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Bis 1272 bestand Kloster Mariensee auf der Ziegeninsel im Parsteiner See. In diesem Jahre, so scheint es, kam man überein, »wegen mehrerer Unbequemlichkeit, die sich aus der Lage des Klosters ergäbe«, dasselbe weiter westwärts, und zwar an den Choriner See, zu verlegen, richtiger wohl, es mit einer neuen klösterlichen Pflanzung, die sich bereits am Choriner See befinden mochte, zu vereinigen. Eine solche neue Pflanzung muß nämlich, wenn auch nur in kleinen Anfängen, um 1272 schon existiert haben, wie nicht nur aus einzelnen, allerdings so oder so zu deutenden urkundlichen Angaben, ganz besonders aber aus einer Steintafelinschrift hervorgeht, die noch bis zum Jahre 1769 im Kloster vorhanden war. Diese Steintafel befand sich an der Stelle, wo das später sogenannte »Invalidenhaus« an die Klosterkirche stieß, und gab in ihrer Inschrift die Namen aller in Chorin begrabenen Markgrafen. Diese Inschrift, wie jetzt nur noch aus den Choriner Amtsakten zu ersehen ist, lautete: Die ersten Zeilen derselben lauteten:
»Anno 1254 ist der Markgraf Johannes (I.), Kurfürst zu Brandenburg, der dieses Kloster Chorin Zisterzienserordens gestiftet, allhier begraben.«
Wenn nun bereits um 1254 Markgraf Johann I. hier beigesetzt werden konnte, so mußte wenigstens ein Klosteranfang und in ihm eine Grabkapelle vorhanden sein. Wir werden nicht irregehen, wenn wir die Anfänge von Kloster Chorin gerade um die Mitte des dreizehnten Jahrhunderts setzen.
Wie immer aber dem sein möge, jedenfalls haben wir von 1272 an ein Kloster Chorin und dürfen annehmen, daß sich die bauliche Vollendung desselben, trotz einer unverkennbaren Großartigkeit der Anlage, in verhältnismäßig kurzer Zeit vollzogen haben muß. Es sprechen dafür die zum Teil vortrefflich erhaltenen Überbleibsel des Klosters, die ihrem Baustil nach in die Wendezeit des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts gehören. Die Zeit war einem solchen raschen Aufblühen besonders günstig; das Ansehen des Ordens stand auf seiner Höhe, und die Askanier, wie bereits hervorgehoben, waren unermüdlich, dem Kloster ihre besondere Gnade zu bestätigen. Keiner mehr als Markgraf Waldemar, der letzte des Geschlechts. Fast alles Land zwischen Neustadt und Oderberg im Süden und ebenso zwischen Neustadt und Angermünde im Norden gehörte dem Kloster. Der Parsteiner See war so ziemlich der Mittelpunkt der reichen Stiftung, die bei der Säkularfeier des Klosters zweiundsechzig Dörfer zählte.
Diese Dörfer deuten auf einen Totalbesitz, der dem Reichtum Lehnins (zwei Flecken und vierundsechzig Güter) nahekam, vielleicht auch diesen Reichtum übertraf, da die Dörfer der Odergegenden im allgemeinen für reicher und ergiebiger gelten als die Dörfer der Zauche und selbst des Havellandes; doch mochte das damals, wo der Reichtum, der in den Sümpfen und Brüchen des Oderlandes steckte, noch nicht erschlossen war, anders sein als jetzt. Ist es doch noch nicht lange her, daß jedes Sanddorf vor dem Sumpfdorfe den Vorrang behauptete; der Sand gab wenig, aber der Sumpf gab nichts.
Lassen wir aber die Frage nach dem größeren oder geringeren Besitz beiseite, so müssen wir bei Betrachtung beider Klöster sofort durch die Tatsache überrascht werden, daß wir von der Geschichte des einen, trotz aller Lücken und Mängel, verhältnismäßig viel, von der Geschichte des andern verhältnismäßig wenig wissen. Ohne die urkundlichen Überlieferungen, die Sagen und Traditionen, die sich an Lehnin knüpfen, überschätzen zu wollen, so muß doch schließlich zugestanden werden, daß etwas da ist und daß wir Gestalten und Ereignisse von größerem oder geringerem Interesse an uns vorüberziehen sehen. Nichts Derartiges aber, oder doch fast nichts, bietet Chorin.
Ob diese Armut der Überlieferung einfach darin liegt, daß das Kloster Chorin in der Tat nichts anderes war als ein klösterlicher Amtshof, mit vielen Gütern und Vorwerken, oder ob uns die Glanzseiten der Geschichte, wenn solche da waren, einfach verlorengegangen sind, ist nachträglich schwer zu entscheiden, doch spricht manches dafür, daß das erstere der Fall war und daß Kloster Chorin nicht viel etwas anders zu bedeuten hatte als eine große mönchische Ökonomie, in der es auf Erhaltung und Mehrung des Wirtschaftsbestandes, aber wenig auf die Heilighaltung ideeller Güter ankam. Was indessen mehr besagen will als die Dürre dieser urkundlichen Überlieferungen, das ist der Umstand, daß das Kloster auch bei seinen Um- und Anwohnern nicht die geringste Spur seiner Existenz zurückgelassen zu haben scheint.
Da sind keine Traditionen, die an die Lehniner Sagen von Abt Sibold erinnerten, da ist kein See, kein Haus, kein Baum, die als Zeugen blutiger Vorgänge mit in irgendeine alte Klosterlegende verflochten wären; da ist keine »Weiße Frau«, die abends in den Trümmern erscheint und nach dem Mönche sucht, den sie liebte; alles ist tot hier, alles schweigt.
Ein einziger kurzer Abschnitt klingt an die Historie wenigstens an. Es bezieht sich dies auf das bayerische Interregnum in unsrer Geschichte, spezieller auf die Epoche, die zwischen dem Tode des echten und dem Auftauchen und Wiederverschwinden des Falschen Waldemar liegt, also auf die Zeit zwischen 1319 und 1349. Man hat dem Kloster nachgesagt, daß es in dieser Zeit sich durch Intrigue, Schweigekunst und feines politisches Spiel hervorgetan und wenigstens um seiner Klugheit willen einen gewissen Anspruch auf unseren Respekt erworben habe. Ich habe indes nichts finden können, was einen Anhaltepunkt für die Annahme einer solchen Superiorität böte. Von scharfer Vorausberechnung, von raschem Hervortreten im rechten Moment oder wohl gar von dem Blitzenden eines genialen Coups nirgends eine Spur; überall nur die Betätigung allertrivialster Lebensklugheit, eine Politik von heute auf morgen, von der Hand in den Mund.
Verfolgen wir, wie zur Beweisführung für die vorstehenden Sätze, die Haltung des Klosters während der vorgenannten Epoche, so werden wir es einfach immer »bei der Macht« finden. Hielt die Macht aus, so hielt Chorin auch aus, schwankte die Macht, so schwankte auch Chorin. In zweifelhaften Fällen hielt sich's zurück und wartete ab. Wenn dies »Diplomatie« ist, so ist nichts billiger als die diplomatische Kunst.
Von 1319 bis 1323 waren für die Mark drei Prätendenten da: Herzog Rudolf von Sachsen, Herzog Heinrich von Mecklenburg und Herzog Wratislaw von Pommern-Wolgast. Die besten Ansprüche hatte unbedingt Rudolf von Sachsen; das Kloster sagte sich aber: »Herzog Heinrich und Herzog Wratislaw sind uns näher, und weil sie uns näher sind, sind sie wichtiger für uns.« Diese Erwägung genügte, um sich – im Gegensatze zur Mittelmark, die nach Sachsen hinneigte – auf die Seite von Pommern und Mecklenburg zu stellen.
So lagen die Sachen noch im Juni 1320. Aber das Ansehen Rudolfs von Sachsen wuchs; zu seinem größeren Rechte gesellte sich mehr und mehr auch die größere Macht, und sobald das Kloster diese Wahrnehmung machte, war es rasch zu einer Wandlung entschlossen. Im November 1320 begegnen wir bereits einer Urkunde, worin »Herzog Rudolf das Kloster Chorin in seinen Schutz nimmt, ihm seine Ungnade erläßt« und dabei natürlich seinen Besitz ihm bestätigt. Wir sehen, das Kloster hatte es für gut befunden, seine erste Schwenkung zu machen.
Indessen, die Dinge gingen nicht lange so. Kaiser Ludwig hielt es um diese Zeit für angetan, die Mark als ein verwaistes Reichslehn einzuziehen und seinen ältesten Sohn damit zu begnaden. Dieser kam als Markgraf ins Land. Die Rechnung, die von seiten Chorins nunmehr angestellt wurde, war einfach die folgende: »Rudolf von Sachsen ist stärker gewesen als Mecklenburg oder Pommern, Kaiser Ludwig aber ist wiederum stärker als der Sachsenherzog.« So wurde unser Kloster denn, nachdem es drei oder vier Jahre lang sächsisch gewesen war, ohne Zögern bayrisch. Dies war die zweite Schwenkung. Aber noch andere standen bevor.
1345 tauchte der sogenannte »Falsche Waldemar« auf; wir lassen dahingestellt sein, ob er der falsche oder der echte war. Sein Anhang mehrte sich, aber die größere Macht stand zunächst noch auf bayrischer Seite. Was tat nun Chorin? Es hielt aus bei den Bayern, solange Bayern der stärkere Teil war, und dies Ausharren führt den besten Beweis, daß man dem Kloster viel zuviel Ehre antut, wenn man ihm, wie geschehen ist, nachredet, daß es all die Zeit über (von 1319 bis 1345) gut askanisch gewesen wäre oder gar an der Rückkehr und Restituierung Waldemars, nötigenfalls irgendeines Waldemars, gearbeitet habe. Nichts davon. Das Kloster Chorin hatte weder die Treue, auf die Wiedereinsetzung eines »echten Waldemar«, wenn es an einen solchen glaubte, zu dringen, noch hatte es andererseits den Mut einer politisch-patriotischen Intrigue, das heißt den Mut, nötigenfalls auf jede Gefahr hin und bloß dem askanischen Namen zuliebe, den unechten Waldemar zu einem echten zu machen. Chorin tat nichts, als wartete ab. Waldemar, gleichviel, ob der falsche oder der richtige, zog schon zwei Jahre durchs Land, und die Uckermark, darin unser Kloster gelegen war, hatte ihn bereits anerkannt; nur gerade Abt und Konvent von Chorin zögerten immer noch, ein Wort zu sprechen und die alten askanischen Sympathien zu bezeigen. Warum? Die bayrische Herrschaft, wenn auch mannigfach bedroht, erschien noch unerschüttert, jedenfalls dem Eindringling überlegen. Chorin blieb also gut bayrisch, solange es das Klügste war, gut bayrisch zu sein.
Aber der Herbst 1348 änderte plötzlich die Machtstellung der Parteien, und mit der veränderten Machtstellung änderte sich natürlich auch die Stellung Chorins. Kaiser Karl IV., der Luxemburger, der dem bayrischen Kaiser, dem Vater des bayrischen Markgrafen von Brandenburg, auf dem Kaiserthron gefolgt war, trat auf die Seite des Falschen Waldemar und ließ ihn für echt erklären.
Jetzt wäre die Stunde für Chorin dagewesen, endlich Treue zu zeigen, wenn auch nur Treue gegen Bayern; aber es kannte nichts als Unterwerfung unter die Macht. Mit dieser Anerkennung des Falschen Waldemar durch den Kaiser war der bayrische Markgraf von Brandenburg auf einen Schlag der schwächere Teil geworden; die natürliche Folge davon war, daß Chorin aufhörte, bayrisch zu sein, um sofort kaiserlich und Waldemarisch zu werden. Wenn man hier einwenden wollte, daß das Land im wesentlichen diese Schwankungen und Wandlungen mitmachte und daß deshalb kein Grund vorliege, für Chorin einen besonderen Vorwurf daraus herzuleiten, so darf man drei Dinge nicht übersehen: 1. daß Chorin besser wissen konnte, ob echt oder unecht, und wahrscheinlich es wirklich wußte; 2. daß Chorin sich mit Vorliebe bayrisch gezeigt und deshalb eine größere Pflicht hatte, Farbe zu halten, und 3. daß andere Plätze, die zum Teil dieselbe Wandlung durchmachten, doch wenigstens länger ausdauerten und etwas schamhafter verfuhren.
Dies war ein böser Fleck, eine häßliche Wandlung; aber das Häßlichere kam noch nach. Die Sache währte nicht lange; der Kaiser dachte bald anders und ließ den Waldemar im Frühjahr 1350 ebenso leicht wieder fallen, wie er ihn achtzehn Monate früher erhoben hatte. Die Häuser Luxemburg und Bayern söhnten sich aus. Waldemar war nun wieder nichts oder doch nicht viel; nur die askanische Partei stand noch zu ihm. Einzelne treue unter den Städten suchten ihn auch jetzt noch zu halten, nur nicht Chorin. Die Machthaber hatten ihn fallenlassen, und das Kloster tat selbstverständlich dasselbe. Von einem Einstehen, einem Zeugnisablegen, von dem, was wir heute Charakter und Gesinnung nennen würden, keine Spur. Nach halbjähriger Teilnahme an der Waldemar-Komödie war Chorin wieder so gut bayrisch, wie es vorher gewesen war. Die bayrischen Markgrafen ihrerseits waren auch zufrieden damit und machten aus dem flüchtigen Abfall nicht allzuviel. Sie drückten zwar in einer Urkunde ihren Unmut und ihre Trauer darüber aus, das Kloster nicht fest befunden zu haben; aber das war wenig mehr als eine Formalität, die Sache war beigelegt und Chorin wieder angesehen, vielleicht angesehener als zuvor. Es hielt nun auch aus, solange die Bayern im Lande waren; aber wir dürfen wohl annehmen, nicht aus Treue, sondern einfach deshalb, weil das Ausbleiben jeder neuen Versuchung ein neues Ausgleiten unmöglich machte.
Die angebliche »politische Glanzzeit« Chorins war das natürliche Resultat gegebener Verhältnisse, nicht mehr und nicht weniger, und die Quitzow-Zeit wird dem Kloster zu einem ähnlich abwartenden politischen Verfahren Veranlassung gegeben haben. Doch sind die Aufzeichnungen darüber lückenhafter. Chorin hatte keinen Heinrich Stich (siehe Seite 60), entbehrte vielmehr eines Abtes, der sich gemüßigt gesehen hätte, die Verwicklungen einer verwicklungsreichen Epoche niederzuschreiben. Die letzten anderthalbhundert Jahre des Klosters unter der sich befestigenden Macht der Hohenzollern scheinen ohne jede Gefährdung hingegangen zu sein; Schenkungsbrief reiht sich an Schenkungsbrief, bis endlich die Reformation dazwischentritt und den Faden durchschneidet.
Die Vorgänge, die die Säkularisierung Chorins begleiteten, waren wohl dieselben wie bei Einziehung der brandenburgischen Klöster überhaupt. Chorin wurde freilich zunächst aus freier Hand verkauft, aber dies hatte keinen Bestand, und binnen kurzem wurde auch hier der Klosterhof ein Amtshof, eine Domaine. Er ist es noch.