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Der Graf Hordt hatte in Berlin eine reiche Witwe geheiratet, die schon drei Männer und darunter einen Herrn von H. gehabt hatte. Der Sohn dieser Dame, Lieutenant im Regiment Gensdarmes, sollte nun Sacrow bewirtschaften.
Den sechsten Sonntag Trinitatis hielt ich in Sacrow Abendmahl. Herr von H., der nunmehrige Besitzer, war da, und ich speiste wie gewöhnlich bei ihm. Ein Lieutenant, Herr von Sobbe, vom Regiment Herzog Friedrich, ingleichen ein Frauenzimmer waren auch da. Über Tisch kam eine Amme herein mit einem Kinde. »Es ist mein Sohn«, sagte er. Und nun hätte ich nur fragen dürfen: »Und die Mutter?« Aber ich vermied alle Weitläufigkeit. Es war ein allerliebstes Kind. Das Frauenzimmer wird Mamsell genannt.
Sonntag, den 15. September, war ich wieder in Sacrow. Traf niemand. Der Lieutenant war abermals des Morgens um acht Uhr weggefahren. Auch war der Graf Hordt zweimal dagewesen, einmal mit seiner Gemahlin. Nach mir hat er nicht gefragt. Des Morgens kommen sie an, besehen sich, essen zu Mittag, fahren wieder ab.
Weihnachten 87. Den 29. Dezember taufte ich des Küsters Söhnlein. Herr von H. war Gevatter und schickte seinen Jäger. Er kam mit der Mamsell ins Küsterhaus, als wir uns eben zu Tische setzen wollten. Sie blieb, er ging weg; dann kam er noch mal und ließ sie herausrufen. Sie kamen nicht wieder.
(1788.) Neujahr. Der Herr Lieutenant war da, fuhr aber unter der Kirche ab.
Sexagesima. Es fiel mir diesmal auf: gerade in der Minute, da ich an dem einen Ende hereinkam, fuhr der Dorfherr zum andern heraus. Seit dem fünfundzwanzigsten Sonntag Trinitatis vorigen Jahres hatte ich ihn nicht gesehen.
Elften Sonntag Trinitatis hielt ich Abendmahl. Dann ins Schloß. Nebst der Herrschaft war zu Tische Herr Jäger Sonnenberg aus Gatow, cum uxore. Den 4. August fuhr ich nach Döberitz. Unterdes war Herr von H. cum amasia hier gewesen.
Den zweiten Advent hielt ich Abendmahl. Der Herr Inspektor Schübe speiste mit. Er kommunizierte mir die Memoiren d'un comte suédois. Der schwedische Graf schließt mit folgenden Versen:
Las d'espérer et de me plaindre
Des grands de la terre et du sort, C'est ici que j'attends la mort, Sans la souhaiter, sans la craindre. |
Den 28. November starb zu Lentzke Frau Marie Luise, geborne von Schlegel, verehelichte Baronesse von Fouqué, im neunundvierzigsten Jahre ihres Alters, nach einem sechswöchentlichen Krankenlager.
(1789.) Den 11. Januar. Wegen des außerordentlich vielen Schnees konnte ich ohne Lebensgefahr weder auf Weihnacht noch Neujahr nach Sacrow fahren. Heute wagte ich es, weil der Einwohner Weber gern seinen verstorbenen Sohn feierlich beerdigen lassen wollte. Ich predigte und begrub. Der Herr des Gutes war da. Ich ging nachher herauf, traf ihn cum annexis. 25. Januar. Der Weg war überaus beschwerlich. Ich fuhr anderthalb Stunde. Er und sie waren da. Zwischen dem 11. und 25. war das zweite Kind verstorben. Man überreichte mir eine kleine Summe Geld und sagte: »Für den verstorbenen Junker.«
8. März. Predigt über die Epistel. Er war nicht da, hat in Berlin abermals einen Sohn taufen lassen. – Schwerer Tag für mich. Bittre Kälte, dabei Ostwind. Ich fuhr also gegen den Wind und war schon seit acht Uhr in der Arbeit und Kälte gewesen. Fünf Frauen und sechs Männer kamen zur Kirche. Mein Körper fror zusammen; meine Seele war ganz niedergeschlagen. Fand nirgends ein freundlich Gesicht. Auch du, Sacrow, so klein du bist, auch du bist seit 1776 herabgesunken. Die Exempel deiner Vorgesetzten haben dich verdorben. Unter Hordt war Sacrow fromm, denn er war zu der Zeit bigott. Unter Fouqué ward es leichtsinnig, endlich frech. Der Küster hatte oft nur drei Zuhörer. Das Verständnis der Baronin mit dem Grafen Schmettau wirkte schädlich auf die Sitten. Unter von H. ist alles frank und frei.
12. April. Ostertag. Achtundvierzig Zuhörer. Er hatte Fremde aus Berlin. Welch Exempel geben unsere Vorgesetzten!
Pfingsten. Der Herr Superintendent hat am Himmelfahrtstage mit außerordentlicher Lobeserhebung vom Könige und seiner Gottesfurcht gesprochen, da er einen seit zehn Jahren abgeschafften Fasttag wiederhergestellt hat. Was doch alles vorkommt!
Den 30. August, nachmittags drei Uhr, traute ich den Jäger Lindner. Es war wie Jahrmarkt und Puppenspiel. Der Roggenkranz hatte Hunderte von Potsdamern nach Sacrow gezogen. Die Kirche war so voll, daß ich kaum mein Plätzchen vor dem Altare behielt; Toben, Schreien der Kinder, Lachen über meine Worte, alles machte, daß ich mich kurz faßte. Die Braut war ein Affe; sie zog sich die Handschuh an, anstatt sich die Hände zu geben. An ebendem Tage hat der Oberst von Winning auf Glienicke seinem Jäger die Hochzeit gemacht, auf eine anständige Art. Die Gemeinde war aufs Schloß invitieret. Er und sein Sohn führten den Bräutigam in den Saal, sie und die älteste Tochter die Braut. Es wurde ordentlich gesungen, geopfert, alles gespeiset.
(1790.) Den ersten Epiphanias hielt ich Abendmahl. Der Herr Baron von H. ging auch mit, kniete sogar mit vor dem Altar. Im übrigen war er noch geiziger wie Graf Hordt. Zu Tische war der Herr Lieutenant von Öttinger mit. Mamsell war so beredt, wie die Hausfrau zu sein pflegt. Man nahm es mir recht im Ernst übel, daß ich meine Tochter nicht mitgebracht hatte, denn man hatte sie namentlich invitieret.
20. November. In der Berlinischen Zeitung hieß es heute: »Seine Königliche Majestät haben den einzigen Sohn des verstorbenen Geheimen Legationsrats und Gesandten am dänischen Hofe, Herrn August Ferdinand von H., Erbherrn auf Sacrow, aus ganz besonderen Gnaden und in Rücksicht der von seinen Voreltern dem königlichen Hause geleisteten distinguierten Dienste in den Grafenstand allergnädigst erhoben. Der Großvater des Grafen mütterlicherseits war Heinrich Graf von Podewils. Erster Cabinetsminister, welche Würde er dreißig Jahre bis zu seinem Tode bekleidet hat.«
(1791.) Am Sonntag Reminiscere, den 20. März, war der Jäger Lindner betrunken und haselierte mit den beiden Frauensleuten rechts und links ganz unverschämt. Ich ärgerte mich gewaltig und schalt ihn. Der Jäger wollte mich später zur Rede setzen. Ich schrieb darüber an die Herrschaft. Den nächsten Sonntag kamen sie hierher und sagten: »daß sie die Leute, die den Lärm unterstützt, gerichtlich wollten bestrafen lassen«. Das ist geschehen. Den Jäger Lindner hat er ans Regiment abgeliefert, weil er in all den vorgekommenen Fällen als Urheber befunden worden ist. Sein Intimus Plage hat am Sonntage vor der Kirchtür etliche Stunden mit einem Zettel vor der Brust gestanden, rechts und links ein Gerichtsdiener.
Meine Pfarre ist eine beschwerliche Pfarre. Sacrow (nur Filial) liegt eine Meile ab, auf einer Straße, die niemand bereiset als ich, was denn beim Schnee desto beschwerlicher fällt, noch dazu, da es durch die Heide geht, wo der Wind oft sehr zusammendeilt. Es ist in allem Betracht ein verdrießlich Filial, und doch muß ich es alle vierzehn Tage bereisen. Gott! du weißt es, wie ich dann den ganzen Tag über vom Morgen bis Abend fahren und reden muß, wie sauer es mir jetzt wird in der Hitze des Sommers, in der Kälte des Winters. Aber du weißt es auch, Gott, wie treu ich darin gewesen bin, auch für Sacrow, das mein Vorgänger nur sah, wenn die Herrschaften da waren. Und doch achten sie mich gering und versagen mir das Kleinste. Werd ich eine Wandlung erleben? Nein.