Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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4. Rasumofsky.

Bequartiert war ich nun; alles war da, nur die oberste Dienstcharge, die zu besetzen war, war noch unbesetzt geblieben, – der Bursche fehlte noch. Aber auch darüber wurde ich beruhigt. »Demain matin.«

Demain matin kam, und beinahe gleichzeitig mit ihm erschien ein Hausbeamter, um mir, vorbehaltlich meiner Zustimmung, meinen zukünftigen Burschen, den Verwalter meiner Wirtschaft, vorzustellen, Max Rasumofsky. Er gefiel mir auf der Stelle; daß er ein schwarzer Husar war, besagten die Überreste der Uniform, daß er ein Pole war, entnahm ich seinem Namen, daß er ein Schneider war, ergaben die ersten Recherchen. Ich hatte also alles in ihm vereinigt, was man von einem Burschen Tüchtiges erwarten kann: Husar, Pole, Schneider. Ich griff zu und hatte meine Wahl nicht zu bereuen. Er war, was der militärische terminus technicus schneidig und findig nennt. Unschätzbare Eigenschaften überhaupt; im besonderen auch hier.

Seine »Schneidigkeit« fiel natürlich in die Zeit vor seiner Gefangenschaft, und was die Beweise dafür angeht, so bin ich zum besten Teil auf seine Berichterstattung angewiesen. Wer aber viele Leute hat erzählen hören, weiß bald, ob er Dichtung oder Wahrheit vor sich hat. Rasumofsky war als »Spitze« in einen Wald eingeritten, hatte Feuer bekommen und den Fehlschuß des nächststehenden Franktireurs mit einem Treffer aus seinem Karabiner erwidert; aber dies erste Lächeln des Sieges war auch das letzte gewesen. Wie aus einem Bienenkorb schwärmten die feindlichen Schützen aus. Hundert Kugeln pfiffen um ihn her; eine riß ihm den Stiefelhacken weg und schlug klirrend den Steigbügel in Stücke; er selbst war ungetroffen, und die Möglichkeit der Rettung lag noch vor ihm. Da traf eine zweite Kugel die Kruppe seines Schimmels; Pferd und Reiter stürzten, und im nächsten Moment war er umringt, gefangen. Ein junger, Deutsch sprechender Offizier mit breiter roter Schärpe sprang auf ihn ein: »Warum hast du geschossen?« »Wozu hab' ich denn meinen Karabiner? Wir kriegen die Waffen, um sie zu gebrauchen.« Der Offizier lachte. »Was wird nun aus dir?« »Nun, ich werde totgeschossen.« »Sei kein Narr; du bist ein guter Husar, und kein Haar soll dir gekrümmt werden.« Die Franktireurs nahmen ihn in die Mitte, wickelten die lange Hängetasche um eine ihrer Flinten und schleppten den Totenkopfhusaren im Triumphe fort.

Wenn mir nun die Schneidigkeit Rasumofskys so gut wie gewiß war, so war ich seiner Findigkeit ganz und gar sicher. Es war ganz unglaublich, was er alles »gefunden« hatte, namentlich in den Tagen, die dem Siege von Wörth unmittelbar folgten. Mehrere Spiele Karten, eine Straußenfeder, einen schwarzen Schleier mit Goldsternchen, eine Flasche Anisette. Dies war das Beste. Ein paar französische Generalsepauletten begleiteten ihn mehrere Tage und bildeten noch in Oléron den Lichtpunkt seiner militärischen Erinnerungen; aber er brachte es mit ihnen nicht über einen idealen Genuß hinaus, der zuletzt zu einer freiwilligen Trennung führte. »Wo haben Sie sie denn gelassen?« »Ich habe sie wieder weggeworfen.« Dabei klang nichts von Klage oder Betrübnis mit ein; nur die Freude lachte ihm aus den Augen, das blanke Spielzeug mal besessen zu haben. Das ist die echte Findigkeit. Die Freude auch an dem, was man nicht brauchen kann.

Ich wäre aber undankbar, wenn ich Rasumofskys Findigkeit lediglich in die Vergangenheit stellen und übersehen wollte, daß dieselbe auch bis in die Gegenwart hineinragt. Auch hier noch, unter den erschwerendsten Umständen, »findet« er beständig, und zwar in echter Burschentreue nicht für sich, sondern mir zuliebe. Es tauchen Schuhbürsten, Teelöffel, Lichtscheren auf, deren Ursprung nachzuforschen ich wohlweislich unterlasse; seine eigentlichste Begabung zeigt er aber im Anfahren von Holz. Ich habe hierüber längere Unterredungen mit ihm gehabt, in denen wir die feinsten Fragen berührt haben. Er hat mir schließlich mit siegreicher Beredsamkeit auseinandergesetzt, daß mir Holz geliefert werden müsse, daß eine bloße Verschwörung existiere, mich um täglich einen Franken zu bringen, und daß er die Verpflichtung habe, diesen im Dunkel wühlenden Mächten entgegenzuarbeiten. Ich habe endlich geschwiegen, was er als Zustimmung gedeutet hat. Seitdem verfolgt er mit scharfem Auge jede morsche oder durchgetretene Diele, das handbreite Loch durch einen raschen Griff um das Doppelte und Dreifache erweiternd; wer will in diesen dunkeln Korridoren am Ende nachweisen, ob der Schwamm oder die Ratten oder Rasumofsky dem ohnehin immer geschäftigen Zahn der Zeit vorgegriffen haben? Die Asche im Kamin ist schließlich stumm wie das Grab. Die Dielenausbeute verschwindet aber neben dem, was die Fensterladen liefern. Rasumofsky hat nämlich entdeckt, daß von den drei Querhölzern, die dem ganzen Fensterladenbau erst Halt geben, mindestens eins entbehrt werden könne, und dies eine (immer das schrägstehende, weil es das längste ist) ist dem Kamine rettungslos verfallen. Wie die Laden selbst sich halten werden, wenn erst die großen Stürme kommen, muß abgewartet werden. Vielleicht erblüht uns aus ihrem völligen Zusammenbrechen eine neue Ernte.

Es geht ein leiser Zug von Inkorrektheit durch unseren gesamten Wandel hier, und so kann es nicht überraschen, daß in dem Verhältnis zwischen Rasumofsky und mir manches bloß auf den Schein gestellt ist. Eine gesellschaftliche Lüge wie so vieles andere! Dieser Schein tritt in nichts so hervor wie in der Kleiderreinigungsfrage. Jeden Morgen, wenn das Feuer angezündet und das Teewasser in die ersten Kohlen gestellt ist, tritt Rasumofsky mit einer gewissen Adrettheit an mein Bett, um von der Stuhllehne den Rock, den Überzieher und die Beinkleider zu nehmen und damit im Flur, wo sich auch wirklich ein großer Kleiderriegel befindet, zu verschwinden. In kürzester Zeit ist er wieder da, so daß ich mich überzeugt halte, daß er der gesamten Kleiderdreiheit nur eine frische Brise und den Anblick der Morgensonne gönnt. Mit komischer Sorglichkeit breitet er bei seinem Wiedererscheinen die drei Kleidungsstücke über dieselbe Lehne aus, von der er sie eben entführte. Dies wiederholt sich jeden Tag. Ich war einen Augenblick geneigt, dieser Komödie ein Ende zu bereiten, aber ich habe mich eines Besseren besonnen. Es ist ganz gleichgültig hier, ob der Rock blank ist oder nicht, aber das Prinzip muß gewahrt und die Verpflichtung immer neu anerkannt werden. So hat denn das Schauspiel seinen Fortgang. Zwei Stunden später mutatis mutandis erlebt es seine Wiederholung. Ich werde dann gebeten, eine halbe Stunde spazieren zu gehen, um durch die Zimmerreinigungsprozedur nicht gestört zu werden. Aber auch hier kommt es ausschließlich zu einer Lüftung; dann ziehe ich in die alten lieben Räume wieder ein. Die Ordnung der Dinge ist inzwischen durch keine übergeschäftige Hand gestört worden.

Wir leben gut, einträchtig, friedfertig miteinander. Ich teile meine Neuigkeiten und meine Mahlzeiten mit ihm, und mein Kognakkonto bei Mr. Vimenet, dem kleinen freundlichen Kaufmann in der Stadt, wird lediglich ihm zuliebe mit immer neuen Franken beschwert; aber all dies hat ihn doch nicht veranlassen können, mir eine angemessene Rangstufe anzuweisen. Er nennt mich »Herr Leutnant.« »Gleich, Herr Leutnant,« »zu Befehl, Herr Leutnant,« damit muß ich mich begnügen. Meine Jugend kann es nicht sein, die ihn hindert, mich avancieren zu lassen, ja, er macht nach dieser Seite hin völlig entgegengesetzte Bemerkungen, die auch wieder weit über das Wünschenswerte hinausgehen; es muß also irgendwo anders fehlen. Ich habe dieser Tatsache gegenüber den einzigen leidigen Trost, daß sich alle Dinge im Leben nach einem Ausgleichungsprinzip regulieren, und daß ich, vom Feinde ohne Verdienst und Würdigkeit zum Officier supérieur ernannt, in dieser Degradierung sich nur ein Gesetz ewiger Gerechtigkeit vollziehen sehe.

In unseren politischen Anschauungen sind wir einig. Sie finden immer wieder in dem Satze Ausdruck, daß der Friede unterzeichnet werden müsse, damit wir Weihnachten zu Hause sind. Ob dabei Straßburg und Metz wieder an Deutschland kommen oder nur eins von beiden, hat uns noch nicht lebhaft beschäftigt, am wenigsten entzweit. Ich habe ihn in Verdacht, daß er eine mehr als ruhige Position zu dieser Frage einnimmt.

Sei's drum. Das »Weihnachten zu Hause« steht wohl noch manchem Gefangenen und Nichtgefangenen im Vordergrund. Die diesen Egoismus abgetan haben und in großem Empfinden über sich selbst hinauswachsen, ihre Zahl ist klein.

Warum sollte Rasumofsky unter diesen wenigen sein!

 


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