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Lebende Bilder


1.
Die Schleußerin.

Sie wurde eigentlich kurzweg »Schleußern« genannt, und wer sich darunter ein auch nur halbwegs gebildetes, städtisch gekleidetes und vornehm tuendes Wesen vorstellt, der hat sich sehr geirrt. Die Schleußern, übrigens Hanne mit Namen, die ich meine und welche mich, als ich Braut war, in alle Geheimnisse der ländlichen Tätigkeit einweihte, sah ganz wie eine Magd aus. Sie verrichtete aber auch die Dienste einer solchen. Meine Lehrprinzipalin sagte mir gleich, daß ich mich nicht an der Grobheit der sehr tüchtigen Person stoßen solle, sie sei im Grunde gutmütig und anhänglich. Wenn ich heute ihre Leistungen überdenke, so geschieht es mit höchster Achtung vor so viel Arbeitskraft. Mir wurde bei meiner Lehrzeit nichts geschenkt, früh um dreiviertel vier Uhr ertönte mitleidslos die Klingel, welche mich aus süßen Träumen aufrüttelte. Manchmal dachte ich mit wehmütigen Gefühlen: »Mein Gott, soll das nun das ganze eben lang so gehen?« Kam ich dann in den Stall, so war die Schleußern schon mit den sauberen Kannen und Gelten, mit Sieb und Seihetuch zur Stelle und kommandierte nicht schlecht unter den anderen Melkerinnen herum. Als ich das Melken bei ihr lernte, habe ich mich richtig vor ihr gefürchtet. Es schien mir gar nicht möglich, daß man so viel Kräfte in den Händen haben sollte, um die Milch aus den widerspenstigen Strichen zu gewinnen. Demütig gehorchte ich, als mich die Schleußerin anwies, mir die wohlgepflegten Fingernägel glatt abzuschneiden. Na, ich lernte ja melken. Nach dem Melken ging es dann gleich zum Kälber- und Schweinefüttern, ehe das Frühstück kam. Überall war die Hanne die verantwortliche Hauptperson. Sie machte die Tränke für die Kälber zurecht, ließ jedes einzelne Kalb sein zugemessenes Teil aus der Gelte saufen, schüttete den Hafer ein und gab das Heu. Ebenso sorgte sie für die Schweine. Nach dem Frühstück kam das Geflügel dran, und dann folgte uns die Schleußern in die Milchkammer. Sie trug die schweren, eichenen »Schäffel« herzu, die wir absahnten, goß die zum Käse bestimmte saure Milch in die großen Töpfe und scheuerte dann die Schäffel, die nachher noch einzeln im Kessel ausgekocht wurden. An den Buttertagen, zwei bis dreimal in der Woche, drehte sie das Butterfaß, und es ist mir erinnerlich, wie ich sie eines Tages bei dieser Beschäftigung fand. Die Rechte drehte die Kurbel des auf einem Ständer stehenden Butterfasses, der linke Arm lag auf dem Deckel und ihr Kopf darauf, »was machen Sie denn?« fragte ich. »Ich ha Kuppschmerzen,« war die Antwort. Die arme Seele sah erbärmlich aus, aber »de Putter muß fertig werden«, entgegnete sie, als ich ihr vorschlug, sich hinzulegen. Sie lachte auch verächtlich zu meinem Vorschlage, sie abzulösen und tat den ganzen Tag ihre Arbeit. Wie schnell war nach diesen Arbeiten immer wieder die Melk- und Futterzeit da. Nachmittag wurde das Vieh losgebunden und zu Wasser getrieben, dann gab es Arbeit im Garten oder Stall, auch Schlachtvieh zu putzen oder Rüben zu stampfen, bis zum drittenmal das Melken begann. Das Essen der Leute wurde damals noch auf einem gemeinsamen Herde gekocht. Da stellte die Hanne ihr Töpfchen für sich und den »Willem« an die ihr gebührende Stelle, und die Gesindeköchin, die auch mit melken mußte, sah danach. Zum Schlafen hatte die Hanne nur ein Kämmerlein und in diesem kleinen Raume saß sie Sonntags und flickte mit ihren arbeitsharten Händen ihre und Willems Garderobe aus oder strickte mühselig an einem Strumpfe. Für all ihre Arbeit bekam sie den hohen Lohn von dreißig Talern jährlich, neben dem üblichen Deputat.

Der Willem, das war Hannes einzige Liebe. Es war ihr Junge, weiß Gott, wo sich der Vater draußen in der Welt herumschlug, an ihn wurde weiter nicht gedacht, aber der Junge lockte stets ein zärtliches Lächeln auf die groben Züge der Schleußern, und ihre arbeitsharte Hand strich liebkosend über sein Gesicht, wenn er in ihre Nähe kam. So anspruchslos sie für sich war, dem Willem tat sie an, was sie konnte, und wendete man ihr etwas zu, so nahm sie es strahlend an, der Junge brauchte gerade das oder jenes.

Bei aller Armut wachte sie treulich über jedes Ei und jedes Futterkörnchen, und entwischte uns eine Henne beim »Greifen,« so ruhte sie nicht, bis sie »den Racker« wieder gefaßt hatte, oder sie spürte die heimlichen Nester der schlauesten Hennen auf und brachte freudestrahlend die gefundenen Eier, verdarb oder zerschlug sie mal etwas, so war sie untröstlich. Einmal war alles zum Seifenkochen bereit gestellt. Die lange zusammengesparten Fettabfälle standen mit dem zugekauften »Schnurks« vereinigt in einem Napf bereit, der Kessel blinkte sauber, und erwartungsvoll schauten wir Lehrlinge der Hausfrau zu, die den nötigen Seifenstein zerkleinerte und abwog. Da ertönte ein Schreckensschrei. Hanne, die in dem dämmerigen Raume ihr Schweinefutter zurecht machte, hatte den Napf mit dem Fett in ihren Futtereimer geleert. Die ärgerliche Hausfrau wollte eigentlich schelten, aber der Jammer der Schleußern war so groß, daß sie sich aufs Trösten verlegte. Der Eimer wurde mit kaltem Wasser gefüllt und das Fett andern Tages abgenommen, so erlitt die Seifenkocherei nur einen kleinen Aufschub. Aber noch lange vergaß sich die treue Seele diesen Mißgriff nicht.

Als sie mir die Kunst des Gänseberaufens beibrachte, wobei ich ängstlich und besorgt um die Tiere war, brach sie schließlich in den Ausruf aus: »Ne, Fräulein, stellen Sie sich ock nich gar so timplich an, der Lährer wurd Ihnen wol auch schon emal e paar Haare ausgehuscht hab'n, und Se sein nich davon gesturben.« Das half, und ich wagte mich herzhaft an die zappelnden Gänschen, obgleich ich mich nicht ähnlicher Vorkommnisse aus meiner Schulzeit entsinnen konnte. Frau Oberamtmann und ich lachten herzlich über diese Zurechtweisung, und erstere versicherte mir, daß die Gänse froh wären, die reifen Federn los zu werden, sie zögen sie sich selber mit dem Schnabel aus. Na, die, welche ich bezupft hatte, saßen einige Tage ziemlich traurig herum. Übrigens gelang es mir schließlich doch die Zufriedenheit und Achtung der Schleußern zu erringen, die bei aller Grobheit ihren Stand nie vergaß und mir ein Beispiel an Pflichttreue geblieben ist. Während meines Dortseins war es nicht ein einzigesmal nötig, sie an ihre Obliegenheiten zu erinnern, ich höre noch ihre mürrische Antwort, wenn man fragte, ob dies oder jenes besorgt sei: »Ich ha's gemacht«, damit war alles gesagt, aber auch wirklich getan.

Als ich mich von ihr verabschiedete, meinte sie, ich könne nun schon aufs Land heiraten, zuerst hätte sie gedacht, ich würde nichts anfassen, »bloß mit dem Sonnenschirm spazieren gehen«. Dreizehn Jahre ist sie auf dem Hofe geblieben und nur, weil der Willem dann in die Stadt in die Lehre ging, hat sie ihr reiches Feld der Tätigkeit verlassen. Ich habe nichts mehr von ihr gehört, daß ich sie nicht vergessen habe, zeigen diese Zeilen.


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