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In Drontheim auf der hohen Burg saßen viel Nordlands-Ritter versammelt, und hatten Rath gehalten über des Reiches Wohl, und zechten nun bis in die Mitternacht hinein fröhlich mit einander, in dem hallenden, gewölbten Saale, um den runden, riesenhaften Steintisch her.
Der erwachende Sturm trieb so eben ein wildes Schneegestöber gegen die klirrenden Fenster, alle Thüren in ihren eichenen Fugen bebten, die schweren Schlösser rasselten ungestüm, die Schloßuhr schlug nach vielrädrigem, langsam knarrendem Getöse Eins.
Da flog in die Halle herein mit sträubenden Locken, mit ängstlichem Geschrey und geschlossenen Augen, ein todtbleicher Knabe. Der stellte sich hinter den geschmückten Sessel des großmächtigen Ritters Biörn, umklammerte den glänzenden Helden mit beyden Händen, und schrie mit durchdringender Stimme: »Ritter und Vater! Vater und Ritter! Der Tod und noch einer sind abermahls entsetzlich hinter mir drein! – «
Eine furchtbare Stille lag eisig über der ganzen Versammlung; nur daß der Knabe fort und fort die entsetzlichen Worte schrie.
Aber ein alter Reisiger aus Ritter Biörns zahlreichem Gefolge, der fromme Rolf geheißen, schritt gegen das jammernde Kind heran, faßte es in seine Arme, und bethete halbsingend
»Hilf, Vater mein,
Dem Knechte Dein!
Ich glaube, und kann nicht glauben.«
Sogleich ließ der Knabe von dem großen Ritter Biörn wie träumend los, und der fromme Rolf trug ihn leicht, wie eine Flaumfeder, obgleich unter heißen Thränen und fortgesetztem, leisem Gemurmel aus dem Saale.
Die Herren und Ritter sahen sich alle sehr verwundert an.
Da hob der gewaltige Biörn seine Rede an, und sagte auf eine etwas wilde und ingrimmig lachende Weise:
»Laßt, euch durch das wunderliche Ding von Knaben nicht irren. Es ist mein einziger Sohn, und treibt es nun schon seit seinem fünften Jahre also; jetzt ist er zwölfe; nun bin ich es denn sehr gewohnt worden, ob es mich gleich Anfangs etwas unruhig machte. Es kommt auch alle Jahre nur ein Mahl, und immer um diese Zeit. Aber haltet es mir zu Gute, daß ich so viel Worte von meinem albernem Sintram gemacht habe, und bringet etwas Klügeres auf die Bahn.« –
Es blieb noch eine Weile still. Dann huben einzelne Stimmen an, leise und unsicher die vorhin abgebrochenen Reden zu erneuern, jedoch ohne Erfolg. Ein Paar der jüngsten und frohherzigsten begannen einen Rundgesang; da heulte und pfiff und flüsterte der Sturm so wunderlich darein, daß auch dieses alsbald abgebrochen ward.
Nun saß man ganz schweigend und beynahe regungslos in dem hohen Saale; die Ampel flackerte trübe am Gewölbe; die ganze Heldenversammlung war wie leblose, etwas bleiche Bilder, die man in riesenhafte Harnische gesteckt hätte, anzuschauen.
Da erhob sich der Kapellan des Schlosses zu Drontheim, der einzige geistliche Mann in diesem Ritterkreise, und sagte: »lieber Herr Biörn, es hat sich nun einmahl auf wunderbare, wohl durch Gott recht eigentlich verhängte Weise, unser aller inneres Auge auf eueren Sohn gerichtet. Ihr seht, wir bringen es nicht wieder davon weg, und thätet besser, uns recht ausführlich zu erzählen, was ihr von des Knaben wunderlichem Treiben wißt. Vielleicht thut uns gerade die ernste Rede, welche ich vorahnde, an diesem etwas wild gewordenen Feste gut.«
Ritter Biörn sahe den Geistlichen mit unzufriedenen Blicken an, und erwiderte: »Herr Kapellan, ihr habt an der Geschichte mehr Theil, als euch und mir zu wünschen sehn möchte. Erlaßt uns freudigen Norwegskämpfern die trübselige Kunde.«
Der Kapellan aber trat mit fester und höchst sanftmüthiger Geberde näher zu dem Ritter heran, sprechend:
»Lieber Herr, vorhin stand das Erzählen und Nichterzählen einzig und allein bey euch; jetzt, da ihr so wunderbar auf mich und mein Theil an dem Unglücke eures Sohnes hingedeutet habt, muß ich auf das Bestimmteste von euch fordern, daß ihr alles Wort für Wort berichtet, wie es sich begeben hat. Meine Ehre will es so haben, und das fühlt ihr gewiß nicht minder deutlich, als ich.«
Ernst, aber nachgebend neigte Ritter Biörn sein stolzes Haupt, und hob folgenden Spruch an:
»Nun sind es sieben Jahre her, da hielt ich mit meinen gesammten Mannen das Weihnachtsfest. Es gibt noch so einige alte, ehrwürdige Gebräuche, von unsern großen Ahnen auf uns vererbt: als zum Beyspiel, daß man ein schönes goldenes Eberbild auf die Tafel stellt, und sich dabey allerhand fröhliche und Ehre bringende Verheißungen gibt. Der Herr Kapellan hier, welcher mich damahls wohl zu besuchen pflegte, war nie ein sonderlicher Freund von solchen Überbleibseln aus der gewaltigen Heldenwelt. Seines Gleichen mochte zu jener uralten Zeit freylich nur in schlechtem Ansehen stehen.«
»Meine erhabenen Vorgänger,« unterbrach ihn der Kapellan, »hielten es bey weitem mehr mit Gott, als mit der Welt, und bey Gott war ihr Ansehen recht gut. Auf diese Weise haben sie eure Ahnen bekehrt, und wenn ich euch auf ähnliche Art behülflich seyn kann, soll mir euer Spotten auch eben nicht das Herz abfressen.«
Mit noch dunklerem Blicke, aber mit einer etwas zornigen Scheu, fuhr der Ritter in seiner Rede fort:
»Ja, ja, Verheißungen auf das Unsichtbare, und Drohungen eben daher! So läßt sich uns um so leichter nehmen, was man des Guten etwa sieht und hat! – Damahls, ach freylich damahls, hatte ich dergleichen noch! – Wunderlich! – Bisweilen kommt es mir vor, als sey das schon ein Paar Jahrhunderte her, und ich ein gänzlich überlebter Greis, weil es jetzt so gar entsetzlich anders ist. Aber nun besinne ich mich: der größte Theil dieser edlen Tafelrunde hat mich ja in meinem Glücke besucht, und hat Verenen, mein himmelschönes Weib gekannt – «
Er schlug die Hände vor das Gesicht, und es war beynahe, als ob er weine. Der Sturm hatte aufgehört, sanfte Mondesstrahlen drangen durch das Fenster, und legten sich, wie kosend und begütigend um seine verwilderte Gestalt.
Da fuhr er plötzlich in die Höhe, daß die Waffenrüstung furchtbar zusammen klirrte, und rief mit donnernder Stimme, »soll ich etwa zum Mönch werden, wie sie zur Nonne geworden ist? Nein, kluger Herr Kapellan, für Fliegen meiner Art sind eure Gewebe zu dünn!«
»Ich weiß nichts von Geweben,« sagte der Geistliche. »Offen und ehrlich habe ich euch vor sechs Jahren Himmel und Hölle vorgestellt, und ihr willigtet in den Schritt, den die fromme Verena that. Wie das aber mit dem Leiden eures Sohnes zusammen hängt, weiß ich nicht, und warte auf eure Erzählung.«
»Da könnt ihr lange warten!« lachte Biörn ingrimmig. »Ehe soll – «
»Flucht nicht,« sagte der Kapellan mit kräftig gebiethender Stimme, und beynahe furchtbar strahlenden Augen.
»Hussah,« schrie Biörn im wilden Entsetzen auf, »Hussah, der Tod und sein Geselle sind los! – « Und in rasender Scheu flog er aus dem Gemache, die Stiegen hinab, und draußen hörte man ihn mit rauhen, entsetzlichen Tönen sein Gefolge zusammen blasen, und bald darauf ihn über den starr beeiseten Hofplatz davon sprengen.
Die Ritter gingen schweigend, beynahe zitternd auseinander. Einsam bethend an dem großen Steintische saß der Kapellan.