblick ungehalten, dann sagte er freundlich: »Mach' dir nichts daraus, ich leg's zum übrigen!«

Sender blickte ihn verblüfft an, aber der kleine Mann ärgerte sich wirklich nicht, lachte sogar über das ganze Gesicht. Hatte er endlich die Geduld verloren und wollte den ungeschickten Lehrling fortschicken? Das sah Jossele Alpenroth nicht ähnlich; er war nur eben so ein Uhrmacher, aber ein ehrlicher Mann. Hatte er Böses vor, so schnitt er keine freundliche Miene.

»Mir kann's recht sein«, dachte Sender vergnügt. »Ich tu's gewiß nicht absichtlich, aber ich fürcht', die Freud' mach' ich ihm noch oft!«

Er wäre minder ruhig gewesen, wenn er den Grund dieser rätselhaften Fröhlichkeit gekannt hätte. Es war derselbe, der seine Mutter mit so zärtlichem Bangen erfüllte. Über Sender zog sich, ohne daß er es ahnte, ein Gewitter zusammen. Gegen Ende April fand, wie alljährlich, die Rekrutierung in Barnow statt, und Sender, der im vorigen Mai sein zwanzigstes Jahr vollendet, hatte sich zu stellen.

Das wußte er nicht, konnte es nicht wissen. Er gehörte ja – glaubte er – zu jenen wenigen Glücklichen, die gesetzlich vom Militärdienst befreit waren; er war der einzige Sohn einer Witwe. Allerdings genügte dies allein nach dem Gesetze nicht, der Sohn mußte der Ernährer der Mutter sein, und Frau Rosel ernährte ja ihn. Aber damit nahm man es in Barnow nicht so genau; für eine solche Bescheinigung sorgte schon Luiser Wonnenblum, der Schreiber der jüdischen Gemeinde, und man brauchte ihm nicht einmal gute Worte dafür zu geben, nur Geld, viel oder wenig, je nach dem Vermögen der Mutter. Frau Rosel, die arm war, kam vielleicht mit einer Taxe von zwanzig Gulden davon, was für sie freilich ein großer, aber nicht unerschwinglicher Betrag war. So hatte sie es Sender stets gesagt, so oft die Rede darauf gekommen, und hinzugefügt: »Gott hat ein Einsehen gehabt! Die Sorg' wenigstens hab' ich mit dir nicht – es wär' sonst auch wirklich zu viel!«

Es war keine Lüge, keine Heuchelei, wenn sie so sprach, sie glaubte es selbst so. Nur weil sie eine vorsorgliche Frau war, die alles gern rechtzeitig ordnete, war sie schon mehrere Monate vor der Rekrutierung, im Januar, nach dem Gemeindehause von Barnow gegangen und hatte Luiser Wonnenblum ihr Anliegen vorgetragen.

Aber da harrte ihrer eine bittere Enttäuschung. Der kleine, höckerige, pockennarbige Mann blinzelte sie aus seinen schlauen Augen halb mitleidig, halb spöttisch an. »Liebe Frau Rosel«, sagte er überlegen. »Das geht ja nicht, Sender ist ja nicht Euer Sohn!«

»Was?!« schrie sie auf, faßte sich aber sofort wieder. »Da irrt Ihr Euch«, sagte sie ruhig. »Mein Sender ist nicht unter meinem Herzen gelegen, aber von seiner Geburt bis heut' bin ich seine Mutter gewesen. Und auch mit dem Rabbi und den Ältesten hab' ich's ausgemacht, daß er mein Kind ist, an dem sonst niemand ein Recht hat, und sie alle haben mir zugeschworen, er soll nie erfahren, daß er des Schnorrers Sohn ist... Also –«

Luiser hatte ihr ungeduldig zugehört.

»Also ist er doch nicht für den Kaiser Euer leiblicher Sohn!« fiel er ihr ins Wort, »und was kümmert den Kaiser, was Ihr mit dem Rabbi geredet habt?!... Hier steht« – er schlug die Matrikel auf – »ich werd's Euch vorlesen, Frau Rosel – ›Sender Glatteis, Sohn des verstorbenen Talmudisten und Bettelmannes Mendel Glatteis aus Kowno und seiner gleich nach der Geburt des Knaben abgeschiedenen Ehefrau Miriam, unbekannten Geburtsnamens‹ – und das allein gilt!«

Noch immer blieb Frau Rosel gelassen.

»So schreibt hinzu«, sagte sie, »daß ich, die Witwe Rosel Kurländer, diesen Sender schon vor zwanzig Jahren an Kindes Statt angenommen habe!«

»Wie kann ich das? Es wär' ja eine Lüge!«

»Eine Lüge?« schrie sie empört auf. »Meine Opfer, meine Tränen, meine schlaflosen Nächte eine Lüge?!«

»Für den Kaiser!« erwiderte er.

»Den Kaiser?!... Er soll alle Barnower fragen, ob es nicht wahr ist!... Und er ist ja auch ein Mensch und hat ein Herz...«

Luiser Wonnenblum lächelte. »Ihr redet, wie Ihr's versteht! Ich sage: ›der Kaiser‹, denn wenn ich sagen würde: ›das Gesetz‹, so würdet Ihr mich ja noch weniger verstehen. Nämlich des Kaisers Wille ist aufgeschrieben, und danach richtet man sich, und davon gibt es keine Ausnahme. Sagt selbst: hat der Kaiser die Zeit, alle Barnower auszufragen und dann zu entscheiden, ob er der Rosel im Mauthaus den Gefallen tun will?!... Nach dem Gesetz ist Sender nicht Euer Sohn! Und Ihr könnt ihn auch nicht nachträglich an Kindes Statt annehmen. Adoptieren heißt das – versteht Ihr? – adoptieren –«

»Meinetwegen! Aber warum nicht?!«

»Weil Ihr keine Witwe seid!«

Frau Rosel legte die Hand an die Stirne. »Seid Ihr verrückt oder ich? Keine Witwe?«

»Seid Ihr von Froim, dem Schreiber, geschieden? Nein! Ist er tot?! Ihr wißt es nicht! Folglich seid Ihr keine Witwe; sondern eine Frau, der der Mann durchgegangen ist. Da müßtet Ihr also zuerst eine Klage gegen Froim einreichen, weil er Euch böswillig verlassen hat. Und da man ihn nicht finden könnt', müßt' man die Klage öffentlich ausschreiben und sagen: Meldest du dich ein Jahr nicht, so bist du tot! Und dann wäret Ihr erst eine Witwe und könntet adoptieren. Aber das dauert mindestens zwei Jahre, und inzwischen kann Euer Sender schon Korporal sein...«

Frau Rosel richtete sich auf. »Das ist ja alles Unsinn«, sagte sie. »Auf welchem Friedhof Froim liegt, weiß ich nicht – Gott geb' ihm die ewige Ruh! Jetzt soll ich ihn klagen, weil ich ihn vor zweiundzwanzig Jahren weggejagt hab'?!... Reden wir deutsch, Reb Luiser! Was verlangt Ihr?!«

Luiser Wonnenblum erhob die Augen zum Himmel, als wollte er ihn zum Zeugen machen, welchen Unverstand ein Mann wie er über sich ergehen lassen müsse.

»Aber, Frau Rosel!« sagte er vorwurfsvoll und trat auf sie zu. »Hätt' ich's denn dann nicht gleich gesagt?! Verdien' denn ich nicht gern? Aber da kann ich nichts tun, und wenn Ihr mir tausend Gulden gebt... Wahrhaftig – aber – um Gotteswillen!« unterbrach er sich erschreckt.

Frau Rosel wankte, sie war einer Ohnmacht nahe. Hastig ließ er sie auf einen Stuhl gleiten.

»So beruhigt Euch doch«, fuhr er fort. »Es ist ja keine Schlechtigkeit von mir! Wenn Ihr mir vor zwanzig Jahren gesagt hättet: ›Ich will nicht, daß dies Kind ein Sellner (korrumpiert aus ›Söldner‹, Soldat) wird – schreibt es als Mädele ein‹ – ich hätt's um hundert Gulden getan. Oder: ›Schreibt ihn gar nicht ein‹, hätt' nicht viel mehr gekostet... Aber jetzt... Jetzt könnt' ich ihn höchstens sterben lassen...«

»Sterben?!«

»Ja – freilich müßt' er dazu nach Tluste gehen, der hiesige Doktor macht solche Sachen nicht. Dort wird ihm ein Totenschein ausgestellt... erschreckt nicht, solche Leut' leben am längsten. Freilich muß er dann für einige Jahre nach Rußland gehen oder nach Rumänien, bis er unter anderem Namen zurückkommt... Das ist das Sicherste, das einzige Sichere, aber es kostet fünfhundert Gulden!«

»So viel hab' ich nicht!« murmelte sie mit bleichen Lippen. »Wißt ihr keinen anderen Weg?!«

Luiser Wonnenblum zuckte die Achseln. Er kannte deren genug, aber keinen, wo er auch etwas verdienen konnte. Weil aber die Frau so gebrochen war, so meinte er: »Ich kenn' keinen... Ein ehrlicher Mann hat mit solchen Sachen nicht gern zu tun... Aber – fragt doch andere!«

Frau Rosel wandte sich an den Mann, dessen Pflicht es war, den Witwen und Waisen beizustehen, den Rabbi der Gemeinde. Das war ein Mensch anderen Schlages als Luiser, fromm und gewissenhaft, beides freilich nur im Sinne des starren, düsteren Glaubens seiner Sekte. Er galt – und das wollte wahrlich etwas heißen – als der schlimmste, härteste Fanatiker unter den galizischen Chassidim, freilich auch als ein Mann von untadeliger Ehrlichkeit. Aber auch er fand das Bestreben, auf Schleichwegen der Militärpflicht zu entgehen, nicht sündhaft, im Gegenteil, Gott wohlgefällig – wer »Sellner« geworden, konnte ja die Speisegesetze nicht einhalten! Und vielleicht gab es damals – heute ist es anders und besser – keinen Menschen im Kreise, der anders dachte. Dem Städter und dem Bauer, dem Polen, Ruthenen und Juden – ihnen allen war jedes Mittel recht, den Staat um die Blutsteuer zu betrügen. Und vielleicht gereichte diese Anschauung nicht ihnen allein zur Unehre, sondern auch dem Staate, der nun acht Jahrzehnte über jene Landschaft gebot, ohne ihre Bewohner zu einer sittlicheren Auffassung ihrer Pflicht erzogen zu haben.

»Schlimm«, sagte Rabbi Manasse Kirschenkuchen, »sehr schlimm! Vielleicht ist es eine Strafe Gottes! Ich will's nicht Euch zum Vorwurf sagen, ich bin ja mitschuldig. Aber recht war's von uns beiden nicht! Das kommt von den Heimlichkeiten – wir hätten dem Knaben seine Abstammung nicht verhehlen sollen. Wir haben's aus gutem Herzen getan, um ihn vor seines Vaters Schicksal zu bewahren, aber das hätte sich vielleicht auch richten lassen, ohne auf unser Haupt Sünde zu häufen. Dem armen Mendele lebt ein Sohn, aber der weiß nichts von seinem Vater und sagt ihm an seiner ›Jahrzeit‹ (Sterbetag) keinen ›Kadisch‹ nach. Um das haben wir den Toten betrogen –«

»Ich laß die ›Jahrzeit‹ seiner Eltern halten«, beteuerte Frau Rosel, »freilich durch einen Fremden...«

»Gott hat aber geboten«, sagte der Rabbi bekümmert, »daß es das eigene Fleisch und Blut tut.«

»Und dann betet er aus seines Vaters Gebetbuch«, fuhr sie zu ihrer Entschuldigung fort. »Ich hab's ihm gegeben, es war ohnehin sein einziges Erbe!... Und gibt es auf unserem guten Ort (Friedhof) zwei besser gepflegte Gräber, als die von Mendele und Miriam?!«

Der Rabbi seufzte. »Das wird uns vor Gott nicht entlasten«, sagte er. »Und dann noch eine Sünd': Sender ist über zwanzig Jahr' alt und hat noch kein Weib! Ich weiß, es ist nicht Eure, sondern seine Schuld – aber eine Sünd' bleibt's doch. Und für die Rekrutierung ist es auch nicht gut. Freilich muß die Kommission auch verheiratete Leut' nehmen – gottlob sind die meisten Juden schon mit zwanzig Jahren verheiratet. Aber wenn so ein junger Mensch vor den Herren weint: ›Mein Weib, meine vier Kinder!‹ so nehmen sie doch lieber einen anderen, der keine Kinder hat, und am liebsten einen Ledigen... Ein Lediger, Frau Rosel, ist schon gar verloren! Ihr solltet doch noch einmal mit Reb Itzig sprechen – es sind ja noch drei Monate Zeit...«

»Ich werd' es tun«, versprach sie. »Aber das allein bringt ihn ja nicht frei. An wen soll ich mich sonst wenden?!«

»Da ist nicht leicht raten –« erwiderte der Rabbi, »es ist ja ein notwendiges Geschäft, aber ehrliche Leute betreiben es nicht. Wollt Ihr die Kommission bestechen, so sind der Herr v. Wolczynski und Dovidl Morgenstern die anständigsten Vermittler, wollt Ihr lieber einen ›Fehlermacher‹ nehmen, so rat' ich Euch zu Srul, dem ›Cyrulik‹ (Bader), oder zum Wundarzt Grundmayer.«

Schon am nächsten Tage eröffnete Frau Rosel die Verhandlungen. Itzig Türkischgelb, den sie zunächst zu sich entbot, schüttelte wehmütig den Kopf.

»Wer bin ich?« sagte er gekränkt. »Antwortet mir zur Güte, Frau Rosel! Bin ich Reb Itzig, der geschickteste ›Schadchen‹ (Heiratsvermittler) im ganzen Land, oder bin ich es nicht? Braucht man mich noch daran zu erinnern, wenn man mir einen Auftrag gegeben hat?! Bin ich eine Uhr, die man immer von neuem aufziehen muß?! Ich lauf' von selber und lauf' und lauf', bis die Sach' im reinen ist. Auch für Sender hab' ich mir die Seel' aus dem Leib gelaufen und geredet – es nützt nichts! Glaubt Ihr, ich bin müßig, weil ich nicht zu Euch komm'? Aber ich hab' Euch nichts Gutes zu erzählen! Es war ja schon früher nicht leicht, aber seit der Mielnicer Sach' will gar niemand mehr von ihm hören.«

»Das habe ich gedacht«, erwiderte Frau Rosel bekümmert. »Jetzt wär' ich aber auch mit einer geringeren Familie zufrieden...«

Reb Itzig nickte.

»Natürlich! Aber war denn der Uhrmacher in Mielnica gar so was Feines? Ein ›Prostak‹ (gemeiner, ungebildeter Mensch), in der ganzen Familie niemand, der je ein Blatt Talmud gelesen hat, und der Bruder im Zuchthaus! Viel tiefer können wir nicht mehr greifen – das heißt, soweit meine War' reicht! Reb Srulze in Tluste, der die Knecht' mit den Mägden verheiratet, der könnt' Euch täglich drei Partien vorschlagen; mein Geschäft ist ein anderes. Aber seid ruhig! Was ich tun kann, geschieht ja und wirklich nicht bloß, um meinen Vermittlerlohn zu verdienen, sondern weil ich Euch gern hab' und – verzeiht – Euren Sender noch mehr! Ein ›Pojaz‹, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat! Aber glaubt Ihr, daß das die Leut' lockt? Wenn ich ihn feineren Leuten vorschlag', werfen sie mich gleich hinaus, sobald ich seinen Namen genannt hab', mittlere Leut' lassen mich noch eine halbe Stund' reden und werfen mich dann hinaus; gemeine Leut' hören mich bis zu End' an und sagen dann: ›Geht, Reb Itzig, und kommt mir mit dem nie wieder!‹ Ihr seht, Frau Rosel, ich hab' nicht viel Freud' davon!«

»Er hat sich aber in letzter Zeit geändert«, erwiderte sie. »Er macht keine Streich' mehr, spricht mit keinem, sogar am Sabbat sitzt er in seiner Kammer, statt wie sonst bei Simche...«

»So?« fragte Türkischgelb. »Ich hab' mir gedacht, nur mir weicht er aus, weil er fürchtet, ich trag' immer in der Kaftantasch' ein Mädele bei mir und schwups, werf' ich's ihm an den Hals!... Also still ist der ›Pojaz‹ worden? Fürchtet er sich vor der Rekrutierung so sehr?!«

»Davon weiß er ja noch nichts!« erwiderte sie. »Ich weiß gar nicht, wie ich's ihm beibringen soll!... Nein, er fühlt sich vielleicht –« sie stockte – ums Himmelswillen, von seinem Unwohlsein durfte sie nichts verraten, das machte die »Partie« noch schlechter – »vielleicht sieht er ein, daß es Zeit ist, vernünftig zu werden... Ja, das könnt Ihr den Leuten ruhig sagen«, fuhr sie fort. »Ich bitt' Euch, gebt Euch Müh'! Ihr habt ihn ja auch gern.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Soll er deshalb Sellner werden?!«

»Behüte!« tröstete der gutmütige Marschallik. »Einige wüßt' ich ja schon heut' – aber ob der Pojaz ihnen passen wird?! Euch werden sie passen!« fügte er hinzu, weil sein Handwerk diese Diplomatie vorschlug, aber da er ein ehrlicher Mann war, so klang seine Stimme dabei etwas unsicher.

»Redet!« rief sie eifrig.

»Da wär' die Schwestertochter vom Tluster Rabbi!« sagte er. »Was das für ein Adel ist, brauch' ich Euch nicht zu sagen! Und die möcht' dem Pojaz schon den Kopf zurechtsetzen, sie ist's von ihrem seligen Mann gewohnt.«

»Also eine Witwe? Hat sie Kinder?«

»Natürlich!« rief der Marschallik eifrig. »Ich werd' doch für meinen Sender, den ich so gern hab', keine Frau aussuchen, die vielleicht kinderlos bleibt. Darüber könnt Ihr bei der beruhigt sein!«

»Wieviel Kinder hat sie?«

»Für Kindersegen«, erwiderte der Marschallik, »dankt man Gott, aber man zählt ihn nicht. Und vor der Kommission ist es ja gut, wenn Sender sagen kann: ›Erbarmen – ich hab' neun Kinder!‹ Das älteste ist neunzehn, das jüngste zwei Jahr' alt, und alle sind versorgt, der Rabbi versorgt sie. Und ebenso wird er den zweiten Mann seiner Nichte und die Kinder, die Gott ihr noch schenkt, ernähren!«

»Ich hab' von ihm gehört«, sagte Frau Rosel. »Er soll durch Wundermachen viel Geld verdienen, aber nichts zurücklegen. Und wenn der Greis stirbt?«

»Der Greis?!« rief der Marschallik. »Kaum achtzig ist er! Eine Leuchte in Israel, wie ihn erhält Gott bis zu hundert und zwanzig Jahr'.«

Die Frau schüttelte den Kopf. »Das ist mir doch etwas zu unsicher! Auch könnt' sie ja Senders Mutter sein!«

»Freilich könnt' sie das, aber wenn sie jünger wär' und keine neun Kinder hätt' und wenn der Alte nicht schon so schwach wär', daß ihn ein Windstoß umblasen kann – würde da sie den ›Pojaz‹ nehmen?... Seid gescheit, Frau Rosel, seid gescheit! Übrigens, weil Ihr es seid, ich hab' auch ein jung Mädele für Euch – siebzehn Jahr', gesund, hübsch, hat bare siebenhundert Gulden! Alles die Wahrheit – bei meinen Kindern schwör' ich's!«

»Wo leben die Eltern«,

»Der Großvater, Reb Mosche – mit dem deutschen Namen tut er sich Pulverbestandteil schreiben – hält eine Schänke bei Tarnopol, das Mädele ist in seinem Haus aufgewachsen.«

»Also sind die Eltern tot?«

»Was fragt Ihr immer nach den Eltern?! Wenn von denen was zu erzählen wär', möcht' ich's gleich sagen. Es ist aber nichts von ihnen zu sagen. Die Mutter lebt irgendwo, vielleicht in der Türkei, ich weiß nicht wo...«

»In zweiter Ehe?«

»Natürlich! Oder doch wahrscheinlich! Möglich wenigstens ist es, daß sie in den sechzehn Jahren, wo sie fort ist, zweimal geheiratet hat. Denn wie sie fort ist, da war sie noch gar nicht verheiratet...«

»Und einer solchen Mutter Kind wagt Ihr mir anzutragen?« rief Frau Rosel mit flammenden Augen.

»Ja«, erwiderte Türkischgelb, »ich hab's gewagt, weil ich Euch für edler gehalten hab', als Ihr seid! Was kann das arme Mädele für seine schlechte Mutter?! Da werft Ihr ihm am End' auch vor, daß der Großvater schon zweimal im Kriminal gesessen hat? Übrigens«, fuhr er einlenkend fort, »daran liegt mir nichts, ich hab' Reb Moschele schon gesagt: ›Um da meinen Vermittlerlohn zu verdienen, werd' ich Euch einen vom Galgen herunterschneiden müssen!‹ Aber nun im Ernst gesprochen – ist Euch für Euren Sender eine Tochter vom Reb Chaim Goldgulden in Kolomea gut genug? Lea heißt sie!«

»Wie nicht?!« rief sie erfreut. »Er ist ein Ehrenmann und wohlhabend. Aber hat denn der noch eine Tochter zu verheiraten? Der Enkel von unserem Reb Mosche Freudenthal hat ja die jüngste bekommen.«

»Nein, Lea ist die jüngste... Das heißt – bei Euch muß man jedes Wort auf die Waagschale legen – vielleicht ist sie es nicht, vielleicht ist sie sogar die älteste von den Schwestern, was weiß ich? – Nach ihrer Größe könnt' sie jedenfalls die jüngste sein!«

»Ist sie so klein?« fragte Rosel argwöhnisch.

»Frau Rosel«, rief der Marschallik, »macht mich nicht ungeduldig! Saget mir: ›Sieben Fuß hoch muß sie sein, drei Zentner muß sie wiegen!‹ Dann weiß ich, wo ich Euch Eure Schwiegertochter zu suchen hab': auf dem Markt, wo man die Riesendamen zeigt... Reb Chaim Goldguldens Tochter braucht nicht höher zu sein wie der Tisch da und ist doch eine gute Partie!«

»Nicht höher?!« rief sie erschreckt, »Um Gotteswillen, dann ist sie ja eine Zwergin. Das ist ja unnatürlich...«

»Nein!« donnerte Reb Itzig. »Solche Reden verbitt' ich mir! Unnatürliches ist nichts daran. Habt Ihr schon gesehen, daß ein Mädele, dem von Kindheit auf das Rückgrat gekrümmt ist, groß wird wie ein Dragoner?«

»Aber Sender wird doch die bucklige Zwergin nicht wollen!«

Der Marschallik zuckte die Achseln... »Seine Sach' – Eure Sach', nicht meine. Meine Pflicht hab' ich getan, aber mir ist das Herz sehr schwer... Ältlich darf sie nicht sein, unehelich darf sie nicht sein, bucklig darf sie nicht sein – eine Braut, die Euch passen könnt', ist noch nicht geboren worden! Noch nicht geboren!« wiederholte er schmerzvoll. »Aber – weil ihr es seid, ich will weiter suchen. Soweit meine Kraft reicht, soll mein Sender kein Sellner werden!«

Aber er kam schon nach zwei Tagen wieder, diesmal strahlend vor ehrlicher Freude.

»Heut' brauch' ich Euch nichts vorzureden«, sagte er. »Die Rechte ist gefunden! Gestern war ich in Chorostkow und hab' natürlich auch meine jüngste Tochter Jutta besucht. Ihr wißt, sie ist dort bei Reb Hirsch Salmenfeld aufgenommen wie ein eigen Kind, weil sie so gut kochen und nähen kann. Bei der Gelegenheit hat Reb Hirsch mit mir gesprochen; er will einen Mann für seine Malke, eine Tochter aus erster Ehe. Das Mädchen bekommt achthundert Gulden, ist schön, jung und gesund, und meine Jütta, die bei aller Jugend ein kluges Kind ist, sagt mir: ›Gesegnet der Mann, der unsere Malke bekommt!‹ Also – an ihr ist kein Fleckele und an dem Vater auch nicht, aber er hat Unglück mit seinen Brüdern gehabt. Der älteste, ein Militärarzt, ist Christ geworden, der jüngere, ein Advokat in Czernowitz, lebt natürlich wie ein ›Deutsch‹. Bei diesem Onkel war Malke als Kind und hat dort leider Deutsch lesen und schreiben gelernt. Ihr seht, ich verschweig' Euch nichts. Aber sie ist deshalb doch ein ehrlich jüdisch Kind und Reb Hirsch, grad' weil er sich der Sünden seiner Brüder schämt, ein doppelt frommer Mann. Er weiß, daß trotzdem manchem die Verwandtschaft nicht passen wird, und wär' darum mit Sender einverstanden.«

Er hatte in anderer Tonart gesprochen als sonst, schlicht und gerade. »Es ist ein Glück«, schloß er, »besinnt Euch nicht und sagt ja.«

Frau Rosel zögerte dennoch. »Man sollt' doch den Rabbi fragen«, meinte sie.

»Dann wird nichts draus«, warnte er. Da sie aber erklärte, es sonst nicht auf ihr Gewissen nehmen zu können, so fügte er sich darein und erklärte sich sogar auf ihre Bitte bereit, selbst mit dem Rabbi zu sprechen.


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