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X.
Ritter Blaubart

Ein ziemlich dickes Aktenbündel lag vor mir, es behandelte die Thaten und Abenteuer des August Hermann Kirschning aus Tilsit, verurteilt zu fünf Jahren Zuchthaus, wie auf dem Deckel geschrieben stand. Der Inhalt mutete mich an, wie ein mehrbändiger moderner Roman; ich schlug unwillkürlich auf den Tisch und sagte halblaut: »das ist ja der reinste Ritter Blaubart!« Unser Held betrieb nämlich das Verlieben und Verloben geschäftsmäßig; immer wieder gewann er eine neue Braut, gewöhnlich aus guter Familie, um dieselbe zu prellen und dann im Stich zu lassen. »Ein andres Städtchen, ein andres Mädchen,« schien seine Losung zu sein; es mag ihm auch wie dem Onkel Bräsig vorgekommen sein, daß er einmal »drei Brauten« zugleich gehabt hat, nur aus andern Beweggründen, wie der alte ehrliche »Entspekter«. –

Den Menschen mußt du dir einmal anschauen, dachte ich, verwundert über die vielen raschen Siege, die der unwiderstehliche Don Juan über die Frauenherzen davon getragen hatte. Ein hochgewachsener, schlanker Bursche stand bald in der Zelle vor mir, mit großen gescheiten Augen und einnehmenden, gewinnenden Manieren; nicht zu vergessen das bekannte norddeutsche »Mulwerk«, das ihm bald im Hause den Namen »preußischer Schwindler« eintrug. Er machte aus seinen Thaten nicht den geringsten Hehl; er trug dieselben auch ohne die geringste Reue mit einer vollständig unschuldigen Miene vor. Er schien sagen zu wollen: »Was kann ich dafür, daß sie sich alle in mich verlieben? Warum sind sie so dumm?«

In einigen Monaten hatte ich sein Vertrauen gewonnen und er vertraute mir seinen Lebenslauf an, den er in seiner Zelle an den Sonntagnachmittagen abgefaßt hatte. Derselbe war so naiv und offenherzig, daß ich ihn unbedenklich als Quelle benutzen kann, wenn ich in Folgendem kurz die Geschichte des jungen Mannes erzähle. Kirschning war das einzige Kind ehrbarer, wohlhabender Bürgersleute in Tilsit und wurde als solches gebührend verwöhnt und verzogen. Seine Eltern waren nicht wenig stolz auf den offenen Kopf des hübschen Knaben, der lange Gedichte auswendig wußte, und bei jeder Gelegenheit zum Staunen aller Vettern und Basen hersagte. So wurde er bald nicht nur ein eigenwilliger, sondern auch ein eingebildeter und oberflächlicher Mensch. Nach der Konfirmation besuchte er noch einige Klassen der höhern Bürgerschule, als plötzlich seine beiden Eltern hinter einander wegstarben. Sie hinterließen ihm eine ansehnliche Gerberei und sein Vormund that ihn nun in dieses Geschäft, das er einstmals übernehmen sollte. An dummen und leichtsinnigen Bubenstreichen fehlte es schon damals nicht und er machte seinem Vormunde das Leben gehörig sauer. Nachdem er ausgelernt hatte und ein tüchtiger Gerbergeselle geworden war, zog er auf die Wanderschaft, um nach guter alter Sitte die Welt zu sehen, seine Kenntnisse in anderen Ländern zu vervollkommnen und in der Fremde die Heimat erst recht schätzen zu lernen. Selten ist wohl ein flotterer Geselle auf die Wanderschaft gezogen, als der junge Kirschning, allein er nahm in sich die sittliche Kraft nicht mit sich, um den Versuchungen und Lockungen der großen Städte widerstehen zu können. Er arbeitete wenig und fing an Schulden zu machen, die sein Vormund aus dem elterlichen Vermögen bezahlen mußte. Der Glanzpunkt seines Lebens war sein Aufenthalt in Hannover. Dort erhielt er Arbeit in einem sehr anständigen Bürgerhause und bald gewahrte er, daß die hübsche Tochter seines Meisters den flotten, stattlichen Burschen mit wohlgefälligen Augen betrachtete. Er raffte sich auf, arbeitete tüchtig, um die Gunst der Eltern zu erlangen, er wurde Altgeselle der ehrbaren Gerberzunft und hielt als solcher Reden aller Art. Bald hatte er sich vollständig im Meisterhause eingeschmeichelt, die Nachrichten aus Danzig lauteten günstig, mit zwanzig Jahren war er schon verlobt und hätte damals ein glücklicher Mann werden können. Allein er wurde von Tag zu Tag vergnügungssüchtiger, putzte sich immer mehr, veranstaltete Ausflüge, gab bei jeder Gelegenheit etwas zum Besten, kurzum, er begann den großen Herrn zu spielen. Daß dabei sein Erbteil nicht größer wurde, läßt sich denken. Plötzlich schrieb ihm sein Vormund, wenn er jetzt nicht spare, so müsse die Gerberei verkauft werden; diese sei allein noch von der Hinterlassenschaft übrig geblieben. Unser Held, der noch ganz voll Schulden stack, fühlte nun, daß der Boden in Hannover für ihn zu heiß werde, weshalb er eines schönen Tages spurlos verduftete. Abends veranstaltete er noch ein lustiges Fest, zu dem er Regimentsmusik bestellt hatte, mit welcher er in der Nacht vor das Haus der Braut zog, um ihr ein Ständchen zu bringen; des Morgens war er fort über alle Berge. Charakteristisch ist, wie er dies in seiner Lebensbeschreibung mitteilt. »Da dachte der Musikmeister wahrscheinlich, er werde am andern Tage sein Geld bekommen. Aber der Mensch denkt – Gott lenkt! Am andern Morgen war ich verschwunden.«

Von Hannover wendete sich Kirschning nach Braunschweig, wo er die Liebesgeschichte wiederholte, die ihm in jener Stadt gelungen war. Der Unterschied bestand nur darin, daß er jetzt diese Angelegenheiten nicht mehr als Herzenssache, wie beim ersten Male, sondern als Geschäft betrieb, mit der ausgesprochenen Absicht, die Braut oder deren Angehörige zu prellen. War ihm dies gelungen, indem er entweder diese selbst angepumpt oder auf ihren Namen in der Stadt allerlei »entnommen« hatte, dann pflegte er das Weite zu suchen. Es glückte ihm das nicht immer. In Eisenach sollte er die Wahrheit des Wortes: der Mensch denkt, Gott lenkt, zum ersten Male auch an sich erfahren. Er dachte dort auch rechtzeitig zu entwischen, aber siehe da, am andern Morgen saß er hinter Schloß und Riegel. Er wurde nicht nur ordentlich eingesperrt, sondern auch zur Entschädigung einiger Geprellten, die sich gemeldet hatten, verurteilt, wobei der Rest seines elterlichen Vermögens draufging. Andere Exbräute schämten sich, ihre Meldung bei Gericht zu machen, sie ließen lieber Gras über ihre Schande wachsen.

Nachdem das Geschäft im Norden nicht mehr ziehen wollte, verlegte er seine Thätigkeit nach dem verliebteren Süden, gemäß dem Liede: »Macht das Glück im Norden Pause, ist im Süd mein Vaterland.« Über Frankfurt bewegte er sich nach der Pfalz, wo er in einem schönen Städtchen am Haardtgebirge Arbeit fand. Es dauerte auch nicht lange, so war er mit der Nichte seines Meisters – derselbe hatte keine heiratsfähigen Töchter – verlobt. Und wiederum dauerte es nicht lange, so hatte er bei Uhrmachern, Goldschmieden, Kleiderhändlern auf seinen und seiner Braut Namen eine erkleckliche Masse Schulden gemacht, so daß er gerade den richtigen Zeitpunkt wählte, um zu verduften. Bei Frankfurt nahm er in einem Gasthofe einem andern Reisenden die Uhr ab, wobei er gegriffen wurde. Man lieferte ihn nach der Pfalz aus, wo er fünf Jahre Zuchthaus erhielt.

Am Straforte betrug er sich leidlich; berührte ihn das Christentum auch nur oberflächlich, so sah man ihm doch die Spuren einer anständigen Familie und Erziehung an. In den Zuchthäusern ist der Main noch nicht so überbrückt, wie in der Freiheit. Schon als »Preuß« wurde er von den Süddeutschen befehdet und als er nun gar sein »Mulwerk« spielen ließ, heftig disputierte, aufschnitt und gelegentlich einen oder den andern verächtlich über die Achseln ansah, trug er zu öfteren Malen tüchtige Prügel davon. Er beschäftigte sich mit allerlei Projekten und Erfindungen, welche die Erträgnisse des Hauses vermehren sollten, auf welche zu seiner Kränkung aber der Hausvorstand nicht einging. An seinen Vormund schrieb er mehrere Male; da dieser ihm aber nichts mehr schuldig war, gab er ihm gar keine Antwort. Sich eine Braut zu erwerben, hatte Kirschning diesmal keine Gelegenheit, »aus Mangel an Damenbekanntschaft,« doch sah ich aus seinem Schreibheft, daß er sich zeitweise mit Versemachen quälte.

Er verabschiedete sich gerührt und ich ermahnte ihn zum Schlusse nochmals ernstlich, nun das frevelhafte Spiel mit den Menschenherzen sein zu lassen. Was geschah? Es war noch kein Vierteljahr vergangen, da erhielt ich einen Brief von Kirschning, worin er mir hocherfreut aus einer Stadt am Niederrhein mitteilte, daß er sich dort mit einem wackern Mädchen – verlobt habe. Er sei wahrhaft glücklich, schrieb er, und hoffe, auch ich werde mich über dieses sein Glück gewiß sehr freuen.

»Da haben wirs« dachte ich bei mir und erwog sorgfältig, ob ich nicht die betroffene Familie vor dem Abenteurer warnen solle. Schließlich kam ich von dem Gedanken zurück; wenn anständige Familien ihre Töchter so ohne weiteres an den ersten besten Fremdling wegwerfen, so mögen sie auch die Folgen ihres Leichtsinnes tragen. Ich hütete mich aber, dem glücklichen Bräutigam zu gratulieren; man kann nie wissen, wozu derartige Leute einen solchen Brief oder dessen Unterschrift verwenden.

Längere Zeit verstrich, da brachte der Postbote ein Schreiben aus Padang auf der holländischen Insel Sumatra. Der Inhalt desselben war merkwürdig genug. Kirschning meldete mir, seine geliebte Braut sei ihm leider untreu geworden und habe einen andern geheiratet. Als ich das las, freute ich mich herzlich über dieses Unglück und daß endlich ein deutsches Mädchen seine Kolleginnen an dem Don Juan also gerächt hatte. Im Briefe hieß es weiter, er habe sich diese Treulosigkeit sehr zu Herzen genommen, ja er sei seines Lebens überdrüssig gewesen und deshalb in die holländische Fremdenlegion eingetreten. Er schilderte dann die Fahrt nach Osten, die Verhältnisse auf Sumatra, die Kämpfe mit den Atchinesen und den Kreis seiner Bekannten. Schließlich meinte er, jetzt werde er sich nimmermehr verlieben noch verloben. Nach Padang gab ich, da der Brief auch sonst ernster klang, nun Antwort, worin ich Kirschning namentlich wünschte, daß er dem zuletzt geäußerten Vorsätze treu bleiben möge.


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