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Fünftes Kapitel.


Den sonst so kerngesunden Rittersmann befiel nach diesem seltsamen Vorfalle eine Krankheit, worin er fast beständig irre redete, aber mit voller Gewißheit aussprach, er werde und müsse genesen. Er lachte hochmüthig über seine Fieberanfälle, und schalt sie, daß sie sich machtlos und so ganz unnöthiger Weise an ihn heran wagten. Dann murmelte er auch öfters vor sich hin: »das war der Rechte noch nicht, das war der Rechte noch nicht; es muß noch ein Anderer draußen im kalten Gebirge seyn.«

Vor diesen Worten fuhr Sintram jedes Mahl unwillkührlich zusammen. Sie schienen ihm seine Meinung zu bestätigen: der mit ihm auf einem Gaule geritten, und der in der Burg am Tische gesessen, seyen zwey ganz verschiedene Personen, und er wußte nicht warum, aber dieser Gedanke hatte etwas ungeheuer Grauenvolles für ihn.

Ritter Biörn genas, und schien die Geschichte mit dem Wallbruder gänzlich vergessen zu haben. Er jagte in den Bergen, er focht manche wilde Fehde aus, und der heranwachsende Sintram ward sein fast allstündlicher Begleiter, wobey nun mit jedem Jahre sich mehr und mehr eine furchtbare Kraft des Leibes und des Geistes in dem Jünglinge entwickelte. Wohl scheuete man ihn, wo er sich zeigte mit seinem blassen, scharfen Angesichte, seinen dunkel rollenden Augen, seiner hohen, nervigen, etwas hageren Gestalt, und dennoch haßte ihn niemand, auch solche nicht, die er in seinen wildesten Launen beleidigt oder verletzt hatte. Es mochte mit von der freundlichen Nähe des alten Rolf herkommen, welcher immer eine anmuthige Gewalt über ihn behielt, aber die mehresten, welche Frau Verenen gekannt hatten, als sie noch in der Welt lebte, behaupteten, über den ganz unähnlichen Gesichtszügen schwebe dennoch ein leiser Abglanz der mütterlichen Huld, und gewinne dem Jünglinge die Herzen.

Einmahl, es war eben um Frühlingsanfang, hatten Biörn und sein Sohn am Meeresstrande gejagt, und zwar auf fremdem Gebiethe; minder um der Lust am Waidwerke willen, als um einem verhaßten Nachbar Trotz zu biethen, und so vielleicht eine Fehde zu entflammen. Sintram war um diese Zeit, wo er den alljährlichen furchtbaren Wintertraum überstanden hatte, gewöhnlich noch wilder und kampfgieriger, als sonst. Heute ärgerte es ihn schwer, daß der Gegner nicht aus seiner Burg komme, ihnen das Jagen mit gewaffneter Hand zu wehren, und er verwünschte in den wildesten Ausdrücken dessen zahme Geduld und weichliche Friedfertigkeit. Da kam ein junger, ausgelassener Reisiger seines Gefolges jubelnd herbey gesprengt, und rief: »gebt euch zur Ruhe, lieber Junkherr! Ich wette, noch geht alles, wie ihr und wir es begehren. Am Seestrande hin setzte ich einem getroffenen Wilde nach, da wallten mir Segel heran, und ein Fahrzeug mit glänzend bewaffneten Männern. Was gilt es, euer Feind gedenkt euch von der Küste her zu fassen?«

Froh und heimlich berief Sintram alle seine Waidgesellen, entschlossen, dieses Mahl den Kampf auf sich ganz allein zu nehmen, und dann seinem Vater sieghaft und mit Gefangenen und eroberten Waffen in kecker Überraschung entgegen zu ziehen.

Wohl bekannt mit allen Schluften, Hainen und Klippengängen des Gestades, hatten sich die Jäger alsbald rings um die Ankerstelle her versteckt, und schon wogte das fremde Fahrzeug mit schwellenden Segeln näher, schon lag es ruhig in der Bucht, und die Schiffenden fingen an, in fröhlicher Sorglosigkeit das Land zu betreten.

Vor ihnen allen herrlich und edel erschien ein Ritter in stahlblauer Rüstung, reich mit Golde verziert. Sein unbedecktes Haupt, – er trug den köstlichen, ganz goldenen Helm am linken Arme hängen, – schauete königlich umher, und anmuthig war sein Antlitz zu beschauen, vom schwarzbraunen Haar umlockt, mit zierlich gestutztem Knebelbarte, unter welchem der frische Mund hervor lächelte, und zwey Reihen perlenweißer Zähne blicken ließ.

Es war dem jungen Sintram zu Muthe, als habe er diesen Helden sonst irgendwo schon gesehen, und er stand eine Weile regungslos. Aber plötzlich hob er den Arm, um das verabredete Zeichen zum Angriffe zu ertheilen. Umsonst flüsterte ihm der fromme Rolf – eben erst mühsam dem wilden Jüngling nachgelangt – in das Ohr, dieses seyen ja gar nicht die Feinde, welche man erwarte, sondern unbekannte, und gewiß höchst edle Fremdlinge. – »Mag der oder jener es seyn!« murmelte der zornige Sintram zurück. »Sie haben mich zu thörichter Erwartung gehetzt, und sollen es büßen. Rede mir nichts ein, so lieb dir dein und mein Leben ist.« – Und alsbald gab er das Zeichen, und hageldicht schwirrten geworfene Speere von allen Seiten, und rasselten die Normanns-Krieger mit blitzenden Klingen vor.

Sie fanden so tapfere Gegner, als sie sich nur irgend wünschen konnten, und vielleicht noch etwas darüber. Mehr der Angreifenden, als der Angegriffenen lagen alsbald im Blute, und überraschend gut schienen sich die Fremden auf das Nordländische Fechten zu verstehen. Der Ritter im mit Gold gezierten Stahlharnische hatte sich in der Eil nicht mit dem Helme bedecken können, aber es war, als finde er es auch gar nicht einmahl der Mühe werth. Seine leuchtende Klinge schirmte ihn sicher genug, ja, auch die fliegenden Wurfspeere wußte er damit in blitzesschnellen Schwüngen zu fassen, und so gewaltig von sich abzuschlagen, daß sie bisweilen zerknickt auf den Boden fielen.

Sintram hatte anfänglich nicht an ihn herandringen können, weil sich alle, begierig auf den Fang solch eines edlen Wildes, um den glänzenden Helden zusammen gepreßt hielten, aber nun ward, wohin der Fremde sich wenden mochte, die Straße weit genug, und Sintram sprang ihm mit hochgeschwungenem Schwerte schlachtrufend entgegen. – »Gabriele!« rief der Ritter, und den gewaltigen Hieb mit Leichtigkeit auffangend, unterlief er den Jüngling, ihn mit einem ungeheueren Stoße des Schwertknaufes gegen die Brust nieder streckend, und alsbald auch auf ihm kniend, einen blitzenden Dolch gerade gegen die Augen des Überraschten gezückt. Wie Mauern standen urplötzlich seine schnell gesammelten Reisigen rings um ihn her; Sintram schien ohne Rettung verloren.

Er wollte sterben, wie es einem kühnen Fechter geziemt; deßhalb starrte er die nahe Todeswaffe mit großen, weit offenen Augen unerschüttert an.

Wie er nun so in die Höhe schauete, war es ihm als erscheine plötzlich am Himmel ein wunderschönes Frauenbild, in himmelblauen, vom Golde leuchtenden Gewändern. – »Unsere Ahnen hatten doch wohl Recht mit den Walküren!« murmelte er. »Stoße zu, du fremder Sieger!«

Aber das that der Ritter nicht, auch hatte sich keine Walküre gezeigt, sondern die schöne Hausfrau des fremden Helden, die jetzt eben auf den hohen Schiffsbord hervor getreten war, und so in des über sich blickenden Sintrams Auge strahlte.

»Folko,« rief sie mit süßer Stimme, »du hoher Freyherr ohne Tadel! Ich weiß, du schonest den Überwundenen!«

Aufsprang mit edler Sitte der Held, reichte dem besiegten Jüngling die Hand, und sprach: »danke der edlen Herrinn von Montfaucon für dein Leben und deine Freyheit. Bist du aber alles Guten so gänzlich bar, daß du den Kampf noch ein Mahl beginnen möchtest: siehe, hier stehe ich, und falle du aus!»

Sintram jedoch sank tief beschämt in seine Knie und weinte; denn er hatte längst schon Großes vernommen von diesem seinen Stammverwandten, dem Frankenritter Folko von Montfaucon, und von der Huld seiner zarten Hausfrau Gabriele.


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