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Elftes Kapitel.
Unschuldig verhaftet

Aus den Plänen für den folgenden Tag sollte nichts werden, denn man hat mich mitten in der Nacht verhaftet. Etwa um vier Uhr klopfte es heftig an meine Thüre und als ich bestürzt aufwachte, rief eine kräftige Baßstimme: »Aufmachen, im Namen des Gesetzes!« Ich taumelte zur Thür und als ich öffnete, drangen vier Schutzmänner in das Zimmer und erklärten mir, ich müsse mit, ich sei wegen Diebstahls verhaftet. Ich schrie, ich sei kein Dieb und wehrte mich mit Händen und Füßen, allein es half doch nichts, denn ehe ich michs versah, lag ich geknebelt am Boden. Man schleppte mich auf die Amtsstube des Polizeireviers No. 2. Wie ich dahin kam, fragten sie mich:

»Wo ist der Gegenstand, den du gestern gestohlen hast?«

»Was sagt ihr,« schrie ich empört, »ich hätte gestohlen? Ihr Fetzen wollt mich zu einem Dieb machen?«

Bauf, hatte ich eine tüchtige Maulschelle und einer fuhr mich an: ihr habt das Maul zu halten, euch Bayern kennt man, euer Leugnen wird euch nichts helfen, wir haben Mittel und Wege, euch zum Sprechen zu bringen.

Jetzt wollte ich noch einmal auffahren, aber sie schlugen mir sofort noch einmal auf den Mund und zwar noch besser als das erste Mal. Gegen halb zehn Uhr wurde ich geschlossen über den Marktplatz geführt, wobei mir mehr als zweihundert Menschen lärmend und höhnend nachliefen. Man brachte mich in einen Goldladen, wo alsbald der Herr des Geschäftes erschien, mich musterte und sofort auf die Frage eines der Schutzmänner, ob ich der Mann sei, den er im Verdacht habe, antwortete:

»Ja, das ist der Schlingel.«

Ich verstand von allem nicht das Geringste, aber ich erinnerte mich, daß ich wirklich Tags vorher in diesem Laden gewesen war. Ich geriet in große Aufregung und wollte mit geschlossenen Händen auf den Goldarbeiter losgehen. Ich schrie: »Was, Du Lump, Du willst mich zu einem Diebe machen? Sage, was habe ich Dir gestohlen?« Noch hatte ich nicht ausgeredet, als mich ein Schutzmann ergriff und zur Ladenthüre hinausstieß. Auf der Straße wurde ich von der Menschenmenge mit lautem Gelächter und allerlei Schimpfworten in Empfang genommen. Die Thränen traten mir in die Augen; diese Beschimpfung that mir weher, als alles, was mir in meinem Leben begegnet war; ich gelobte innerlich Rache und schwur, alles zu stehlen, was mir nur in die Hände fiele, wenn ich wieder ein freier Mann wäre.

Nach einer halben Stunde kamen wir wieder zum Polizeiposten zurück und ich setzte mich matt und mutlos auf den alten Platz. Ich verlangte etwas Speise, allein man sagte mir: »Warten Sie nur, im Gefängnis werden Sie kriegen, was Sie brauchen.« Nach anderthalb Stunden wurde ich in das Gefängnis abgeführt und dem Wärter mit dem Bedeuten übergeben: »Geben Sie gut Acht, er ist ein gefährlicher Verbrecher und zudem ein Ausländer. Hier haben wir noch 15 Gulden, die sein Eigentum sind, wenn sie ihm nicht noch bitter aufstoßen.«

»Was haben Sie denn gemacht?« fragte der Wärter.

»Mit Erlaubnis, Herr, ich habe gar nichts gemacht.«

»So sagt ihr Lumpen alle, wenn man euch aber richtig untersucht, seid ihr die größten Spitzbuben. Wenn ich so gewiß Großherzog würde, als Sie ein Spitzbube sind, würde ich es heute noch werden.«

»Ich versichere Sie nur, daß ich der Dieb nicht bin.«

»Ich will Ihnen etwas sagen: Wenn Sie mir die Wahrheit sagen, will ich Ihnen zu einer geringen Strafe behilflich sein.«

»Ich habe das nicht gethan, dessen man mich beschuldigt.«

»Das geht mich eigentlich gar nichts an, ich sage nur: Wir haben schon genug solcher Strolche gefaßt, die alle sagten, sie seien unschuldig und am Ende hat sichs herausgestellt, daß sie die größten Gauner waren und so wirds mit Ihnen auch sein.«

Mit diesen Worten führte er mich in eine Zelle und sagte, ehe er die Thüre zuschloß: »So, das ist Ihre Wohnung, hier haben Sie Zeit über Ihre traurige Lage und Vergangenheit nachzudenken.« Mit diesem Trost ging er seiner Wege.

Jetzt betrachtete ich mir meine Wohnung. Ein Wasserkrug, ein Stuhl ohne Lehne, das waren die Möbel in diesem kahlen, trübseligen Loche. Von Bett keine Spur, hoch oben ein Fenster, das ich aber nicht erreichen konnte. Gegen sechs Uhr ging eine Klappe an der Thüre auf und eine Hand stellte mir eine Schüssel hin, die eine Flüssigkeit enthielt, Wasser, Salz und Brot ohne die geringste Spur von Fett. Es verging mir aller Appetit und ich ließ dieselbe stehen, wo sie stand. Ich beschloß, zu fliehen und prüfte genau, ob es möglich sei, hier wegzukommen. Als ich mich überzeugt hatte, daß nichts zu machen wäre, ergab ich mich in mein Schicksal. Bei Einbruch der Nacht wurde ein notdürftiges Lager in die Zelle geschafft und am Morgen wieder entfernt.

Drei lange, lange Tage gingen herum, bis endlich die Thüre aufging und mein Schicksal sich entscheiden sollte.

»Jetzt wird sich herausstellen,« begann der Wärter, »ob Sie unschuldig sind. Wenn Sie dem Herrn Untersuchungsrichter die Wahrheit sagen,« flüsterte er mir ins Ohr, »sollen Sies gut haben bei mir.«

Ich konnte mich mit dem Manne einmal nicht befreunden und antwortete: »Wenn Sie die Sache besser wissen, als ich, Herr Wärter, so gehen Sie zum Herrn Untersuchungsrichter und schenken Sie ihm, statt meiner, klaren Wein darüber ein, wie sich die Geschichte zugetragen hat.«

Der Untersuchungsrichter, ein wohlwollender Mann, der sich auskannte, was sonst bei den allerwenigsten der Fall ist, begann also:

»Sie heißen Jacob Junker und sind Bäcker und Konditor?«

»Nein, ich heiße Joseph Kürper und bin Schuhmacher.«

»Sie sind heimatsberechtigt in der Gemeinde Brücken, Bezirksamtes Homburg?«

»Nein, ich bin aus H. im Bezirksamte Kusel.«

Ein leichtes Lächeln flog über sein Antlitz. »Was ich da in Händen habe, ist also Ihr Stromerpaß, nicht wahr?«

»So ist es, Herr Richter.«

»Sie werden wohl wissen, weshalb Sie verhaftet sind?«

»Nein, Herr Richter.«

Er sah mich überrascht an, augenscheinlich schenkte er mir keinen Glauben. »Ich kann Ihnen nur raten, die volle Wahrheit zu sagen, und mich nicht mit solchen Kniffen hinzuhalten. Ein reumütiges Bekenntnis hilft Ihnen zu einer milden Strafe.«

»Ich weiß nicht im Geringsten, Herr Richter, was ich reumütig bekennen soll. Man hält mich nun schon länger als drei Tage hinter Schloß und Riegel, ohne mir auch nur ein Wörtchen über den Grund mitzuteilen.«

Der Richter schien ärgerlich. Er begann: »Nun, der Gold- und Silberarbeiter Scharth von hier giebt an, Sie seien am Tage vor Ihrer Verhaftung in seinem Laden gewesen und hätten ihm bei dieser Gelegenheit ein Messer mit silbernem Stiele entwendet. Was sagen Sie dazu?«

»Daß ich in jenem Laden war, Herr Richter, ist richtig, daß ich aber ein Messer gestohlen habe, ist falsch. Wie ich in das Geschäft trat, befanden sich bereits zwei Damen darin, die sich da aufhielten, bis ich dasselbe verließ. Ich blieb an der Thüre stehen und als der Ladenbesitzer zu mir trat, sagte ich ihm, ich wäre ein Konditor und eben von allen Mitteln entblößt. Er besah meine Papiere und gab mir einen Groschen, worauf ich wieder ging. Hätte ich etwas genommen, so wäre es den beiden Damen nicht entgangen. Ich bitte also, die beiden ebenfalls zu verhören.«

»Warum gaben Sie sich denn für einen Konditor aus?«

»Sehen Sie, Herr Richter, wenn ich mich für einen Schuster ausgebe, dann sagen die Leute: Schuster kriegen überall und immer Arbeit und jagen mich fort, bei einem Konditor ist die Sache schon anders.«

Der Richter nickte und bemerkte: »Ich verstehe.« Dann schloß er: »Ich kann Ihnen nicht helfen; ich muß die beiden Damen verhören und Ihren Leumund von Ihrem Bürgermeisteramt verschreiben, dann lasse ich Sie wieder rufen. Führen Sie den Mann ab.«

Nochmals saß ich acht lange Tage in dem Loche, bis ich abermals zum Untersuchungsrichter gebracht wurde. Derselbe begann: »Es steht also fest, daß Sie wirklich der Dieb sind. Ich habe Herrn Scharth noch einmal genau befragt und er versichert bestimmt, es könne niemand das bewußte Messer gestohlen haben wie Sie. Sonst sei niemand um jene Zeit im Laden gewesen und alsbald, wie Sie fort waren, wurde das Messer auch vermißt. Gestehen Sie also die That ein, so wird das beim Urteil berücksichtigt werden.«

»Ich habe nichts zu gestehen und weiß von der Sache nichts, Herr Richter. Aber ich möchte doch wissen, was denn jene beiden Damen ausgesagt haben, die mit mir im Laden waren?«

»Ihre Aussagen lauten für Sie günstig, ebenso liegt nach dem Schreiben Ihres Bürgermeisteramts nichts gegen Sie vor. Allein ich kann Sie nicht freilassen, ich muß Ihre Sache dem Gerichtshof übergeben, was der darüber beschließt, ist mir recht. Was meine Person betrifft …«

»Herr Rat«, unterbrach ihn der Schreiber, »es hat eben geklopft.«

»Herein!«

Die Thüre ging auf und herein trat mit verlegener Miene der Goldarbeiter Scharth und sagte kleinlaut: »Es thut mir sehr leid, Herr Untersuchungsrichter, aber das Messer hat sich heute wieder vorgefunden.«

»So,« begann der Richter, »das thut Ihnen leid, Herr Scharth, daß sich das Messer wieder gefunden hat. Mir thut es gar nicht leid, nein, ich bin froh, daß nicht ein Unschuldiger verurteilt wurde. Daran wäre niemand schuld gewesen, als Sie, Herr Scharth. Nun mußte der arme Mensch zwölf Tage sitzen, wegen eines Gegenstandes, der nur wenig Wert besitzt und den er nicht einmal genommen hat. Wenn es dem Angeklagten recht ist, bin ichs zufrieden, wenn nicht, so kann Sie die Geschichte teuer zu stehen kommen, Herr Scharth.«

Dieser verstand, was der Richter meinte und schon vor der Thüre machte er die Sache in Güte mit mir ab. Er gab mir ein schönes Stück Geld, um die unangenehme Geschichte aus der Welt zu schaffen. Ich ging weg, allein meine Schläge und Beschimpfungen nahm mir niemand mehr ab; sie haben einen Stachel in meiner Brust zurückgelassen, und ich habe den Schwur, mich zu rächen, gehalten.

Wie ich zurückkam auf die Herberge »zum Köhler«, wurde ich mit lautem Jubel empfangen. Schon saß ein Ferkelstecher da, der von der Geschichte Wind bekommen hatte und einen ordentlichen Profit dabei herauszuschlagen hoffte. Er bot sich an, sofort die Entschädigungsklage gegen Scharth einzuleiten und war sehr ärgerlich und schalt mich einen Dummkopf, als er hörte, daß ich mich mit dem Manne verglichen hätte.

Es wurde nun den ganzen Abend pokuliert und jubiliert und über die Polizei und die Gerichte und die Bürger räsonniert. Ich hatte die Erlaubnis erhalten, in Darmstadt zu bleiben, allein es wollte mir da nicht mehr gefallen, weshalb ich mein Bündel schnürte und am folgenden Morgen nach Frankfurt wanderte.


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