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Der Große Kurfürst, nachdem er 1662 Schloß und Gut Caputh erstanden, entäußerte sich, wie in der Kürze bereits angedeutet, desselben wieder und schenkte es »mit allen Weinbergen, Schäfereien und Karpfenteichen« seinem Kammerjunker und Generalquartiermeister de la Chieze. Philipp de la Chieze, dessen Familie aus Piemont stammte, war 1660 aus schwedischem in brandenburgischen Dienst getreten. Er war Oberingenieur, ein bedeutender Baumeister und hatte für den Großen Kurfürsten eine ähnliche Bedeutung, wie sie Rochus von Lynar, hundert Jahre früher, für Joachim II. gehabt hatte. Er beherrschte den Schönbau wie den Festungsbau, führte das Hauptgebäude des Potsdamer Stadtschlosses auf, leitete den Berliner Schloßbau, beteiligte sich an der Ausführung des Friedrich-Wilhelms-Kanals, besserte und erweiterte die Festungen des Landes.
Dies war der Mann, dem die Gnade des Kurfürsten das nur in leisen Zügen noch an alte Kulturtage erinnernde Caputh übergab. Er konnte es in keine besseren Hände geben. Das in Trümmern liegende Schloß – mutmaßlich ein spätgotischer Bau – wurde in modernem Stile wieder aufgeführt und dem ganzen Gebäude im wesentlichen das Gepräge gegeben, das es noch aufweist. Namentlich der »große Saal« erhielt bereits seine gegenwärtige Gestalt, wie wir aus einer alten Notiz ersehen, in der es heißt. »Im Obergeschoß (Hochparterre) befand sich zu seiten des Flurs ein großer Saal durchs ganze Schloß hin, mit zwei Fenstern nach Süden und zweien nach Norden.« – Der Kurfürst war hier oft zu Besuch, namentlich wenn ihn die Jagden nach dem Kunersdorfer Forste führten. Auch den jungen Prinzen wurde zuweilen gestattet, der Einladung des alten de Chieze zu folgen und einen halben Tag, frei von der strengen Aufsicht ihres Hofmeisters, in Caputh herumzuschwärmen. Die Parkanlagen waren damals noch unbedeutend, der Garten nur mit Obstbäumen besetzt.
Der alte de la Chieze starb 1671 oder 1673; Caputh fiel an den Kurfürsten zurück, und er verschrieb es nunmehr seiner Gemahlin Dorothea, die es – insonderheit nach dem Tode ihres Gemahls (1688) – zu ihrem bevorzugten Wohnsitz machte.
Das Schloß, um seinem neuen Zwecke zu dienen, mußte eine erhebliche Umgestaltung erfahren. Was für den in Kriegszeiten hart gewordenen de Chieze gepaßt hatte, reichte nicht aus für eine Fürstin; außerdem wuchsen damals – unter dem unmittelbaren Einflusse niederländischer Meister – rasch die Kunstansprüche in märkischen Landen. Erst funfzig Jahre später, unter Friedrich Wilhelm I. – obwohl er sich rühmte, ein »treu-holländisch Herz« zu haben –, hörten diese Einflüsse wieder auf, und wir verfielen, auf geraume Zeit hin, in die alte Nacht.
Schloß Caputh rüstete sich also zum Empfang einer neuen Herrin. Die Grundform blieb, aber Erweiterungen fanden statt; zwei kleine Eckflügel entstanden, vor allem wurde die innere Einrichtung eine andere. Eine Halle im Souterrain, wo man den Jagdimbiß zu nehmen pflegte, wurde an Wand und Decke mit blaugrünen holländischen Fliesen ausgelegt, die Zimmer des Obergeschosses mit Tapeten behängt und mehrere mit Plafondschildereien geziert. Besonders bemerkenswert war die Ausschmückung des »großen Saales«, ein Deckengemälde, das, seinem Gedankengange nach, an spätere Arbeiten Antoine Pesnes erinnert. Minerva mit Helm, Schild und Speer führt die Künste: Baukunst Skulptur und Malerei, in die brandenburgischen Lande ein; ein gehörntes Ungetüm, halb Luzifer, halb Caliban, entweder den Krieg oder die Roheit oder beides zugleich darstellend, entweicht in Dunkel vor dem aufgehenden Licht. Ähnlich wohlerhalten präsentiert sich ein zweites Bild, im sogenannten »Grünen Zimmer«. Zwei geflügelte Genien halten die umkränzten Bilder von Kurfürst und Kurfürstin in Händen; die Fama bläst mit einer Doppeltuba den Ruhm beider in die Welt hinaus; eine andere geflügelte Gestalt zeigt auf die Chronik ihrer Taten. In einem dritten Gemach, das den Namen des Schlafzimmers der Kurfürstin führt, begegnen wir einem Deckenschmuck aus wahrscheinlich ebendieser Zeit. Außer einem Mittelbilde zeigt er zwei weibliche Figuren: die Nacht, ein Fackellicht tragend, und den Morgen, Rosen streuend, in leicht angehauchtem Gewölk.
Kurfürstin Dorothea starb 1689; beinahe unmittelbar nach ihrem Hinscheiden wurde Schloß Caputh von Kurfürst Friedrich III. erworben, der es nunmehr seiner Gemahlin, der gefeierten Sophie Charlotte, zum Geschenke machte. Es geschah nun Ähnliches wie nach dem Tode von de la Chieze. Die Ansprüche an Glanz und Luxus waren innerhalb der letzten zwanzig Jahre abermals gewachsen, nirgends mehr als am Hofe des prachtliebenden Friedrichs III. Wie das Schloß de Chiezes nicht reich genug gewesen war für Kurfürstin Dorothea, so waren die Einrichtungen dieser wiederum nicht reich genug für die jetzt einziehende Sophie Charlotte. Auch jetzt, wie während der siebziger Jahre, berührten die Ummodelungen, die vorgenommen wurden, weniger die Struktur als das Ornamentale, und wieder waren es in erster Reihe die Deckenbilder, diesmal in allen Räumen, die den ohnehin reichgeschmückten Bau auf eine höchste Stufe zu heben trachteten. Dies Betonen des Koloristischen lag ja im Wesen der Renaissance, die, selbst malerisch in ihren Formen wie kein anderer Baustil, es liebt die Farbe sich dienstbar zu machen.
Ob Kurfürstin Sophie Charlotte noch Zeuge dieser letzten Neugestaltung wurde, die das Schloß in seiner inneren Einrichtung erfuhr, ist mindestens fraglich. Bis 1694 – wo der Stern Charlottenburgs aufging, der zugleich den Niedergang Capuths bedeutete – konnte die Fülle dieser Deckenbilder nicht vollendet sein; die kurze Zeitdauer verbot es. Aber auch der Inhalt dessen, was gemalt wurde, wenigstens jenes hervorragendsten Bildes, das sich in der »großen Porzellankammer« befindet, scheint dagegenzusprechen. Es stellt dar: wie Afrika der Borussia huldigt. Diese, auf Wolken thronend, trägt eine Königskrone und neigt sich einer Mohrenkönigin, zugleich einer Schar heranschwebender schwarzer Genien zu, die mit Geflissentlichkeit die Schätze Indiens und Chinas: Teebüchsen und Ingwerkrüge, sogar ein Teeservice mit Tassen und Kanne, der auf Wolken thronenden Borussia entgegentragen.
Die Königskrone der Borussia, falls es die Borussia ist, deutet unverkennbar auf einen Zeitpunkt nach 1701. Andererseits ist es freilich nicht ganz leicht, in dieser mit einer gewissen souveränen Verachtung der Länder- und Völkerkunde auftretenden Symbolik, die nichts so sehr haßt als Logik und Konsequenz, sich zurechtzufinden.
Kurfürstin Sophie Charlotte verließ schon 1694 Caputh. Aber bis zu ihrem Tode (1705) und noch darüber hinaus, bis zum Tode ihres Gemahls, blieb Caputh ein bevorzugtes Schloß, eine Sehenswürdigkeit von Ruf. Man setzte Summen an seine Instandhaltung, sei es nun, um vorübergehend hier eine Villeggiatur zu nehmen, oder sei es – insonderheit nachdem seine Ausschmückung vollendet war –, um es etwaigem bei Hofe eintreffendem Besuche als ein kleines märkisches Juwel zeigen zu können.
Eine solche Gelegenheit bot sich 1709. Wir finden darüber folgendes. Als in den ersten Julitagen obengenannten Jahres König Friedrich IV. von Dänemark und Friedrich August von Polen auf Einladung Friedrichs I. von Preußen in Potsdam eine persönliche Zusammenkunft hielten (ein großes Staatsbild im Charlottenburger Schlosse stellt diese Begegnung der »drei Friedriche« dar), war der prachtliebende Friedrich, an dessen Hofe diese Vereinigung stattfand, bemüht, seinen Gästen eine Reihe von Festen zu geben. Unter andern ward am 8. Juli auf der prächtigen Yacht, welche im Bassin des Lustgartens lag und mit zweiundzwanzig Kanonen ausgerüstet war, eine Lustfahrt nach Caputh unternommen. Dieses überaus prächtige Schiff, das mit allem nur erdenklichen Luxus ausgestattet war und in der Tat an die Prachtschiffe der alten Phönizier und Syrakuser erinnerte, war in Holland nach Angaben des königlichen Baumeisters und Malers Madderstegh erbaut worden. Man schätzte allein die goldenen und silbernen Geräte, die sich in seinem Innern aufgestellt befanden, auf 100 000 Taler. Auf diesem Schiffe, das eigens dazu gebaut war, die Havel zu befahren, glitten die drei Könige stromabwärts nach dem Lustschlosse von Caputh. Man erging sich in dem inzwischen zu einer baumreichen und schattigen Anlage gewordenen Parkgarten und kehrte gegen Abend zu Tafel und Ball nach Schloß Potsdam zurück.
Wenn dieser Tag in dem historischen Leben Capuths der glänzendste war, so war er auch der letzte. Der König, früh alternd, schloß sich mehr und mehr in seine Gemächer ein; der Sinn für Festlichkeiten erlosch, er begann zu kränkeln; am 25. Februar 1713 starb er. Alle Schlösser standen leer; sie sollten bald noch leerer werden.
Dem prachtliebenden Könige folgte ein Sparsamkeitskönig. Die holländische Yacht im Potsdamer Bassin wurde gegen einige Riesen vertauscht und ging nach Rußland zum Zaren Peter; die großen Schlösser zu Köpenick und Oranienburg, beides Schöpfungen des eben verstorbenen Fürsten, wurden vom Etat gestrichen; was verkaufbar war, wurde verkauft – konnte man sich wundern, daß, bei so veränderten Verhältnissen, das wenigstens seiner Größe und äußeren Erscheinung nach ungleich bescheidenere Caputh mit auf die Liste der Proskribierten gesetzt wurde! Es sank zu einem bloßen Jagdhause herab, an dem alsbald der mit holländischen Fliesen ausgelegte Souterrainsaal, weil sich's drin wie in einem Weinkeller pokulieren ließ, das Beste war. Von seinem alten Bestande über der Erde blieben dem Schlosse nur der Kastellan und die Bilder, wahrscheinlich weil mit beiden nichts anzufangen war. Der Kastellan war ein alter Türke, das rettete ihn; die Deckengemälde aber – in den Schlössern waren ihrer ohnehin mehr denn zuviel, und wenn die Schlösser sie nicht aufnehmen konnten, wer damals in brandenburgischen Landen hätte sein Geld an die sinnbildliche Verherrlichung der Künste, an Minerva und Caliban, an Borussia und die Mohrenkönigin gesetzt! Auch heute noch sind ihrer nicht viele.
Soviel über die historischen vierzig Jahre. Wir schicken uns jetzt an, in das Schloß selbst einzutreten.
Die doppelarmige Freitreppe, wir erwähnten ihrer bereits (schon Sophie Charlotte schritt über diese Stufen hin), ist von Efeusenkern des Hauses derart umrankt und eingesponnen, daß jeden Tragstein ein zierlich-phantastischer Rahmen von hellgrünen Blättern schmückt. Die Wirkung dieses Bildes ist sehr eigentümlich. Eine Treppe in Arabeskenschmuck! Natur nahm der Kunst den Griffel aus der Hand und übertraf sie.
Die Tür des Gartensalons öffnet sich. Freundliche Worte begrüßen uns; wir sind willkommen.
Von einem kleinen zeltartigen Raume aus, der unmittelbar hinter der Freitreppe liegt, treten wir nunmehr unseren Rundgang an. Die Zimmer führen noch zum Teil die Bezeichnungen aus der kurfürstlichen Zeit her: Vorgemach, Schlafzimmer, Cabinet des Kurfürsten, auf dem andern Flügel ebenso der Kurfürstin; dazu Saal, Porzellankammer, Teezimmer. Die meisten Räume quadratisch und groß. Alle haben sie jene Patina, die alten Schlössern so wohl kleidet und angesichts welcher es gleichgültig ist, ob Raum und Inhalt sich in Epoche und Jahreszahlen einander decken. Nicht wie alt die Dinge sind, sondern ob alt überhaupt, das ist es, was die Entscheidung gibt. So auch hier. Die verblaßten oder auch verdunkelten Tapeten, die Gerätschaften und Nippsachen – es sind nicht Erinnerungsstücke genau aus jener Zeit caputhischen Glanzes, aber sie haben doch auch ihr Alter, und wir nehmen sie hin wie etwa einen gotischen Pfeiler an einem romanischen Bau. Beide haben ihr Alter überhaupt, das genügt; und unsere Empfindung übersieht es gern, daß zwei Jahrhunderte zwischen dem einen und dem anderen liegen.
Die Tapeten, das Mobiliar, die hundert kleinen Gegenstände häuslicher Einrichtung, sie sind weder aus den Tagen der strengen noch aus den Tagen der heitern Kurfürstin, die damals hier einander ablösten; die Hand der Zerstörung hat mitleidlos aufgeräumt an dieser Stelle. Aber wohin die Hand der Zerstörung buchstäblich nicht reichen konnte – die hohen Deckengemälde, sie sind geblieben und sprechen zu uns von jener Morgenzeit brandenburgischer Macht und brandenburgischer Kunst. Die großen Staatsbilder haben wir bereits in dem kurzen historischen Abriß, den wir gaben, beschrieben, aber viel reizvoller sind die kleinen. Ich schwelgte im Anblick dieser wonnigen Nichtigkeiten. Kaum ein Inhalt und gewiß keine Idee, und doch, bei so wenigem, so viel! Ein bequemes Symbolisieren nach der Tradition; in gewissem Sinne fabrikmäßig; alles aus der Werkstatt, in der die Dinge einfach gemacht wurden ohne besondere Anstrengung. Aber wie gemacht! welche Technik, welche Sicherheit und Grazie. Wie wohltuend das Ganze, wie erheiternd. Jetzt setzen die Künstler ihre Kraft an eine Idee und bleiben dann, neun Mal von zehn, hinter dieser und oft auch hinter sich selbst zurück. Wie anders damals. Die Maler konnten malen und gingen ans Werk. Kam ihnen nichts, nun, so war es immer noch eine hübsche Tapete; erwies sich aber die Stunde günstig, so war es wie ein Geschenk der Götter.
So Großes fehlt hier; aber auch das Kleine genügt. Genien und wieder Genien, blonde und braune, geflügelte und ungeflügelte, umschweben und umschwirren uns, und die Guirlanden, die sich zwischen den Fingerspitzen der lachenden Amoretten hinziehen, sie haben eine Pracht und Wahrheit der Farbe, daß es ist, als fielen noch jetzt die Rosen in vollen roten Flocken auf uns nieder. Im Teezimmer bringt eine dieser geflügelten Kleinen ein Tablett mit blaugerändertem Teezeug – selbst Boßdorf, als er sein Riesentablett der Lautenschlägerin präsentierte, hätte von diesem Liebling der Grazien lernen können.
Diese Zeit sinnlich blühender Renaissance, sie ist dahin. Was wir jetzt haben, mit allen unsren Prätensionen, wird nach zweihundert Jahren schwerlich gleiche Freude und Zustimmung wecken.
Es war Mittag, als wir wieder auf die Freitreppe hinaustraten. Der Himmel hatte sich bezogen und gestattete jetzt einen unbehinderten Blick auf das weite Wasserpanorama.
Die holländische Yacht, mit drei Königen und einem ganzen Silbertresor an Bord, steuerte nicht mehr havelabwärts; aber statt ihrer schwamm eine ganze Flottille von Havelkähnen heran, und am Horizonte stand in scharfen Linien steifgrenadierhaft die Garnisonkirche von Potsdam: das Symbol des Jüngstgeborenen im alten Europa, des Militärstaats Preußen.