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Neuntes Kapitel.
Leben und Treiben in einer Handwerksburschenkneipe

Mein Weg führte mich über Ludwigshafen, Worms nach Darmstadt, wo ich in der Herberge »zum Köhler« einkehrte. Die weite Stube war mit Tabaksdampf und Gästen gefüllt. Es herrschte unglaubliches Leben und Treiben, da klirrten die Gläser, dort wurde ein Zotenlied gesungen. Als ich mir ein Plätzchen gesucht hatte, kamen alsbald Etliche an mich heran und fragten mich aus: »Kunde, wo kommst Du her und wo gehst Du hin?«

»Ich komme von Hause und mache nach Frankfurt,« gab ich zur Antwort.

Da sagten sie unter einander: »Das ist ein linker Fißel, welcher von der Mosk aus dem Kaff gebockelt kommt; er muß noch Asche hegen, den müssen wir leimen, wir wollen es gleich reimen.«

Ich verstand wohl ihre Gaunersprache, das Jenisch, ließ aber nicht das geringste merken.

Jetzt fragten sie weiter: »Was hast Du für eine Religion?«

»Ich bin katholisch,« erwiederte ich.

»Nein, wir meinen, was Du für ein Geschäft hast.«

»Ich bin ein Schuhmacher!«

»So, ein Pflanzer.«

»Nein, ich bin Schuster und kein Pflanzer.«

»Schon recht, das meinen wir ja auch.«

»Nun, laß mal einen Soruff vorfahren, nachher werde ich auch einen beschollmen und Dir Mancherlei mitteilen, was Dir von Nutzen ist.«

»Ich verstehe Sie nicht, reden Sie deutsch.«

»Na, laß mal einen Schnaps kommen, verstehst Du das?«

»Den sollst Du haben, wenn Du willst,« sagte ich.

Er rief dem Wirte zu: »Gattschemmeboß, für zwölf Knippl Soruff; der Affe berappt,« und deutete dabei auf mich.

»Kenn,« sagte der Wirt und holte ein Glas, das etwa ¾ Schoppen enthielt, goß es voll Schnaps und stellte es auf den Tisch. Ich zahlte zwölf Kreuzer und rückte den Branntwein dem Andern hin.

»Trink Du zuerst,« rief der. Allein ich fiel nicht aus der Rolle, sondern stellte mich, als ob ich keinen Schnaps trinken könne, worauf sie mich mitleidig lächelnd anschauten.

»Bleibe hier,« riet mir Einer, »Darmstadt ist ein guter Platz, da kannst Du Dir morgen einige Groschen holen. Du bist noch sehr gut gekleidet; ich werde Dir dann einige gute Winde zeigen, wo Du Geld und auch einige Stäudchen holen kannst. Heute Abend werde ich Dir im Schlafzimmer eine zünftige Fleppe machen. Jetzt laß noch einen einschenken, morgen wird sichs rentieren, das sag ich Dir.«

Ich ließ noch einen Schnaps für zwölf Kreuzer einschenken. Währenddem rief es durch die Thüre: »Kinder, das Nachtessen ist fertig!« Ich war neugierig und fragte, was es denn gebe.

»Suppe, Quellkartoffel mit Häring, Pfannkuchen und Salat,« war die Antwort. Ich bestellte das Letztere, meine Leibspeise. Nun tönte es wirr durch den Saal: »Vater, geben Sie mir Mattrohle mit Fännerig!« »Mutter, bringen Sie mir eine gute Schnalle mit Hanf!« »Schwesterchen, geben Sie mir Salat, Brod habe ich noch!« »Mutter, bringen Sie mir für drei Kreuzer Kartoffeln und für zwei Kreuzer Salat!« Diese Fütterung dauerte über eine Stunde.

Jetzt kam der Herbergsvater herein und sagte: »Kinder, wenn Einer oder der Andere unter euch schwarz ist oder keine Flepperei hat, der mach' sich jetzt dünne, in einer Stunde kann er wieder kommen. Die Schmiere ist draußen bei meiner Frau. Ihr wißt, der Gendarm Vogel ist nicht sauber geschnitten und wenn er etwas nicht in Ordnung findet, versteht er keinen Spaß.«

Nun ging es husch, husch durch die Hinterthüre, im Nu waren Alle, die sich nicht sauber unter dem Brusttuch fühlten, im Finstern verduftet.

Bald darauf öffnete sich die Thüre und die zwei gefürchteten Wächter der Sicherheit traten ein. »Seid ihr alle fremd?« fragte der Eine.

»Ja, Herr Wachtmeister, wir sind alle fremd,« rief jetzt ein großmäuliger Nordhäuser, der mich wegen seines patzigen Wesens schon den ganzen Abend geärgert hatte.

Der Gendarm Vogel ging gerades Weges auf ihn zu und fragte: »Haben Sie Papiere?« »Ja, Herr Wachtmeister.«

»Seien Sie so freundlich.« Er nahm das Buch des Großmäuligen, zog ein solches aus seiner Tasche und verglich beide mit einander, dann sagte er: »Sie sind ausgeschrieben und mein Arrestant!«

»Ick weeß aber ooch rein gar nischt davon,« begann kleinlaut der Nordhäuser.

»Es ist genug, daß ich es weiß,« lautete die barsche Antwort »und nun vorwärts.« Ich muß gestehen, daß es mir innerliche Freude machte, als das Großmaul so eingegangen war.

Der andere Gendarm hatte derweilen die Übrigen abgethan und ging dann ebenfalls seine Wege. Bald darauf tauchten die verdächtigen Gestalten, die sich so rasch »dünne« gemacht hatten, eine nach der andern wieder auf. Einer hielt eine kleine Rede, etwa folgenden Inhaltes: »Das war wieder eine harte Tour für uns arme Strolche; schlimmere Leute giebt es auf der, Welt nicht, als diese Polizisten; wenn ich einen sehe, meine ich, ich sehe den Teufel. Ich möchte doch nur wissen, wer diese Kerle erfunden hat oder wozu sie da sind. Die rechten Gauner kriegen sie ja doch nicht, höchstens einen armen Schelm, wie unser einen, der nichts gemacht hat. Was ist das, wenn ich einmal einem Bauer den Schrank aufbreche oder dem Städter die Uhr hole oder eine Stube ausräume? Wenn ich die Sachen, die unbewacht da liegen, nicht nehme, holt sie ein Anderer und man sollte uns für unsere Mühe eher bezahlen. Aber Undank ist der Welt Lohn, nicht wahr, ihr Brüder?«

»Der Mann hat Recht,« brüllte ein Anderer, »er lebe hoch; wenn ich König wäre, müßten heute noch alle Gendarmen und Polizisten abgesetzt und eingesperrt werden.«

»Bringen Sie etwas zu trinken, Vater, aber schnell,« rief der Erste wieder, »wir sind ganz trocken in der Kehle.«

»Ja, was wollt Ihr denn, Kinder?«

»Sie wissen ja, daß wir kein anderes Getränk wollen, als Schnaps; das ist das beste auf der Welt.«

Das Gewünschte wurde gebracht und das Trinkgelage dauerte in dieser Weise fort, bis zur Schlafenszeit.

Als die Polizeistunde da war, hieß es: »Kinder, es ist nun Zeit zum Schlafengehen. Dann steckte der Herbergsvater das Licht an und rief: »Der erste Zug geht ab!« Darauf entfernte er sich mit einer Anzahl von Gästen und kam wieder herab, nachdem diese untergebracht waren. Jetzt ertönte der Ruf in den Saal: »Der zweite Zug geht ab!« Meine zwei Kollegen sagten: »Vater, wir drei fahren mit dem Bummelzug.« »Schon recht,« erwiderte der, »in fünf Minuten bin ich wieder da, dann müßt Ihr fertig sein.« Als er wieder kam, sagte er: »So, jetzt geht Euer Zug auch ab.«

»Vater, Du weißt doch, daß wir noch einen nehmen im Stehen.«

Der Wirt stieß einen fürchterlichen Fluch aus: »Was, es ist elf Uhr vorüber, wollt Ihr, daß die Polizei mir über den Hals kommt? Ihr müßt dann ins Loch und wie es mir geht, wißt Ihr ja, Ihr Nimmersatte, da habt Ihr noch einen kleinen, aber dann sputet Euch, daß es hier dunkel wird.«

Ich gab ihm meine Papiere und wir gingen schlafen. Der Wirt sagte zu mir: »In meinem Hause muß Sauberkeit herrschen, deshalb werde ich Sie untersuchen, ob Sie keine deutschen Reichskäfer mitführen. Die zwei anderen kenne ich, das sind alte Gäste.« Nachdem er Alles in Ordnung befunden hatte, sagte er: »Gute Nacht« und entfernte sich.

»So, jetzt ists Zeit,« begann mein Kollege, »daß wir an die Arbeit gehen. Ich stelle Dir, wie ich Dir versprochen, nun einen Paß aus, damit Du morgen Deinen Geschäften ordentlich nachgehen kannst. Er verfaßte nun nachstehendes Schriftstück:

 

Legitimation

für Jakob Junker, 18 Jahre alt, Bäcker und Konditor, geboren und heimatsberechtigt in Brücken, Bezirksamt Homburg, Königreich Bayern, Pfalz.

Diese Urkunde wurde auf Grund gesetzlicher Bestimmungen dem Obengenannten von dem hiesigen königlichen Bürgermeisteramte eingehändigt und dient als Reiselegitimation.

Das königl. bayer. Bürgermeisteramt Kübelberg:
16. März 1871.
Name: unleserlich.

Gesehen und als echt beglaubigt: Königl. bayer. Bezirksamt Homburg.
17. 3. 71.
Name: unleserlich.

 

Er zog eine Anzahl von Wappen aus der Tasche, suchte das bayerische heraus, schwärzte es am Lichte und drückte den nötigen Stempel bei.

Solcher Legitimationen werden in den Herbergen unzählige gefertigt und sind schon um einen Schnaps zu haben. Sie dienen in erster Linie zum Vorweisen in den Häusern, in welchen man dem Bettler die Papiere abverlangt. Wird dann ein solches auch einmal weggenommen, so ist nicht viel verloren. Man verschafft sich ein anderes, die richtige Legitimation, wenn der Handwerksbursche überhaupt eine solche hat, läßt er in der Herberge. Übrigens wird auch mit richtigen Papieren starker Handel getrieben und ich kannte Stromer, die mit einem Dutzend guter Pässe versehen waren und an jedem Orte unter einem andern Namen auftraten. Wie sehr das die Polizei verwirrt und die Nachforschung nach der Vergangenheit eines Gauners erschwert, ist klar.

Nachdem mein Kollege mir schließlich noch weitere Instruktionen für den folgenden Tag gegeben, suchte ich mein Lager. Ich hatte schon manche schlechte, schmutzige Betten in meinem Leben gesehen, aber noch keine solchen wie hier. Dieselben sahen aus, als ob die Slovacken schon drei Jahre darin geschlafen hätten. Ich konnte fast die ganze Nacht kein Auge zu thun, es kam mir vor, als läge ich in einem Ameisenhaufen.

Des Morgens sagte ich ärgerlich dem Herbergsvater, wenn ich kein anderes Bett bekäme, würde ich mich nach einem andern Gasthaus umsehen, denn für mein gutes Geld wolle ich auch anständig behandelt sein.

»Das ist alles gut und recht,« sagte er, »aber Sie haben sich Ihr Loos selbst gewählt. Wären Sie mit dem ersten Zug gefahren, so hätten Sie recht gut geschlafen. So gehts, wenn man den Bummelzug benutzt. Beruhigen Sie sich aber, heute sollen Sie ein reines Bett haben, allerdings kostet es etwas mehr.«

Während ich Kaffee trank, kamen meine Kollegen und nun wurde der definitive Feldzugsplan entworfen.

»So gehts am besten,« sagte der Hauptstromer, »Du ziehst Dein Hemd aus und läßt es hier. Um Deinen Hals wickelst Du ein paarmal Dein Halstuch und Deinen Rock knöpfst Du fest bis oben zu. Da unser Kollege der Baron – so hieß dieser Vagabund – geht mit Dir und zeigt Dir die rechten Häuser, damit keine Zeit versäumt wird. Kommst Du hinein, so sagst Du, Du wärst von guten Eltern, aber Dein Hemd wäre auf der Reise so unrein geworden, daß Du es hättest wegwerfen müssen. Wenn sie ein altes hätten, so wolltest Du freundlich darum gebeten haben. Du bist noch gut gekleidet, siehst auch noch frisch aus, ich bin überzeugt, daß Du in jeder »Winde« ein Hemd bekommst. Bis Abend haben wir ihrer zwanzig bis dreißig beisammen, die wir dann verkaufen. Dann kriegen wir Geld im Überfluß und leben herrlich und in Freuden.«

Das ist ein Bild des Lebens in einer schlechten Herberge, wie sich in Deutschland hunderte finden und in denen die Kinder ordentlicher Eltern an Leib und Seele zu Grunde gehen. Ich werde im Laufe meiner Geschichte noch öfters auf diese Brutstätten der Lüderlichkeit und der Verbrechen zurückkommen müssen. Daß es in diesen Häusern an fahrenden Dirnen nicht fehlt, die den jungen Burschen den Rest geben, versteht sich. Von ihnen gedenke ich in einem besondern Kapitel zu handeln. Reich an diesen Herbergen ist namentlich Süd- und Westdeutschland, auch in der Pfalz fehlt es an solchen nicht. Namentlich in und um Ludwigshafen trifft man solcher »Klappen« genug, eine »Generalklappe« bestand seiner Zeit in Maxdorf; ob sie noch in Thätigkeit ist, weiß ich nicht.


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