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Sieben und zwanzigstes Kapitel.


Schon in der Nähe des Klippenganges blickte der Ritter noch ein Mahl dankend und bethend nach der Burg Drontheim um. Sie lag so still und groß und ruhig da, die hellen Scheiben an des Kapellans hohem Zimmer funkelten noch von dem letzten Schimmer der bereits verschwundenen Sonne; vor Sintram starrte das finstere Thal, wie sein Grab.

Da kam seitwärts jemand auf einem kleinen Rosse heran geritten, und Skovmaerke, welcher der fremden Gestalt spähend entgegen getrabt war, lief jetzt mit eingezogenem Schweife und gesenkten Ohren heulend und winselnd zurück, und schmiegte sich ängstlich unter seines Herrn Schlachtgaul.

Aber auch dieses Thier schien des sonst so kecken Kampfmuthes zu vergessen. Es schrak zusammen, und als der Ritter es dem Fremden entgegen treiben wollte, stieg es bäumend und schnaubend empor, und fing an, auf den Hinterhufen rückwärts zu schreiten. Nur mühsam ward es durch Sintrams Kraft und Reiterkunst endlich bezwungen. Er nahete sich, sein Gaul von Schaum ganz weiß, dem unbekannten Reisenden.

»Ihr habt furchtsame Thiere bey euch,« sagte dieser mit leiser gedämpfter Stimme.

Sintram konnte in der immer tiefer dunkelnden Dämmerung nicht recht erkennen, was für ein Wesen er eigentlich vor sich habe, nur ein sehr bleiches Gesicht – er meinte anfänglich, es seye mit frisch gefallenem Schnee bedeckt – leuchtete ihm aus den umhüllenden Gewanden entgegen. Es schien, der Fremde trage ein eingewickeltes Kästchen im Arme, sein kleines Pferd senkte, wie todtmüde, den Kopf gegen den Grund, wobey eine Schelle, die unter dem Halse von der häßlichen, zerrissenen Zäumung herab hing, wunderlich läutete.

Nach einigem Schweigen entgegnete Sintram: »edle Rosse scheuen sich wohl vor minder edlen, weil sie sich ihrer schämen, und den tapfersten Hunden kommt vor ungewohnten Gestalten ein heimliches Grauen an. Ich habe keine furchtsamen Thiere bey mir.«

»Gut, Herr Ritter; so reitet mit mir in das Thal hinein.«

»In das Thal hinein will ich, aber ich brauche keinen Gefährten.«

«So brauche doch ich vielleicht einen. Seht ihr nicht, daß ich unbewaffnet bin? Und um diese Zeit, zu dieser Stunde gibt es abscheuliche Hexenthiere hier.«

Da schwang sich, wie um des Fremden Worte grauenvoll zu bestätigen, vom nächsten bereiften Baume ein Ding herab, man konnte nicht unterscheiden, war es Schlange, war es Molch, – das kräuselte und drehete sich, und schien auf den Ritter oder seinen Gefährten hinab fahren zu wollen. Sintram stieß mit seiner Lanze darnach, und durchbohrte es. Aber fest, unter den abscheulichsten Zuckungen, saß es oben am Speereisen, und vergebens bemühete sich der Ritter, es gegen Fels oder Gezweig wieder abzustreifen. Da senkte er die Lanze über seine rechte Schulter nach hinten über, so daß er das häßliche Thier nicht mehr vor Augen hatte, und sagte gefaßten Muthes zu dem Fremden:

»Es scheint dennoch, als könne ich euch helfen, und gerade verbothen ist mir eines Unbekannten Geleitschaft nicht; also frisch vorwärts, und hinein in das Thal!«

»Helfen!« so tönte die trübe Antwort zurück. »Nein helfen, – ich helfe vielleicht dir. Aber Gnade dir Gott, wenn ich dir irgend einmahl nicht mehr helfen könnte. Da wärest du verloren, und ich würde sehr erschrecklich für dich. Doch in das Thal wollen wir, und ich habe dein Ritterwort dafür. Komm!«

Sie ritten vorwärts. Sintrams Roß noch immer scheuend, der treue Jagdhund noch immer winselnd, aber beyde dem Willen ihres Herrn gehorchend, der Ritter still und fest.

Der Schnee war von den glatten Felsen abgefallen, und vor dem aufgehenden Monde sahe man an den Steinwänden viele verschlungene Fratzen, theils Schlangengestalten, theils Menschengesichter bildend; es waren aber nur seltsame Adern der Klippen, und zwischen durch die halbnackten Wurzeln der Bäume, die sich in eigensinniger Starrheit dort angesiedelt hatten. Fremd und hoch schauete die Burg Drontheim noch einmahl wie Abschied nehmend durch eine Bergspalte herein.

Da sahe der Ritter seinem Geleitsmanne recht scharf in die Augen, und es kam ihm beynahe vor, als reite Weigand der Schlanke neben ihm. »Um Gott!« rief er aus, »bist du vielleicht der Schatten des abgeschiedenen Helden, der für Verena litt und starb?«

»Ich litt ja nicht, ich starb ja nicht, aber ihr leidet und ihr sterbet, ihr armes Volk!« so murmelte der Fremde. »Ich bin nicht Weigand. Ich bin der Andere, der ihm so ähnlich sahe, und dem du auch sonst schon im Walde begegnet bist.«

Sintram wollte sich von dem Entsetzen losreißen, das ihn bey diesen Worten überfiel. Er sahe auf sein Roß; es kam ihm ganz verwandelt vor. Wie Opferflammen rauschten auf dessen Haupte die dürren, farbigen Eichenblätter im Gleiten der Mondlichter. Er blickte nach seinem treuen Skovmaerke hinunter: den hatte die Furcht auch recht wunderlich entstellt. Auf dem Boden lagen mitten im Wege Todtengebeine, und schlüpften häßliche Eidexen, und drängten sich, der winterlichen Jahreszeit zum Trotze, giftig glühende Pilze hervor.

»Ist denn das noch mein Pferd, auf dem ich reite?« fragte sich leise der Ritter. »Und ist das zitternde Thier, welches nebenher läuft, mein Hund?«

Da rief jemand hinter ihm mit gellender Stimme: »Halt! Halt! So nehmt mich doch auch mit!« Umschauend erblickte Sintram eine abscheuliche kleine Gestalt, gehörnt, halb Eber, halb Bär von Angesicht, auf Roßhufen aufrecht einherschreitend, eine wundersam häßliche Haken- oder Sichelwaffe in der Hand, – es war das Wesen, das ihn sonst in seinen Träumen ängstete, und ach, es war auch der verderbliche Kleinmeister zugleich, und streckte wild lachend eine lange Kralle nach des Ritters Hüfte aus.

Verstört murmelte Sintram: »ich bin wohl eingeschlafen! Und nun brechen meine Träume aus!«

»Du wachst,« entgegnete der Reiter des kleinen Rosses, »mich aber kennst du aus deinen Träumen auch; denn siehe, ich bin der Tod.«

Und die Gewande fielen von ihm ab, und entfleischt kam ein verwesender Leichnam daraus hervor, ein halb erstorbenes Angesicht mit einem Schlangen-Diadem, was unter dem Mantel verborgen gesteckt hatte, war ein fast ausgelaufenes Stundenglas. Das hielt der Tod in seiner entfleischten Rechten dem Ritter entgegen. Die Schelle am Halse des Rößchens läutete dazu sehr feyerlich. Es war eine Todtenglocke.

»Herr in deine Hände befehle ich meinen Geist!« bethete Sintram, und ritt voll ernster Ergebung dem winkenden Tode nach.

»Er hat dich noch nicht! Er hat dich noch nicht!« schrie der entsetzliche Unhold hinterdrein. »Ergib dich lieber mir. Im Augenblicke – denn schnell sind deine Gedanken, schnell ist meine Macht – im Augenblicke stehest du in der Normandie. Noch blühet Helene schön, wie als sie hier von hinnen zog, und dein noch wird sie heute Nacht.«

Und abermahls hob er seine gottlosen Lobpreisungen der Schönheit Gabrielens an, und Sintrams Herz schlug glühend und wild im schwachen Busen hoch.

Der Tod sagte nichts mehr, aber er hob die Uhr in seiner Rechten hoch und immer höher, und wie der Sand nun schneller verrann, legte sich ein leises Funkeln aus dem Glase über Sintrams Angesicht, und da ward ihm, als gehe die Ewigkeit im stillen Glanze vor ihm auf, und mit abscheulichen Krallen reiße rückwärts an ihm die verworrene Welt.

»Ich gebiethe dir, du wilde Gestalt, die du mir nachfolgst,« rief er aus, »ich gebiethe dir im Nahmen meines Herrn Jesu Christi, daß du ablässest von deinem verlockenden Geschwätze, und dich mir mit dem Worte nennst, womit du verzeichnet bist in der heiligen Schrift!«

Ein Nahme, furchtbarer als ein Donnerschlag, brüllte verzweifelnd von den Lippen des Versuchers, und er verschwand.

»Er wird nicht wieder kommen;« sagte freundlich der Tod.

»So bin ich denn nun wohl ganz dein geworden, mein ernster Gefährte?«

»Noch nicht, mein Sintram. Ich komme erst in vielen, vielen Jahren zu dir. Aber vergessen mußt du mich nicht bis dahin.«

»Fest will ich dich halten vor meiner Seele, du furchtbar heilsamer Warner, du schauerlich liebender Wegweiser!«

»O ich kann auch sehr milde aussehen.«

Und er bewies es alsbald mit der That. Immer leiser verdämmerte die Gestalt vor dem wachsenden Schimmer, der aus dem Stundenglase leuchtete, die kaum noch so gräßlich ernsten Züge lächelten sanft, aus der Schlangenkrone, ward ein funkelnder Palmenkranz, aus dem Rosse ein weißes, duftiges Mondgewölke, und die Glocke hallte unsichtbar süße Wiegenlieder daraus hervor. Sintram meinte diese Worte in dem Klange zu vernehmen:

»Welt und Erzfeind sind bezwungen
Vor dir zieht ein ew’ges Licht.
Held, dem dieser Sieg gelungen,
Hilf dem Greis’ aus seinem Trauern,
Weil nun bald vor meinen Schauern
Ihm sein glühend Auge bricht.«

Der Ritter wußte wohl, daß es seinem Vater galt, und trieb sein edles Roß zur Eile. Jetzt gehorchte es ihm leicht und gern, auch der treue Jagdhund lief wieder ämsig und zutraulich nebenher, der Tod war verschwunden, nur voran zog etwas wie eine röthliche Morgenwolke, die auch noch sichtbar blieb, als schon die aufgegangene Sonne den hellen Winterhimmel klar und warm durchleuchtete.


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