Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

4. Abschied.

Um 7 Uhr früh war ich auf. Es dunkelte noch, aber ein großes Reisigfeuer gab überallhin Licht und Wärme. Um 9½ Uhr ging das Schiff. Gepackt war. Auf dem unter Rasumofskys Händen rasch arrangierten Bett lagen meine Habseligkeiten: der Hut, der Überzieher, die Reisedecke, zuletzt der blaue Reisesack, der genau das Ansehen jener kattunenen Hülse hatte, drin der Dorffiedler seine Violine auf die nächste Kirchweih trägt. Unten am Bett lag Blanche. Sie hatte noch nicht ausgeschlafen, reckte und streckte sich und sah halb neugierig, halb mißgestimmt unserm Treiben zu.

Es schlug acht; das letzte Frühmahl war genommen, Rasumofsky hatte seine Erbschaft angetreten. Alles war sein. Vor den Sentimentalitäten des Abschieds wurden wir durch immer neu eintreffende Besucher bewahrt, die mir Grüße, Briefe, Bestellungen mit in die Heimat gaben. Einige drangen in mich, einen großen Lärm wegen schlechter Behandlung der Gefangenen zu machen, was ich aber ablehnte, ihnen nochmals auseinandersetzend, sie möchten doch, um ihrer eigenen guten Laune willen, von der Vorstellung ablassen, daß die französischen Gefangenen in Deutschland ein glückliches und die deutschen Gefangenen in Frankreich ein unglückliches Leben führten. Es würde sich wohl hüben und drüben nicht viel nehmen. Gefangen sein sei immer unangenehm. Ergebung sei das Beste; an gutem Willen (wie sie zugeben müßten) fehle es den Behörden nicht. Im allgemeinen wurde dies gut aufgenommen. Nur zwei vom 1. Gardeulanenregiment wollten nicht viel davon wissen. Sie deuteten leise an: Du hast gut reden.

So kam 9 Uhr. Blanche hatte sich inzwischen erholt und drängte sich an mir vorbei, ihre Flanken immer dichter an meinem Stiefel streifend; Rasumofsky hatte die Decke über den linken Arm gehängt, und den blauen Sack in der Rechten harrte er des Zeichens zum Aufbruch. »Nun mit Gott.« Auf der Türschwelle wandte ich mich noch einmal und sah in das Zimmer zurück, drin das Reisigfeuer eben verglühte. Ich warf ohne bestimmte Adresse eine Kußhand hinein, eine Dankesbezeugung gegen den genius loci, der es gut mit mir gemeint hatte. Dann treppab, über Flur und Hof hin, wo noch wieder die Hände geschüttelt wurden, ging es am Glacis und der Stadt-Enceinte entlang auf das Hafenbollwerk zu, wo die Dampfer anzulegen pflegten. Ich löste ein Billet, Rasumofsky legte Decke und Sack auf einen Mühlstein, der Tisch und Stuhl zugleich vorstellte. So standen wir einander gegenüber.

»Ja, Rasumofsky, so geht es.«

»Ja, Herr Leutnant.«

»Nun, sei'n Sie vernünftig und kommen Sie bald nach.«

»Ach, Herr Leutnant (hier kam er mir näher ans Ohr), am liebsten brennt' ich gleich mit durch.«

»Unsinn. Ewig kann es nicht dauern. Gott befohlen.«

Es zwinkerte ihn etwas um die Augen. Ich gab ihm die Hand; dann machte er kehrt und ging stramm auf Stadt und Zitadelle zu. An höchster Wegstelle winkte er noch einmal mit einem alten blauen Schnupftuch, das nicht mehr recht flattern wollte. Dann bog er rechts ein und war mir entschwunden.

Das Schiff war noch nicht da. Ich setzte mich auf den Mühlstein und gab mich dem Zauber dieser Minute hin. Es war wie ein Vorgeschmack der Freiheit. Hinter mir und zu meiner Rechten lag das Meer, nach links hin dehnte sich die Insel, vor mir ein Schiffsetablissement, halb Werft, halb Holzhof. Es nebelte leise, und durch die stille, wasserreiche Luft klang gedämpften Tones der schrille Ton mehrerer Sägen, die, ein Mann oben, ein Mann unten, große Stämme in Bretter zerschnitten. Das ganze Bild, so einfach es war, war eigentümlich und einschmeichlerisch, und dennoch empfand ich, das alles schon einmal gehabt zu haben. Ich sann hin und her. Da hatt' ich es. In Linlithgow, angesichts des Schlosses, drin Maria Stuart geboren wurde, hatte all' das schon einmal zu mir gesprochen: derselbe Nebelmorgen, derselbe durchrümpelte Holzhof, vor allem derselbe gedämpfte Ton auf- und abgehender Holzsägen. Wenn es etwas geben konnte, den Zauber dieser Minute zu steigern, so war es diese Erinnerung.

Der Dampfer hatte inzwischen angelegt. Ich war der einzige Passagier, wenn zwei Pferde nicht mitzählen sollen, die, mit krausem Winterhaar und klumpigen Füßen, wie heruntergekommene Anverwandte der schönen Percheronrasse, auf dem dritten Platz des Schiffes untergebracht waren. Mit Leichtigkeit löste sich der Dampfer vom Ufer, der Seewind strich über Deck, und ein leises Frösteln schüttelte mich. Aber ich konnte doch von dieser Stelle nicht scheiden, ohne bis zuletzt eines freien Umblicks genossen zu haben. Ich stellte mich also auf die Mitte der Kajütentreppe und blickte von hier aus, die erhöhte Treppenwand als Windschirm benutzend, nur den Kopf frei, in die Landschaft hinein. An Büschen und Bojen hin, die das Fahrwasser bezeichneten, glitt der Dampfer ruhig seine Straße. Der Schleier über Oléron wurde dichter; nichts als der Zitadellturm und rechts daneben das hohe Fanal ragten noch wie Schattenbilder aus dem Grau hervor. Auf dem Schiffe herrschte Stille. Lautlos dirigierte der Matrose das Steuer; nur die Maschine prustete, die Pferde stampften, und die großen Holzschuhe des Schiffsjungen klapperten über Deck.

Nun begann das Hohio und das Rufen in den Maschinenraum hinunter; die Breitseite des Dampfers legte sich an den Kai.

Ich sprang ans Ufer. Festland unter den Füßen. Drüben auf Oléron verschwanden die letzten Schatten im Nebel.

 


 << zurück weiter >>