Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Schwielow und seine Umgebung

Der Schwielow

Mit der Wasser Steigen steigt auch das Gefühl ihm seiner Kraft,
Und der Damm, er ist zertrümmert, und durchbrochen ist die Haft.
»Der Wenersee«

Sieh den Schwan,
Umringt von seiner frohen Brut
Sich in den roten Widerschein
Des Himmels tauchen! Sieh, er schifft
Zieht rote Furchen in die Flut
Und spannt des Fittichs Segel auf. (»Irin«)
Ewald von Kleist

Der Schwielow ist eine Havelbucht im großen Stil wie der Tegler See, der Wannsee, der Plauesche See. Allesamt sind es Flußhaffe, denen man zu Ehre oder Unehre den Namen »See« gegeben hat. In etwaige Rangstreitigkeiten treten wir nicht ein; sie mögen unentschieden bleiben wie andere mehr.

Unter allen Havelbuchten, welchen Namen sie immer führen mögen, ist der Schwielow die größte und sehr wahrscheinlich auch die neueste. Vielleicht zählt dies weite Wasserbecken noch keine tausend Jahre, keinenfalls geht es weit in die Vorgeschichte zurück. Mannigfachen Anzeichen nach ging in den ersten Jahrhunderten unserer Zeitrechnung die südliche Ausbuchtung der Havel nur etwa eine Meile über Potsdam hinaus, und ein Erdwall, über dessen Ausdehnung und Beschaffenheit es nutzlos wäre zu konjekturieren, schob sich etwa in Höhe des Dorfes Caputh trennend zwischen die höher gelegene Havel im Norden und ein tiefer gelegenes Moorland im Süden. Da, in einer Sturmnacht, stauete ein Südwest die ihm entgegenfließenden Havelwasser bis an die Potsdamer Enge zurück, und plötzlich umschlagend in einen eisigen Nordnordost, stieß er die aufgetürmte Wassermasse mit solcher Gewalt gegen den Erdwall, daß dieser zerbrach und die bis dahin abgedämmten Havelwasser wie aus einem Schleusenwerk sich in das tiefer gelegene Moorbecken ergossen. In jener Nacht wurde der Schwielow geboren.

Im Einklange hiermit ist es, daß die weite Wasserfläche, die jetzt diesen Namen führt, mehr durch ihre Masse als durch ihre Tiefe imponiert: der Schwielow hat ganze Striche, wo man Grund fühlen, noch andere, wo man ihn durchwaten kann. Unter allen unsren Seen kommt er dem Müggelsee am nächsten. An Fläche und Ausdehnung diesem Könige der märkischen Gewässer nah verwandt, weicht er im Charakter doch völlig von ihm ab. Die Müggel ist tief, finster, tückisch – die alten Wendengötter brauen unten in der Tiefe; der Schwielow ist breit, behaglich, sonnig und hat die Gutmütigkeit aller breit angelegten Naturen. Er hält es mit leben und leben lassen; er haßt weder die Menschen noch das Gebild aus Menschenhand; er ist das Kind einer andern Zeit, und der Christengott pochte vielleicht schon an die Tore, als er ins Dasein trat.

Der Schwielow ist gutmütig, so sagten wir; aber wie alle gutmütigen Naturen kann er heftig werden, plötzlich, beinahe unmotiviert, und dann ist er unberechenbar. Eben noch lachend, beginnt ein Kräuseln und Drehen, nun ein Wirbel, ein Aufstäuben, ein Gewölk – es ist, als führe eine Hand aus dem Trichter, und was über ihm ist, muß hinab in die Tiefe. In solchen Augenblicken gibt er der Müggel nichts nach. Es gibt ganze Linien, wo die gescheiterten Schiffe liegen.

Ihn zu befahren in seiner ganzen Breite war seit lange mein Wunsch. Heute bot sich die Gelegenheit. Der Wind war gut, ein regelrechter Südost. An der Fährstelle zu Caputh lag das Boot; grün und weiß die Planken und Ruder; das Segel war noch an den Mast gebunden. Wir stiegen ein zu dritt, mit uns die Söhne des Fährmanns, drei junge Caputher Midshipmen zwischen zehn und vierzehn, die auf dem Schwielow für den vaterländischen Dienst sich vorbereiten, wie einst der Peipus die Hohe Schule war für die werdende russische Flotte. Sie hatten bereits die Ruhe des Seemanns; dazu blaue Mützen mit Goldstreif und den Anker daran. Der Älteste nahm den Platz am Steuer; nun los die Bänder, der Wind fuhr in das flatternde Segel, und wie ein Pfeil glitten wir über die breite Fläche hin. Der Fährmann, eine prächtige Gestalt, stand am Ufer und wünschte gute Fahrt. Wir gaben Antwort mit Hohiho und Mützenschwenken.

Eine Weile ging das Geplauder, aber bald wurden wir still. Wir waren jetzt in der Mitte des Sees, die Sonne stand hinter einem Gewölk, so daß alles Glitzern und Blenden aufhörte, und nach links hin lag jetzt in Meilentiefe der See. Ein Waldkranz, hier und da von einzelnen Pappeln und Ziegelessen überragt, faßte die weiten Ufer ein; vor uns, unter Parkbäumen, Petzow und Baumgartenbrück, nach links hin, an der Südspitze des Sees, das einsame Ferch.

Dieser einsame Punkt war mit unter den Lieblingsplätzen Friedrich Wilhelms IV., der in Sommertagen, wenn er abends zu Schiff in die Havelseen hinausfuhr, gern hier anlegte und seine Teestunde in engstem Kreise verplauderte. Noch zeigt eine umfriedete Stelle den Platz am Abhang, wo er zu sitzen und das schöne Bild zu überblicken liebte.

Jetzt lag die Breite des Sees hinter uns; noch durch einen Schilfgürtel hindurch, und wir glitten das schlammige Ufer hinauf; nur der Stern des Kahns lag noch im Wasser. Hügelan steigend, suchten wir eine schattige Stelle unter dem Dach zweier halb zusammengewachsener Akazienbäume und sahen nun hinaus auf die blanke Fläche, auf das Spiel wechselnder Farben und auf das stille Leben, das darüber hinglitt. Blaue Streifen zogen sich durchs Grau, dann umgekehrt, und quer durch diese Linien, über die das Licht hinglitzerte, kamen und gingen die Schiffe. Die Segel standen blendend weiß in der Sonne.

Stunde und Stimmung waren günstig zum Plaudern. Unser Schwielow-Führer nahm das Wort, und an den Hand des Schattens tretend, der unsern Platz umzirkelte, hob er jetzt geschäftig an: »Dort wo Sie den grauen Streifen sehen, fast in der Mitte, aber mehr nach Caputh zu, dort liegen die Schiffe, die der Schwielow hinabgerissen; was er hat, das hält er fest; er gibt sie schwer wieder heraus. Und doch soll er's, und doch wird er darum angegangen. Die Versicherungsgesellschaften setzen ihm scharf zu und fragen nicht lange, ob er will oder nicht. Es ist noch nicht lange, da haben sie's wieder versucht. In Caputh gibt es immer einen Freudentag; ob's glückt oder nicht, es bringt uns Geld ins Dorf.«

»Wie werden denn diese Hebungsversuche gemacht?«

»Das ist einfach genug. Eines Tages erscheinen zwanzig Mann oder mehr, und mit ihnen kommen zwei große, starke Havelkähne, mit hohen Wänden, zugleich mit allerhand Maschinen und Hebevorrichtungen an Bord. Nun legen sich die beiden Havelkähne zu seiten des untergegangenen Schiffes, von einem Kahn zum andern werden drei starke Bohlenbrücken gelegt und auf diese Brücke drei Drehbassen gestellt. Ein Assekuranz-Taucher, der immer mit zur Stelle ist und zu den Hauptfunktionären zählt, tritt nun seine Niederfahrt an, und unter dem Rumpf des gesunkenen Schiffes hinweg – an den Stellen, die oben den drei Brückenlagen entsprechen – zieht er jetzt drei eiserne Ketten, die nunmehr jede einzelne zusammengeknotet und an dem Kranhaken befestigt werden. Nun beginnen die Drehbassen ihr Werk. Geht alles gut und denkt der Schwielow bei sich: ›nun meinetwegen‹, so bringen sie das Schiff heraus und halten es zwischen den beiden gesunden Kähnen fest, bis die Ladung geborgen ist; ist aber der Schwielow schlechter Laune und weiß er's dahin einzurichten, daß der eine Kran schärfer anzieht als der andere, so ist alles verloren: das Schiff zerbricht, die Ladung geht in die Tiefe, und die Trümmer treiben umher. Wie es mit dem Strandrecht am Schwielow steht, kann ich nicht sagen.«

So ging die Rede. Noch manches Wort fiel, vom Ziegelbetrieb, von Maulbeerbäumen und Seidenzucht, vom Kornhandel nach Sachsen, vom Weinbau, der einst an diesen Hügelhängen blühte, zuletzt von der Jagd und den Wilderern am Schwielow hin.

»Sie treiben's arg«, hob unser Erzähler wieder an. »In den kleinen Ortschaften, da, südlich über Ferch hinaus, da sitzen sie; jeder kennt sie, aber keiner kann es beweisen. In Kittel oder Joppe geht es zum Tor hinaus, tausend Schritt weiter hin, unter einem dichten Wacholderbusch, hat er seine Büchse vergraben; nun holt er sie aus Moos und Erde hervor, und – der Wilderer ist fertig. Ja, ihr Herrn Berliner« – und dabei hob er scherzhaft den Finger gegen mich –, »um euren Festbraten säh es schlecht aus, wenn die Wilderer nicht wären und ihren Hals dransetzten. Wenn der Rehrücken erst auf der Tafel steht, schmeckt's keiner mehr, wessen Blei ihn getroffen. Manch einem mundet's auch wohl um so besser, je mehr er weiß, es ist so was wie verbotene Frucht. Aber sie zu pflücken ist mühevoll; das muß wahr sein. Der Förster da unten ist ihnen zu hart auf der Spur, der versteht keinen Spaß, ›du oder ich‹; zwei haben's schon bezahlen müssen, und beide Male haben ihn die Gerichte freigesprochen. Es ist ein eigen Ding um Menschenblut. Ich hätt's nicht gern an meinen Händen. Aber am Ende, wenn's hieße: meins oder deins, ich dächt auch lieber: deins.«

Unser Auge hatte sich unwillkürlich nach Ferch hinüber gerichtet; ein Schuß, der in den weiten Waldungen widerhallte, durchzitterte uns leise. Die Sonne neigte sich; in einer Viertelstunde mußte sie unter sein. Wir eilten zu unserm Boot und nahmen, uns rückwärts setzend, unseren Blick gegen Westen, um vom Wasser aus dem Schauspiel folgen zu können.

Noch eh wir die Mitte des Sees erreicht, hing der rote Ball über dem Sparren- und Schattengerüst der Zugbrücke von Baumgartenbrück, während das glühende Spiegelbild der Sonne nur drei Handbreit tiefer stand. Die eine Sonne dicht über dem Horizont, die andere dicht über dem Wasser, und nur der schwarze Streifen des Brückengebälks zwischen beiden!

Nun unter. Die Nebel fingen an, leise zu brauen. Ein Schleier über Wasser und Wald; Ferch dämmerte immer unbestimmter herauf; nur am Caputher Ufer war es noch hell.

Welch Bild jetzt! Da, wo das »Gemünde«, das tiefgehende eigentliche Fahrwasser, das aus der Havel in den Schwielow führt, sich als ein blauer Streifen markiert, zogen in langen Rudeln die Havelschwäne; zu beiden Seiten des »Gemündes« aber, an den einfassenden seichten Stellen Spalier bildend, blühten in dichten Guirlanden die weißen Teichrosen aus dem Wasser auf. In einiger Entfernung war es nicht zu unterscheiden, wo das Blühen aufhörte und das Ziehen und Schwimmen begann. Und durch all das Weiß hin, das eben jetzt einen leisen Schimmer der scheidenden Abendröte trug, schob sich unser Kahn an die Caputher Fähre heran, und der Fährmann, am Ufer unser harrend, hieß uns willkommen und beglückwünschte uns als »wieder zurück vom Schwielow«.


 << zurück weiter >>