Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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15. »Sentinelle, prenez garde à vous.«

Um Mitternacht (Gott sei Dank) schlief ich fest, wenn nicht das Zusammenbrechen der verkohlten Scheite mich auf einen Augenblick weckte. Nur einmal wachte ich die Mitternacht heran.

Es war bei Vollmond. Als die zwölf Schläge über den Kasernenhof hin verklungen waren, hüllte ich mich in Schal und Kapuze und tappte an der Wand des Korridors entlang bis an die schmale Hintertür, die auf den Wallgang hinaus führte. Entzückendes Bild! Nach rechts hin stand der Mond und goß sein volles Licht in breitem Streifen über die Wasserfläche. Kein Lüftchen ging, das Meer wie ein Spiegel, alles still; ich hörte nichts als in einiger Entfernung den Schritt der Wachen und am Fuße der Bastion ein leises Brauen und Murmeln, denn die Flut kam.

Ein weißer Schimmer lag wie Schnee auf den grauen Fliesen des Rempart, und ich begann jetzt, immer dicht an der Brüstung hin, einen Mitternachtsgang anzutreten, wie ich gewohnt war, an eben dieser Stelle meinen Morgengang zu machen.

Ich sah hinüber nach dem Festland, das schwach heraufdämmerte. Nahes und Fernes immer schärfer musternd, empfand ich plötzlich, daß ich dies alles, an einem andren Orte, schon mal gesehen habe: dieselbe verschwimmende Küste, den Meeresarm, den Wallgang mit seinen Bastionen, das Portal und die Zugbrücke und dahinter das Fanal. Ich brauchte auch nicht lange zu suchen: Helsingör. Alle Empfindungen, mit denen ich damals über den »Hamlet-Rempart« hingeschritten war, sie wurden wieder lebendig in mir. Nur gesteigert. Wohl war das Schloß am Sunde, aus dessen Dachfirst eine nadelförmige Spitze wie das Horn aus dem Haupte des Einhorns phantastisch rätselvoll aufwächst, der echtere Ort: dort war es, wo »the majesty of buried Denmark« in poetischer Wirklichkeit gewandelt war, aber eines hatte meinem verlangenden Sinn die Plattform von Helsingör nicht geben können: die rechte Stunde. Es war heller Mittag, als ich drüber hinschritt. Hier hatt' ich jetzt, was mir Helsingör verweigert hatte. »'T was now struck twelve.« Für den echteren Ort hatt' ich die echtere Stunde eingetauscht.

Ich zog meine Kapuze fester an und setzte mich innerhalb eines Brüstungsvorsprungs auf eine Steinbank, die, hufeisenförmig, diesen Vorsprung beinahe ausfüllte. Ich sah in den Mondstreifen hinein, der in schräger Linie über das Meer und dann glitzernd über die schneeweißen Fliesen lief, und mit schauerndem Entzücken begann ich Lieblingsstellen zu zitieren. Was halb vergessen war, jetzt hatt' ich es wieder. Ort und Stunde halfen nach. Ich hielt Zwiegespräche, Szene um Szene, Frage und Antwort.

»Wer bist du, der sich dieser Nachtzeit anmaßt
Und dieser edlen, krieg'rischen Gestalt?
Sag', ich beschwör dich.«

Und dann klang es Antwort:

                          »Ich bin
Verdammt, auf eine Zeitlang nachts zu wandern
Und tags, gebannt, zu fasten in der Glut,
Bis die Verbrechen meiner Zeitlichkeit
Hinweggeläutert sind. Wär' mir's verstattet,
Das Inn're meines Kerkers zu enthüllen,
So höb' ich eine Kunde an, von der
Das kleinste Wort die Seele dir zermalmte,
Dir die verworren krausen Locken trennte
Und sträubte jedes einzle Haar empor
Wie Nadeln an dem zorn'gen Stacheltier.«

In diesem Augenblick schlug es halb, und noch eh der Schlag verklungen war, mit einer Plötzlichkeit, wie ein Schuß fällt, begann jetzt vom Portal her das Anrufen der ausgestellten Wachen. »Sentinelle, prenez garde à vous!« Der nächste Posten nahm den Anruf auf, und im fünffachen Echo lief es jetzt um die Zitadelle herum, von Posten zu Posten, bis der mir zunächststehende, mit dem die Kette schloß, dieselben Worte über den Rempart hinrief. Es war, als gälten sie mir selber.

Ich stand jetzt auf, um meinen Rückzug anzutreten. Mich fröstelte. Als ich durch den Mondstreifen hindurchschritt, der jetzt zwischen mir und der schmalen Hoftür lag, war mir's, als streifte mich etwas. Ich zuckte zusammen und eilte vorwärts.

Der Wachen Ruf war längst verklungen, aber immer noch klang es in mir nach: »Sentinelle, prenez garde à vous.«

 


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