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Diese Schriften riefen im gegnerischen Lager, also unter Freimaurern und Rationalisten, einen Zorn hervor, den wir in unsern Tagen, wo dergleichen in offener Befehdung der Gegensätze jeden Tag gedruckt wird, einfach nicht zu fassen vermögen, wenn wir nicht gegenwärtig haben, wer jene Schriften schrieb, wer Chrysophiron war und welche staatliche Gewalt schützend hinter diesem Orden der Gold- und Rosenkreuzer stand. Dies alles waren nicht Blasen, die ein beliebiger Sektengeist warf, sondern diese Anschauungen herrschten an oberster Stelle, drohten in Edikten und Gesetzen bestimmend, maßgebend für Millionen Andersdenkender zu werden und traten schließlich wirklich als Landesgesetze in Kraft. Hinter dieser Rosenkreuzerei standen auf länger denn zehn Jahre hin die Machthaber Preußens: der König, Wöllner, Bischofswerder, Chrysophiron war Pseudonym für Wöllner.
Dies wird genügen, die oben erwähnte bittre Feindschaft zu erklären, die durch die liberale Welt ging. In Frankreich der Sieg des Voltairianismus bis in seine letzten Konsequenzen und – in Preußen, an dessen Spitze beinah fünfzig Jahre lang der Philosoph von Sanssouci gestanden und der Aufklärung eine Stätte bereitet hatte, in diesem Preußen: Umkehr, Gewissensdruck, Rosenkreuzerei. Solange hinter dieser letztern die staatliche Macht stand, solange sie mit dieser identisch war, war ein Kampf dagegen unmöglich, aber kaum daß der Sarg Friedrich Wilhelms II. in die Gruft des Domes niedergelassen war, so brach es hervor. An der Spitze der alte Nicolai. In der Vorrede zum sechsundfünfzigsten Bande der »Neuen Allgemeinen Deutschen Bibliothek« führte er nunmehr über die Rosenkreuzer, die jetzt freilich ein toter Percy waren, folgende Sprache:
»Sehr bald nach dem Tode Friedrichs des Großen fanden bei seinem Nachfolger Männer Gehör, welche zu mehreren nachteiligen Maßregeln Anlaß gaben. Dieselben waren großenteils durch eine geheime Macht, durch den Gold- und Rosenkreuzerorden, und durch den Einfluß der › unbekannten Väter‹ geleitet, welche diesen Orden ungefähr seit 1778, noch zu Lebzeiten des großen Königs, unglaublich weit in Deutschland auszubreiten wußten. Wo die unbekannten Väter sich aufhielten, wußten die Ordensgenossen nicht; aber wenn dunkle Winke hin und wieder gegeben wurden, so ward allemal auf katholische Orte gedeutet. Alle diese Innern Orden verlangten blindes Vertrauen auf die unbekannten Oberen;... der tollen Geisterseherei wurde nach und nach Tür und Tor geöffnet, damit der freie Gebrauch der Vernunft gehemmt und nach und nach der Herrschsucht der Hierarchie und ihrer eigenen Herrschsucht ein ausgedehnterer Wirkungskreis bereitet würde.
Es ist auch selbst dem allgemeinen Publikum nicht ganz unbekannt geblieben, welche wichtige Folgen von 1786 bis 1797 in den preußischen Staaten durch die Anhänglichkeit an die Rosenkreuzer bewirkt worden sind. Wenngleich dieselben keineswegs all ihre schädlichen Pläne haben durchsetzen können, so kann doch derjenige, der einigermaßen die Umstände kennt, kaum zweifeln, daß die Rosenkreuzerei auf die in die Augen fallende Veränderung der Verfügungen in Absicht auf die Religion (das Wöllnersche Religionsedikt ist gemeint) einen wichtigen Einfluß gehabt habe. Dank sei es den menschenfreundlichen Privatgesinnungen König Friedrich Wilhelms II., daß die Absicht der Obskuranten, alle Aufklärung auszurotten, nicht bis zur Absetzung der Aufklärer von ihren Ämtern, bis zu ihrer Einschließung in Gefängnisse oder ihrer Verjagung aus dem Lande fortgesetzt ward. Es gab Leute, denen es an Willen hierzu nicht fehlte und noch weniger an Drohungen.«
Zu dieser Sprache, die außerdem noch mit Bezeichnungen wie »bübisch«, »schmutzig«, »betrügerisch« reichlich verbrämt war, war Nicolai als Parteimann, als ausgesprochener Widerpart, dazu als Mann, der persönliche Kränkungen und Schädigungen erfahren hatte, zu gutem Teile berechtigt – wir nachträglich haben die Pflicht, unparteiischer auf das Getriebe dieses Ordens und der beiden einflußreichen, den Staat lenkenden Männer zu blicken, die entweder an der Spitze des Ordens standen oder doch seine wichtigsten, ja überhaupt die einzig wichtigen Mitglieder waren. Ohne die Namen Bischofswerder und Wöllner wären die Rosenkreuzer wie so viele andere Orden jener Zeit ohne Sang und Klang vom Schauplatz abgetreten.
Was wollte der Orden? wie entstand er? Er war, seinem Kern und Wesen nach, eine Unausbleiblichkeit, weil ein naturgemäßer Rückschlag. Wir konstatieren einfach eine Tatsache, wenn wir hervorheben, daß man in den letzten Regierungsjahren Friedrichs des Großen in vielen Kreisen anfing, der Aufklärung wenig froh zu werden. Gegensätze, die sich befehden, die beide in der Natur des Menschen ihre Wurzel und ihre Berechtigung finden, pflegen sich untereinander in Herrschaft und Ohnmacht abzulösen. Dem Puritanismus folgte Libertinage, der starren Orthodoxie Friedrich Wilhelms I. folgte der Voltairianismus der Friderizianischen Zeit, dem Kosmopolitismus folgte eine nationale Bewegung, und dem Illuminatentum, das überall ein Licht anzünden wollte, mußte naturgemäß irgendein Rosenkreuzertum folgen, das davon ausging: alles Tiefe liegt nicht im Licht, sondern im Dunkel. Das Empfinden der Zeiten und der Individuen wird in bezug auf diese Frage immer auseinandergehen, und jene Enthusiasten, die überall ein Rätsel, ein Wunder, ein direktes Eingreifen Gottes sehen, wo der Nüchternheitsmensch einfach das Verhältnis von Ursache und Wirkung zu erkennen glaubt, diese phantasiereicheren, unserer besten Überzeugung nach höher angelegten Naturen dürfen mindestens eins verlangen: Gleichstellung in bürgerlicher Ehre. Es ist nichts damit getan, ihnen einfach den Zettel »Dunkelmänner« aufzukleben und sie damit, zu beliebiger Verhöhnung, auf den Markt zu stellen. Seinem Kern und Wesen nach war das moderne Rosenkreuzertum nichts als eine Vereinigung von Männern, die, ob katholisierend oder nicht, an den dreieinigen Gott glaubten und diesen Glauben dem Deismus, dem Pantheismus und Atheismus gegenüberstellten.
Wer will in dieser Reaktionsbewegung, die den Glaubensinhalt vergangener Jahrhunderte zurückverlangt, ein für allemal einen geistigen Rückschritt, eine Einbuße an ideellen Gütern erkennen? Wer hat den Mut, die Glaubenskraft des Menschen unter die Verstandeskraft zu stellen? Glaube und wissenschaftliche Erkenntnis schließen einander nicht aus, und mit höchster Geisteskraft ist höchste Glaubenskraft durch ganze Epochen hin vereinigt gewesen. Das Rosenkreuzertum hat dadurch keine Sünde auf sich geladen, daß es das Gegenteil von dem wollte, was der alte Nicolai wollte. Wie wenig der alte Nicolai, mit all seinen Meriten, imstande war, einer Erscheinung wie der des Rosenkreuzerordens gerecht zu werden, geht aus seinen eigenen Aufzeichnungen am besten hervor. Er sah in allem, was damals in Dichtung und Philosophie den Vorhang von einer neuen Welt hinwegzuziehn gedachte, nur Eitelkeit, Anmaßung, Phantasterei und Geisterschwindel und stand gegen die ganze junge Literatur, wenigstens soweit sie romantisch war, ebenso feindselig wie gegen Wöllner und die Rosenkreuzerei. »Die Herren Fichte, Schelling, Hegel, Schlegel, Tieck«, so schreibt er, »und wie die sich wichtig dünkenden Männer und Männchen weiter heißen, preisen sich zwar fleißigst einer den andern und sprechen von allen Philosophen und Dichtern, welche nicht zu ihrer geheiligten Kirche gehören, sowie auch von der gesunden Vernunft und Aufklärung aufs verächtlichste. Aber auch das Verachten will nicht gelingen... Sie versichern daher, die Entdeckung gemacht zu haben, daß Fichte und Schelling, ob sie gleich, leider! schon anfangen voneinander zu differieren (wie uns Herr Hegel, ein neulichst berühmt werden wollender Philosoph, in einer besondere Schrift des breiteren auseinandersetzt), dennoch die einzigen Philosophen sind, denen, auch wenn sie nicht übereinstimmen, allein das wahre Wissen vom Subjekt-Objekte gebührt. Ferner noch haben diese Herren durch ihre intellektuelle Anschauung deutlich erkannt, daß Wieland und Klopstock keine Dichter sind, hingegen Friedrich Schlegel und Ludwig Tieck Dichter vom größten Genie!« – So eifert Nicolai über viele Seiten hin. An einer anderen Stelle zieht er direkt Parallelen zwischen den Rosenkreuzern einerseits und Fichte-Schelling anderseits und findet, daß die Philosopheme beider sich als »gleich ungereimt« erweisen. All das ging ihm eben über Kraft und Verständnis.
Wenn wir dennoch das Auftreten des Rosenkreuzertums zu beklagen und sein Erlöschen, nach kurzer Allmacht, als ein Glück für das Land zu bezeichnen haben, so liegt das in Nebendingen, in begleitenden Zufälligkeiten, die, teils irrtümlicherweise, von den Feinden aber in wohlüberlegter Absicht, in den Vordergrund gestellt worden sind, um das moralische Ansehen des Gegners zu diskreditieren. Wir meinen hier die Geistererscheinungen, den ganzen Apparat, der von den Rosenkreuzern in Bewegung gesetzt wurde, um einen trägen Glauben künstlich zu beleben.
Wegzuleugnen sind diese trüben Dinge nicht, wiewohl sie höchstwahrscheinlich eine viel geringere Rolle gespielt haben, als man gewöhnlich annimmt. Gleichviel: man hat zu diesen Hilfsmitteln gegriffen, und wir perhorreszieren es, daß es geschehen. Es war unwürdig, bei dem betrügerischen Schrepfer sozusagen auf Borg zu gehen, seine im Dienst der Lüge klug verwandten Künste in den Dienst einer Sache zu stellen, die, für unsere Überzeugung wenigstens, ganz unbestritten einen idealen Kern hatte. Es war ein Unrecht. Aber betonen wir dies Unrecht nicht stärker als nötig. Beurteilen wir die Dinge aus der Zeit heraus. Auch das sittliche Empfinden stellt sich in verschiedenen Jahrhunderten verschieden. Eine Politik, wie sie der Große Kurfürst, ein frommer, strenggläubiger Mann, gegen Polen und Schweden übte, würde heute verabscheut werden; damals nahm niemand Anstoß daran; man bewunderte nur den klugen, patriotischen Fürsten – und zu allen Zeiten sind Wunder gemacht worden, nicht bloß von Betrügern, sondern auch von Priestern, die an einen ewigen, allmächtigen und wundertätigen Gott in aller Aufrichtigkeit glaubten. Wie wir schon an früherer Stelle sagten: das kleine Mit-Eingreifen, das Mit-Spielen ist kein Beweis für ein frivoles Sich-drüber-Stellen über die transzendentale Welt.
Der Hokuspokus bleibt ein Fleck an jener interessanten geheimen Vergesellschaftung, die durch eine seltsame Verkettung von Umständen in die Lage kam, Preußen auf zwölf Jahre hin zu regieren, aber ein billiges Urteil über den moralischen Wert derjenigen, die damals an der Spitze dieses Ordens standen, wird doch nur derjenige haben, der sich die Frage nach dem »guten Glauben« der Betreffenden vorlegt und gewissenhaft beantwortet. Daß Bischofswerder diesen »guten Glauben« hatte, haben wir in dem Kapitel » Marquardt« darzulegen getrachtet; in betreff Wöllners steht uns das unverfänglichste Zeugnis zur Seite, das Zeugnis seines Antagonisten Nicolai selbst. Dieser schreibt über ihn: »Eine Menge kabbalistischer und magischer Worte verdunkelte nach und nach seinen hellen Kopf, und seine irregeleitete Einbildungskraft ließ ihn allenthalben Geheimnisse und Wunder sehen. Im Jahre 1778 war er bereits so weit, daß er die geheime Lehre der rosenkreuzerischen Philosophie für das einzig wahre Wissen hielt, für ein Wissen, das bald ganz allgemein werden und alle andere Philosophie verdrängen würde.«
So Nicolai. Die Verurteilung der Richtung Wöllners wird hier, unbeabsichtigt, zur Anerkennung seiner persönlichen Aufrichtigkeit. Und dies genügt uns. Wie wenig Nicolai fähig war, der Richtung gerecht zu werden, glauben wir im Vorgehenden gezeigt zu haben.
1800 starb Wöllner zu Groß Rietz, 1803 Bischofswerder zu Potsdam. Das Rosenkreuzertum ging mit ihnen zu Grabe.