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Sechstes Kapitel.
Mein eigener Herr

Ich hätte mit keinem Reichsfreiherrn getauscht, als ich mit meinem Tornister durch die Rheinebene, wo die Bäume in schönster Blüte standen, nach Mannheim wanderte. Ich bildete mir ein, alle Leute und namentlich die jungen Mädchen schauten mir erstaunt und freundlich nach und rückte mit großer Zuversicht in der badischen Stadt ein. Es ging mir auch nicht schlecht, denn schon auf die erste Anfrage bekam ich bei Meister Stubenrauch Arbeit. Ich trat mit dem Gruße ein: »Ein fremder Schuster spricht an um Arbeit.« »Was machen Sie für Arbeit,« fragte der Meister. Ich antwortete: »Schuhmacherarbeit.« »Sie sind gewiß erst aus der Lehre gekommen,« sagte der Mann freundlich, »nun, wenn Sie wollen, können Sie bei mir Arbeit bekommen.«

Meister Stubenrauch muß aber den Wert meiner Leistungen im Laufe der ersten acht Tage nicht sehr hoch angeschlagen haben, denn er bot mir Samstags einen Gulden Wochenlohn mit der Bedingung, daß ich mir Morgen- und Abendkost selbst zu stellen habe. Wohl oder übel mußte ich das Angebot annehmen, allein meine Einbildung bekam ein gewaltiges Loch. In meinem leeren Magen rumorte es mächtig, so daß die andern Gesellen bei der Arbeit mich manchmal auslachten. Allein was anfangen? Mit einem Gulden in der Woche reicht man nicht weit, zumal wenn man Sonntags noch eine Cigarre rauchen will.

»Du bist ein dummer Kerl,« sagte eines Tages ein alter mit allen Wassern gewaschener Geselle, »sonst würdest Du Deinen Magen nicht so lange knurren lassen.«

Ich sah ihn dumm und fragend zugleich an.

»Wie ich so ein junger, glatter Bursche war, da hab ich keinen Hunger gelitten, ich hab mir einen flotten Schatz angeschafft.«

Nun war mir auf die Spur geholfen und die Sache leuchtete mir ein, weßhalb ich mich auch sofort auf die Suche machte.

Weit brauchte ich nicht zu gehen, denn in unserm Hause diente eine Magd aus der Pfalz, die sich ihres jugendlichen Landsmannes erbarmte. Sie war zwar ein bischen alt und häßlich, allein sie putzte sich Sonntags flott heraus und hatte Geld, in meinem Falle die Hauptsache. Ich bekam nun bessere Kost und ging an wie ein Licht. Die Magd, die auch kochte, hatte mit mir einen Ort verabredet, wohin sie des Tages zweimal Speise verstecken wollte. Ich vermochte oft kaum den, Augenblick zu erwarten, wo ich unter irgend einem Vorwande den Pechstuhl verlassen konnte, um mein geheimes Speisekämmerchen aufzusuchen und meinen grimmigen Hunger zu stillen. Als Gegenleistung mußte ich meine Wohlthäterin des Abends und ganz besonders am Sonntag Nachmittag spazieren führen, was ich namentlich in letzterm Falle ganz gerne that. Zwar war sie etwas gar scheckig aufgeputzt, und die Leute schauten oft lachend dem ungleichen Paar nach, aber das verschlug mir gar nichts, denn wenn wir irgendwo einkehrten, gab mir meine Begleiterin, die stets gut bei Kasse war, vorher das nötige Geld, um die Zeche berichtigen zu können. Ich fühlte dabei nichts Demütigendes, denn mit meinem Gulden konnte ich keine großen Sprünge machen. Der alte verwetterte Geselle begegnete mir einstmals bei einem solchen Ausflug und schlug mir lachend auf die Schulter, indem er sagte:

»Nicht wahr, ein guter Rat ist oft noch mehr als drei Batzen wert. Freut mich, daß Sie denselben so pünktlich befolgt haben.«

Im Übrigen kümmerte sich um mich kein Mensch. Der Meister fragte nur nach meiner Arbeit, aber nie nach sonst etwas. Ich konnte in meinen freien Stunden treiben, was ich wollte, ich konnte mir Gesellschaft suchen, wie sie mir gefiel, das alles ließ ihn völlig gleichgiltig. Mir fiel das damals gar nicht auf; ja ich fand das ganz natürlich und selbstverständlich; es behagte mir so am besten, ganz so hatte ich mir ja die schöne Gesellenzeit vorgestellt und in Gedanken ausgemalt; jetzt, wo ich alt geworden bin und viel durch gemacht habe, urteile ich anders. Damals hätte ich mich mit Händen und Füßen gegen eine Zunftordnung gewehrt, die man eben, wie ich höre und lese, wieder anstrebt; jetzt, da ich unter der Zuchthausordnung stehe, muß ich bekennen: Wie gut wäre es für jeden jungen, unerfahrenen Menschen in der Fremde, wenn er in den Schutz eines eng geschlossenen Vereines mit festen Ordnungen und Gesetzen eintreten müßte. Wie Mancher würde dem sittlichen Untergang entronnen sein, wenn gerade in der gefährlichsten Zeit des Lebens ehrenfeste Meister und tüchtige Gesellen um ihn und eine stramme Zucht über ihm gewesen wären! Es ist eine herzlose, gewinnsüchtige Zeit, wo der Meister und Arbeitgeber nur allein nach der Arbeit fragt und was er aus jedem Menschen herausschlägt, sich aber um dessen ganzes Leben und Treiben, Denken und Thun nicht im geringsten kümmert. Ich wundere mich nicht über die Saat, die jetzt heranreift, aber ich sage: die Herren sind es, die sie gesäet haben.

Ein Jahr blieb ich in Mannheim, als meine Mitgesellen mich durch einen schuftigen Streich um meine Stelle brachten. Sie sagten, es sei eine Schande, welchen geringen Lohn der Meister gebe. Es sei jetzt Mode, daß alle Gesellen auf einmal die Arbeit einstellten, dann käme der Meister in Verlegenheit und würde mehr zahlen. Auch hätten sie schon mit den anderen Gesellen in der Stadt vereinbart, daß keiner bei Stubenrauch Arbeit nehme. Diese Hetzerei fiel bei mir auf fruchtbaren Boden, denn ich fand, daß der Meister schon lange meinen Lohn hätte erhöhen können. Sie sagten also zu mir:

»Du gehst zuerst am Samstag, verlangst Deinen Lohn und zugleich Deinen Fremdenzettel, hernach kommen wir nach der Reihe und thun dasselbe, damit der Meister recht erschrickt. Im »Lamm« treffen wir wieder zusammen.«

Ich that also und saß nun im Lamm und wartete, bis der Meister käme und mich dringend aufforderte, wieder in sein Haus zurückzukehren. Allein es kam kein Meister und kein Geselle und bald hörte ich, daß sie mich auf diese Weise nur hatten wegbringen wollen. Erstaunt und entrüstet über die menschliche Schlechtigkeit schnürte ich mein Bündel und wanderte über Heidelberg und Bruchsal nach Karlsruhe.


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