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Valentin war der letzte Abt des Klosters. Die Erscheinung, die sich so oft wiederholt, daß ersterbende Geschlechter und Institutionen vor ihrem völligen Erlöschen noch einmal in altem Glanze aufblühen, wiederholte sich auch hier, und die mehr denn dreißigjährige Regierung des Abtes Valentin bezeichnet sehr wahrscheinlich den Höhenpunkt im Leben des Klosters überhaupt. Freilich haben wir dabei die glänzende fünfundzwanzigjährige Epoche bis 1535 von der darauf folgenden kurzen Epoche bis 1542, die schon den Niedergang bedeutet, zu trennen.
Wir sprechen von der Glanzepoche zuerst. Der Besitz – nach den kurzen Gefährdungen während der Quitzow-Zeit – war von Jahrzehnt zu Jahrzehnt gewachsen und umfaßte in den Jahren, die der Reformation unmittelbar vorausgingen, zwei Marktflecken, vierundsechzig Dörfer, vierundfünfzig Fischereien, sechs Wasser- und neun Windmühlen, vierzehn große Forsten, dazu weite Äcker, Wiesen und Weinberge. Jeder Zweig des Betriebs stand in Blüte; die Wolle der reichen Schafherden wurde im Kloster selbst verarbeitet, und die treffliche Wasserverbindung, mittelst der Seen in die Havel und mittelst der Havel in die Elbe, sicherte dem Kloster Markt und Absatzplätze.
Reich und angesehen wie das Kloster, so angesehen und verehrt war sein Abt. Das Volk hing ihm an, und der Kurfürst Joachim I. – der ihn seinen »Gevatter« nannte, seit Abt Valentin bei der Taufe des zweiten kurfürstlichen Prinzen, des späteren Markgrafen Johann von Küstrin, als Taufzeuge zugegen gewesen war – war dem Abt zu Willen in vielen Stücken. 1509 sprach Joachim die Befreiung des Klosters von kurfürstlichem Jagdeingelage »auf Lebenszeit des Abtes« aus, und 1515 ging er weiter und machte aus der zeitweiligen Befreiung eine Befreiung auf immer. Daß das Kloster selber den Tod Valentins nicht überleben würde, entzog sich damals, 1515, noch jeder Berechnung und Voraussage. Die Wirren und Kämpfe, die bald folgten, ketteten den Kurfürsten, so scheint es, nur fester an unseren Lehniner Abt, und wir dürfen wohl annehmen, daß die Ratschläge dieses seines »Rates und Gevatters« nicht ohne Einfluß auf die Entschlüsse waren, die ihn, der Strömung der Zeit und den Verschwörungen der Kurfürstin gegenüber, bei der alten Lehre beharren ließen. Dies einfach als Hartnäckigkeit zu deuten wäre Torheit; es war das Wirken einer festen Überzeugung, was ihn das Schwerere wählen und – gegen den Strom schwimmen ließ. Joachim, fest wie er in seinem Glauben war, war auch fest in seiner Liebe zu Kloster Lehnin, und wiewohl er sich mit keiner Idee lieber und herzlicher getragen hatte als mit der Gründung eines großen Domstiftes zu Cölln an der Spree (wie es später unter Joachim II. auch wirklich ins Leben trat), so wollte er doch in Lehnin begraben sein, an der Seite seines Vaters, in der Gruft, die schon die alten Askanier ihrem Geschlecht erbaut hatten.
Und unser Lehniner Abt, wie er all die Zeit über der Vertraute seines Fürsten war, so war er auch der Vertrauensmann der Geistlichkeit und der zunächst Auserwählte, als es galt, den »mönchischen Lärmen« zu beschwichtigen, der in dem benachbarten Wittenberg immer lauter zu werden drohte. Unser Abt schien in der Tat vor jedem andern berufen, durch die Art seines Auftretens, durch Festigkeit und Milde, dem »Umsichgreifen der Irrlehre«, wie es damals hieß, zu steuern, und als Beauftragter des Brandenburger Bischofs Hieronymus Scultetus erschien er in Wittenberg, um den Augustinermönch zu warnen. Sein Erscheinen scheint nicht ohne Einfluß auf Luther geblieben zu sein, der nicht nur seinem Freunde Spalatinus bemerkte: »wie er ganz beschämt gewesen sei, daß ein so hoher Geistlicher (der Bischof) einen so hohen Abt so demütig an ihn abgesandt habe«, sondern auch am 22. Mai 1518 dem Bischof von Brandenburg schrieb: »Ich erkläre hiermit ausdrücklich und mit klaren Worten, daß ich in der Sache des Ablasses nur disputiere, aber nichts feststelle.«
Abt Valentin, wie wir annehmen dürfen, ging viel zu Hofe, aber wennschon er häufiger in dem Abthause zu Berlin als in dem Abthause des Klosters selber anwesend sein mochte, so war er doch nicht gewillt, um Hof und Politik willen den unmittelbaren Obliegenheiten seines Amtes, der Fürsorge für das Kloster selber, aus dem Wege zu gehen. Wir sehen ihn, wie er sich das Wachstum, die Gerechtsame, vor allem auch die Schönheit und die Ausschmückung seines Klosters angelegen sein läßt; er schenkt Glocken, er errichtet Altäre, vor allem zieht er die unter Dürer, Cranach, Holbein eben erst geborene deutsche Kunst in seinen Dienst und ziert die Kirche mit jenem prächtigen Altarschrein Dieser Altarschrein, der jetzt eine Zierde und Sehenswürdigkeit des schönen Brandenburger Domes bildet, hat eine Höhe von etwa neun Fuß bei zirka zwölf Fuß Breite. Die Einrichtung ist die herkömmliche: ein Mittelstück mit zwei Flügel- oder Klapptüren, die je nach Gefallen geöffnet oder geschlossen werden können. Das Mittelstück zeigt in seiner schreinartigen Vertiefung die Gestalt der Heiligen Jungfrau; rechts neben ihr Paulus mit dem Schwert, zur Linken Petrus mit dem Schlüssel. Diese drei Figuren sind Holzschnitzwerk, bunt bemalt, mehr derb charakteristisch als schön. Der hohe Kunstwert des Schreins besteht lediglich in der Schönheit der Malereien, die sich auf beiden Flügeln, und zwar auf der Vorder- wie auf der Rückseite derselben, befinden. Sind diese Flügel, wie gewöhnlich, geöffnet, so erblicken wir die beiden besonderen Schutzheiligen der Zisterzienser, dein heiligen Benedikt, aus dessen Orden sie hervorgingen, und den heiligen Bernhard, der den Orden zu höchstem Glanz und Ansehen führte. (Die Zisterzienser werden deshalb auch oft Bernhardiner genannt.) Neben den beiden Heiligen stehen die Gestalten der Maria Magdalena und der heiligen Ursula. Auf der Rückseite befinden sich: der heilige Gregorius, Sankt Ambrosius, Sankt Augustinus und der heilige Hieronymus, lauter Kirchenväter, die zu dem Klosterleben der katholischen Kirche in besonderer Beziehung stehn. Die Köpfe aller dieser Gestalten, besonders der des Sankt Benedikt und des heiligen Bernhard (die Frauenköpfe sind weniger vollendet), haben immer für Meisterwerke gegolten, und man hat sie, ebenso um ihrer Ausführung wie um ihrer Charakteristik willen, abwechselnd dem Albrecht Dürer, dem Lucas Cranach und endlich dem Grünewald, einem der besten Schüler Dürers, zugeschrieben. Der letzteren Ansicht ist Ernst Förster in München. Grünewald war allerdings speziell durch seine Charakterisierung der Köpfe ausgezeichnet. , der, bis auf diesen Tag, wenn auch an anderem Ort, als ein Kunstwerk ersten Ranges erhalten, damals der Stolz des Klosters, die Bewundrung der Fremden war. Die wohlerhaltene Unterschrift: »Anno dom. 1518 sub d. Valentino abbate«, hat in aller Sichtlichkeit den Namen Abt Valentins bewahrt.
Über fünfundzwanzig Jahre waren die Wirren der Zeit an Abt Valentin vorübergegangen, das Ausharren seines kurfürstlichen Herrn hatte ihn vor den schwersten Kümmernissen bewahrt, da kam, fast unmittelbar nach dem Regierungsantritt Joachims II., die sogenannte »Kirchenvisitation«, und auch Lehnin wurde ihr unterworfen. Man verfuhr nicht ohne Milde, nicht ohne Rücksicht in der Form, aber in Wahrheit erschienen die Visitatoren zu keinem andern Behuf, als um dem Kloster den Totenschein zu schreiben. Draußenstehende fingen an, es in ihre »Obhut« zu nehmen, man stellte es unter Kuratel. Es wurde dieses »Inobhutnehmen« von Abt und Kloster auch durchaus als das empfunden, was es war, und ein schwacher Versuch der Auflehnung, ein passiver Widerstand, wurde geübt. Als es sich darum handelte, einem der Klosterdörfer einen neuen Geistlichen zu geben, wurde der alte Abt Valentin aufgefordert, die übliche Präsentation, die Einführung des Geistlichen in die Gemeinde, zu übernehmen. Abt Valentin lehnte dies ab, weil er es verschmähte, der Beauftragte, der Abgesandte protestantischer Kirchenvisitatoren zu sein. Darüber hinaus aber ging er nicht. Zu hofmännisch geschult, um dem Sohn und Nachfolger seines heimgegangenen Kurfürsten eine ernste Gegnerschaft zu bereiten, zu schwach für den Kampf selbst, wenn er ihn hätte kämpfen wollen, unterwarf er sich dem neuen Regiment, und schon zu Neujahr 1542 bittet er den Kurfürsten nicht nur: »ihm und seinem Kloster auch bei veränderten Zeitläuften allezeit ein gnädigster Herre zu sein«, sondern fügt auch den Wunsch bei, »daß Seine Kurfürstliche Durchlaucht ihm und seinen Fratribus, wie bisher, etliches Wildpret verehren möge«.
So verläuft der Widerstreit fast in Gemütlichkeit, bis im Laufe desselben Jahres der alte Abt das Zeitliche segnet. Sein Tod macht den Strich unter die Rechnung des Klosters. Keine Rücksichten auf den »alten Gevatter des Vaters« hemmen länger die Aktion des Sohnes, und der Befehl ergeht an die Mönche: keinen neuen Abt zu wählen. Den Mönchen selber wird freigestellt, ob sie »bleiben oder wandern« wollen, und die Mehrzahl, alles was jung, gescheit oder tatkräftig ist, wählt das letztere und wandert aus. Eine Urkunde vom 8. Dezember 1542 hat uns die Namen von zehn Klosterbrüdern aufbewahrt, die, mit Geld und Kleidung (»mehr, als wir verhofft«) ausgerüstet, Lehnin verließen und in die Welt gingen. Es waren: Kaspar Welle, Christoph Brun, Martin Uchtenhagen, Joachim Kersten, Joachim Sandmann, Gregorius Kock, Wipertus Schulte, Heinrich Forten, Maternus Meier, Valentin Vissow. Dazu kamen später: Steffen Lindstedt und Johannes Nagel, beide aus Stendal, feiner Gerhard Berchsow und Hieronymus Teuffel. Einige von diesen Namen: Uchtenhagen, Lindstedt, Teuffel, waren Adelsnamen, doch ist nicht zu ersehn, ob die obengenannten drei von adliger oder bürgerlicher Abkunft waren. Im allgemeinen traten hierlands fast nur Bürgerliche in den Zisterzienserorden ein, während sich in den Nonnenklöstern desselben Ordens fast nur die Töchter adeliger Familien befanden.
Die Alten blieben. Ob sie im Kloster selber ruhig weiterlebten oder aber, wie andrerseits versichert wird, in dem dritthalb Meilen entfernten, dicht bei Paretz gelegenen Klosterdorfe Neu Töplitz sich häuslich niederließen, ist nicht mehr mit voller Gewißheit festzustellen gewesen. Gleichviel aber, wo sie den Rest ihrer Tage beschlossen, sie beschlossen sie ruhig, friedfertig, ergeben, ohne jede Spur von Märtyrerschaft, ohne den kleinsten Schimmer von jenem Goldglanz um ihr Haupt, den zu allen Zeiten das Einstehn für eine Idee verliehen hat.
Die letzten Lehniner standen für nichts ein als für sich selbst, und das letzte Lebenszeichen, das wir, überliefert von ihnen, besitzen, ist eine Bitte des »Priors, Subpriors und Seniors, so zu Lehnin verharren«, worin sie ihren gnädigsten Herrn und Kurfürsten ersuchen, unter vielen andern Dingen jedem einzelnen auch folgendes zu gewähren:
Mittagessen: vier Gerichte; Abendessen: drei Gerichte; Bier: eine Tonne wöchentlich; Wein: acht Tonnen jährlich; außerdem zu Neujahr und zu Mitfasten einen Pfefferkuchen.
So erlosch Lehnin. Das vierhundertjährige Klosterleben, das mit der Ermordung Abt Sibolds begonnen hatte, schrieb zum Schluß einen Bitt- und Speisezettel, es den Räten ihres gnädigsten Kurfürsten überlassend, »an den abgemeldeten Artikeln zu reformieren nach ihrem Gefallen«.