Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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11. Drei von den 3. Gardeulanen.

Unteroffizier Janeke erzählt:

»Wir lagen bei dem Dorfe Villaines, zwei Meilen nördlich von St. Denis. Am 3. November früh erhielt ich Order, mit vier Mann einen Rekognoszierungsritt bis Ecouen und Sarcelles zu machen und Nachricht zu bringen, ob sie besetzt seien, wie stark und womit. Das große Dorf Ezonville war halber Weg. Hier sollte das Absuchen beginnen. »Es ist nicht wahrscheinlich, daß sie schon in Ezonville stecken, aber es ist möglich. Also aufgepaßt. Und nun mit Gott.«

Wir ritten aus; es nebelte noch. Das erste Dorf, das wir passierten, hieß Villiers-le-Sec, das zweite Lemesnil-Aubry; der Nebel war inzwischen gefallen, und alles versprach einen klaren Tag. Wir trabten nun auf das dritte Dorf zu. Es war Ezonville. Sein heller Kirchturm blinkte schon durch die Pappeln.

Als wir dicht heran waren, stießen wir auf drei Mann von unserer 5. Eskadron, die schon vor uns ausgeritten waren. Der Gefreite machte Meldung und stellte sich unter mein Kommando. Ich hatte nun sieben Mann und war guter Dinge; mit sieben Lanzen ist schon was anzufangen.

Ich teilte jetzt meine Streitkräfte in zwei Seiten- und eine Mittelpatrouille. Die Mittelpatrouille (für das Dorf bestimmt) war die Hauptsache. Diese führte ich selber und suchte mir zwei Mann dazu aus, die beiden besten. Ich sagte mir so: Die drei von der 5. Eskadron mögen gut sein, aber du kennst sie nicht. Deine eigenen kennst du: Rabinsky is ein Deubelskerl, aber Polacke und unzuverlässig. Pottmüller is willig, aber noch ein halber Rekrut; bleiben dir noch Sattler Gemke und der rothaarige Schindler, die nimm, die sind jut. Und so nahm ich mir denn Gemken und Schindlern; die drei von der 5. Eskadron schickte ich links um das Dorf rum, Rabinsky und Pottmüller rechts.

Sattler Gemke hatte die Spitze, dreißig Schritt hinter ihm Schindler und ich; so ritten wir in das Dorf ein. Ich kannte es schon von Mitte Oktober her, wo wir bei hellem Mittagsschein durchgekommen waren. Ein langes Dorf, bloß zwei Reihen Häuser; in der Mitte die Kirche mit einem Platz. Ich hatte es noch gut in Erinnerung.

Die ersten Gehöfte in ihrem weißen Anstrich und mit den Vorgärten, in denen noch das bunte Laub hing, sahen freundlich genug aus; aber in jeder Tür stand ein altes Weib, was mir all mein Lebtag nichts Gutes bedeutet hat. Ich ritt an die erste heran und fragte: »Franktireurs?« worauf sie mit dem Kopfe schüttelte, nach Süden hin zeigte und bloß immer wiederholte: »En bas.« Ich sagte: »Dank, Mütterchen,« ritt auf die zweite zu und fragte wieder »Franktireurs?« worauf diese mit dem Kopfe nickte, auch nach Süden zeigte und auch wiederholte: »En bas.«

Ich war jetzt ärgerlich. Die eine schüttelte, die andere nickte; ich warf ihr also einen altmärkischen Morgengruß an den Kopf, den ich hier nicht wiederholen will. Vielleicht hatte sie's gut mit mir gemeint. Es ist schlimm, wenn man sich in fremden Sprachen vernachlässigt hat.

Gemke war uns jetzt erheblich vorauf. Schindler und ich ritten rechts und links an den Gehöften vorbei; wo es möglich war, hielten wir uns so dicht an den Häusern hin, daß wir in die Fenster des ersten Stocks hineinsehen und den Flur und die Zimmer mustern konnten. Aber nirgends zeigte sich etwas Verdächtiges. Die Dorfstraße war leer, die Gehöfte wie ausgestorben; nur Kinder spielten im Hof. Männer schien es nicht zu geben.

So waren wir an der Kirche vorbei bis an die letzten, schon vereinzelt stehenden Häuser gekommen und wollten eben auf Ecouen und Sarcelles zu uns in Trab setzen, als zwei Schüsse fielen und Gemke, sein Pferd herumwerfend, in voller Karriere auf uns zusprengte. Er hielt seinen linken Arm in die Höh', der stark blutete. Jetzt wußt' ich Bescheid. »Gemke,« rief ich ihm zu, »helfen is nich; Sie müssen sehen, wie Sie durchkommen, immer querfeldein; Gott verläßt keinen Ulanen nich.« Ich sah noch, wie er über den Graben setzte. Schindler und ich aber machten kehrt und jagten wieder zurück in das Dorf hinein, das wir eben erst verlassen hatten.

Welch Wechsel! Die Gasse stand jetzt so vollgepfropft, als ob Jahrmarkt oder Hinrichtung wäre. Es war auch so was. Durch diesen Menschenhaufen mußten wir hindurch. Es schien glücken zu sollen. Die ganze Masse war ersichtlich noch nicht recht in Ordnung; nur einzelne Schüsse fielen. So kamen wir bis an den Kirchenplatz, wo die Straße nach links hin ausbuchtet. Hier war alles leer. Ich tat einen vollen Atemzug und dachte so vor mich hin: Janecke, das wär überstanden.

Aber ich hatte mich verrechnet. In der zweiten Dorfhälfte hatten sie derweilen Zeit gefunden, sich zurechtzumachen, und als wir jetzt in die wieder schmaler werdende Gasse hinein wollten, da sahen wir aus allen Fenstern und Dachluken Gewehrläufe auf uns gerichtet und gleich dahinter einen in drei Gliedern stehenden Schützenzug, der uns mit Flintenschüssen empfing. Ich duckte mich; als wir aber glücklich durch waren, richtete ich mich hoch auf, um zu sehen, was wir noch vor uns hätten, und sah nun, daß bis ans Ende des Dorfes hin und drüber hinaus alle hundert Schritt eine solche Chaine gezogen war, und daß wir also auf dem zwischenliegenden freien Raum das Seitenfeuer der Häuser und das Frontfeuer dieser Chainen auszuhalten haben würden.

An diesen Ritt will ich denken. Schindler, nach links, immer dicht neben mir; nur so viel Zwischenraum, daß er mit seiner Rechten frei hantieren konnte. »Mann,« rief ich ihm zu, »wir müssen durch!« Sein Sommersprossengesicht nickte mir zu, und der rote Spitzbart tupfte ihm dabei vorn auf die Ulanka und das Kreuz von 66. So ging es hinein; Schindlers Lanze immer um drei Fuß vor. Ich faßte meinen Säbel krampfhaft fest und stieß und hieb, aber das war nur Spielerei; davon ist nicht zu sprechen neben der Lanze meines Rotkopps. Was ich sonst nur immer gehört hatte, hier sah ich es: die Lanze ist eine furchtbare Waffe. Ich will nicht Zahlen nennen, sie möchten doch nicht geglaubt werden; zudem bin ich meiner Sache nicht sicher. Ich weiß auch nicht, wieviel der Anprall der Pferde und wieviel die bloße Furcht vor dieser langvorgestreckten Spitze getan haben mag, aber das muß ich sagen: ich habe den Eindruck, daß uns diese eine Lanze unsern Weg durch all die Kolonnen bohrte. Keine Kugel traf; wir hörten nur das Klatschen auf den Dachziegeln gegenüber.

Jetzt kam wieder eine Lichtung, ein größerer Zwischenraum, und über die Köpfe der zwei letzten Chainen weg, die den Ausgang sperrten, sah ich schon die Pappeln der Chaussee und dachte eben in meinem Sinn: »Sie schießen doch zu schlecht,« – klatsch, da hatt' ich eins weg in den Schenkel, nicht viel, aber mein Pferd mußte scharf getroffen sein, denn das Blut spritzte hoch auf, und meine weißen Fangschnüre waren wie getränkt damit. Ein Unglück kommt nie allein. In diesem Augenblick rief Schindler: »Unt'roffizier, ich bin getroffen,« und sah deutlich, daß er zusammenzuckte. »Halt dich fest,« schrie ich ihm zu, »durch, durch!« und er packte mit der Linken den Hals seines Braunen und ging wieder hinein. Es war ein prächtiger Kerl. Aber plötzlich fehlte er neben mir; mit halbem Blick nach links sah ich, daß Pferd und Reiter zusammengebrochen waren, und daß man über ihn her war. Ich hatte nicht viel Zeit, drüber nachzudenken, denn im nächsten Augenblick war es auch mit mir vorbei. Mein Pferd, von einer zweiten Kugel in den Kopf getroffen, stürzte zu Boden; ich lag drunter und verlor die Besinnung.

Als ich wieder zu mir kam, war ich unter einem Dach von Bajonetten. Man zog mich hervor und schleppte mich im Triumph in die Mitte des Dorfes, an meinem treuen Schindler vorbei. Er richtete sich noch einmal auf; der Todesschmerz stand ihm im Gesicht. Es hat nicht lange mehr gedauert. Einer von den Franktireurs gönnte ihm eine letzte Kugel. Es war auch das beste.

Sattler Gemke, wie ich gehört habe, ist durchgekommen und hat seine Meldung gemacht. Ich gönn's ihm; einer hat eben Glück vorm andern; die Lose fallen verschieden. Gemke lebt, Schindler ist tot, und ich – sitze hier

 


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