Theodor Fontane
Kriegsgefangen
Theodor Fontane

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5. Poitiers-Rochefort.

Um 4 Uhr nach Poitiers. Wie schön der Name in meinem Ohre klang! Aber seitdem Moulins meine Erwartungen so arg getäuscht hatte, hatt' ich den Mut verloren, meiner alten Neigung zu leben und auf Namen und Namensklang zu bauen.

Wir hatten eine stärkere Begleitung als gewöhnlich. Die Folge war, daß ein Coupé (oder wie es in Frankreich heißt, ein »Compartiment«) für die Gesamtheit von Gefangenen und Gendarmen nicht ausreichte und eine Teilung vorgenommen werden mußte. Der »Brigadier« und ich sonderten uns aus und bezogen ein Nachbarcoupé. Dies war zunächst sehr angenehm; man hatte freie Bewegung, konnte rechts und links in die Landschaft hineinblicken und rechts und links die Stationen mustern. Dazu kam ein direktes Angewiesensein auf einen Begleiter, der nach Sprache, Haltung und Benehmen eher ein »Brigadier« in unserem als in französischem Sinne war. Er hatte etwas Distinguiertes, war leicht, gefällig, unterrichtet, dabei ohne alle Renommisterei, weder persönliche noch nationale. Unter allen Gendarmen, die ich in Frankreich kennen gelernt habe (wenigstens vierzig an der Zahl), war er unstreitig der Sanspareil; die ganze Klasse verdient es aber, daß ich ihr an dieser Stelle, wo ich ohnehin bald von ihr Abschied nehmen werde, eine warme Lobrede halte. Sie waren alle gut. Im ersten Moment in der Regel nüchtern, steif, selbst ein wenig schroff, kehrten sie nach zehn Minuten regelmäßig die gemütliche Seite heraus, waren mitteilsam, ertrugen Widerspruch, luden mich zu ihrem Frühstück ein (was ich auch in der Regel annahm) und erwiesen sich als absolut unbestechlich, selbst in Kleinigkeiten. Sie mieden klugerweise auch den Schein. So oft ich einen Versuch machte, mich am Büfett zu revanchieren, meine Anerbietungen wurden stets artig aber entschieden abgelehnt. Ich war ihr Gast, nicht sie die meinigen. Dazu ein wahres Elitekorps. Große, schöne Männer zwischen dreißig und vierzig, vielfach aus den Kürassier-Regimentern, am liebsten aus der Artillerie genommen; alles Leute, die in der Krim, in Italien und Mexiko mitgefochten hatten, von Algier und Kabylien gar nicht zu sprechen. Wenige, die nicht die Solferino-Medaille trugen. Alle die liebenswürdigen Züge des alten Soldaten waren bei ihnen heimisch; nie verstimmt, nie feindselig, immer ein Schutz, immer zu Zuspruch geneigt; – dabei (vielleicht ihr hervorstechendster Zug) von einer unsagbaren Verachtung gegen die Populace und gegen die Militärspielerei, die sich vor ihren Augen breit machte. Möglich, daß sie später, als sich die aus dem Boden gestampften Armeen mit rühmlicher Bravour in den Tod stürzten, eine veränderte Stellung zu dieser Frage einnahmen; im Dezember lagen die Dinge anders als im Oktober.

Ich kehre nunmehr zu meinem »Brigadier« zurück. Er erzählte mir viel von der Familie des Vicomte d'Ussel, dessen älterer Bruder sein Eskadronchef gewesen war, lobte die Gesinnung und Noblesse des alten Adels und tat mir durch die Einfachheit und Leichtigkeit seiner Unterhaltung geradezu wohl. Er war auch der einzige, der Verstand und Takt genug besaß, sich in große politische Gespräche gar nicht einzulassen.

All dies machte die Fahrt nach Poitiers zu einer sehr angenehmen; aber sie hatte doch auch ihre unangenehme Seite. Bis dahin immer warm zusammengepfercht, mußte hier die freiere Bewegung und die frischere Luft mit einer sehr empfindlichen Kälte bezahlt werden, die nur wuchs, wenn ich auf die mondbeschienene, fast wie in einem dünnen Schneeschleier daliegende Landschaft sah. Ich wurde der Schönheit dieser Bilder nicht recht froh und segnete die Stunde, als wir endlich zwischen 10 und 11 Uhr durch die glitzernden Felsmassen hindurchfuhren, auf deren Höhe sich Poitiers erhebt. Das allgemeine Frösteln spornte zur Eile; im Geschwindschritt ging es, über wohl hundert Steinstufen, die Berglehne hinan, bis wir, durch ein Gewirr von Gassen hindurch (natürlich völlig unbelästigt) das Gefängnis erreichten.

Es war 11 Uhr; alles schlief. Die verschiedenen Beamten in zum Teil fragwürdigen Kostümen erschienen staffelförmig, nach dem Grade ihres Ranges; der vornehmste zuletzt. Die üblichen Fragen und Schreibereien erfolgten rasch; ich bat um ein Kaminzimmer, wurde geschäftsmäßig nach der Ausreichendheit meiner Kassenbestände gefragt und erhielt das Gewünschte ohne weiteres, nachdem ich die ausreichenden Garantien gegeben hatte. Diese nüchtern-geschäftsmäßige Behandlung, wie immer in Geldsachen, war auch hier das Beste. Daran muß ich noch, wie vorhin ein Lob der französischen Gendarmerie, so hier ein Lob der französischen Beamten knüpfen, soweit ich sie kennen gelernt habe, sowohl hier in Poitiers, wie überhaupt. Sie waren nämlich nie ärgerlich und gereizt, nie schlechter Laune und sind mir nach dieser Seite hin geradezu als ein Muster erschienen. Es spricht sich darin entweder eine gewisse Wohlerzogenheit oder ein tiefgehender, längst Allgemeinheit gewordener humaner Zug oder aber drittens eine richtige Vorstellung vom Metier, von der Beamtenpflicht, aus. Wahrscheinlich wirkt alles drei zusammen. Alle diese Beamten wurden unsretwegen aus dem ersten Schlaf geholt; die Unbequemlichkeit war groß; aber ich habe keine unfreundliche Miene, keine gerunzelte Stirn gesehen. Im Gegenteil, man war artig und zeigte eine gewisse Teilnahme. Es war Dienst und damit abgemacht.

Unser Gefängnis zu Poitiers war das besteingerichtete unter allen, die ich kennen lernte; es hatte etwas von der Opulenz eines großen Bahnhofs oder eines Musterkrankenhauses. Am andern Morgen erschien ein Mitgefangener, um ein Kohlenfeuer zu machen und überhaupt auf acht Stunden in meinen Dienst zu treten. Es war ein Pariser, ein allerliebster Kerl, der sich auf die Kunde hin, »daß ich aus Berlin sei«, zu diesem Dienst gemeldet hatte. Wir wurden bald gute Freunde. Er hatte nämlich in Konstantine, ich glaube ein halbes Jahr lang (von 1864 auf 65), Offiziersburschendienste beim Ulanenleutnant v. Prittwitz getan, der damals, nach Paris kommandiert, auch nach Algier gegangen war, um die Kämpfe gegen Kabylien mitzumachen. Von diesem seinem ehemaligen Herrn sprach er nur mit der größten Anhänglichkeit, betrachtete jene Wochen als die beste Zeit seines Militärdienstes und schilderte mir in lebhaften Farben das Aufsehen, das sein »Leutnant« gemacht habe, als er das erstemal in vollem Ulanenaufputz durch die Straßen von Konstantine gegangen sei, um sich dem General zu präsentieren. Ich versprach, bei meiner Rückkehr nach Berlin, seinem Herrn von ihm zu erzählen. Vielleicht lösen diese Zeilen mein Wort ein. Sein Name war Louis Charbault, Voltigeur im 93. Regiment.

Die andern Begegnungen in Poitiers waren die herkömmlichen, so daß ich – und um so lebhafter, als der schlecht ziehende Kamin meine Zelle mehr und mehr mit Kohlengas zu füllen begann – mit wahrer Freude die Nachricht begrüßte: um 4 Uhr nach Rochefort. Die Fahrt war der vom Tage vorher sehr ähnlich, nur mit dem einen Unterschiede, daß wir diesmal wieder »gekeilt in drangvoll fürchterlicher Enge« saßen, was ich, als das kleinere von zwei Übeln, freudig willkommen hieß. Um 11 Uhr Ankunft. Rochefort ist noch zwei Meilen von der Küste entfernt, aber die Flut dringt bis hierher vor und macht es zu einer Seestadt. An den Brücken, am Bollwerk, hin, lagen Briggs und Dreimaster; ihr Rahen- und Spierenwerk schimmerte phantastisch im Mondenlicht. Im Gefängnis wiederholten sich die Szenen vom Tage zuvor. Es war bitterkalt. Der Schließer, trotz später Stunde, brachte mir noch ein Abendbrot, das aus Landwein, großen Birnen und einigen Nüssen bestand. Gut gemeint, aber wenig geeignet, mich zu erwärmen. Ich wickelte mich in mein Reiseplaid, ganz dicht und fest, wie man ein Kind wickelt, und schob mich vorsichtig unter die Decken, aus meinem Überzieher gleichzeitig eine Art Kuppel aufbauend, die sich über Brust und Kopf, wölbte. So schlief ich endlich ein, träumend von Schneestürmen, und daß ich am Wege eingeschlafen und erfroren sei.

 


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