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Zwanzigstes Kapitel.


Ja wohl ein Einsiedler, oder doch wenig Geselligeres, war nun bald aus dem armen Sintram geworden! Denn gegen das heran nahende heilige Weihnachtsfest kam sein furchtbarer Traum über ihn, und faßte ihn dieß Mahl so entsetzlich, daß alle Reisigen und Diener schreyend aus der Veste liefen, und sich auch nicht dahin zurück wagten. Es blieb niemand bey ihm als sein Rolf und der alte Vogt.

Freylich war Sintram wieder ruhig, aber er ging nun so still und bleich umher, daß er für einen wandelnden Todten hätte gelten können. Keine Tröstung des frommen Rolf, kein gottesfürchtig freundliches Lied wollte mehr helfen, und der Vogt mit seinem wilden, vernarbten Antlitze, seinem durch eine ungeheuere Hiebwunde ganz kahl gewordenen Haupte, sein störriges Schweigen, war fast wie der noch dunklere Schatten des unglücklichen Ritters anzusehen. Rolf dachte daran, den gottesfürchtigen Kapellan von der Drontheims-Burg zu berufen, aber wie hätte er seinen Herrn mit dem finsteren Vogte allein lassen sollen, einem Manne, der ihm von je her heimliches Grausen abgenöthiget hatte. Schon lange hielt Biörn den wilden, wunderlichen Krieger in Diensten, und ehrte ihn, seiner felsenfesten Treue und seiner ungestümen Tapferkeit halber, ohne daß der Ritter oder irgend sonst jemand gewußt hätte, woher der Vogt komme, und wer er überhaupt eigentlich sey. Ja, die wenigsten Menschen verstanden es, ihn bey seinem Nahmen zu rufen, welches auch um so unnöthiger schien, da er sich mit niemanden in ein Gespräch einließ. Er war nur eben der Vogt auf der Steinburg des Mondfelsens, und weiter nichts.

Rolf befahl seine tiefen Herzenssorgen dem lieben Gott, vermeinend, der werde schon helfen, und der liebe Gott half.

Denn gerade am heiligen Abend vor Weihnachten schellte die Glocke an der Zugbrücke, und als Rolf über die Zinnen blickte, stand draußen der Kapellan von Drontheim, freylich in wunderlicher Geleitschaft; denn neben ihm zeigte sich der wahnsinnige Pilger, und die Todtengebeine auf dessen dunkelem Mantel blitzten recht schauerlich im Sterngeflitter herauf; aber des Kapellans Nähe durchdrang den guten Rolf allzu freudig, um irgend einem Zweifel Raum zu gönnen; »über dieß,« dachte er, »wer mit diesem kommt, der kommt wohl recht!« und so ließ er die Beyden mit ehrerbiethiger Eilfertigkeit ein, und geleitete sie in die Halle hinauf, wo Sintram unter dem Lichte einer einzigen flackernden Ampel bleich und starrend da saß. Rolf mußte den wahnsinnigen Pilger auf der Stiege halten und fuhren; denn er war ganz vor Frost erstarrt.

»Ich bringe euch einen Gruß von euerer Mutter«; sagte der eintretende Kapellan, und alsbald zog ein süßes Lächeln über des jungen Ritters Antlitz, und dessen Todesblässe wich einem sanften Roth. – »Ach Gott«, flüsterte er, »lebt denn meine Mutter noch, und will sie denn auch sogar von mir wissen?«

»Sie ist mit hoher, vielgewaltiger Ahndungskraft begabt«, entgegnete der Kapellan, »und welche That ihr vollbringen, und welche ihr unterlassen möget: es spiegelt sich ihr alles, bald wachend, bald träumend, – in vielen wundersamen Gesichten untrüglich ab. Jetzt weiß sie auch von euerm tiefen Leide, und sie sendet mich, der ich ihres Klosters Beichtvater bin, hierher, euch zu trösten, aber auch zugleich, euch zu warnen; denn, wie sie behauptet, und wie auch ich es zu glauben geneigt bin, stehen euch noch viele und seltsame schwere Prüfungen bevor«.

Sintram neigte sich mit über die Brust gekreuzten Armen nach vorwärts, und sagte, anmuthig lächelnd: »mir ist viel geworden; mehr, als ich in meinen kühnsten Stunden zu hoffen gewagt hätte, zehntausend Mahl mehr, durch meiner Mutter Gruß und eueren Zuspruch, ehrwürdiger Herr, und das alles nach einem so grausam tiefen Falle, als ich noch kaum erst gethan habe. Des Herrn Erbarmen ist groß, und sende er an Buße und Prüfung eine noch so schwere Last; ich hoffe, mit seiner Hülfe will ich sie tragen.«

Indem ging die Thüre auf, und der Vogt trat mit einer Fackel herein, vor deren glührothem Schimmer er ganz blutfarbig aussahe. Er blickte entsetzt auf den wahnsinnigen Pilger, der eben jetzt ohnmächtig auf einen Sessel gesunken war, von Rolf unterstützt und gepflegt; dann starrte er verwundert dem Kapellan in das Auge, und murmelte endlich: »seltsames Zusammentreffen! Ich glaube, die Stunde zur Beicht und zur Versöhnung ist da.«

»Ich glaube es auch; «erwiederte der Geistliche, welcher das leise Flüstern vernommen hatte. »Es scheint fürwahr ein stiller, gnadenreicher Tag zu seyn. Der Arme dort, wie ich ihn halb erfroren auf dem Wege fand, wollte mir durchaus früher beichten, als zum wärmenden Herde folgen; thut, wie er, mein dunkeler, feuerbeglänzter Kriegsmann, und schiebt euer gutes Vorhaben um keine Secunde auf.« – Damit schritt er mit dem winkenden Vogte aus dem Gemache, und sprach noch zurück: »Ritter und Knappe! Sorget während der Zeit für meinen pflegbefohlenen Kranken gut.«

Sintram und Rolf thaten nach des Kapellans Begehr, und als von ihren Labungen der Pilger endlich die Augen wieder öffnete, sagte der junge Ritter mit freundlichem Lächeln: »siehest du, nun besuchest du mich ja doch. Warum schlugest du mir es denn ab, als ich dich vor wenigen Nächten so inbrünstig darum bath? – Ich mag wohl etwas irre und heftig gesprochen haben. Wurdest du vielleicht dadurch eingeschüchtert?«

Es zuckte ein plötzlicher Schreck über des Pilgers Antlitz, doch sahe er gleich wieder in freundlicher Demuth zu Sintram hinauf, sprechend: »o lieber, lieber Herr, ich bin euch ja so unendlich ergeben. Redet nur nicht immer von den Dingen, die zwischen euch und mir vorgefallen seyn sollen. Das entsetzt mich jedes Mahl so sehr. Denn, Herr, entweder bin ich toll, und habe das alles vergessen, oder euch ist der im Walde begegnet, der mir vorkommt, wie mein sehr mächtiger Zwillingsbruder – «

Sintram legte ihm leise die Hand auf den Mund, indem er erwiederte: »rede du nur nicht mehr darüber. Ich will von Herzen gern verstummen.« Nicht er, nicht Rolf wußten genau, was ihnen eigentlich so entsetzlich bey der Sache vorkomme, aber sie zitterten Beyde.

Nach einiger Stille hob der Pilger an: »ich will euch lieber ein Lied singen, ein mildes, tröstliches Lied. Habt ihr nicht eine Zither zur Hand?«

Rolf hohlte eine herbey, und der Pilger, auf dem Lehnstuhle halb empor gerichtet, sang folgende Worte:

»Wem sein nahes Ende
Durch Herz und Glieder ahndend schleicht,
Der wende,
Der wende Sinn und Hände
Zum Gnadenthor
Vertrau’nd empor,
So macht’s der Herr ihm leicht.

Seht ihr’s in Osten funkeln?
Hört ihr die Eng’lein singen
Durchs junge Morgenroth?
Ihr war’t so lang’ im Dunkeln,
Nun will euch Hülfe bringen
Der gnadenreiche Tod.
Den müßt ihr freundlich grüßen.
Dann wird er freundlich auch
Und kehrt in Lust das Büssen;
So ist sein alter Brauch.

»Wem sein nahes Ende
Durch Herz und Glieder ahndend schleicht,
Der wende,
Der wende Sinn und Hände
Zum Gnadenthor
Vertrau’nd empor,
So macht’s der Herr ihm leicht.

»Amen!« sprachen Sintram und Rolf, die Hände faltend, und während die letzten Accorde der Zither feyerlich verklangen, trat der Kapellan mit dem Vogte langsam und leise in den Saal.

»Ich bringe eine schöne Weihnachtsgabe;« sagte der Geistliche. »Hier kommt einem edlen, verirrten Gemüthe nach langer, schwerer Zeit Versöhnung und Gewissensruhe zurück. Dir, lieber Pilger, gilt es; und du, mein Sintram nimm dir im freudigen Gottvertrauen ein erlabendes Beyspiel daran.«

»Vor mehr als zwanzig Jahren,« hob der Vogt auf des Kapellans Wink zu berichten an, »vor mehr als zwanzig Jahren trieb ich meine Schafe als kecker Hirte das Berggelände hinauf. Da kam ein junger Rittersheld mir nach; sie nannten ihn Weigand den Schlanken; der wollte mir für seine schöne Braut mein Lieblingslämmchen abhandeln, und both mir freundlich viel rothes Gold dafür. Ich wies ihn trotzig ab. Die überkühne Jugend brausete in uns Beyden auf. Sein Schwerthieb schleuderte mich bewußtlos in den Abgrund.«

»Nicht todt?« fragte kaum hörbar der Pilger. »Ich bin kein Gespenst;« entgegnete mürrisch der Vogt, und fuhr alsdann auf einen Wink des Geistlichen demüthiger also fort:

»Langsam und in der Einsamkeit genas ich von dem Gebrauche der Heilmittel, die mir, dem Hirten, in unsern würzigsten Bergthälern leicht zu finden waren. Als ich wieder hervor kam, kannte mich mit meinem vernarbten Antlitze, meinem kahl gewordenen Schädel, kein Mensch. Wohl hörte ich die Kunde durch das Land ziehen, wie um jener That willen Ritter Weigand der Schlanke von seiner schönen Braut Verena verstoßen sey, und wie er sich abhärme, und wie sie in das Kloster wolle, aber ihr Vater sie berede, den großen Ritter Biörn zu ehelichen. Da kam eine entsetzliche Rachsucht in mein Herz, und ich verläugnete Nahmen, Verwandte und Heimath, und trat als ein wildfremder Mann bey dem mächtigen Biörn in Dienst, damit doch ja der schlanke Weigand immer ein Mörder bleibe, und ich mich weiden könne an seinem Jammer. So habe ich mich denn auch geweidet alle diese langen Jahre her, furchtbar geweidet an seiner Selbstverbannung, an seiner trostlosen Heimkehr, an seinem Wahnsinne. Aber heute« – und ein heißer Thränenstrom drang aus seinen Augen – »aber heute hat mir Gott meines Herzens Härtigkeit zerbrochen, und, lieber Herr Ritter Weigand, haltet euch für keinen Mörder mehr, und sagt, daß ihr mir verzeihen wollt, und bethet für den, der euch so entsetzliches Leid angethan hat, und« –

Das Schluchzen hemmte seine Worte. Er sank zu den Füßen des Pilgers nieder, der ihn verzeihend und freudig weinend in seine Arme schloß.


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